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stiftungen und Zerstörungen durch Explosion, fehlt es übrigens auch an dem Bedürfnisse, die Auslieferung wegen derselben ausdrücklich für zu lässig zu erklären. Denn nahezu in allen Fällen, in welchen eine solche That ihren Urheber des Asylrechtes unwürdig macht, wird sie gleichzeitig mindestens den Versuch eines Meuchelmordes in sich schließen.

Hätten sich die Mächte 1881 über die Annahme des oben erwähnten ersten Russischen Antrages zur Amendirung der geltenden Verträge geeinigt, so wäre der Anlaß zu den weitgehenden, die Selbst. ständigkeit der Staaten gefährdenden Forderungen nach Aufhebung des politischen Asylrechtes, wie sie seither laut geworden sind,16) behoben gewesen, so wäre der Rückschritt zu den Vereinbarungen des RussischPreußischen und des Russisch-Bayrischen Vertrages von 1885 dem neunzehnten Jahrhundert erspart geblieben. 16)

Selbstverständlich müßte auch die dem Russischen Antrage von 1881 entsprechende Clausel durch einen Zusaz dahin ergänzt werden, daß die Auslieferung nur dann stattfinde, wenn der requirirende Staat sich verpflichtet, das betreffende Individuum nur wegen Mordes, bezw. Mordversuches oder einer nach dem Rechte beider in Frage stehenden Staaten strafbaren Art der Mitschuld 17) (nicht etwa wegen Hochverrathes) und nur vor den ordentlichen Gerichten 18) (nicht vor einem Ausnahmsgerichte) zu verfolgen.

Eine Norm dieser Art, daß jeder nicht im offenen Kampfe verübte Mord unter allen Umständen zur Auslieferung verpflichte, soferne nur die allgemeinen Bedingungen einer Auslieferung vorliegen, könnten alle Staaten in ihr Recht aufnehmen, mögen sie sich selbst was immer für eine Regierungsform gegeben haben, mag auch ihre Bevölkerung mit gewissen revolutionären Bestrebungen in fremden Staaten noch so sehr sympathisiren und mag die Regierung, gegen welche diese revolutionären Bestrebungen sich richten, in der That des auch nur indirecten Schußes von Seite fremder Staaten noch so unwürdig sein.19) Den Meuchelmörder können und müssen alle Staaten ächten, mag was immer für ein Motiv ihn geleitet, was immer für ein Zweck ihn bestimmt haben. Für jede weitergehende Norm zur Einschränkung des politischen Asylrechtes aber dürfte es unmöglich sein, den Nachweis zu erbringen, daß sie nicht auch in Fällen, für welche das moderne Rechtsbewußtsein den Asylschuß fordert, zur Auslieferung verpflichten würde. Deshalb dürfte für eine weitergehende Norm auch der zu ihrer Wirksamkeit erforderliche consensus gentium nicht zu erlangen sein.

1) In neuerer Zeit haben sich m. W. nur in Italien Stimmen gegen jede Beschränkung des politischen Asyles, insbesondere gegen die Auslieferung der Meuchelmörder und gegen die Belgische Attentatsclausel erhoben. Vgl. die Ausführungen Nocito's und Crispi's in den Atti della commissione 1885, p. 30 ff.

Neu aber ist die Forderung nach einer Einschränkung des Grundsaßes

keineswegs, wenn sie auch erst in neuester Zeit acut geworden ist.

Schon der erste Autor, welcher den Grundjaß der Nichtauslieferung wegen politischer Delicte aufstellte, Provó Kluit macht in seiner oben citirten Monographie hinsichtlich der meuchlerischen Ermordung eines Souveräns oder eines Mitgliedes einer souveränen Familie eine Ausnahme.

