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§ 57. Einleitung.

Keine Verkehrsanstalt hat vermöge der durch sie herbeigeführten Ueberwindung von Zeit und Raum so sehr wie gerade die Eisenbahnen dazu beigetragen, die Idee zu kräftigen, daß die Völker nicht von einander abgeschlossen sein können, sondern daß sie durch ein gemeinsames organisches Band mit einander verknüpft sind. Allerdings stehen die Eisenbahnen dem geflügelten Worte, das durch Telegraphie und Telephonie weitergetragen wird, hinsichtlich der Schnelligkeit nach, allein die Eisenbahnen riefen vermöge der breiten Umständlichkeit ihrer ganzen beruflichen Einrichtung so viele Berührungen intensiver Art zwischen den Staaten hervor, daß ihretwegen für das internationale Recht weit mehr juristische Fragen in den Vordergrund traten als bei dem Institute der Telegraphie, um von der noch ganz jungen Telephonie nicht weiter zu reden. Für das internationale Recht also haben die Eisenbahnen eine höhere Bedeutung als die eben erwähnten Communicationsmittel.

Es leuchtet ein, daß die Rechtsverhältnisse einer so verwickelten Einrich tung wie die Eisenbahnen sind, von verschiedener Art sein können und müssen, - auch auf dem hier allein zur Sprache zu bringenden Boden des internationalen Rechts.

Denn wie im innern Staatswesen die Entstehung, der Bau, der Betrieb und die Beendigung beziehungsweise die Fusion und Liquidation der Eisenbahnen eine Menge von Fragen des Staats- und Privat - Rechts aufwerfen, so spiegeln sich ähnliche Streitigkeiten in den internationalen Beziehungen wieder, nur mit der Complication, daß sich dabei das Eisenbahnrecht verschiedener Staaten berührt und daß es auf dem internationalen Rechtsterrain eine einheitliche Lösung verlangt.

Wir werden im Verlaufe unserer Betrachtung (die übrigens naturgemäß nur eine Skizze sein soll) sehen, daß auf diesem Felde internationalen Verfehrsrechts das Eisenbahnrecht vielfach collidirt und daß es zuweilen schwer ist, die Ansichten zu versöhnen: Die Jurisprudenz muß hier diejenige Aufgabe lösen, mit welcher ihr die Technik behufs glücklicher Kreuzung der Eisenbahnzüge vorangegangen ist; denn es ist auch ein Kreuzungspunkt des Rechtes, der dabei überwunden werden muß durch harmonische Ausglättung. Wir stehen

Handbuch des Völkerrechts III.

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noch am Anfange dieser der Jurisprudenz obliegenden Aufgabe, allein die folgende Darstellung wird zeigen, daß schon Tüchtiges geleistet worden ist und daß wenigstens in einzelnen Gebieten Vorarbeiten internationalen Eisenbahnrechts parat liegen, welche eine nahe Zeit in positive Schöpfungen umwandeln wird. Es sind Früchte, welche unter dem Sonnenblicke eines internationalen Rechtsidealismus ohne große Schwierigkeiten gepflückt werden können.

Wenn nicht alle Zeichen trügen, so wird das internationale Eisenbahnrecht auch der Vorbote einer größern Zukunft in der Jurisprudenz sein: es wird den Grundstein legen zu einem universellen Eisenbahnrechte. Insbe sondere wird sich dasjenige Privatrecht, welches für internationale Beziehungen vertraglich festgestellt wird, bald zu einem direct unter den civilisirten Staaten gültigen Eisenbahnrechte, zu einem Europäisch-einheitlichen Welteisenbahnrechte ausweiten; was die »disciplina navalis« der Hauptsache nach seit alten Zeiten ist, wird von dem Eisenbahnrechte im Tempo der Locomotive nachgeholt werden. Dieses neue Recht wird dann auch der juristische Herold sein für die Ausbildung eines ebenso direct geltenden Handels- und Wechselrechts und für die Annäherung aller Rechtsbeziehungen, die der kosmopolitische Mensch zum Menschen haben wird. 1)

Die mir zugefallene Aufgabe ist nun freilich an diesem Orte eine von dem erwähnten Zukunftsbilde weit entfernte. Es wird sich hier bloß darum han deln, diejenigen internationalen Verträge, zu welchen die Eisenbahnanstalten Veranlassung gegeben haben, juristisch vorzuführen. Indessen muß in dieser Skizze eine weise Mäßigung beobachtet werden. Das Actenmaterial der betreffenden Verträge ist überaus groß und weitschichtig, allein wenn man sich anschickt daraus die juristische Essenz zu ziehen, so muß leider anerkannt werden, daß die Ausbeute gering ist.

1) G. Cohn, System der Nationalökonomie I, S. 447, führt mit Recht aus, daß die Eisenbahnen unificirend und centralisirend wirken: „Die Eisenbahnfahrt, welche in einem einzigen Tage die Gränzen von 30 souveränen Staaten durchschneidet, sie durchschneidet allmälig auch die Traditionen, welchen diese Gränzen noch entsprechen."

§ 58.

Die Gruppirung der Eisenbahnverträge.

Es braucht nicht besonders betont zu werden, daß es sich hier bloß handeln kann um Eisenbahnverträge, welche zwischen einzelnen Staaten inter se abgeschlossen worden sind. Die innerstaatlichen Vereinbarungen, welche mit den Eisenbahnunternehmungen zu Stande kommen, berühren uns nicht. Es sind also auszuscheiden die sogenannten Verstaatlichungsverträge, welche einzelne Staaten (wie Preußen) mit Privatbahnen abgeschlossen haben, ebenso z. B. die

Verträge des Französischen Staates mit den in Frankreich existirenden Eisenbahngesellschaften und nicht minder Verträge über Eisenbahnverbände in dem einen und gleichen Staate.

