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nicht mehr passiv verhalten, sondern ihre Rechte, wie es die Pflicht erfordert, mit allen Mitteln zu wahren suchen.

2) Auch bei dem Gotthardvertrage kehrt also die große Frage wieder, welche Säße zu dem Privatrechte gehören und wodurch wohlerworbene Rechte der Gesellschaft begründet werden, eine Frage, welche bekanntlich den Angelpunkt des internen practischen Eisenbahnrechts ausmacht.

3) In der Sache selbst kann noch auf die Statuten der Gotthardbahn vom 1. November 1871, Art. 5, in Vergleichung mit Art. 5 der neuen Statuten vom 28. Juni 1884, hingewiesen werden.

§ 63.

Verträge über die technische Einheit der internationalen Eisenbahnlinien.

Das internationale Vertragsproject.

Kein Gedanke erscheint heute so einleuchtend wie der, daß die Eisenbahnen in allen Ländern bezüglich der technischen Veranlagung insbesondere der Spurweite sich vollkommen gleichen müssen; es ist dies der sprechendste Ausdruck eines eisenbahnrechtlichen oder technischen Einheitsdranges. Man müßte sich heute auf den Widerspruch aller Verständigen gefaßt machen, wenn ein Staat die technische Ausrüstung der Eisenbahnen als eine nationale Eigenthümlichkeit hüten und durchführen wollte und es bedarf einer geringen Phantasie, um das namenlose Unheil auszumalen, das aus verschiedenen technischen Systemen und Spurweiten angesichts des großen und directen internationa= len Verkehrs (von dem wir später noch reden werden) entstehen müßte. Nur ein vollkommen isolirter Staat, der auch durch submarine Eisenbahnen keine Verbindung suchen will, könnte ein selbständiges und ein eigenes techni sches System schaffen und beibehalten. Allein man hat nicht immer so ge= dacht, daß in der Eisenbahntechnik eine internationale Assimilation nöthig sei: Hußland glaubte s. 3. einen politisch klugen Act gethan zu haben, als es für seine Eisenbahnen eine eigene nationale Spurweite adoptirte, und es muthet heute sonderbar an, wenn in Staatsverträgen über Eisenbahnverhältnisse der Sah wiederkehrt, es sei dem Gränzstaate,,die Bestimmung der Spurweite vorbehalten."1)

Je mehr sich der Gedanke eines directen Eisenbahnverkehrs in den internationalen Staaten ausbildete in dem Sinne, daß die Eisenbahnwaggons der einzelnen Staaten auf die Schienen des anderen übertreten, desto mehr wurde auch die technische Einheit" der Eisenbahnen zu einer Frage der Völkergemeinschaft, zu einer Frage der Sicherheit der Güter und Personen im internationalen Rechte.

Es ist daher sehr natürlich, daß man sich veranlaßt fand, die technischen Fragen der Eisenbahnen einer internationalen Besprechung zu unterziehen. Am 16. October 1882 trat eine internationale Conferenz in Bern zusam

men, um darüber zu berathen, ob sich in dieser Materie eine einheitliche Verständigung erzielen lasse. Dabei waren vertreten:

1. Deutschland,

2. Desterreich-Ungarn,
3. Frankreich,

4. Italien,

5. die Schweiz.

Die Berathung fand statt auf Grund eines von der Schweiz ausgearbeiteten Entwurfs, welcher mit Motiven den betheiligten Staaten am 24. Januar 1881 mitgetheilt worden war. Der Verein Deutscher Eisenbahnen beschäftigte sich damit in seiner Sizung vom 28. und 29. Juli 1881 in Cöln und arbeitete auch seinerseits ein Project aus. Auch die Französischen und Italienischen Bahngesellschaften beriethen eingehend über die Frage. Am 21. October 1882 wurden die Beschlüsse der Conferenz durch ein Protocol festgestellt. Dasselbe enthält folgende Bestimmungen:

Art. 1. Das Rollmaterial der Eisenbahnen, welches für den internationalen Transitverkehr bestimmt ist, soll denjenigen technischen Bedingungen genügen, welche in den nachfolgenden Paragraphen verzeichnet sind.

Die darin angegebenen Maximal- und Minimalmaße gelten sowohl für das bereits hergestellte als für das neu zu erstellende Material, unter Vorbehalt der beigefügten Maße, welche für dasjenige Material als zulässig erklärt werden, das in dem Zeitpunkt, in dem diese Bestimmungen in Kraft treten, schon hergestellt ist.

[Es folgen dann technische Details über das Material.]

Art. 2. Das Rollmaterial eines Staates, welches den Bedingungen des vorigen Artikels entspricht und außerdem sich in gutem Zustande befindet, ist zum freien Verkehr auf dem Landesgebiete der andern Staaten zugelassen.

