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nicht gewesen: es ist uns wenigstens im Verlaufe der Untersuchung allmählich möglich geworden, die Begriffe jener beiden bibliothekarischen termini technici schärfer zu praecisiren und dadurch auch die verschiedenen Möglichkeiten der Interpretation einzuschränken. Ob wir in gleicher Weise unbegründete Hypothesen endgiltig beseitigt und so das spätere Wiederauftauchen ähnlicher, haltloser verhindert haben, mögen competentere Beurtheiler entscheiden. Wir mussten uns hier damit begnügen, Thatsachen zu confrontiren und Möglichkeiten gegen einander abzuwägen; hoffentlich werden andere mit mehr Glück einen Weg zur Lösung der Schwierigkeiten ausfindig machen.

Halle a. S.

Dr. C. Haeberlin.

Bibliographische Miscellen.

1.

W. Wattenbach, Schriftw. im MA.2 S. 171 führt bei Besprechung der Zubereitung des Pergamentes nach Schoettgen de librariis eine Stelle an aus einem Sermo de nativitate des Petrus Bles. ed. Daum p. 248, die er vergeblich gesucht zu haben erklärt. Er selbst giebt nicht an, wo bei Christian Schoettgen das Citat sich findet; es steht aber in der angeführten (nicht paginirten) Schrift (Lipsiae 1710) in § VIII auf Blatt 7 (m. d. S. B3) und bezieht sich auf des Petrus Blesensis Sermo de Nativitate Domini pag. 248 edit. Daum'. Ein solches Buch giebt es freilich nicht, auch keine Gesammtausgabe der Werke des Petrus Bl. von Daum, wohl aber eine Sammlung Divorum patrum, veterumq; ecclesiae doctorum aliquot, qui oratione soluta scripserunt, Homiliae ac meditationes in festum nativitatis Jesu Christi... collectae & peculiariter editae a Christiano Daumio. Cygneae, 1670'. Von 24 Kirchenvätern sind darin Predigten für das bezeichnete Fest gesammelt, an 24. Stelle von Petrus Blesensis'. S. 248 f. findet sich das gesuchte Citat: Audi libri compositionem, ut & omnia in corde tuo comparare studeas u. s. w.

Mit diesem Nachweis ist aber die Schwierigkeit noch nicht beseitigt. Denn in der alten Ausgabe des Petrus Blesensis von Petr. de Gussanvilla (Paris 1667), wie in der neueren von J. A. Giles (Oxonii 1846 f.; 4 vol.), von denen auch Migne Pat. lat. T. 207 abhängt, giebt es zwar zwei Predigten In nativitate Domini (ed. Giles, vol. IV, Serm. 5 und 6. S. 23-36), diese sind aber von der bei Daum abgedruckten völlig verschieden. Daum giebt auf der letzten Seite der Praefatio als Quelle seines Abdruckes an Joh. Busaei Editio, quae T. XII B. PP. part. 2 inserta est'. Gemeint sind die Opera Petri Blesensis ope et studio Joannis Busaei... Moguntiae 1600 (s. Sermo VI, S. 322 ff.), welche abgedruckt sind in

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der Magna Bibliotheca veterum patrum. op. et stud, doct. in univers. Colon. Agripp. theol. T. XII, p. II (Coloniae 1618), S. 692 ff. (s. S. 845 ff.).

