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Einundzwanzigstes Stück.

Staatsverträge, betreffend Rechtshilfe und

Auslieferung.

Bon

Dr. Heinrich Lammasch,

o. ö. Profeffor der Rechte an der Universität Innsbruck.

I. Theil.

Berträge über Rechtshilfe in Civilftreitsachen.

Erstes Kapitel.

Die Rechtshilfeverträge, deren Aufgabe und deren Geschichte.

§ 86.

Begriff und Inhalt der Rechtshilfeverträge.

Literatur: Die den Verträgen über Rechtshilfe in Civilsachen ex professo gewidmete Literatur ist eine äußerst geringe. Die Darstellungen des internationalen Privatrechts gehen an den bestehenden Rechtshilfeverträgen meist achtungslos vorüber. Eine eigentliche Literatur besißt nur der Französisch Schweizerische Vertrag vom 15. Juni 1869, auf welchen sich beziehen die ausgezeichnete Monographie Curti's: Der Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Frank reich betreffend Gerichtsstand und Urtheilsvollziehung, Zürich 1879, sowie Brocher's Commentaire pratique et théorique du traité Franco-Suisse, Genève 1879. Das Rechtshilfegeseß für den Norddeutschen Bund, welches die Grundlage wichtiger Entwürfe von Staatsverträgen geworden ist, hat in Endemann's Rechtshilfe im Norddeutschen Bunde, Berlin 1869, einen trefflichen Commentar gefunden. Der Vertrag der Oesterreichisch - Ungarischen Monarchie mit Serbien ist vom Freiherrn von Haan, von Johanny, von Pavlovitsch und von Strisower in unten S. 358 angeführten Abhandlungen exegetisch und kritisch beleuchtet worden. Aus Anlaß der Vorschläge zur Ausarbeitung eines Rechtshilfevertrages für die Europäischen Staaten find eine Reihe höchst bemerkenswerther Auffäße Mancini's, Asser's und Brocher's in den verschiedenen Jahrgängen der Revue und des Annuaire de l'Institut de droit international, sowie Studien einer ganzen Anzahl von Rechtsgelehrten über die in ihrem Heimathlande geltenden Grundsäße des internationalen Proceßrechtes im Journal de droit international privé veröffentlicht worden, aus welchen lezteren Constant in seiner Monographie De l'exécution des jugements étrangers dans les divers pays, Paris 1883, einen verläßlichen Auszug zusammengestellt hat. Eine sehr dankenswerthe Vorarbeit für die von der Italienischen Regierung angeregte internationale Conferenz zur Ordnung der auf Rechtshilfe in Civilstreitsachen sich beziehenden Fragen ist Fusinato's Schrift L'esecuzione delle sentenze straniere in materia civile et commerciale, Roma 1884. Von Autoren auf dem Gebiete des Völkerrechtes haben sich, wenn sie auch an den existirenden Rechtshilfeverträgen flüchtig vorübergehen, doch mit einzelnen der von diesen Verträgen behandelten Materien befaßt: von Mohl in seiner Abhandlung: Die Pflege der internationalen Gemeinschaft als Aufgabe des Völkerrechtes in „Staats. recht, Völkerrecht und Politik" 1860; v. Bulmerincq in seinem Völkerrecht, 1884, besonders S. 229 ff., sowie F. v. Martens in seinem Völkerrecht (deutsch von Bergbohm) 1883 und 1886, I., S. 206 ff. und insbesondere II., S. 343 ff.

Unter den Darstellern des internationalen Privatrechtes ver. dienen als solche, welche sich wenigstens mit manchen der hier einschlagenden Fragen beschäftigt haben, hervorgehoben zu werden: Asser, Schets van het internationaal Privaatregt, 1879, deutsch von Max Cohn. Berlin 1880, französisch von Rivier, Paris 1884; v. Bar, Internationales Privat- und Strafrecht, Hannover 1862 (besonders §§ 110-130); Foelix, Traité du droit international privé (ed. par Demangeat, Paris 1866); E. Haus, Du droit privé, qui régit les étrangers en Belgique, Gand 1874; Gianzana, Lo straniero nel diritto civile italiano, Torino 1884; Bard, Précis de droit international, Paris 1883; Durand, Essai de droit international privé, Paris 1885; Wharton, Treatise on the Conflict of laws, Philadelphia 1881, 2nd edit.; Beach-Lawrence, Commentaire sur les éléments du droit international de Wheaton, I-III, Leipzig 1873; Westlake, Lehrbuch des internationalen Privatrechtes, deutsch von Holzendorff, Berlin 1884; J. K. Stephen, International law, London 1884.

