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Nachdem zwischen Preußen und Rußland am 28. Februar 1813 ein Bündniß gegen Napoleon geschlossen war, löste der Rheinbund sich stillschweigend auf, und der Pariser Friedensvertrag vom 30. Mai 1814 sprach die Unabhängigkeit der Staaten aus, und stellte eine föderative Verbindung derselben in Aussicht. Der Art. 6 bestimmte: »Les états de l'Allemagne seront indépendants et unis par un lien fédératif«.

1) Der Friedensvertrag von Lüneville, welcher 17 Artikel enthält, ist von dem Deutschen Kaiser auf Grund eines Reichsgutachtens vom 9. März 1801 ratificirt worden und die Französische Ratification erfolgte von Napoleon als erstem Consul am 27. Mai 1801.

Der Vertrag ist abgedruckt bei Meyer, Corpus juris Confoederationis Germanicae Bd. I, p. 1-4.

§ 3.

Bis zur Begründung des Deutschen Reichs.

Literatur: Klüber, Acten des Wiener Congresses, Bd. II, S. 579 — 581. Meyer, Corpus juris, Bd. II, p. 1—7. De Clercq, Recueil des traités, conventions etc., t. II, p. 447 ff.

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Die Eröffnung des Wiener Congresses fand am 1. November 1814 statt. In 11 Sigungen kamen 20 Artikel zu Stande, die zuerst einzeln von 36 Deutschen Staaten am 8. Juni 1815 und dann als Bundesacte von allen Deutschen Staaten gemeinschaftlich am 10. Juni 1815 zu Wien angenommen wurden.) Die ersten 11 Artikel der Deutschen Bundesacte betreffen das eigentliche Bundesrecht unter der Rubrik Allgemeine Bestimmungen"; Art. V bestimmt, daß Desterreich in der Bundesversammlung den Vorsit führt. Die Deutsche Bundesacte ist in Art. 118 Nr. 9 als integrirender Theil der von den Europäischen Großmächten beschlossenen Wiener Congreßacte vom 9. Juni 1815 erklärt worden. Das bedeutet völkerrechtlich nur, daß der Separatvertrag die Anerkennung der Europäischen Mächte gefunden habe, hatte diesen aber selbstverständlich kein Recht der Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Bundes verliehen. 2) Dies ist aus politischen Gründen, obwohl es rechtlich unnöthig war, durch die Bundesbeschlüsse vom 18. September 1834, 17. Juli 1851 und vom 6. Mai 1858 ausdrücklich ausgesprochen worden. Die Wiener Congreßacte vom 9. Juni enthielt folgende internationale Bestimmungen: Desterreich stellt seinen alten Länderzusammenhang, wie er vor dem Vertrage von Campoformio, Lüneville u s. w. bestand, wieder her und erwirbt überdies den Rest von Venetien, dazu die umfangreichen Lombardischen Landstriche. Preußen erhielt beinahe die Hälfte des Königreichs Sachsen; auch wurden demselben die Landestheile, welche ihm der un

glückliche Friedensvertrag von Tilsit entrissen hatte, zurückgegeben und außerdem erhielt es an beiden Ufern des Rheins Landestheile mit reichen Städten.

Rußland erhielt das Herzogthum Warschau mit Ausnahme der Provinz Posen, welche Preußen zufiel. Den durch den Vertrag von Schönbrunn im Jahre 1809 an Rußland übertragenen Theil von Galizien erhielt Desterreich. Dagegen wurde der südliche Theil des Herzogthums Warschau mit der Hauptstadt Krakau unter der Garantie von Preußen, Desterreich und Rußland unter dem Namen Krakau zu einer neutralen Republik erklärt. Dies Verhältniß bestand nur bis zum Jahre 1846, wo diese Republik unter Zustimmung der drei Garantiemächte Desterreich einverleibt wurde.

