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der Ansprüche zu deponiren habe. Wird dieser Aufforderung, die eventuell zu wiederholen ist, nicht entsprochen, so theilt der Leiter des Amts die Sachlage dem Staate, dessen Gebiet die Bahn unterworfen ist, mit, und ersucht ihn die Frage zu prüfen, ob dieselbe nicht aus dem Verzeichnisse der internationalen Bahnen zu streichen sei.

Verneint dies der Staat oder giebt er keine Antwort, so wird angenommen, daß er für die Zahlungsfähigkeit der schuldnerischen Eisenbahn, soweit es sich um aus dem internationalen Transporte herrührende Forderungen handelt, ohne weitere Erklärung die Ga= rantie übernehme." (Art. III, i. f.)

Der Unterschied zwischen dieser letzten Lösung und der Regulirung durch die erste Conferenz ist, besonders gegenüber dem ersten Französischen Antrage, einleuchtend. Es scheint mir die vorliegende Combination, die in der zweiten Conferenz allerdings nur mit 5 gegen 4 Stimmen acceptirt wurde, eine sehr glückliche zu sein: sie versöhnt die berechtigten Interessen der Eisenbahngesellschaften mit denjenigen des Publicums. Ich möchte bloß sagen, daß die juristische Figur der Verpflichtung etwas sorgfältiger hätte bezeichnet werden dürfen. 12) Offenbar ist aber mit der Garantie" eine directe und selbständige Verpflichtung verstanden.

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Durch das Vorgehen der Convention wird nunmehr ein überaus wichtiger und eingreifender Sah proclamirt: die derselben angehörenden Staaten verpflichten die ihnen unterworfenen und zum internationalen Transporte geeig= neten Bahngesellschaften zu einer internationalen 3wangsgemeinschaft vermöge deren die betreffenden Linien als eine wirthschaftliche und juristische Einheit erscheinen. 13)

Soweit die betreffenden Staaten den Eisenbahnbetrieb selber besorgen, entsteht auch zwischen ihnen eine eisenbahnrechtliche Zwangsgemeinschaft.

Voraussetzung derselben ist auch keineswegs ein Zusammenhang durch ununterbrochene Schienenverbindung. 14)

Allerdings kann ein Staat nicht gezwungen werden, auf dem von ihm dem Centralamte mitgetheilten Verzeichnisse solche Eisenbahnen weiter beizubehalten, welche sich nach seiner Ansicht zur Ausführung internationaler Transporte nicht mehr eignen. Allein in dieser Entschließung ist der betref= fende Staat, so lange er der Convention angehört, keineswegs absolut frei: die Streichung kann nur aus bestimmten, in der Convention niedergelegten Motiven (,,aus financiellen Gründen oder in Folge einer thatsächlichen Behinderung" Art. 583) vorgenommen werden. Daraus folgt, daß die Verwendung von Eisenbahnlinien in dem Kreise des internationalen Transportverkehrs unter den Schuß und die Controle des Völkerrechts gestellt ist. Allerdings ist es wahr, daß die von der Convention aufgestellte Rechtsstation (das Centralamt) keine Befugniß hat über den inneren Werth und die fachliche Begründetheit der Entschließungen des Staats zu entscheiden oder darüber angehört zu werden. Auch den Conventionsstaaten ist ein solches Recht

nicht förmlich eingeräumt worden: endgültig und allein stellt der betreffende Staat die Zugehörigkeit und Verwendbarkeit einer Linie zum internationalen Güterverkehr fest und er allein eximirt sie davon. Allein indem die Convention in Art. 583 die Voraussetzungen aufzählt, unter welchen die Streichung einer Bahn vom internationalen Verkehr statthaft ist, hat sie zugleich klar ausgesprochen, daß immer da, wo jene thatsächlichen Verhältnisse nicht bestehen, die Bahn in der internationalen Zwangsgemeinschaft zu verbleiben habe. Allerdings fehlt dieser Norm die selbständige Sanction, allein jene Verpflichtung ist gleichwohl geschüßt durch die Regeln des allgemeinen Völkerrechts.

