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Zweites Kapitel.

Die Abgränzung der Gerichtsbarkeit der Staaten.

§ 90.

Die Stellung der Ausländer vor den Gerichten des Inlandes. Nach den Grundsäßen des heutigen Völkerrechtes genießen die Fremden in Rücksicht auf diejenigen Rechte, zu deren Genusse sie nach den Gesezen des Staates, in welchem sie sich dauernd oder vorüber. gehend aufhalten, zugelassen sind, denselben Rechtsschuß wie die Inländer. Und in der That sind sie nur dann, wenn sie in Bezug auf den Schuß ihrer Interessen durch die Staatsgewalt hinter den Inländern nicht zurückgesezt werden, wirklich auch in ihren Rechten den Inländern gleichgestellt, während im entgegengesezten Falle ihre Interessen in der betreffenden Richtung und in dem angedeuteten Maaße der Anerkennung als Rechte entbehren würden.

Ein Staat, der die Geltung seines Privatrechtes nicht auf seine Bürger beschränkt, sondern auch auf die im Jnlande sich befindenden Fremden ausdehnt, muß, wenn er hieran in Wahrheit festhalten will, den Fremden auch vor seinen Gerichten die gleiche Stellung mit den Inländern gewähren. Er darf sie weder in der Parteistellung eines Klägers noch in der eines Beklagten blos aus dem Grunde, weil sie Fremde sind, gegenüber den Inländern benachtheiligen. Ebensowenig aber dürfen die Ausländer nach heutigem Völkerrechte Privilegien vor den Inländern für sich in Anspruch nehmen. Das Recht der Fremden, in Streitigkeiten unter einander mit Ausschluß der Landesgerichte nur vor einem Richter ihrer Nation Recht zu nehmen, wird in Europa, abgesehen von dem Gebiete des Osmanischen Reiches, nirgends mehr anerkannt. Die Institution der juges conservateurs des étrangers, welche den Engländern und Franzosen in Portugal zugestanden war, und welche Demangeat noch in der neuesten Ausgabe Foelir' zu Nr. 148 anführt, ist bereits durch den Vertrag vom 3. Juli 1842 aufgehoben worden. (Martens, Nouv. Rec. III. p. 328.)

Nur in Bezug auf Streitigkeiten, welche sich zwischen den Personen an Bord eines fremden Privatschiffes in einem inländischen Hafen mit Rücksicht auf die Seefahrt ergeben, ist nach einer großen Anzahl von Verträgen die Gerichtsbarkeit der inländischen Behörden ausgeschlossen und die Entscheidung derselben (ohne Rücksicht auf die Nationalität der streitenden Personen) den Consuln jener Nation vorbehalten, unter deren Flagge das Schiff fährt. Endlich hat auch England in Zusammenhang mit der theilweisen Reform seines Fremdenrechtes durch den Naturali

sationsact von 1870 (abgedruckt u. A. bei Phillimore) das bis dahin den wegen eines Verbrechens angeklagten Ausländern zustehende Recht, eine zur Hälfte aus Angehörigen ihrer Nation zusammengesezte jury de medietate linguae zu fordern, aufgehoben.

