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worden ist. Auf die noch schwebende Rabattfrage wird an anderer Stelle zurückzukommen sein.

Im übrigen ist die Zeit seit der letzten Zusammenkunft im Bibliotheksleben friedlich verlaufen. Was an bemerkenswerten Tatsachen von einzelnen Bibliotheken zu berichten ist, wird man im 2. Jahrgang des Jahrbuchs der Deutschen Bibliotheken zusammengestellt finden, der infolge ungünstiger Umstände leider erst spät im Jahre wird ausgegeben werden können. Von mehr in die Augen springenden Ereignissen sei nur genannt die Eröffnung der KaiserWilhelm-Bibliothek in Posen, der neuerdings die Begründung einer Stadtbibliothek in Bromberg gefolgt ist; dann die Erweiterung der Paulinischen Bibliothek in Münster zur Universitätsbibliothek. Ein neues Gebäude hat die Universitätsbibliothek in Freiburg i. B. bezogen und im Neubau befinden sich noch Heidelberg, Kassel (Murhardsche Bibliothek) und Danzig (Stadtbibliothek). Das gröfste Ereignis im heimischen Bibliotheksbau, das neue Gebäude der Königlichen Bibliothek in Berlin, ist wenigstens insoweit in greifbare Nähe gerückt, als der Bauplatz von den alten darauf befindlichen Gebäuden geräumt wird und in dem bevorstehenden Winter die Fundamente fertiggestellt werden sollen.

Die innere Arbeit der Bibliotheken vollzieht sich geräuschlos and tritt wenig in die Oeffentlichkeit. Soweit sie in Zahlen ausgedrückt werden kann, wird sie im nächsten Jahrbuch eine vollständigere Darstellung als früher finden. Leider haben aufser den preufsischen Staatsbibliotheken nur wenige Anstalten Zeit und Mittel gefunden, die statistischen Aufnahmen bei sich durchzuführen. Was die eben genannten preussischen Staatsbibliotheken betrifft, so wird ihr innerer Betrieb in der nächsten Zeit beherrscht sein von der Arbeit an dem Gesamtkatalog, dessen Herstellung seit Januar 1903 in Angriff genommen ist, nachdem vorher ausschliesslich daran gearbeitet worden war, die alphabetischen Kataloge möglichst in die gleiche Ordnung zu bringen. Bekanntlich wird der Zettelkatalog der Königlichen Bibliothek abgeschrieben und die Abschrift in kleinen Abschnitten bei den übrigen zehn Bibliotheken herumgeschickt, die ihre Verbesserungen und Ergänzungen hinzufügen. Von der Gröfse der Arbeit kann man sich schwer eine Vorstellung machen. Aufser der Geschäftsstelle des Gesamtkatalogs mit mehreren Beamten, die von Berliner Bibliotheken hierzu abkommandiert sind, wird an jeder Universitätsbibliothek allermindestens ein Beamter ständig davon in Anspruch genommen und das wird voraussichtlich auf mehrere Jahrzehnte hinaus der Fall sein. Man wirft natürlich die Frage auf, ob der zu erwartende Gewinn diese gewaltige Arbeit lohnt, und man kann geneigt sein sie zu verneinen, wenn man allein die positiven greifbaren Resultate in Betracht zieht. Anders stellt sich die Rechnung, wenn man den grofsen idealen Gewinn erwägt, den das Zusammenarbeiten der Bibliotheken zu einem gemeinsamen Zweck mit sich bringt. Jedenfalls ist die Arbeit eine so interessante, dafs sie verdient auch von den nicht

unmittelbar beteiligten Bibliotheken aufmerksam verfolgt zu werden. Sollte es einmal möglich sein, woran jetzt noch nicht zu denken ist, den Gesamtkatalog zu drucken, dann allerdings würde auch der greifbare Vorteil, der sich daraus für alle Bibliotheken ergäbe, die aufgewandte Mühe reichlich aufwiegen. Doch wollen wir davon absehen. uns dieses Zukunftsbild jetzt auszumalen und uns lieber den einzelnen Punkten unseres Programms zuwenden.

Hierauf wird die Tagesordnung bezüglich der gröfseren Verhandlungsgegenstände festgestellt und die Einschiebung der weniger umfangreichen Referate von der zur Verfügung stehenden Zeit abhängig gemacht.

