Page images
PDF
EPUB

Deutschen Reiche und Belgien vom 11. Juli 1872, bestätigt durch
Reichsgesetz vom 15. Juli 1875 (R. Gbl. 1872, S. 329 und Laband,
Staatsrecht III, 2, S. 203).

6. Verträge über die gemeinsame Herstellung eines Tunnels. Hierher
gehört die von Italien und Frankreich auf beiderseitige Kosten vor-
genommene Durchbohrung des Mont Cenis-Tunnels. 1)

B. Die juristische Würdigung der Verträge.

Was die völkerrechtliche Charakterisirung dieser und ähnlicher Vereinbarungen anbetrifft, so find dieselben nach der obigen Gruppirung verschiedenartig. Von dem Inhalte und Umfange der Verhältnisse, welche sie ordnen, hängt eine genaue juristische Bezeichnung ab. Die Verträge können je nach Umständen als bloße eisenbahnrechtliche Staatsservituten oder aber als internationale Concessionszusagen erscheinen. Sie alle haben die Elemente des Vertragsrechtes an sich und sie sind den allgemeinen Rechtsgrundsäßen über den Abschluß, die Erfüllung und Interpretation von Verträgen unterworfen. 1. Wenn ein Staat dem andern gestattet, eine Eisenbahn in des Ersteren Gebiet hineinzuführen, so liegt eine vertraglich constituirte Staatsservitut vor, genauer ein einfaches eisenbahnrechtliches Fahr- und Fußwegrecht.

2. Wenn ein Staat dem andern gestattet, zum Zwecke der Gränzverbindung das Theilstück einer Eisenbahn zu erstellen, so kann auch diese Berechtigung noch als eine eisenbahnrechtliche Servitut bezeichnet werden.

3. Die erwähnte Rechtsfigur der Staatsservitut darf auch dann noch verwerthet werden, wenn ein Staat dem andern gestattet, neben der Gränzverbindungslinie auf fremdem Terrain Stationen, Lagerhäuser, Büreaus für Zölle, für die Post- und Telegraphenadministration u. s. w. einzurichten.

Man hat in neuerer Zeit die Verwendung der juristischen Bezeichnung von Staatsservituten bemängelt, 2) allein wohl mit Unrecht. Das zum Baue und Betriebe einer internationalen Linie nöthige Grundeigenthum erscheint im Verhältnisse zum auswärtigen Staate juristisch gerade so wie das Eigenthum der täglichen Jurisprudenz, nämlich als ein Sachenrecht des einheimischen Staates. Diese Erscheinung rechtfertigt es vollkommen, daß auch auf diesem Gebiete mit einem sachenrechtlichen Terminus, speciell mit demjenigen der Servituten operirt wird.

4. Ein anderes Rechtsverhältniß wird dann geschaffen, wenn mehrere Staaten gemeinsam Verbindungslinien erstellen oder Stationen und ähnliche Einrichtungen erbauen. Hier wird in der Regel besondere Abreden vorbehalten ein internationales Miteigenthum begründet werden.

Wenn ein Staat in einem anderen Staatsgebiete nur den Betrieb von Eisenbahnen übernimmt, so entstehen internationale Pacht- und Miethverhältnisse.

5. Wenn ein Staat dem andern gestattet, auf dem Gebiete des Ersteren eine complete Eisenbahnlinie zu bauen und zu betreiben, so wird man wohl richtigerweise von einer völkerrechtlichen Eisenbahnconcessionszusage reden müssen.

Die betheiligten Staaten nehmen nämlich hier auf dem Boden des Völkerrechts diejenigen Handlungen vor, welche im inneren Staatsrechte behufs Erlangung und Ertheilung einer Eisenbahnconcession nöthig sind.

Eine völkerrechtliche Verpflichtung, die betreffende concedirte Linie zu erstellen, entsteht im Allgemeinen aus einem solchen Vertrage nicht und insofern gleicht dieser internationale Vorgang dem gewöhnlichen internen Eisenbahnrechte; denn auch darnach giebt es grundsätzlich einen Executionszwang des Staates gegenüber dem Concessionär von Eisenbahnen nicht, wobei allerdings besondere vertrag liche Abreden, sei es gegenüber Dritten, sei es gegenüber dem Staate, vorbehalten werden müssen. Diese Rechtsposition ändert sich aber nach der Erstellung der Bahn: dann wird das Recht des Betriebs regelmäßig auch zur Pflicht, sogar da, wo dies in den Verträgen nicht ausdrücklich gesagt sein sollte. Auch hier haben wir ein entsprechendes Analogon im internen Eisenbahnstaatsrechte.