Der Lehre von der Vollstreckung ausländischer Urtheile sind gewidmet : Fiore, Effetti internazionali delle sentenze e degli atti P. I, Pisa 1875; V. de Rossi, Esecuzione delle sentenze e degli atti delle autorità straniere, Livorno 1876, und Moreau, Effets internationaux des jugements en matière civile, Paris 1884. Sehr selten haben Autoren des Privatrechtes oder Proceßrechtes die hier in Frage stehenden Materien in den Kreis ihrer Erörterungen einbezogen. Außer den beiden Untersuchungen Savigny's im VIII. Bande seines Systems des heutigen Römischen Rechts und Wächters im XXV. Bande des Archivs für die civilistische Praxis, auf welchen die heutige Lehre des internationalen Privatrechtes in ihren Grundzügen beruht, verdienen Hervorhebung A. v. Feuerbach's Abhandlung „Ueber die Rechtskraft und Vollstreckung eines von einem auswärtigen Gerichte gesprochenen Erkenntnisses" in seiner Themis, 1812; A. Menger's Dar stellung der örtlichen Grenzen der Civilproceßnormen" in seinem System des Desterreichischen Civilproceßrechtes I. (bisher einziger) Band, Wien 1876, und W. France's Monographie: Die Entscheidungen ausländischer Gerichte über bürgerliche Rechtsstreitigkeiten in ihrer Wirksamkeit nach Deutschem Reichsrecht, Berlin 1884. Als Sammelwerke sind zu erwähnen: Starr, Die Rechtshilfe in Desterreich gegenüber dem Auslande, Wien 1878; Besque von Püttlingen, Handbuch des in Desterreich Ungarn geltenden internationalen Privatrechtes, Wien 1878; F. Böhm, Handbuch der internationalen Nachlaßbehandlung, Augsburg 1885; Staudinger, Sammlung von Staats. verträgen des Deutschen Reiches über Gegenstände der Rechtspflege, Nördlingen 1882 und 1884; (Burkhard), Die Rechtsnormen über den Verkehr der österreichischen Gerichte mit auswärtigen Behörden, Wien 1885.

Doch bietet die eben geschilderte Literatur nur ein sehr unvollständiges Bild des heutigen Zustandes in Sachen der internationalen Rechtshilfe. Ich bin daher Sr. Excellenz dem Herrn Minister und Leiter des k. k. Justizministeriums Dr. Freiherrn v. Prazak, sowie dem Herrn k. k. Sectionschef im Justizministerium v. Giuliani, welche mir ebenso wie der so vorzeitig der Wissenschaft entrissene Justizminister und Generalprocurator Dr. Julius Glaser, die Einsicht in sämmtliche auf diese Materie Bezug habende Acten des k. k. österreichischen Justizministeriums gestattet haben, wodurch allein mir die gegenwärtige Abhandlung ermöglicht worden, zu dem größten Danke verpflichtet. Zu gleicher Zeit ergreife ich diese Gelegenheit, dem Herrn t. t. Ministerialrathe Dr. Steinbach,

dem Herrn k. t. Ministerialsekretär Freiherrn v. Haan, dem Herrn t.t. Ministerial. vicesekretär Freiherrn von Fellner für die vielfache Förderung und reiche Belehrung, welche sie mir beim Studium dieser Acten zu Theil werden ließen, meinen besten Dank zu sagen.

Zum Schlusse dieser einleitenden Bemerkungen möchte ich mir nur noch erlauben, daran zu erinnern, daß eine Besprechung der heute geltenden Jurisdictionsverträge eine durchaus fragmentarische sein muß. Denn die Zahl der heute in Kraft stehenden Verträge ist eine so geringe, das Gebiet der von denselben behandelten Fragen ein so begrenztes, daß in vielen Beziehungen für eine Darstellung des positiven Rechtes das erforderliche that. sächliche Substrat fehlt. In eine Erörterung jener Schwierigkeiten, zu deren Behebung Rechtshilfeverträge bestimmt sind, tiefer einzugehen, fehlt jedoch hier Raum und Zusammenhang. Eine solche Erörterung würde einen sehr beträchtlichen Theil des gesammten internationalen Privatrechtes umfassen müssen. Es blieb daher nichts übrig, als jene Materien, welche in den heute in Kraft stehenden Jurisdictionsverträgen nicht behandelt werden, aus der gegen. wärtigen Darstellung auszuschließen und selbst in Rücksicht derjenigen, welche der eine oder der andere dieser Verträge berührt, auf eine eingehende Erörterung de lege ferenda zu verzichten.

Jurisdictionsverträge sind jene Staatsverträge, welche das Verhältniß der Gerichtsbarkeit zweier Staaten zu einander zu regeln bestimmt sind. Solche Verträge enthalten nicht blos Normen, welche sich auf die Stellung der Angehörigen des einen Staates zu den Gerichten des anderen beziehen, sondern auch solche, welche unmittelbar das Verhältniß der Gerichte des einen Staates zu denen des anderen Con trahenten betreffen. In der ersteren Richtung ist es die Aufgabe der Jurisdictionsverträge, den Angehörigen des einen vertragschließenden Theiles vor den Gerichten des anderen dieselben Parteienrechte zu sichern, welche dessen eigenen Angehörigen zustehen. In der zweiten Richtung haben sie den Zweck, eine Einigung zu erzielen über das Maaß von Wirksamkeit, welches den processualen Handlungen, den Verfügungen und Entscheidungen der Gerichte des einen Staates in Bezug auf die Gerichte des anderen zukommen soll. In Bezug auf die Bestimmungen dieser Art werden die Jurisdictionsverträge auch Rechtshilfeverträge genannt, insofern sie festseßen, in welchen Fällen und zu welchen Zwecken die Gerichte des einen Staates denen des anderen zur Verwirklichung der Gerechtigkeit behilflich sein sollen. Diese Mithilfe zur Verwirklichung der Gerechtigkeit kann sich auf die Rechtsfindung oder auf die Vollstreckung des gefundenen Rechtes beziehen. Danach unterscheidet man Rechtshilfe im Instructionsverfahren und Rechtshilfe im Vollstreckungsverfahren.

Außer den Normen des bisher dargestellten Inhaltes enthält ein vollständiger Jurisdictionsvertrag auch noch Vereinbarungen über die Abgrenzung der Thätigkeitssphäre, welche den Gerichten der contrahirenden Staaten zustehen soll, Vereinbarungen über die Regulirung der Competenz der Gerichte dieser Staaten.

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