Aus der Praefatio g. E. (De sermonibus; S. 699 der Cölner Bibl. Patr.; vergl. S. 693) ersehen wir, dass Busaeus die Predigten aus einer einzigen Löwener Handschrift herausgegeben hat, in welcher ihnen der Name Petrus (ohne Beiname) vom Schreiber vorgesetzt war. Dass dieser Grund nicht ohne weiteres berechtigt, den Petrus Blesensis für den Verfasser der Sermonen zu halten, da wir aus dem gleichen Jahrhundert mit diesem vier andere Petri als Verfasser von Predigten kennen, nämlich P. Cluniacensis, Lombardus, Comestor und Cantor,1) führt Busaeus a. O. selbst an. Die inneren Gründe, welche ihn gleichwohl zu jener Annahme bestimmten, sind keineswegs schlagend und bereits von de Goussainville a. O. (Praef. ad Lect.) widerlegt. Ebenda werden die ex editione Merlini' abgedruckten 65 Predigten des Petrus von Blois als echt erwiesen. Giles (a. O. vol. IV, Pref. p. V) nennt keinen Verfasser der von Busaeus veröffentlichten Sermonen, bezeichnet sie aber als compositions of another Peter, hardly less famous as a writer than our author'. Ihren wahren Verfasser hatte de Goussainville a. O. längst in Petrus Comestor († ca. 1178), dem bekannten Autor der Historia Scholastica, richtig erkannt. In dessen Werken findet sich bereits bei Migne Patr. Lat. T. 198, Col. 1738 ff. (vergl. Col. 1045 ff.) die ganze Predigt, wie sie bei Busaeus a. O. und sonst steht, in ihrem vollen Wortlaut. Sie hat auch in ihrem Schlusse den für die echten Predigten des Petrus Comestor eigenthümlichen Hinweis auf das Richteramt Christi mit den Worten: ...cuius incolas nos faciat Jesus Christus, Dominus noster, iudex noster, cum venerit iudicare vivos et mortuos, et saeculum per ignem' (vergl. Migne a. O. Col. 1047 aus Cas. Oudin, Comm. de script. eccl. II [Lipsiae 1722] S. 1528). Wir bedürfen darnach keiner weiteren Bestätigung der Thatsache, dass Petrus Comestor und nicht Petrus Blesensis Verfasser derjenigen Predigtstelle ist, von welcher wir ausgegangen sind.

Noch ist zu bemerken, dass die erwähnte Predigt des Petrus Comestor zum grossen Theil eine wenig freie Bearbeitung einer Predigt des um 1134 als Erzbischof von Tours gestorbenen Hildebertus Cenomanensis ist (Opera ed. Ant. Beaugendre; Paris 1708, Sermo de diversis XV De libro vitae', Col. 732 ff. Migne Patr. Lat. T. 171, Col. 814 ff.). Auf die ganz ähnliche Weise, in welcher dieser das Bild von der Zubereitung des Pergamentes verwendet, hat bereits Wattenbach a. O. hingewiesen. Die Aehnlichkeit ist aber jedenfalls keine zufällige und geht auch über die freie Benutzung eines Grundgedankens, der etwa dem Petrus Comestor bei Lectüre des Hildebertus besonders

1) Ein fünfter wäre z. B. Petrus Cellensis († 1187) bei Migne Pat. lat. T. 202.

gefallen hatte, weit hinaus. Die Nebeneinanderstellung einzelner Sätze möge dies beweisen:

Hildebertus Cen.

(Migne P. Lat. 171, Col. 815 f.) ... addit Dominus: Et scribe ea. Ad quod forsan dicetis: Nos qui litteras non didicimus, nec scribere scimus, quomodo scribere poterimus? ...

Scitis quid scriptor solet facere. Primo cum rasorio [incipit]1) pergamenum purgare de pinguedine, et sordes magnas auferre; deinde cum pumice pilos et nervos omnino abstergere; quod si non faceret, littera imposita nec valeret nec diu durare posset. Postea regulam apponit, ut ordinem in scribendo servare possit. . . .

... semper excusationem volunt praetendere dicentes: Quomodo possum ieiunare aliis comedentibus?

Post mundationem istam cum pumice orationum et eleemosynarum pili, i. e. venalia peccata sunt removenda, quae sunt in nimietate risus, sive in superfluitate cibi . . .

In primo folio et prima regula scribe: Deus tuus, Deus unus est, id est crede Patrem omnipotentem et dilige eum.

Petrus Com.

(Migne P. Lat. T. 198, Col. 1740.)

... nec solum audi, sed scribe in corde tuo. Sed forte inquiunt aliqui inter nos: Quomodo potest scribere, qui non novit litteras vel libros componere?...

Audi libri compositionem . .

Prius traditur rasori, ut cum rasorio omnem superfluitatem, pinguedinem, scrupulos et maculas tollat, deinde supervenit pumex, ut quod rasio auferre non potuit, pumice deleatur, scilicet pili et talia minuta. Ad haec, autequam scribatur, opus est regula ne tortuose ducatur linea. . . .