6. Wenn Staaten mit einander in umfaffender vertraglicher Weise alle mit einer internationalen Eisenbahnverbindung zusammenhängenden

Fragen reguliren, so haben wir es mit einem ganzen Complexe von

Eisenbahnrechtsverhältnissen zu thun.

Nach dem Gesagten liegt klar vor, daß verschiedene juristische Differenzen unter den Eisenbahnverträgen bestehen: dieselben können ein Minimum internationalen Rechtes enthalten oder aber die Intereffen der Völkergemeinschaft eingehend ordnen.

Mit Unrecht hat früher Heffter alle diese Eisenbahnverträge als „Gesellschaftsverträge" bezeichnet. Er hat sich von der dritten Auflage seines Werkes an selbst berichtigt, indem er nunmehr von „regulatorischen Verträgen“ sprach. 3)

Bei den internationalen Eisenbahnverträgen wirkt naturgemäß der Gesichtspunkt erheblich mit, in welcher Weise der einzelne Staat die große Principienfrage entschieden habe: ob er selber diese modernen Transportunternehmungen betreibt oder ob er sie privaten Gesellschaften delegirt. Liegen die Eisenbahnanstalten in den Händen des Staates, wohin sie nach ihrer hohen Bedeutung überhaupt wohl gehören, so wird eine Einigung über die Interessen aller international erheblichen Fragen direct unter ihnen und für sie vorgenommen: die Staaten sind dann nicht bloß die Vertragssubjecte,

sondern auch die Vertragsdestinatäre. Anders da, wo der eine Staat dem Staatsbetriebe huldigt und der andere dem Privatbetriebe. Hier ist der betreffende Staat nur als Inhaber der Eisenbahnhoheit thätig, er erscheint allerdings allein als Vertragsfubject, aber er handelt in rem alienam d h. für die Interessen einer Privatgesellschaft.

Der Unterschied des grundlegenden Systems wird völkerrechtlich z. B. auch wichtig, wenn es sich um die Rechtsnachfolge in eine bestehende Eisen. bahnunternehmung handelt. Wurde die internationale Eisenbahnconcession durch Staatsvertrag einer Privatunternehmung versprochen, so können die damit verbundenen Rechte keineswegs ohne Einwilligung des andern Contrahenten an den einen der Staaten abgetreten werden. Die Uebernahme einer Eisenbahnanstalt durch Rechtsnachfolger enthält eine so eingreifende Aenderung der Concession, daß dazu die Bewilligung der andern völkerrechtlichen Partei nöthig ist, principiell ganz so wie dies durch das interne Eisenbahnrecht im Verhältnisse der Eisenbahngesellschaft zu dem innern Staate vorgeschrieben zu werden pflegt, und selbstverständlich kann der Staat, welcher die Uebertragung einer internationalen Linie sei fie fertig erstellt oder noch nicht in Betrieb aus den Händen einer Privat Gesellschaft herbeiführen will, in der Regel auch nicht verlangen, daß der Staat zu dieser Succession einwillige oder daß er ihm über die Gründe zu seiner Weigerung Rechnung ablege. Die Regel ist natürlich vollste Freiheit in der Auswahl der zu conceffionirenden Personen.

[ocr errors]

Davon kann eine Ausnahme bestehen dann, wenn in einem Staatsvertrage zugleich die Qualitäten eines zweiten vorbereitenden Vertrages liegen, vermöge dessen unter loyaler Interpretation die eventuelle Einwilligung zu dem Eintritt in eine subjectiv andere Vertragsgrundlage gefunden werden kann. Wann dieser Fall eines eisenbahnrechtlichen pactum de contrahendo besteht, ift quaestio facti.")