Es ist nicht Aufgabe dieser Abhandlung nachzuweisen, inwiefern der bezeichnete Grundsah der Theorie des modernen Völkerrechtes hier und da in dem geltenden Rechte der einzelnen Staaten der Verwirklichung entbehrt und in welchen einzelnen Beziehungen dies auch seine guten Gründe haben dürfte. Eine solche Vergleichung des als Grundsay heute allgemein anerkannten Saßes der Theorie mit der praktischen Gestaltung der Verhältnisse der Fremden in den einzelnen Staaten gehört nicht dem Gebiete des Völkerrechtes, sondern dem des Fremdenrechtes i. e. S. als einem Zweige des internationalen Privatrechtes an. In der Lehre von den völkerrechtlichen Verträgen, speciell in der Lehre von den Jurisdictionsverträgen, muß es genügen, darauf hinzuweisen, daß es eine der Aufgaben solcher Verträge ist, durch gegenseitige Zugeständnisse die Zurücksetzung der Fremden in der Geltendmachung ihrer Rechte vor Gericht zu beheben. Außerdem daß sie die Fremden zum Klagerechte zulassen, ihnen die persona standi in judicio gewähren, werden solche Verträge auch noch die etwa bestehenden indirecten Erschwerungen aufheben, welche den Ausländern bei processualer Geltendmachung ihrer Rechte entgegenstehen möchten, sie werden also etwa die Ausschließung der Fremden vom Armenrechte oder die Verpflichtung derselben zur Leistung von besonderen Cautionen im Processe aufheben. Eine besondere Vereinbarung der Zulassung der Ausländer zum Rechte, vor inländischen Gerichten zu klagen, ist insbesondere nothwendig gegenüber denjenigen Staaten, deren Gerichte sich der bekannten, freilich nicht mehr unange fochtenen und auch nicht ausnahmslosen Französischen Auffassung an schließen, daß ein Rechtsstreit zwischen Fremden die Gerichte des Inlandes nichts angehe und von diesen ex officio judicis zurückgewiesen werden. müsse, eine Auffassung, welche schon deshalb ganz verwerflich ist, weil sie unter Umständen zu einem negativen Competenzconflicte führt, und weil sie den Richter bei jedem Processe zu der unter Umständen äußerst schwierigen präjudiciellen Feststellung der Nationalität der Parteien nöthigt. Solche Verträge werden sich aber nicht blos mit der Ver besserung der Lage des ausländischen Klägers gegenüber den Normen des Rechtes der vertragschließenden Staaten befassen, sondern auch mit der Verbesserung der processualen Stellung des ausländischen Beklagten, so etwa mit der Aufhebung von in odium der Fremden zugelassenen besonderen Gerichtsständen (etwa der Bestimmung des Code Napoléon Art. 14, Vgl. § 29, c Österr. J. N.) oder mit der Aufhebung von be sonders ungünstigen Bestimmungen über die Zustellung von Ladungen an im Auslande sich aufhaltende Fremde (vgl. Code de procéd. Art. 69, Nr. 9).

Allgemeine Bestimmungen über die Gleichstellung der Fremden mit den Juländern vor Gericht,1) welche ihrer Natur nach in die Nieder.

lassungsverträge gehören, finden sich nicht selten auch in Handels- und Schifffahrtsverträgen, insofern diese gleichzeitig die Stelle eines besonderen Niederlassungsvertrages vertreten.) Im Verhältnisse zu jenen Staaten, welche den Unterthanen eines feindlich gewordenen Staates die persona standi in judicio absprechen,3) wäre es wünschenswerth, eine Anerkennung der Gerichtsstandsfähigkeit auch für diesen Fall zu vereinbaren.

Ueber die Zulassung der Fremden zum Armenrechte, über die Zulassung juristischer Personen des Auslandes zum Klagerechte und über die Befreiung der Ausländer von nach den Proceßvorschriften des Inlandes ihnen insbesondere auferlegten Proceßcautionen werden häufig besondere Verträge abgeschlossen. Solche Verträge hat das Deutsche Reich z. B. hinsichtlich des Armenrechtes mit Belgien 1878, mit Luxem= burg und Italien 1879, mit Frankreich 1881 geschlossen. Nach denselben gebührt das Armenrecht nicht blos jenen Fremden, welche sich in dem Lande aufhalten, in welchem sie dasselbe geltend machen wollen, sondern auch den im Auslande wohnenden Fremden, so daß also auch dem Armuthszeugnisse ausländischer Behörden, wenn es nur in der vorgeschriebenen diplomatischen Form beglaubigt ist, Beweiskraft zukömmt.4) In Kraft dieser Verträge sind die zum Armenrechte zugelassenen Personen gleichzeitig auch von Rechtswegen von jeder Sicherheitsleistung oder Hinterlegung befreit, welche unter irgend einer Benennung von Ausländern wegen ihrer Eigenschaft als solche bei Processen gegen Inländer . . . gefordert werden könnte." Das Recht auf Zulassung zum Armenrechte steht nach den angeführten Verträgen auch jenen Bürgern des anderen Staates zu, welche etwa in dem Gebiete eines dritten Staates ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort" haben. Für diesen Fall verpflichten sich die contrahirenden Staaten unter Vorbehalt des Rechtes, bei den Behörden seines Heimathlandes Erkundigungen über die Verhältnisse des Petenten einzuziehen, den Armuthszeugnissen der Behörden des an dem Vertrage nicht betheiligten Aufenthaltsstaates des Gesuchstellers Glauben beizumessen.