1. Die Vorbildung zum bibliothekarischen Beruf.

a) Referat von Direktor Dr. Gerhard-Halle.

M. H.! Auf dem Wege, den Bibliotheksbeamten eine fachmännische Vorbildung zuteil werden zu lassen, gingen andere Staaten uns Deutschen voran. In Italien wurde schon 1869 durch den Minister Bargoni eine Kommission eingesetzt, die Vorschläge zur Reorganisation der öffentlichen Bibliotheken machen und u. a. auch untersuchen sollte, ob an den Universitäten ein Kursus für Bibliologie als Vorbereitung zum Bibliotheksdienst einzurichten sei. Durch die Ministerial-Verfügungen vom 25. Juni 1870 und 22. März 1871 wurden Bestimmungen über die Examina der höheren und niederen Bibliotheksbeamten getroffen und in dem Regolamento vom 20. Januar 1876 ein Corso tecnico für künftige Bibliothekare angeordnet, der zunächst an der Vittorio Emanuele in Rom eingerichtet, durch das grundlegende Regolamento vom 28. Oktober 1885 aber und das Dekret vom 25. Oktober 1889 auch auf die anderen grofsen Bibliotheken des Landes ausgedehnt wurde.1)

vom

Frankreich besitzt seit langen Jahren in der École des Chartes ein Institut, das wenigstens hinsichtlich einiger Fächer als eine Art Vorschule für künftige Archivare und Bibliothekare betrachtet werden kann, und seit einem Jahrzehnt werden auch an der Sorbonne bibliographische Vorlesungen gehalten. Durch Ministerial - Erlafs 23. August 1879 wurde die Anstellung als Bibliothekar bei den Universitäts-Bibliotheken von einer Fachprüfung abhängig gemacht, der man sich erst nach zweijährigem praktischen Dienst an einer Bibliothek unterziehen kann,2) und für die Beamten der Bibliothèque Nationale sind durch den Erlafs vom 17. Juni 1885 sogar zwei Fachprüfungen vorgeschrieben, vor der Annahme als stagiaire und vor

1) Münzel, Das italienische Bibliotheks-Reglement vom Jahre 1885. Centralblatt f. Bibliotheksw. 7. 1890. S. 223 ff.

2) Diese Bestimmungen erfuhren durch spätere Erlasse, besonders durch das Arrêté vom 20. Dezember 1893, einige Aenderungen; vergl. Maire, Manuel pratique du Bibliothécaire. S. 34 ff.; Graesel, Handbuch der Bibliothekslehre. S. 470.

der Beförderung zum sous-bibliothécaire, und zwar beide mit verschiedenen Anforderungen zur Anstellung beim Département des Imprimés oder dem Département des Manuscrits.

In England sind zwar seitens des Staates keine besonderen Einrichtungen zur fachmännischen Ausbildung der Bibliothekare getroffen, nur die Kandidaten für den Dienst am British Museum haben sich einer auf die speziellen Verhältnisse dieses Instituts zugeschnittenen Prüfung zu unterziehen; 1) um so eifriger aber nimmt sich die Library Association der Ausbildung für den Dienst an den zahlreichen Free Public Libraries an, indem sie eine Reihe von technischen Kursen eingerichtet hat und seit 1885 auch Prüfungen abhalten läfst. Ebenso betreibt in den Vereinigten Staaten die American Library Association die Ausbildung von Bibliothekaren und Bibliothekarinnen für die so zahlreich aufblühenden Free Public Libraries. Neben der von Melvil Dewey 1887 am Columbia College begründeten, 1889 mit ihm nach Albany übergesiedelten Hauptpflanzschule für den bibliothekarischen Nachwuchs sind in den letzten Jahren eine ganze Reihe solcher Schulen in Amerika entstanden.2)

