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gegenübertreten kann. Allein alle Detailmängel verschwinden auf dem glänzenden Gemälde dieser völkerrechtlichen Schöpfung. Die kommenden Conferenzen, die ja von drei zu drei Jahren wiederholt werden, sind leicht im Stande, die allfälligen Fehler und Unzulänglichkeiten der Convention zu heben, Ungenauigkeiten zu beseitigen und Härten auszuebnen. Auch Neuerungen werden sich im Laufe der Zeit den Eingang zu verschaffen suchen. Vielleicht gelingt es dem internationalen Eisenbahnrechtsparlamente, in jene großen Tarifmysterien, welche eine ganze Wissenschaft ausmachen, ein einheitliches Licht zu bringen, vielleicht auch die Lieferfristen zu unificiren, vielleicht auch das Centralamt zu einem Gerichtshofe auszubilden. Gewiß aber wird es möglich sein, nach und nach die internationale Convention zu einem direct unter den Staaten für den internen und externen Verkehr geltenden Gesetze auszuweiten. Ferner wird es ein Postulat nächster Zukunft sein, die aus dem Eisenbahnpersonentransport hervorgehenden Fragen einheitlich zu lösen und die bestehende Controverse über die Billets u. f. w. zu beseitigen. Aber das völkerrechtliche Parlament, das einen so glücklichen Anfang in der Internationalisirung des Eisenbahnrechts gemacht hat, muß von den betheiligten Staaten mit Sorgfalt beseßt und es scheint mir, als müsse besonders Vorsorge dafür getroffen werden, daß nur ein tüchtiger Stab juristisch und technisch geschulter Sachverständiger den Zutritt zu den Conferenzen erhält, auf daß das Werk gedeihe und weitere Früchte trage.

Jedenfalls ist der neue internationale Eisenbahncoder (dem sich zehn Staaten unterwerfen: Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg, Niederlande, Desterreich, Rußland, Schweiz, Ungarn) ein Sieg der völkerrechtlichen Jurisprudenz, ein stolzes Monument, welches die Universalität des Rechtes weit in die Lande hinaus verkündet und ein erhabenes Werk des Friedens. Die Schweiz wurde dazu designirt, dieses große Werk in Zukunft zu hüten und zu überwachen und man darf wohl mit Recht erwarten, daß dieser neutrale Staat, in welchem drei Nationen friedlich neben einander wohnen, das internationale Rechtsgebilde im Sinne weiterer Ausgleichung hegen und pflegen wird. 3)

1) Die erwähnte Neutralisirung der einzelnen Betriebsmittel der Eisenbahnen, wonach sie und zwar auch im Inlande der Pfändung nicht unter worfen werden können, bleibt ein allgemeines Postulat der Zukunft. Dafür besteht ein hohes wirthschaftliches und öffentliches Interesse. Das Schweizerische Geseß über die Verpfändung und Zwangsliquidation der Eisenbahnen von 1874 hat dies zuerst erkannt (Art. 10). Der Deutsche Reichstag hat mit Recht auch ein diesf. Geseß am 10. April 1886 angenommen. Es ist in dieser Richtung ein Rechtssaß, welchen schon das Preußische Landrecht, II, 15, § 227, zu Gunsten der Postanstalt aufstellte, generell auf die Eisenbahnen auszudehnen und ihren Verhältnissen anzupassen.

2) Vgl. mein Pfand- und Concursrecht der Eisenbahnen (Leipzig 1879) S. 47. 3) Die großen Vertrauensposten, zu denen die Schweiz neben der Posts, Telegraphen-, literarischen und commerciellen Union auch hier wieder von den

internationalen Staaten berufen ist, legen freilich auch Pflichten auf, für deren Erfüllung etwas gethan werden muß. Es handelt sich meines Erachtens darum, das öffentliche und private Recht aller dieser Institutionen zu cultiviren und fortzubilden. Die Schweiz sollte schon aus pflichtschuldiger Dankbarkeit an ihrer Lehranstalt auch eine internationale Rechtsstation mit specieller Rücksicht auf jene Anstalten aufrichten, sie mit der gesammten Rechtsliteratur ausrüsten und überhaupt ein Hauptquartier des internationalen Rechts bes gründen. Dabei möchte ich noch darauf aufmerksam machen, daß die Schweiz abges sehen von ihrer Pflicht auch ein eigenes Interesse an der doctrinellen Pflege jener Rechtsdisciplinen hat: der Reingewinn würde sich bald im internen Rechte fühlbar machen. Es wird in der Schweiz nach der Vereinheitlichung des Rechts gekämpft und nur langsam kann Stüð für Stück dem harten und steinigen Boden des Particularismus abgerungen werden. Und dicht neben diesem Particularismus, der in den kleinen „Ländern" diesem Pompeji germanischer Vorzeit, wie sie Cohn, System der Nationalökonomie, I, S. 445, geistreich nennt so üppig blüht, steht der mächtige Kosmopolitismus in jenen internationalisirten Instituten verkörpert vor uns, solide Zeugen eines universellen Rechts. Es sind zwei Rechtswelten, die hier auf einem kleinen Flecke aufeinanderstoßen: dort umspannt ein enger Horizont die Sagungen und „Offnungen“, hier erhebt sich der stolze Bau eines Weltrechts.