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Zu einigen Zweifeln kann eine in vielen Verträgen wiederkehrende Bestimmung Anlaß geben, welche etwa folgendermaßen lautet: „Les sujets respectifs auront un libre et facile accès auprès des tribunaux pour la poursuite et la défense de leurs droits. Ils jouiront sous ce rapport des mêmes droits et privilèges que les nationaux.“ M. E. interpretirt Durand p. 535 diese Verträge mit Recht dahin, daß sie Befreiung von Caution und Zulassung zum Armenrechte gewähren, da beide unzweifelhaft Bedingungen eines accès facile aux tribunaux sind.

Wenn die Gleichstellung der Fremden mit den Jnländern zur Wahrheit werden soll, so muß aber nicht blos der des Armenrechtes theilhafte Fremde von der Pflicht zur Bestellung einer Caution entbunden werden, welche ein Inländer nicht zu bestellen hätte, sondern es muß überhaupt die Forderung einer „actorischen Caution", welche sich auf keine andere Thatsache, als auf die ausländische Staatsangehörigkeit des Klägers

gründet, aufgegeben werden. Wenigstens müßte dies dann geschehen, wenn die Caution nicht so sehr um des praktischen Zweckes willen gefordert wird, dem Beklagten für seine Kosten Deckung zu gewähren, sondern wenn diese Forderung sich vielmehr als eine Folge des Principes der Zurückseßung der Fremden vor Gericht darstellt, wie sich dies troh Demangeat's Ableugnung (zu Foelix Nr. 132) für das Französische Recht daraus ergiebt, daß nur der beklagte Franzose, nicht aber auch ein beklagter Ausländer berechtigt ist, von dem klagenden Ausländer eine solche Caution zu fordern (Foelig Nr. 134.). Deshalb dürfte es insbesondere im Verhältnisse zu Frankreich wünschenswerth sein, ganz im Allgemeinen die reciproke Befreiung der Fremden von der Pflicht zur Cautionsbestellung durchzuseßen, wie dies der Schweiz auf Grundlage des Vertrages von 1828 (Foelix Nr. 143) im Art. 13 des Rechtshilfevertrages vom 15. Juni 1869 gelungen ist.") Aber auch wenn Cautionen von den Fremden nicht blos deshalb gefordert werden, weil es zu den den Fremden entzogenen droits civils gehört, ohne Sicherstellung klagend auftreten zu dürfen, könnte und sollte die Verpflichtung der Fremden zur Bestellung von processualen Cautionen im Verhältnisse jener Staaten unter einander entfallen, welche gegenseitig die Urtheile des anderen Staates für vollstreckbar erkennen. Unter dieser Vorausjezung ist es ja dem Beklagten möglich, die ihm aus der unbegründeter Weise gegen ihn erhobenen Klage erwachsenen Kosten von dem ausländischen Kläger hereinzubringen. Es scheint daher inconsequent, daß sowohl der Französisch-Badische Vertrag von 1846 als der Entwurf eines Vertrages der Südamerikanischen Republiken, Art. 28. ff., obwohl sie die Vollstreckung der im anderen Staate gefällten Urtheile zulassen, doch die Angehörigen von der cautio pro expensis nicht oder wenigstens nicht unter allen Umständen befreien.