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Noch früher als in den genannten Ländern hatte man in Oesterreich einen Anlauf genommen, den Eintritt in den staatlichen Bibliotheksdienst zu regeln. Schon im Jahre 1858 war im Unterrichtsministerium ein Entwurf einer Vorschrift über die Prüfung der Kandidaten des Bibliothekendienstes" ausgearbeitet worden; 3) aus verschiedenen Gründen aber wurde dieser Entwurf wieder ad acta gelegt und die Frage harrt dort noch heute ihrer endgiltigen Lösung. Zwar hat seit 1874 das Institut für österreichische Geschichtsforschung unter seinen Aufgaben auch die, die fachmännische Heranbildung von Beamten für Bibliotheken, Archive und Museen zu erzielen, und es werden daher an ihm auch Vorlesungen über Bibliographie und Bibliothekskunde gehalten; da dieselben aber für den Eintritt in den Bibliotheksdienst nicht obligatorisch sind, blieb diese Einrichtung ohne wesentlichen Einfluss. Ein Ministerial-Erlafs vom 28. November 1895 setzte, im Anschlufs an die bisherige Praxis, eine Norm für die Qualifikation zum staatlichen Bibliotheksdienst fest; es wurde darin von den Bewerbern verlangt: die Erlangung des Doktorgrades von einer inländischen Universität oder die Approbation für das Lehramt an Gymnasien oder Realschulen, der Nachweis der erforderlichen Sprachkenntnisse sowie die sonstige Eignung für den Bibliotheksdienst. Bewerber, die diesen Bedingungen genügen, werden als Praktikanten eingestellt und sollen nach einer einjährigen vollständig befriedigenden Probepraxis vereidigt werden. Die Frage, worin diese Eignung für den Bibliotheksdienst besteht, welche Fachbildung im einzelnen von den Bewerbern zu verlangen und wie sie nachzuweisen sei, wurde 1) Macfarlane, Library administration. London 1898. S.6—7.

2) Vergl. Graesel a. a. O. S. 477.

3) Frankfurter, Die Qualifikation für den staatlichen Bibliotheksdienst in Oesterreich. Vortrag. Wien 1898. S. 7 ff.

in dem Erlafs, der zunächst nur die Regelung der Rechtsverhältnisse der Bibliotheksaspiranten bezweckte, nicht erörtert. Dafs die Regelung auch dieser Fragen dringend erwünscht wäre, wird in den Kreisen der österreichischen Fachgenossen fast allenthalben anerkannt; im österreichischen Verein für Bibliothekswesen wurde die Vorbildung für den Bibliotheksdienst mehrfach zum Gegenstand der Besprechung gemacht und namentlich in den dort gehaltenen Vorträgen von Eichler) und Frankfurter 2) sachgemäfs und gründlich erörtert.

In Deutschland machte sich das Bedürfnis einer Vorbildung für den bibliothek arischen Beruf dringend erst geltend, seitdem es einen solchen Beruf überhaupt hier gibt. Bis in die siebziger Jahre waren ja die Beamtenstellen, wenigstens an den Universitätsbibliotheken, fast durchweg als Nebenamt an Dozenten verliehen, die sich die für die Führung des Amtes erforderlichen technischen Kenntnisse allmählich im Amte selbst, so gut oder so schlecht es ging, erwerben mufsten. Zwar fehlte es auch in Deutschland nicht an Männern, die schon früh die Notwendigkeit einer fachmännischen Ausbildung der Bibliotheksbeamten betonten. Vor fast einem Jahrhundert schon wurde von Martin Schrettinger der Name „Bibliothekswissenschaft" geprägt,3) und seitdem hat mancher tüchtige Fachgenosse das Studium dieser Wissenschaft empfohlen und gefordert; ich nenne aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts nur die Namen Ebert, Förstemann und Zoller. Aber solche Stimmen verhallten wirkungslos, solange die Zahl derer noch so gering war, die sich für eine Vorbereitung auf den bibliothekarischen Beruf zu interessieren Veranlassung hatten. Und darum wurde denn mit jener Forderung zugleich fast immer auch die andere erhoben, dafs die Bibliothekarstellen nicht mehr im Nebenamt verwaltet, sondern zu selbständigen Aemtern gemacht würden. Wie es schon vor ihm Ebert getan hatte, so verlangt 1840 auch Jaeck im Serapeum (Jg. 1. S. 85), dass man zu Vorstehern der Universitätsbibliotheken selbständige Beamte mache, die sich als Beamte der Bibliothek durch langjährige Erfahrung die nötige Vorbildung erworben haben, und wenige Jahre darauf wiederholt an derselben Stelle die gleiche Forderung Zoller. „Jedes Amt", sagt er unwillig, betrachtet man doch am Ende als Selbstzweck, nur auf den Bibliothekariaten ruht seit jeher der Fluch, dafs sie immer nur als Mittel zum Zwecke dienten" (Serapeum Jg. 9. 1848. S. 34). Am nachdrücklichsten aber und wirksamsten trat dann später Anton Klette in seiner bekannten, 1871 anonym erschienenen Schrift für die Selbständigkeit des bibliothekarischen Berufes ein, und schon in den siebziger Jahren fing man allenthalben an, auch an den Universitätsbibliotheken die frei werdenden und neubegründeten Stellen