Die ehemaligen Belgischen Provinzen wurden mit Holland unter dem Namen eines Königreichs der Niederlande vereinigt und die Schweiz, nachdem ihr die früher entrissenen Kantone zurückgegeben waren, auf ewige Zeiten für neutral erklärt. Mit dem Königreich Sardinien wurde die Republik Genua vereinigt, und diese gleichfalls für neutral erklärt. Um alle Rangstreitigkeiten zu beseitigen, wurde die Bestimmung getroffen, daß die Großmächte unter einander nach der Reihenfolge der Anfangsbuchstaben ihrer französischen Benennungen rangiren sollen. Ebenso wurden die RangHlassen der diplomatischen Agenten genauer fixirt. Von großer politischer Bedeutung sind die Vereinbarungen, welche über die Freiheit der Schifffahrt auf internationalen Flüssen, besonders über die Schiffahrt auf dem Rhein, und über die Aufhebung der Sclaverei getroffen wurden. Ueber diese letteren beiden Vereinbarungen wird später noch näher die Rede sein.

Der Deutsche Bund hat bekanntlich ein wenig erfreuliches Leben geführt, welches durch den preußisch-österreichischen Krieg von 1866 sein Ende erreichte. Die Schlacht von Königsgräß entschied den alten Streit zwischen Desterreich und Preußen über die Hegemonie in Deutschland zu Gunsten PreuBens. In dem 1866 zu Prag geschlossenen Friedensvertrage verzichtete Desterreich auf fernere Theilnahme am Deutschen Bunde, welcher dadurch aufgelöst wurde. Es bildete sich dann unter der Führung Preußens der Norddeutsche Bund, von dem die Süddeutschen Staaten Bayern, Württem= berg, Baden und das Großherzogthum Hessen auf Napoleons Antrieb ausgeschlossen blieben. Als 1870 Napoleon III. Preußen den Krieg erflärte, kämpften die vier Südstaaten, welche durch vorher geschlossene Allianzverträge sich hierzu verpflichtet hatten, dennoch an der Seite des Norddeutschen Bundes. Durch fortdauernde Niederlagen wurde die Heeresmacht Napoleons III. zu Boden geworfen, und die Kaiserkrone des Deutschen Reiches, welche Napoleon I. durch gewaltige Kriege vergeblich zu erlangen suchte, sezte sich im Schlosse zu Versailles am 18. Januar 1871 König Wilhelm auf das Haupt. Kaiser Wilhelm I. und sein leitender Staatsmann haben seitdem eine Politik geführt, welche das neue Deutsche Reich zum Centrum Europäischer Friedenspolitik gemacht hat. Die einflußreiche Stellung, welche das Deutsche Reich seit 15 Jahren seines Bestehens gewonnen hat, ist auf Congreffen und Conferenzen

und durch wichtige Allianzverträge seitdem mit großem Erfolg zur Sicherung und Befestigung des Europäischen Friedens verwendet worden. Soweit dieser Sachverhalt durch wichtige Staatsverträge begründet ist, werden wir hierauf später noch näher zurückkommen.

1) Meyer, Corpus juris etc., Th. I, S. 240–246.

2) Klüber, Acten des Wiener Congreffses, Bd. II, S. 579–581.

§ 4.

Wissenschaftliche Entwickelung der Lehre von den
Staatsverträgen.

Literatur: L'arbre des Batailles d'Honoré Bonnet, publié par Ernest Nys, Bruxelles 1882. - Albericus Gentilis de jure belli, p. 209. — Bynkershoek, Quaestiones juris publici, p. 251 ff

Phillimore, Commen

taries upon international law, t. II, p. 65 und t. I, p. 64.