Aus der Zulassung der Ausländer zum Genusse einer mit den Juländern gleichen Stellung im Processe folgt nicht ohne weiteres die Zulassung von in dem betreffenden Staate bestehenden juristischen Personen des Auslandes zu derselben Stellung. Die Existenz dieser juristischen Personen beruht ja nicht, wie die der physischen auf einer, von aller Staatsgewalt unabhängigen Thatsache der Natur, sondern auf einem besonderen, speciellen oder generellen Acte der Executivgewalt eines fremden Staates. Vermöge seiner Souveränetät ist jeder Staat berechtigt, für die von seinen Gerichten zu entscheidenden Rechtsverhältnisse diesen eine juristische Person constituirenden Act einer fremden Regierung zu ignoriren, der juristischen Person seine Anerkennung zu verjagen und auf die dieselbe constituirenden physischen Personen oder Vermögen zurückzugehen. Unter Umständen mag es sein, daß eine solche Weigerung der Anerkennung der Schöpfungen und Fictionen anderer Staaten durch die Rücksicht auf die eigenen Interessen geboten ist. In der Regel aber wird gerade die Rücksicht auf die Interessen der mit juristischen Personen des Auslandes in Verkehr tretenden Inländer und das Interesse

an der reciproken Anerkennung der inländischen juristischen Personen durch das Ausland den entgegengeseßten Weg einzuschlagen empfehlen.") In Betreff der Zulassung von Actiengesellschaften und anderen commerziellen, industriellen und finanziellen Gesellschaften des Auslandes zur Gerichtsstandschaft vor inländischen Gerichten sind zahlreiche Verträge abgeschlossen worden,) in Kraft welcher die Rechtmäßigkeit ihres Bestandes nur nach den am Orte ihres Domicils geltenden Gesezen, nicht auch nach den am Orte des Proceßgerichtes geltenden beurtheilt wird.

Was die Aufhebung der Benachtheiligung der Fremden in der Rolle von Beklagten betrifft, so ist der Vertrag Frankreichs mit der Schweiz von 1828 (Foelix Nr. 154 und 180) mit gutem Beispiele in dem Verzichte auf die besonderen nach Art. 14, C. civil zum Nachtheile der Fremden bestimmten Gerichtsstände vorangegangen ), während der Badisch-Französische Vertrag von 1846 einen solchen Verzicht nicht statuirt (Demangeat zu Foelig Nr. 180). Am weitesten geht auch in dieser Beziehung der Französisch-Schweizerische Vertrag von 1869, durch welchen für das Verhältniß der beiden Staaten nicht blos alle fora abgeschafft werden, welche von dem gemeinen Rechte derselben blos zum Zwecke der Begünstigung des einheimischen Forderungsberechtigten gegenüber seinem ausländischen Schuldner zugelassen sind, sondern nach welchem auch zudem für eine große Zahl von Forderungen dem fremden Beklagten das Privilegium eingeräumt wird, daß er, im Gegensaße zu einem Inländer, blos vor dem Gerichte seines Domicils, als seinem natürlichen Richter und nicht vor einem forum speciale, beklagt werden dürfe. In anderer Richtung strebt eine vollständige Gleichstellung der Ausländer und Inländer in jeder Parteienrolle an der Rechtshilfevertrag der Desterreichisch-Ungarischen Monarchie mit Serbien vom 6. Mai 1881 (Österreichisches R.-G.-Bl., Nr. 88 1882), desjen Art. 1, al. 1 lautet: „Die Staatsangehörigen eines jeden der vertragenden Theile sind berechtigt, vor den Gerichten des anderen Theiles auch gegen Staatsangehörige dieses letteren ihr Recht zu verfolgen und zu vertheidigen. Sie sind hierbei von den Gerichten eines jeden der vertragenden Theile gleich den Inländern zu behandeln."

1) Merkwürdig ist in dieser Beziehung z. B. Art. 17 des Vertrages zwischen Italien und Peru: Avranno altresì facoltà di eleggere liberamente i loro difensori ed agenti in modo stesso che i nazionali, e quella di assistere alle udienze, dibattimenti e sentenze dei tribunali nelle cause, in cui fossero interessati come pure di assistere alle informative, esami e deposizioni di testimoni, che possano occorrere in occasione dei giudizi stessi, sempre che le leggi dei paesi rispettivi permettono la pubblicità di tali atti.

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2) Vgl. den Oesterreichisch Italienischen Handels- und Schifffahrtsvertrag vom 27. December 1878, Art. 5 al. 3 und 4,,ils jouiront en général quant aux

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