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1) Eichler, Begriff und Aufgabe der Bibliothekswissenschaft. Vortrag. Leipzig 1896. 2) Frankfurter, Die Qualifikation usw. w. Wien 1898. 3) Versuch eines vollständigen Lehrbuches der Bibliothek-Wissenschaft. München 1808-1529.

mit Berufsbibliothekaren zu besetzen. Und damit wurde denn auch die Vorbildungsfrage dringender.

Dafs der Anwärter auf eine Bibliothekarstelle ich spreche hier nur von den wissenschaftlichen Beamten einer besonderen Vorbildung bedarf, darüber gibt es heute keine Meinungsverschiedenheit mehr. Die Frage ist nur: 1. Was gehört zu dieser Vorbildung? und 2. wie wird sie am besten erworben? Ueber den ersten Punkt, den Umfang der erforderlichen Vorkenntnisse, herrscht unter den Fachgenossen im grofsen und ganzen eine erfreuliche Uebereinstimmung. Schon Ebert hat im Jahre 1820 in seinem auch heute noch lesenswerten Büchlein „Die Bildung des Bibliothekars" einen Umrifs der Kenntnisse gegeben, die als Vorbedingung der Tauglichkeit zum bibliothekarischen Beruf zu fordern seien. Es sind dies im einzelnen: Gründliche Sprachkenntnisse, und zwar sowohl im Griechischen und Lateinischen, wie auch in der französischen, italienischen und englischen. Sprache, ferner ein ernstes und tiefes Studium der Geschichte, der Literargeschichte und Bibliographie, der Diplomatik, einige Kunstkenntnisse, wenigstens soweit sie die Kupferstecher- und Holzschneidekunst betreffen, und endlich das Studium der Encyklopaedie, um, wie er sagt, sich gleiche Achtung und gleiches Interesse für jedes Fach menschlicher Kenntnisse anzueignen, ohne welche er sich im Sammeln die betrübteste Einseitigkeit zu Schulden kommen lassen wird, und um sich eine gründliche Kenntnis des Wesens, der Teile, der Grenzen und der mannigfaltigen Berührungspunkte der Wissenschaften zu erwerben, deren er bei dem Geschäft des Ordnens stündlich bedarf“ (S. 10-11). Zu diesen Vorkenntnissen, die nichts weiter gewährleisteten als die Möglichkeit, ein brauchbarer Bibliothekar zu werden, müsse dann noch die praktische Vorbereitung auf die eigentliche Geschäftsführung kommen. Lesen wir diese Ausführungen Eberts, so muten sie uns auch heute noch durchaus modern an: sie enthalten im grofsen und ganzen schon die gleichen Anforderungen, die auch wir heute an den künftigen Bibliothekar zu stellen gewohnt sind. Von diesen Grundzügen sind denn auch spätere Schriftsteller, die sich zu unserer Frage äufserten, nicht wesentlich abgewichen. Einen ausführlicheren Studienplan der Bibliothekswissenschaft stellte 1874 Rullmann auf,') worin er im Allgemeinen die Ebert'schen Forderungen wiederholt, ihnen aber noch einige andere hinzufügt, nämlich das Studium der hebräischen Sprache, ferner, was wichtiger ist, die Entwicklungsgeschichte der Buchdruckerkunst und des Buchhandels und ein theoretisches Studium der eigentlichen Fachwissenschaft, und zwar ihrer Geschichte, der Bibliothekographie oder Bibliothekenkunde und der Bibliothekonomie oder Bibliothekenlehre,

1) F. Rullmann, Die Bibliothekseinrichtungskunde zum Theile einer gemeinsamen Organisation, die Bibliothekswissenschaft als solche einem besonderen Universitätsstudium in Deutschland unterworfen. Freiburg i. Br. 1574. S. 22-24.

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