Im frühen Mittelalter entwickelten sich bereits auf Grundlage von Allianz- und Friedensverträgen Grundfäße eines Völkerrechts in Kriegszeiten. Andere Staatsverträge kannten die Völker des Mittelalters lange Zeit so wenig wie die alten Römer, obwohl nationale Gewohnheiten der Gast= freundschaft und die Grundfäße des Christenthums bereits dem internationalen Verkehr der alten Germanischen Völker einen freundlichen Charakter gegeben hatten. Das Mittelalter hat überdies den Vorzug vor der alten Welt, daß es die Anfänge einer völkerrechtlichen Wissenschaft gelegt hat. Diese ältere Literatur des Völkerrechts ist erst durch neuere Forschungen bekannt geworden, indem man lange Zeit Grotius für den ersten Begründer der völkerrechtlichen Wissenschaft ansah. Eine Anzahl von namhaften Völkerrechtslehrern aus diesem Jahrhundert kennen außer Grotius höchstens noch seinen Vorläufer Alberic Gentilis. Grotius selbst zählt in den Prolegomena seines großen Werkes de jure belli ac pacis bereits ältere Schriftsteller auf, welche ihm vorgearbeitet haben und deren Schriften er benutzt hat. Er nennt in dieser Hinsicht Franz von Victoria, Heinrich von Gorcum, Wilhelm Mathieu, Johann von Cathgène, Johann Lopez, Franz Arias, Johann von Legnano, Martin Garat von Lodi, Peter du Four von Saint Jorri, Balthasar von Ayales und Alberic Gentilis. Erst in neuerer Zeit hat sich indeß die völkerrechtliche Wissenschaft mit Forschungen über diese alte mittelalterliche Literatur gründlich beschäftigt. Kaltenborn hat sich in dieser Hinficht bereits verdient gemacht, besonders aber find die gründlichen Arbeiten des belgischen Juristen Ernst Nys rühmend hervorzuheben. 1) In der Vorrede

zu dem von ihm herausgegebenen, im 16. Jahrhundert verfaßten Buche des Honoré Bonnet »L'arbre des batailles äußert er sich über diese Literatur, wie folgt: »En effet le droit de la guerre noyau du droit international fut durant le moyen-âge l'objet de nombreux travaux, et plusieurs des questions qui surgissent dans les relations hostiles des peuples, recurent des solutions, que l'avenir devait ratifier. Sous ce rapport la pensée médiévale est loin d'avoir été aussi stérile qu'on se le figure communément. Elle montre, au contraire, une vigueur, une sureté de conception et une liberté d'allures remarquables. Théologiens, philosophes et juristes se distinguèrent également, et l'on ne peut même contester à l'époque dont nous parlons un grand mérite. Belli, Ayala, Gentil passent pour avoir, les premiers, consacré au droit de la guerre des traités plus ou moins complets. Cette gloire et cet honneur doivent leur être enlevés et c'est au delà du XVI. siècle, qu'il faut reporter les plus anciens écrits systématiques sur ce sujet. L'un de ces travaux c'est l'Arbre des batailles.<< Es wurde bereits bemerkt, daß alle diese wissenschaftlichen Arbeiten sich ausschließlich noch mit dem Kriegsrechte beschäftigen. Eine Ausnahme in gewissem Sinne macht nur der Italienische Publicist Alberic Gentilis, der im Jahre 1552 zu Ginesio unweit Ancona geboren wurde und 1608 zu London verstorben ist. Außer mit dem Kriegsrechte in seinem 1583 veröffentlichten Werke de juri belli hat er sich auch bereits mit dem Gesandtschaftsrechte ein gehend beschäftigt. Sein Buch de legationibus erschien 1589. In seinem Kriegsrechte nimmt er auch bereits einen entschieden höheren Standpunkt ein als die Publicisten, welche vorher oder gleichzeitig mit ihm diesen Gegenstand behandelt haben. Er beschäftigt sich namentlich mit den politischen Gewohnheiten der damaligen Zeit und zeigt ein gutes politisches Verständniß. Ebenso zeigt er juristischen Scharfsinn und folgt nicht einseitigen naturrechtlichen Auffaffungen, aber ignorirt diese auch nicht. Das 2. Kapitel seines jus belli beginnt mit den seinen Standpunkt bezeichnenden Worten: Quemadmodum vero bellum juste suscipere item et juste gerere ac tractare oportet.")