III. Die Convention seßt diejenigen Formen und Inhaltsangaben fest, welche den internationalen Frachtvertrag auch äußerlich markiren (Art. 6 und Anlage 2-4).

Bei der Abfassung des internationalen Frachtbriefformulares wurde namentlich auf die Wünsche der Französischen Delegation Rücksicht genommen. 15) Die equality clause ist auch im internationalen Verkehre gewahrt (Art. 11). Im Uebrigen ist auf Art. 7, 10, 12, 13 zu verweisen.

1) Vgl. „Zusammenstellung", S. 6.

2) Deutschland opponirte gegen die ursprüngliche Normirung, weil darin eine viel zu schwankende und elastische Grundlage des Uebereinkommens liege (Protocoll II, S. 139 und 140). In Folge dessen kam in der dritten Conferenz die in Art. 1 und am Ende des Schlußpotocolls erwähnte Liste zur Geltung.

3) In der ersten Conferenz war man darüber einig, daß sich der Vertrag auf Localbahnen und Bahnen von untergeordneter Bedeutung nicht beziehe. (Protocoll I, S. 94). Die Frage wurde dann in Wiedererwägung gezogen (Protocoll II, S. 74), weil Deutschland fand, eine grundfäßliche Ausschließung dieser Bahnen sei nicht erwünscht: „es gäbe eben Secundärbahnen, welche auch dem großen Verkehr dienen.“ Die neue Fassung der zweiten Conferenz fand dann freilich die Billigung Deutschlands nicht (Protocol II, S. 139 und 140). Es schlug darauf folgende Faffung des Art. 1 vor: „Jeder der vertragschließenden Staaten hat in dem anliegenden Verzeichniß diejenigen Eisenbahnstrecken benannt, welche als zur Ausführung internationaler Transporte geeignet, dem Uebereinkommen unterworfen sein sollen.“ Deutschland bezeichnete in der Anlage die diesfälligen Bahnen auch noch durch Beifügung einer Karte. In der dritten Conferenz siegte dann dem Wesen nach dieser Antrag.

4) Gareis, Handelsrecht, 2. Aufl., S. 411; Dernburg, Preußisches Privatrecht, 3. Aufl., II § 203; Beseler, Deutsches Privatrecht, 4. Aufl., S. 1106 und 1107; v. Stengel, Lehrbuch des Deutschen Verwaltungsrechts, § 97.

5) G. Cohn, Untersuchungen über die Englische Eisenbahnpolitik, II, S. 80, Anm. 1.

6) Kent, Commentaries, III, 12. Aufl., S. 459, Anm. 1.

7) Thöl, Handelsrecht, III, S. 152. Hiergegen auch Ihering in seinen Jahr. büchern, XXIII, S. 272, Note 2.

8) Vgl. auch Schott, in Endemann's Handbuch III, S. 477.

9) Protocol II, S. 137 und 138. Carotti, Le congrès, S. 9 und 10.

10) Protocol I, S. 6 und Schlußprotocoll am Ende.

11) Schweizerisches Transportgeset von 1875, Art. 1 und 352; und Schweizerisches Gesetz über Bau und Betrieb von 1872, Art. 30.

12) Vgl. de Seigneux, Commentaire, S. 11-13 und 71. Andere Versuche der Lösung fiehe Protocoll I, S. 80 und 81 (Conftituirung eines Generalpfandrechts), Protocoll II, S. 137 und 138 (Deckung der Verluste aus einer gemeinschaftlich zu bildenden Kasse). Gegen die Beschlüsse der I. Conferenz hatte sich namentlich auch die Denkschrift des Vereins Deutscher Eisenbahnverwaltungen, S. 3ff., ausgesprochen. Sie verfocht den Französischen Antrag (S. 9).