Cum praecipitur ieiunare, ipse se excusat: Quomodo ieiunarem et alii comederent?

Sed quia adhuc restant alia, sine quibus vita ista non agitur, quae dicuntur venalia, quia leviter consequuntur veniam, adhuc opus est pumice i. e. eleemosyna & oratione, quia extinguunt ista venalia, quae sunt ridere immoderate, bibere quandoque ultra quod satis est ...

[p. 250] In primo folio scribe: Deus tuus unus est; i. e. Patrem omnipotentem crede et dilige

In ebenso übereinstimmender Weise werden weiter die Lehren der zehn Gebote behandelt. Besonders verräth Petrus Com. seine Quelle Col. 1741 durch das nach der Gelegenheit der Predigt nicht durchaus erforderliche biblische Citat Dabo tibi terram fluentem lac et mel', welches bei Hildebertus einen Theil des Textes der Predigt (Deut. 4, I Audi Jsraël praecepta vitae et scribe ea in corde tuo, et dabo tibi u. s. w.) ausmacht. Bei der compilatorischen Art seiner Schriftstellerei, wie sie ja auch in dem Hauptwerke der

1) Dieses von Beaugendre in Klammern gesetzte Wort ist sicher überflüssig.

Historia Scholastica entgegentritt, können wir uns über diesen Grad von Uebereinstimmung mit den Worten eines Anderen nicht wundern, müssen aber unter diesen Umständen doch Bedenken tragen, ihm als Predigtenschreiber das Lob zu spenden, welches Giles a. O. ihm zuerkennt, oder auch nur mit Wattenbach die Stelle über die Pergamentbereitung als hübsch' in den Vordergrund zu stellen vor der des Hildebertus.

2.

Der zuerst von Sotzmann im Serapeum IV (1843), S. 277 beschriebene Ablassbrief vom 24. April 1455, der in der Herzogl. Bibliothek zu Wolfenbüttel sich befindet, bildet bei J. H. Hessels, Gutenberg (London 1882) S. 165 f. mit 2 (richtiger 4) Exemplaren der Culemann'schen Sammlung im Kästner-Museum zu Hannover eine besondere Gruppe der gedruckten 30zeiligen Briefe. Diese Gesellschaft mit den sicher gefälschten Culemann'schen Exemplaren,1) sowie der Umstand, dass jenes Exemplar allein als in Braunschweig ausgestellt unter den 5 bekannten ausgefüllten Exemplaren des 30zeiligen Druckes dem Erzbisthum Mainz und nicht dem von Köln angehört, machte mir, wie ich Beitr. S. 78 wohl andeutete, auch die Echtheit jenes Stückes verdächtig. Inzwischen bin ich in Wolfenbüttel gewesen und habe mich, obwohl das Blatt unter Glas und Rahmen gehalten wird, doch davon sicher überzeugt, dass es mit Typen gedruckt ist und nach keiner Seite hin Verdacht bietet. Zugleich wurde mir höchstwahrscheinlich, dass es selbst die Vorlage war zu den Nachahmungen der Culemann'schen Sammlung. Die in letzteren Z. 4 und 14 abgedruckten kleinen Flecken sind auch im Wolfenbütteler Exemplare vorhanden, aber von verblasster Dinte, ebenso steht Z. 19 der Strich über debet handschriftlich; Z. 25 deutlich gedruckt tnoz (vergl. Beitr. S. 73. 76). Dagegen ist Z. 21 Forma und Z. 22 tui hier ganz unverdächtig (a. O. S. 76).

Leider kann ich nicht mit gleicher Sicherheit über das Verhältniss dieses Druckes zu dem der anderen Exemplare urtheilen, da eine Gegenüberstellung derselben mir ja nicht möglich war. Eigenthümlich ist dem Wolfenbütteler Exemplare jedenfalls ausser dem tno (Z. 25) auch iuxta (statt Juxta) in Z. 18; die anstössige Form poterit für poterunt (Z. 10) hat der 30zeilige Ablassbrief mit dem 31zeiligen gemein. Ob diese Abweichungen aber auf Aenderungen am stehen gebliebenen Satze beruhen, wie solche bei dem 31zeiligen Briefe sicher vorgenommen wurden (s. Beitr. S. 58 ff.), vermöchte nur eine Vergleichung zweier Originale oder wenigstens guter Photographien derselben zu lehren. So viel steht aber auch ohnedies fest, dass das Wolfenbütteler Exemplar, wie es hinsichtlich des Ausstellungsortes bis jetzt eine einzelne Ausnahme bildet (Beitr. S. 71 f.), auch in Bezug

1) S. meine Beiträge zur Gutenbergfrage (Berlin 1889) S. 72 ff.

auf den Druck unter den bekannten Exemplaren einzig in seiner Art ist.