Art. 3 setzt die Spurweite der Bahngeleise im Maximum und Minimum feit.

In der Conferenz wurde auch der Wunsch ausgesprochen, daß die Frage einheitlicher Vorschriften betreffend den Zollverschluß für Eisenbahnwagen auf dem Wege einer internationalen Vereinbarung der Zollverwaltungen und mit Berücksichtigung der Anforderungen des Eisenbahnverkehrs geregelt werde. Weiter wurde gewünscht, daß die Eisenbahnverwaltungen veranlaßt werden, sich über die Annahme eines einheitlichen Schlüffels für die im internationalen Verkehr verwendeten Wagen zu verständigen. 2)

Die Theil nehmenden Staaten prüften das Vertragsobject und erhoben mehrfache Abänderungsvorschläge. 3)

Der Schweizerische Bundesrath berief dann auf den September 1885 eine zweite internationale Conferenz, allein sie wurde wieder verschoben und fand erst am 10. 15. Mai 1886 statt. Das Resultat dieser Conferenz ist in zwei Schlußprotocollen1) zusammengefaßt:

a. Betreffend die technische Einheit im Eisenbahnwesen. Die Normen sind hier redactionell etwas anders formulirt.

b. Betreffend den Zollverschluß der Güterwagen.

In beiden Entwürfen ist vorgesehen, daß die betheiligten Staaten dem Schweizerischen Bundesrathe vor dem 1. Januar 1887 eine Erklärung über die Genehmigung dieser Vereinbarungen abgeben sollen.

Beide Verträge treten drei Monate nach der Genehmigung in Kraft.

Der praktische Werth dieser internationalen Conventionen liegt selbstver= ständlich auf dem technischen Gebiete, allein der Nettogewinn, den das Völterrecht daraus zieht, ist nicht zu verkennen.

1. Die Eisenbahntechnik erhebt mit dieser Unification das Institut der Eisenbahnen zu einer Art von Weltbahn, welche dadurch nicht bloß das factische Object sondern auch die juristische Berechtigung bildet für eine auf breiter internationaler Grundlage ruhende Or= ganisation in wirthschaftlicher und rechtlicher Hinsicht. Die einheit= liche Technik erhebt die Eisenbahnen zu einer wahrhaft völkerrechtlichen Weltverkehrsanstalt.

2. Erst mit dieser Einheit gelangt auch der directe Verkehr, den internationale Verträge auf den Völkerverkehr ausdehnen, zu seiner richtigen Bedeutung, indem sich nunmehr der Uebergang von der Eisenbahnroute des einen Staatsgebiets in diejenige des andern kraft der juristischen Einheit der Eisenbahnstränge bequem vollziehen kann.

3. Die Controlirung der einheitlichen Eisenbahntechnik wird durch die vorliegende Verständigung zu einer Frage der internationa len Rechtsordnung erhoben.

1) Vgl. z. B. Art. 4 des Staatsvertrages zwischen der Schweiz und dem Großherzogthum Baden (Off. eidg. Slg. III, 440, Art. 4.)

2) Die Protocolle der Conferenz über die technische Einheit sind gedruckt (Bern, bei Wyß, 1882).

3) Auch dieses Material liegt gedruckt vor (Bern 1885).

4) Sie sind gedruckt (Bern 1886).

§ 64.

Verträge über das internationale Eisenbahnprivatrecht. Die Initiative zu einem internationalen Vertrage über Frachtrecht und die erste internationale Conferenz.

Literatur: De Seigneur und Christ: Die Einführung eines einheitlichen Rechts für den internationalen Eisenbahnfrachtverkehr (Basel 1875); auch Französisch erschienen unter dem Titel: De l'unification du droit concernant les transports internationaux par chemins de fer. Bulmerincq, Règlement international des transports par chemins de fer in der Revue de droit international X, S. 83 – 100. Asser, das. S. 101-102 Hovy, das. IX, S. 380-383, Eger, Die Einführung eines internationalen Eisenbahnfrachtrechtes (Breslau 1877, auch Französisch erschienen unter dem Titel: La législation internationale sur le transport par chemins de fer traduit par G. van Muyden, Paris 1877). Martens, Völkerrecht II, § 62 (S. 265), (ed. Bergbohm). Bulmerincq in Marquardsen's Handbuch des öffentlichen Rechts 1, 2, S. 276 und 277. -- Wehrmann, Das Eisenbahnfrachtgeschäft, S. 23 und 24.