Aehnlich wie das Eisenbahnrecht in seinen Verzweigungen eine geradezu systemflüchtige Materie ist, so erscheint es auch keineswegs einfach die internationalen Eisenbahnverträge nach einem logischen Principe zu ordnen und zu gruppiren.

Vollends unnöthig und zweckwidrig wäre es, in einem der Jurisprudenz gewidmeten Werke den ganzen factischen Stoff der Eisenbahnverträge zu schildern.

Ich habe gefunden, es dürfte die Materie der Eisenbahnverträge, soweit sie juristisch überhaupt, und speciell völkerrechtlich relevant ist, nach folgenden Gesichtspunkten erörtert werden.

1. Verträge über den Bau und Betrieb von internationalen Eisenbahnlinien.

Wir werden sofort sehen, daß unter diese Gruppe verschiedene Vertragsspecialitäten subsumirt werden müssen.

II. Verträge über die pecuniäre Unterstüßung einer für den internationalen Verkehr bedeutenden Eisenbahnlinie.

Es wird sich rechtfertigen sich hier lediglich an ein Hauptparadigma (den Gotthardbahnvertrag) zu halten.

III. Verträge über die technische Einheit der internationalen Eisenbahnlinien.

IV. Verträge über das internationale Eisenbahnprivatrecht. V. Verträge über den internationalen Strafrechtsschuß der Eisenbahnen.

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Verträge über den Bau und Betrieb von internationalen Eisenbahnen.

A. Die einzelnen Modalitäten.

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Literatur: Bulmerincq in Marquardsen's Handbuch des öffentlichen Rechtes I, 2, S. 276 und 277. Calvo, Droit internat. II, S. 514-520, § 1428 1434. D. D. Field, Projet, übersett von A. Rolin, S. 255ff. (Art. 423 ff.). Martens (ed. Bergbohm) Völkerrecht II, S. 264 (§ 62). Heffter, Völkerrecht, § 241. Bluntschli, Völkerrecht, 3. Aufl., S. 32.

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Die Mission der Eisenbahnen ist eine universelle. Ihre Thätigkeit erschöpft sich auch naturgemäß nicht darin, daß sie an der Gränze eines Staatsgebietes aufhören: sie sind umgekehrt ihrer inneren Natur nach für die geographischen Gränzmarken unempfindlich und von den Launen und Zufällig

keiten politischer Abgränzung unabhängig. Damit also der Zweck der Eisenbahnen erfüllt werden kann, ohne daß in das (ober- oder unterirdische) Souveränitätsgebiet der einzelnen Staaten rechtswidrig eingegriffen wird, sind eben die Eisenbahnstaatsverträge nöthig. Ueberall da, wo ein Staat in einem fremden Staate eine Eisenbahn bauen oder betreiben will oder da wo bloß das Theilstück einer Eisenbahnanstalt zwischen Gränzgebieten zweier Staaten liegt oder da wo eine Eisenbahn bloß auf das Terrain eines Nachbarstaats ausmündet, bedarf es der internationalen Vertragsthätigkeit. Es muß der betheiligte Staat über die Zulässigkeit der Eisenbahnbauten gefragt werden, es bedarf einer Ueberwachung der erstellten Bahn und es ist nöthig, eine Verständigung über die Art des Transportbetriebes, ferner über die verschiedenen Interessen der Zollfragen, der Polizei, über die Behandlung der Post- und Telegraphen-Administration und andere Fragen mehr zu erzielen.

Die diesfälligen Verträge lassen sich nach dem Vorgange von Bulme= rincq etwa folgendermaßen specificiren:

1. Verträge, welche den Bau einer internationalen Gränzverbin dungsbahn im Auge haben. Hierher gehört z. B. die Convention Frankreichs mit Belgien vom 15. Januar 1866 (Archives diplomatiques, 1866, IV, p. 147), ebenso diejenige Rußlands mit Defterreich vom 18. Mai 1869 (Archives diplomatiques, 1873, II, p. 711). 2. Verträge, welche die Herstellung einer gemeinschaftlichen internationalen Eisenbahnstation bezwecken. Hierher gehört z. B. die Convention Frankreichs mit Italien vom 20. Januar 1879 (Martens, Nouveau Rec. Génér. VI, Série 2, p. 470).

3. Verträge, welche sich auf alle möglichen Verhältnisse der Eisenbahnen angränzender Staaten beziehen. Hierher gehört z. B. die Convention Belgiens mit den Niederlanden vom 9. November 1867 (Archives diplomatiques, 1868, II, p. 746). Ferner die Convention Desterreich-Ungarns mit Italien vom 2. October 1879 (Martens, Nouv. Rec. Génér. VI, Série 2, p. 356). Diese Verträge enthal ten Bestimmungen über die möglichst directe Verbindung der zwei Eisenbahnanstalten 2c., die möglichst genaue Correspondenz der Züge, ferner eine Vereinbarung über die Besorgung der Post und der Telegraphie, über die Gleichstellung der beiderseitigen Angehörigen der verschiedenen Staaten mit Bezug auf die Transportart, den Preis und die Zeit der Expedition u. s. w.

4. Verträge über die staatliche Uebernahme der Verwaltung einer Eisenbahn in einem fremden Staatsgebiete. Hierher gehört die Uebereinkunft zwischen dem Deutschen Reiche und der großherzogl. Luremburger Regierung vom 11. Juni 1872.

5. Verträge über den Betrieb einer in verschiedenen Staaten ge= legenen Eisenbahn. Hierher gehört die Uebereinkunft zwischen dem

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