3.

Ein höchst interessanter mit Fust-Schoeffer'schen Typen hergestellter Druck ist das Schriftchen des S. Basilius Ad iuvenes de legendis gentilium libris, bei Hain n. 2690 vermuthlich nach Fr. X. Laire, Ind. libr. I (Senonis 1791) S. 28 f. (vergl. Panzer II S. 140) beschrieben, aber nicht von ihm selbst gesehen.1)

Neuerdings wurde die Aufmerksamkeit wieder darauf gelenkt durch ein Exemplar, welches im Besitz des bekannten Münchener Antiquars Herrn Ludwig Rosenthal ist und am Ende von der Hand des Rubrikators das Datum anno LX trägt. A. v. d. Linde, Gesch. d. Erf. (Berlin 1886), S. 892, Anm. 1 beschreibt das Exemplar kurz, welches ihm vom Besitzer zur Ansicht geliehen worden war, und setzt den Druck darnach in das Jahr 1460, das Erscheinungsjahr des Gutenbergischen Catholicon. Gegenwärtig ist jenes Exemplar in dem antiquarischen Catalogue LXII jener Firma S. 21, No. 289 für den Preis von 2500 Mark zum Verkauf angeboten.

Mir schien zweierlei nach der bei Hain gegebenen Beschreibung nicht zu einer so frühen Datirung zu stimmen, einmal das besondere Titelblatt, das dem Schriftchen vorausgeschickt ist, da solche erst aus ziemlich viel späterer Zeit bekannt sind; sodann vor allem die kurze Erwähnung, dass das Schriftehen zu Mainz gedruckt' sei. Die frühesten Drucke schweigen bekanntlich entweder ganz von der neuen Kunst des Druckens oder schildern mit berechtigtem Stolz ausführlich das Wunderbare derselben. In der letztbezeichneten Weise verfahren gerade Fust-Schoeffer in den beiden Psalterien von 1457 und 1459, im Rationale Durandi von 1459 und in den Constitutiones Clementis V von 1460, Gutenberg-Homery im Catholicon von 1460. Den gleichen Charakter haben die Unterschriften der erstgenannten Drucker noch eine Reihe von Jahren bis etwa 1470 hin, wie man aus ihrer Zusammenstellung bei A. v. d. Linde, Gutenberg (Stuttgart 1878) Anh. S. LXI ff leicht ersehen kann.

1) Ich lasse desshalb hier eine genaue Beschreibung des Druckes folgen, die übrigens das, was wir aus Laire, Panzer und Hain wissen, nur in Kleinigkeiten berichtigt. Bl. 1a (Tit. m. d. Typ. d. Psalteriums v. 1457): Opufculu magni Bafilij ad iuuenes. Bl. 2a (m. d. Durandustypen v. Fust-Schoeffer): Leonardi Arretini ad colluciu falutatu pfatio in magni || Bafilij librum Incipit feliciter. || Bl. 3a beginnt der Text der Uebersetzung und endet Bl. 18a Z. 13. Es folgt die Unterschrift: Magnus Bafilius de poetaru orato hiftoricoruq; ac philofopho legendis libris Moguncie impreffus et pMartinu Brenningariu (quo facilius intelligatur rubricis titulifq; interftinctus: Feliciter finit. o. 0. o. Dr. (Fust u. Schoeffer od. Pet. Schoeffer allein?); o. J. 18 Bl. 4o zu 17 Z.; o. Sig., Cust. u. S.z. Eigenthümlich ist dem Druck der reiche Durchschuss, indem im Vergleich zu anderen Drucken der Durandustype je eine Zeile den Raum zweier einnimmt (vergl. Laire a. O.); nur die Kapitelüberschriften sind enger gedruckt.

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