§ 73.

Verträge über den strafrechtlichen internationalen Schuß der Eisenbahnen.

(Insbesondere die Bestimmungen der Auslieferungsverträge über Verbrechen an Eisenbahnen.)

Literatur: Müller, Ueber die Verbrechen gegen die materielle Integrität der Eisenbahnen (Leipzig 1846). D. D. Field, Projet d'un Code international, ins Französische überseßt von A. Rolin, 1881, S. 34. Martens, Völkerrecht (ed. Bergbohm) II, § 96, S. 429.

Die meisten Staaten haben sich veranlaßt gesehen, die Integrität der Eisenbahnen unter einen besonderen strafrechtlichen Schutz zu stellen, weil der Betrieb dieser Verkehrsanstalten nach ihrer ganzen Natur außerordent= lichen Gefahren ausgesetzt ist. Und mit Recht sind derartige Vergehen in vielen Auslieferungsverträgen ebenfalls aufgeführt, so daß innerhalb der internatio= nalen Rechtsgemeinschaft für eine strafrechtliche Verantwortlichkeit jener criminellen Eingriffe zum Theile gesorgt ist.1)

Der Katalog dieser Verbrechen kann sehr umfangreich sein. Indessen genügt es, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß die Eisenbahnen vielfach auch strafrechtlich unter den Schuß des internationalen Rechts gestellt sind. Auf das Detail der dabei auftauchenden Fragen kann hier selbstverständlich nicht eingegangen werden.

Ich theile auch die Ansicht von Martens, daß es unter keinen Um

ständen angeht, die Zerstörung oder Beschädigung von Eisenbahnanstalten oder ihres Materials unter Berufung auf politische Motive rechtfertigen zu wollen oder daraus einen Grund gegen die Auslieferung abzuLeiten.

An dieser Stelle ist noch darauf hinzuweisen, daß der strafrechtlich durch die Auslieferungsverträge vorgesehene Schuß der Eisenbahnen unabhängig ist von dem technischen System. Darnach muß gesagt werden, daß unter diesem Terminus die verschiedensten Rangclassen der Bahnen zu verstehen sind, also Haupt- und Secundärbahnen, Normal- und Schmalspurbahnen, auch Draht= und elektrische Bahnen2) und nicht weniger Straßeneisenbahnen, jedenfalls wenn ihr Betrieb durch Dampf (und nicht durch Pferde) 3) erfolgt, auch Locomotiv= bahnen, welche rein industriellen Zwecken dienen,4) zumal wenn anstatt,,Eisenbahnen" der Ausdruck,,Dampfmaschinen" gebraucht wird.

Uebrigens scheint es mir, die auf dem Boden des internationalen Vertragsrechts herbeigeführte Einheit der Eisenbahntechnik, des Eisenbahnprivatrechts und der juristischen Einheit des Betriebs müsse nothwendig dazu führen, die Eisenbahnweltanstalt auch unter einheitliche Specialstrafrechtsnormen zu stellen.

Es ist dies ein Postulat, das die Zukunft nicht aus den Augen verlieren darf. Die internationalen Conferenzen können auf diesem Felde neue Lorbeeren ernten.

1) Vgl. 3. B. betreffend die Verträge, welche das Deutsche Reich abgeschloffen hat, G Hezer: Deutsche Auslieferungsverträge, (Berlin 1883), S. 188 und 189. 2) Das Deutsche Reichsgericht hat am 17. September 1885 die Gefährdung eines elektrischen Eisenbahnzugs den § 315 und 316 des Strafgesetzbuches unterstellt (Entscheidungen, Straff. XII, 371).

3) Daffelbe Gericht macht einen Unterschied zwischen den Pferdebahnen und den Locomotivstraßenbahnen: diese fallen unter § 315 und 316 (Entscheidungen, Straff. XI, S. 33), jene nicht (XII, S. 205-212). Damit stimmen auch die meisten Strafrechtscommentatoren. Vgl. v. Liszt, Strafrecht, 2. Aufl., S. 334. DIShausen, Commentar, 2. Aufl., S. 1199.

4) R. G., Straff. XIII, S. 380.

Zwanzigstes Stück.

Die Postverträge und Telegraphenverträge.

Von

Dr. Otto Dambach,

Wirklicher Geheimer Ober-Postrath und Professor der Rechte in Berlin.

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