Die Völker der internationalen Rechtsgemeinschaft sind verpflichtet den Eisenbahnanschluß zu gewähren. Es ist dies eine Consequenz des Rechtes auf internationalen Verkehr; dieses Recht auf allgemeinen und auswärtigen Verkehr ist ja ein „normales Grundrecht der Völkerrechtsverfassung“.5) Sofern also ein civilisirter Staat den Eisenbahnanschluß verweigern sollte, müßte eine internationale Zwangsconcession gewährt werden. Indessen braucht nicht weiter hervorgehoben zu werden, daß sich dieser Zwang nur auf den Eisenbahnanschluß und die Correspondenz der Züge beziehen dürfte. Weitere Modalitäten der erwähnten Vertragsbeziehungen (gemeinsame Erstellung von Eisenbahneinrichtungen oder die Uebernahme auswärtiger Bahnen) sind vom Zwange natürlich ausgeschlossen.

1) Weiteres Material findet sich z. B. in der Publication von 1883: „Sammlung von Verträgen, welche sich auf den Betrieb der von der t. Generaldirection der Eisenbahnen in Elsaß - Lothringen verwalteten Bahnen beziehen“, Theil I und II

(Straßburg, R. Schulß & Cie.). Ferner giebt Grotefend's Geseßessammlung, III. Bd., S. 1105-1110 eine Uebersicht der von den Deutschen Staaten von 1868–1875 ab: geschlossenen Eisenbahnverträge Was die Schweiz anbetrifft, so hat sie abge= sehen vom Gotthardvertrage und dem Vertrag mit Italien über die Monte Cenere. bahn eine Reihe von Eisenbahnstaatsverträgen abgeschlossen und zwar :

I. Mit dem Großherzogthum Baden:

a. Am 27. Juli/11. August 1852 betreffend die Weiterführung der Badischen Eisenbahnen über Schweizerisches Gebiet (der Cantone Baselstadt und Schaffhausen), Off. Slg. der Schweiz. Ges. III, S. 438–456, modificirt durch den Vertrag vom 30. Christmonat 1858 (Off Slg. VI, S. 204 – 210) und erweitert am 24. September 1862 (Off. Slg. VII, S. 382—393); ferner modificirt durch Vertrag vom 9. Juli 1867 (IX, 79–81). Durch diese Verträge wurde dem Großherzogthum Baden das Recht eingeräumt, den Eisenbahnbau auf Schweizerischem Gebiete vorzunehmen und die Linie zu betreiben. Umgekehrt hat sich Baden nicht dazu verpflichtet, den Betrieb wirklich vorzunehmen.

b. Betreffend die Erweiterung des Badischen Hauptbahnhofs und die Erstellung eines Rangir, und Werkstätte-Bahnhofs auf dem Gebiete des Cantons Baselstadt (Off. Slg. X, 218–222).

c. Betreffend die Verbindung der Thurgauischen Seethalbahn mit der großherzoglichen Staatsbahn, 10. December 1870 (Off. Slg X, 427–435) und ergänzt 28. Juni 1871 (Off. Slg. X, 527–538).

d. Betreffend die Verbindung der beiden Eisenbahnen bei Schaffhausen und bei Stühlingen, 21. Mai 1875 (N. F. I, 857–886).

II. Mit Oesterreich-Ungarn und Bayern über die Herstellung einer Eisenbahn von Lindau über Bregenz nach St. Margrethen sowie von Feldkirch nach Buchs, 27. August 1870 (Off. Slg. X, 380–399).

III Mit Frankreich:

a. Betreffend den Anschluß der Eisenbahn Genf-Annemasse an das Savoyische Bahnnetz bei Annemasse vom 14. Juni 1881 (Off. Slg., N. F. VI, S. 526-540).

b. Betreffend die Erstellung der Eisenbahn von Besançon nach Locle über Morteau und den Col-des- Roches vom gleichen Tage (a. a. D. S. 541 -554).

c. Betreffend die Erstellung einer Eisenbahn von Thonon nach Bouveret über St. Gingolph vom 27. Februar 1882 (a. a. D. S. 556–571).

d. Betreffend die Erstellung einer Eisenbahn von Bossey-Veyrier nach Genf vom gleichen Tage (a. a. D. S. 572—587).