Als die eidgenössischen Räthe im Juni 1874 versammelt waren und sich unter Anderem auch mit dem Entwurfe über ein Eisenbahntransportgesetz beschäftigten, richteten die beiden Advocaten de Seigneur und Christ eine Petition an die Bundesversammlung, in welcher sie ausführten, es wäre nüßlich und passend, wenn vor der Berathung des Geseßesprojectes auf das Zusammentreten einer internationalen Conferenz hingearbeitet würde, um gewisse Theile der Eisenbahngesetzgebung international zu regeln. Als Verständigungsgebiet wurden folgende Principienfragen hingestellt:1)

1. Der Gerichtsstand für Reclamationen wegen Havarie und Verspätung.

2. Einheitliche Formalitäten für Constatirung innerlicher und äußerlicher Beschädigungen.

3. Die Annahme des allgemeinen Sazes, daß der lezte Frachtführer für die Fehler der vorangehenden Frachtführer haftet, unter Vorbehalt seines Rückgriffs auf dieselben; ferner das für diesen Rückgriff geltende Verfahren.

4. Die Gränzen der Haftbarkeit des Frachtführers, des ursprünglichen Spediteurs und der Zwischenspediteure.

Schon am 13. Juni 1874 schlug die Commission des Ständeraths vor, den Bundesrath zu beauftragen, bei den Regierungen der Nachbarstaaten Schritte einzuleiten. Der Ständerath stimmte bei und ebenso der Nationalrath. Der Bundesrath brachte darauf die Petition, gestüßt auf das Gutachten des eidgenössischen Eisenbahn- und Handelsdepartements, der Französischen, Deutschen, Desterreichischen und Italienischen Regierung zur Kenntniß und fragte an,

ob sie geneigt seien, eine internationale Conferenz zur Berathung über diesen Gegenstand zu beschicken.

Die ursprüngliche Petition wurde von den Verfassern in der citirten Schrift weiter ausgearbeitet und begründet. 2)

Die Antworten der Regierungen lauteten günstig. Nur wünschten Deutschland und Desterreich, daß zunächst ein genaues Programm in Gestalt eines speciellen Entwurfs ausgearbeitet werde, welches als Basis für die Verhandlungen dienen könne. 3) Der Schweizerische Bundesrath erklärte sich hierzu natürlich bereit. Daraufhin wurde eine Denkschrift ausgearbeitet betitelt: Vorläufiger Entwurf für eine Vereinbarung über den internationalen Eisenbahnfrachtverkehr. Dazu wurden auch Motive mitgegeben. 4)

Nachdem der Entwurf durch eine Commission von Fachmännern geprüft worden war, wurde er an die früher erwähnten Regierungen und ferner an diejenigen von Belgien, Niederlanden, Luxemburg, Dänemark, Spanien, Portugal und Rußland übermittelt, mit der Bitte, sich darüber zu äußern, ob sie auf der ausgearbeiteten Grundlage an einer Conferenz Theil nehmen wollen.

Die Antworten lauteten bejahend. Im Frühling 1878 erging sodann ab Seiten des Schweizerischen Bundesraths die Einladung zu einer internationalen Conferenz auf den 13. Mai 1878.

Mit Ausnahme von Spanien, Portugal und Dänemark folgten alle Staaten der Einladung. Die Conferenz tagte vom 13. Mai bis 4. Juni 1878.

Noch vor dem Zusammentritt dieser Conferenz hatte Eger den Schweizerischen Entwurf einer eingehenden Kritik unterworfen und ein selbständiges Project mit Motiven ausgearbeitet. 5)

Die Deutschen Abgeordneten legten der Conferenz einen selbständigen Entwurf vor. Die Resultate der ersten internationalen Berathung 6) sind niedergelegt in folgenden Entwürfen:7)

1. in dem Entwurf eines internationalen Vertrages über den Eisenbahnfrachtverkehr;

2. in dem Entwurf von Ausführungsbestimmungen zum Vertrage über den internationalen Eisenbahnfrachtverkehr;

3. in dem Entwurf eines Vertrages betreffend die Einseßung einer internationalen Commission.

Diese Vertragsentwürfe wurden dann den betheiligten Regierungen zur Vernehmlassung mitgetheilt.

1) Der Wortlaut der Petition ist bei Eger a. a. D. S. 7 und 8 abgedruckt. 2) Sie ist auch bei Eger a. a. D. S. 9-20 abgedruckt.

3) Eger a. a. D. S. 31.

4) Das ganze Material ist bei Eger a. a. D. S. 21-44 abgedruckt. Verfasser dieses Entwurfs und der Motive ist Professor Fick, dem die Schweiz speciell auch im Eisenbahnrechte außerordentlich viel zu verdanken hat.

5) Eger a a. D. S. 45—152.

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