13) Damit ist der Hauptsache nach das Ideal erreicht von dem Brocher, Droit international II, Nr. 206 spricht, wenn er sagt: »C'est avec raison que la diplomatie s'occupe beaucoup de nos jours du contrat de voiture. . . . . Ce contrat acquiert de plus en plus une importance internationale par suite de la longueur des trajets fort souvent parcourus On doit s'efforcer de créer l'harmonie dans l'application des lois qui s'y trouvent impliquées.<

14) Die Deutsche Denkschrift sagt „um nicht Bahnen mit abweichender Spurweite und Beförderung mittelst Trajectanstalten auszuschließen Protocol I, LI.

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15) Protocoll II, S. 159-161. Die zwei lezten Abfäße des Art. 6 sind das Resultat der dritten Conferenz.

§ 68.

Die aus dem internationalen Frachtvertrage entstehende Haftpflicht der Eisenbahnen.

Literatur: De Seigneux, Comment., p. 41-48.

I. Der grundsätzliche Ausgangspunkt.

Es bedurfte einer längeren Entwicklungsphase, bis sich die juristische Doctrin in zutreffender Weise mit den Rechtspflichten abfand, welche zu Lasten der Eisenbahnanstalten aus dem Waarenverkehre entstehen, noch weit länger aber, bis man die mit der öffentlichen Mission sonst noch zusammenhängenden Consequenzen zog. Der juristische Compaß für die Beurtheilung jener Haftpflichtsfragen ist indessen gegenwärtig gefunden und es ist bezeichnend, daß die Jurisprudenz im Grunde einfach an den römischrechtlichen Gedanken des Receptum anknüpfen kann. Der entscheidende Gesichtspunkt für die intensive Haftpflicht ist auch bei den Eisenbahnen derjenige, den schon der Römische Prätor angiebt:

Necesse est plerumque eorum fidem sequi et res eorum custodiae committere. 1)

An Stelle der nautae caupones et stabularii sind einfach die Eisenbahnen zu setzen.

Auch darf ohne Uebertreibung gesagt werden, daß die Römischen Juristen die Bestimmungen über das Receptum ganz zweifellos auch auf die Eisenbahnen angewendet hätten.

Uebrigens besteht gegenwärtig über den principiellen Ausgangspunkt der Haftpflichtfrage kein ernsthafter Zweifel mehr. Das Französische und Deutsche Recht haben eine energische Haftpflicht statuirt, und diesen zwei Gruppen können die Rechtszustände der übrigen Staaten mit Leichtigkeit angereiht werden. Es folgte die neue Schweizerische Eisenbahngesetzgebung mit einer Reihe von Verschärfungen. Und gewiß mit Recht: die Eisenbahnen besigen ein thatsächliches Monopol und das normale Civilrecht würde ihnen gegenüber die Rechtlosigkeit des Publicums herbeiführen. Der Cultus der Vertrags freiheit würde hier zum Rechtsnihilismus ausarten.

Daher erhebt das moderne Eisenbahnrecht die meisten Eisenbahn-Rechtsfäße zu jus cogens. Es weist ferner die Beweislast in den meisten Fällen den Eisenbahnen zu, weil eine den gewöhnlichen Normen entsprechende Vertheilung dieser Pflicht einen Nothstand schaffen würde.

Die Eisenbahnen haften auch für das ganze Personal, das sie in ihrem Dienste verwenden: dasselbe steht auf dem gleichen Boden, wie die maschinellen Betriebsmittel, für deren richtige Function die Eisenbahnunternehmungen haften müssen.

Dieselben können sich liberiren durch folgende Nachweise:

1. der Einrede der höheren Gewalt, 2)

2. der Einrede des eigenen Verschuldens,

3. der Einrede aus der natürlichen Beschaffenheit der Güter.