2) Bulmerincq opponirt (a. a. D. S. 290) gegen die hergebrachte Terminologie, weil er findet, daß die sachenrechtlichen Begriffe für das öffentliche Recht wenig geeignet seien. Demgegenüber möchte ich darauf aufmerksam machen, daß mit allgemeinen Bezeichnungen öffentlicher Belastungen vom dogmatischen Standpunkte aus nichts anzufangen ist. Vgl. oben II, S. 249.

3) Vielleicht führte die alte Auflage des Werkes von Heffter in dem Urtheile des Oberappellationsgerichts der freien Hansestädte vom 28. Juli 1877, betreffend den Streit zwischen Preußen und Sachsen, zu jener allerdings weitgehenden Aus:

Verträge über die pecuniäre Unterstüßung einer bedeutenden Eisenbahnlinie 267

legung, welche Wächter (Die Entscheidungsgründe zu dem Schiedsspruche in der Berlin-Dresdener Eisenbahnsache, Leipzig 1877) so scharf angefochten hat.

4) Das Appellationsgericht der freien Städte hat als Schiedsgericht in dem schon citirten Urtheile betreffend den Berlin - Dresdener Eisenbahnstreit das Vorhandensein eines gültigen Vorvertrages anerkannt, allein Wächter hält dieses Argument nicht für richtig (a. a. D. S. 17 ff.). Im Jahre 1872 hatte sich eine Actiengesellschaft zum Baue und Betriebe einer directen Eisenbahn von Berlin nach Dresden gebildet. Preußen ertheilte die Concession für die auf seinem Gebiet gelegenen Strecken und das gleiche geschah auf Grund eines Staatsvertrages vom 6. Juli 1872 abseiten Sachsens. Die Eisenbahngesellschaft gelangte nach der Erstellung in ökonomische Verlegenheit. Preußen schloß darauf, um den Concurs der Gesellschaft abzuwenden, mit ihr einen Vertrag ab (5. Februar 1877), nach welchem der Betrieb auf den Preußischen Staat überging und der Leßtere berechtigt erklärt wurde nach 15 Jahren die Uebertragung der ganzen Linie zu verlangen. Sachsen wollte diesen Vertrag nicht anerkennen, allein das Schiedsgericht verpflichtete diesen Staat dazu, immerhin mit der Maßgabe, daß die ihm durch Staatsvertrag zustehenden Rechte nicht geschmälert werden.

5) Oben II, S. 63/64.

§ 60.

[ocr errors]

Verträge über die pecuniäre Unterstüßung einer für den internationalen Verkehr bedeutenden Eisenbahnlinie. Der Gotthardbahnvertrag als specielles Haupt

paradigma.

A. Die Entstehung des Gotthardvertrages.

Literatur: M. Wanner, Geschichte der Begründung des Gotthardunternehmens (Bern 1880). Derselbe, Geschichte des Baues der Gotthardbahn (Bern

1885). 2. E. Trommer, in Schmoller's Jahrbuch 1881 (V), S. 497 ff. G. Groß, Die Staatssubventionen für Privatbahnen (Wien 1882), S. 60 und 61. Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der Schweizerischen Bundesversammlung betreffend die Gotthardfrage (Bern 1878). Sammlung der Acten betreffend das Gotthardunternehmen (bis 1883). Conférences internationales entre l'Empire d'Allemagne, le Royaume d'Italie et la Confédération Suisse (1877). Morel, in Blumers Handbuch des Schweizerischen Bundesstaatsr. II, 1 S. 56-65 und v. Orelli, Das Staatsrecht der Schweizerischen Eidgenossenschaft, S. 61, 91

Die Geschichte der Entstehung und Entwicklung der Gotthardbahnunternehmung ist als bekannt vorauszusehen, jedenfalls kann sie hier nicht en détail gegeben werden. Es genügt an diesem Orte an die Thatsache zu erinnern, daß in Folge der Bemühungen Schweizerischer Cantone und verschiedener Eisenbahngesellschaften (Nordostbahn und Centralbahn) eine sogenannte,,Gotthardvereinigung" (»Réunion des cantons et des compagnies Suisses des chemins de fer promotrices de la ligne Suisse de St. Gotthard«) ins

« EelmineJätka »