Der epochemachende Begründer der heutigen Wissenschaft des Völkerrechts ist der 1583 zu Delft in Holland geborene Grotius, durch sein Werk »De jure belli ac pacis.<< Wollte man diesem bedeutenden Werke einen Borwurf machen, so könnte es nur der sein, daß es nicht selten Grundsäße des Naturrechts oder des Römischen Privatrechts zu sehr in den Vordergrund stellt. Dies geschieht in ganz besonders hohem Grade in seinen Ausführungen über die Staatsverträge; man glaubt eine mit naturrechtlichen Anschauungen vermischte Abhandlung des römischen Civilrechts über Privatverträge zu lesen. Auch Pufendorf kommt in seinem 1572 veröffentlichten Werke de jure naturae et gentium bei diesem Gegenstande nicht über privatrechtliche und naturrechtliche Anschauungen hinaus. Weit über diesem privatrechtlichen Gesichtspunkte steht bereits der berühmte Holländische Jurist Bynkershoek, in den 1737 veröffentlichten beiden Büchern seiner Quaestiones juris pu

blici. Im 10. Kapitel des 2. Bandes, welches die Ueberschrift führt: De servanda fide pactorum publicorum et an quae eorum taci tae acceptiones3) beginnt er mit den Worten: »Pacta privatorum tuetur jus civile, pacta principum bona fides.<< Es wird ausgeführt, daß alle geordneten Beziehungen der Fürsten unter einander, welche auf Staatsverträgen beruhten, ihrem Ende entgegengehen müßten, wenn die Vertragstreue nicht gehalten würde. Ebenso gehe das Völkerrecht aus stillschweigenden und vorausgesetzten Verträgen hervor (quod oritur e pactis tacitis et praesumtis), welche auf Vernunft und Gewohnheit gegründet seien.

Die späteren Vertreter der völkerrechtlichen Wissenschaft gewannen immer mehr Verständniß für den wesentlichen Unterschied, der zwischen Staatsverträgen und Privatverträgen besteht, von denen die ersteren von Repräsentanten des Staates zur Begründung öffentlicher Rechte und Verpflichtungen, lettere aber lediglich zur Wahrung und Förderung von Privatinteressen geschlossen werden. Phillimore bemerkt daher sehr richtig, Staatsver. träge seien in vieler Hinsicht mit den Staatsgrundgeseßen zu vergleichen, durch welche das innere Staatsrecht selbständiger Nationen geordnet werde. Staatsmännern und Geschichtsschreibern legt er deshalb ein sorgfältiges Studium der Staatsverträge an's Herz, weil dadurch auch der Weltfrieden gefördert werde.*) Von neueren Publicisten hat sich besonders Zellined in seinem Buche über Staatsverträge mit der eigenthümlichen Natur derselben eingehend beschäftigt.

Die obigen geschichtlichen Mittheilungen haben den Beweis geführt, daß ohne Staatsverträge keine Beziehungen unter civilisirten Völkern möglich find. Die Zwecke und Verhältnisse, aus denen das internationale Leben sich zusammenfügt, müssen in den durch die Staatsverträge begründeten Pflichtverhältnissen sich wiederspiegeln. Das Studium der Staatsverträge führt daher auch zur Kenntniß der auswärtigen Verhältnisse, sowie des bürgerlichen und culturellen Lebens der Staaten, sowie des Zustandes der Staatsordnung. Wir sahen bereits, daß schon Bynkershoek alle geregelten internationalen Verhältnisse auf treues Festhalten an geschlossenen Verträgen zurückführt. Auch der bekannte Englische Publicist Hobbes sagt sehr richtig: Frustra sunt pacta nisi illis staretur.

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Daß die Staatsverträge und deren gewissenhafte Ausführung die Grundlagen aller civilisatorischen Entwicklung und Ordnung im Völkerleben sind, spricht sehr schlagend der große Parlamentarier Fox in einer von Phillimore mitgetheilten Stelle seiner Parlamentsrede aus, welche er in einer Sitzung des Parlaments von 1792 über die auf Anregung von Rußland geschlossenen Bündnisse der bewaffneten Neutralität hielt, denen England seinen Beitritt versagte. Von ministerieller Seite war die Ansicht ausgesprochen, daß mit Rücksicht auf die Beziehungen zu den Mächten, welche während des Krieges mit den Amerikanischen Colonien neutral geblieben seien, der vorläufige Beitritt Englands zu den gedachten Verträgen und den darin für die Rechte der Neutralen zur See vereinbarten Bestimmungen angeregt sei, ohne die in dieser

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