II. Die positiven Haftpflichtgrundsäge der Convention. Hier galt es die zwei in den Detailfragen wesentlich verschiedenen Gruppen des Französischen und Deutschen Rechts zu versöhnen. Der Wurf ist in meisterhafter Weise gelungen.

Nach Französischem Rechte müssen die Eisenbahnen in der Regel das ganze id quod interest erseßen, d. h. nicht bloß das damnum emergens, son= dern auch das lucrum cessans, wobei freilich nicht zu übersehen ist, daß Art. 1150 u. 1151 in Verbindung mit Art. 1149. Code civ. ganz wesentlich temperirend wirken.

Nach Deutschem Handelsrechte wird grundsäßlich erklärt, daß der wirk liche Werth des Gutes entscheidend sei, aber es wird den Eisenbahnen gestattet, Maximalsäge oder Normalsäge zu fixiren. Deutschland erklärte von Anfang an, zur Förderung der Einigung auf diese Beschränkung der Haftpflicht verzichten zu wollen. 3)

Die Convention stellt nun folgende Grundsäge auf:

1. Diejenige Bahn, welche das Gut mit dem Frachtbriefe zur Beförderung angenommen hat, haftet für die Ausführung des Transports

auch auf den folgenden Bahnen bis zur Ablieferung. Die Klage kann aber nur gegen die erste Bahn oder gegen diejenige, welche das Gut zuletzt mit dem Frachtbriefe übernommen hat, oder gegen die eigentlich schädigende Bahn erhoben werden (Art. 27). Die Bahnen haften für ihr Personal (Art. 29).

Die Bahnen können der Hauptsache nach nur die unter I. erwähnten Beweise geltend machen (Art. 30). Natürlich haben sie unter sich ein Rückgriffsrecht und im Falle der Zahlungsunfähigkeit wird der von einer Bahn bezahlte Schaden unter allen Bahnen nach Verhältniß der reinen Fracht vertheilt (Art. 47).

2. Entscheidend ist für den Verlustfall der gemeine Handelswerth beziehungsweise der gemeine Werth, welchen das Gut am Versandtorte) zu der Zeit hatte, zu welcher das Gut zur Beförderung angenommen worden ist (Art. 34). Ein Verlust liegt eisenbahnrechtlich vor, wenn das Gut um mehr als 30 Tage nach Ablauf der Lieferfrist nicht abgeliefert wird (Art. 33). Dazu ist Art. 36 zu vergleichen.

Im Falle der Beschädigung ist der ganze Minderwerth zu bezahlen (Art. 37).

Bei Versäumung der Lieferfristen, über welche die Ausführungsbestimmungen (§ 6) Vorschriften festseßen (Art. 14), haftet die Bahn für den Schaden (vgl. auch Art. 48). Sie wird liberirt, wenn sie beweist (Art. 39), daß die Verspätung von einem Ereignisse herrührt, welches sie weder herbeigeführt hat, noch abzuwenden vermochte. 5)

Ferner ist auf Art. 42 aufmerksam zu machen. 3. Diese Grundsätze erleiden Abänderungen:

a. 3u Gunsten der Eisenbahnen:

a. Wenn einer der in Art. 31 specificirten Fälle vertraglich zulässiger Abmilderung vorliegt (Transport in offenen Wagen, bei Selbstverladung oder eigener Begleitung u. f. w.). Vgl. auch Art. 32.

B. Wenn die Eisenbahnen ermäßigte Specialtarife mit Maximalsäßen des Ersatzes nach Maßgabe des Art. 11 verwenden (Art. 35).6)

Hierher gehört auch Art. 37. Ferner ist Art. 41 vorzubehalten.

b. 3u Ungunsten der Eisenbahnen:

a. Im Falle der Declaration) des Interesses an der Lieferung (Art. 38); dazu ist noch Art. 9 der Ausführungsbestimmungen zu vergleichen.

B. Im Falle der Versäumung der Lieferfrist wird ein Procentsag der Fracht als Schaden präsumirt (Art. 40).

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