3) Célestin Jacquin hatte 1853 auf der Eisenbahnstrecke Lille-Calais eine Höllenmaschine angebracht, um den Zug, in welchem Napoleon III. nach Tournay fuhr, in die Luft zu sprengen. Es gelang ihm, sich nach Belgien zu flüchten. Nachdem sein dortiger Aufenthalt bekannt geworden, erklärte die Rathskammer des Gerichtshofes 1. Instanz den Verhaftsbefehl, welcher in Frankreich gegen ihn wegen Attentates gegen das Leben des Kaisers und wegen Mordversuches gegen jene Personen, welche sich auf dem kaiserlichen Zuge befanden, erlassen worden war, für in Belgien vollstreckbar, weil sie erachtete, daß die fragliche That nicht als ein crime politique im Sinne des Auslieferungsgeseßes von 1833 aufgefaßt werden könne. Ueber Einspruch des Beschuldigten aber erkannte die chambre des mises. en accusation dessen Verhaftung für rechtswidrig, da die ihm zur Last gelegte That, wenn auch nicht ein politisches Verbrechen, so doch ein crime connexe à un fait politique constituire. Der Cassationshof, an welchen die Sache durch die Staatsanwaltschaft gebracht wurde, hingegen stimmte mit der 1. Instanz überein und cassirte am 12. März 1855 den Beschluß der 2. Instanz. Neuerdings in die 1. Instanz und zwar diesmal an den Gerichtshof in Lüttich verwiesen, er klärte dieser mit Entscheidung vom 28. März die Verhaftung Jacquin's für zulässig. Nach den Belgischen Gesezen war aber die Regierung, bevor sie über das Auslieferungsbegehren entschied, verpflichtet, das Gutachten der Brüsseler chambre des mises en accusation über die Frage, ob die Auslieferung Jacquin's zulässig sei, einzuholen, ohne jedoch an dieses Gutachten endgültig gebunden zu sein. Die chambre des mises en accusation gab nun ihr Gutachten in der Hauptfrage in demselben Sinne ab, in welchem sie bereits in dem Jucidenzstreite über die Frage der vorläufigen Verhaftung entschieden hatte, nämlich dahin, daß die That Jacquin's als politisches Delict aufzufassen sei und dessen Auslieferung daher nicht gewährt werden könne.

Die Französische Regierung war gegenüber der Belgischen so rücksichtsvoll, ihr die Nothwendigkeit einer Entscheidung in dieser überaus zweifelhaften Frage zu ersparen und zog ihr Auslieferungsansuchen zurück. Dafür verpflichtete sich die Belgische Regierung, durch Aenderung ihrer Gesezgebung Vorsorge zu treffen, daß in Zukunft wegen eines ähnlichen Delictes die Auslieferung ohne Anstand gewährt werden könne. Das Ergebniß dieser Gesezesänderung ist der S. 504 mitgetheilte Zusaß zu Art. 6 des Gesezes vom 1. October 1833, welcher nach hartem Kampfe von der Deputirtenkammer angenommen und am 22. Mai 1856 promulgirt wurde.

4) Blanc in seinem Memoire für die Italienische Commission. Vgl. Atti della commissione, p. 183.

5) Blanc 1. c., p. 186 ff. Fürst Bismarck im Deutschen Reichstage 9. Mai 1884.

6) In ähnlicher Weise hat auch der Kölner Congreß der Association pour la reforme et la codification du droit international sich über Antrag Dudley. Field's ausgesprochen.

7) Aus Erwägungen solcher Art ist auch der Vorschlag der Italienischen Commission in ihrem Entwurfe von 1885, Art. 3, hervorgegangen: „,L'estradizione

non può aver luogo pei reati politici, nè per fatti connessi ad un reato politico. Questa disposizione non si applica all' omicidio volontario, salvo il caso che sia commesso a scopo politico nell' atto di una insurrezione o guerra civile.“ Nur vermag ich es nicht zu billigen, daß in Kraft dieses Vorschlages auch Jemand, der im Laufe eines Aufstandes oder eines Bürgerkrieges cinen Meuchelmord verübt hat, den Asylschuß genießen soll, sofern er nur seine That zu einem politischen Zwecke verübte, und ebensowenig kann ich mich damit für einverstanden erklären, daß derjenige unbedingt ausgeliefert werden müsse, der ohne Zusammenhang mit einer größeren aufständischen Bewegung einen Polizeibeamten, der ihn oder einen andern verhaften will, um die Verübung eines politischen Verbrechens zu verhindern, im offenen Kampfe niederschießt.

*) Vgl. Auslieferungpflicht und Asylrecht, S, 219 ff.

9) Ueber einen andern Vorschlag, welchen ich zu demselben Zwecke in meiner Monographie gemacht hatte, vgl. dieselbe S. 100 ff, und über die Gründe, welche mich bestimmt haben, diesen Vorschlag in dem Sinne der Ausführungen im Texte zu modificiren vgl. meine ausführliche Darstellung des Auslieferungsrechtes, S. 317 ff.

10) Vgl. Auslieferungspflicht und Asylrecht, S. 323 ff.

11) Annuaire de l'Institut V, p. 118.

12) Ganz besonders haben sich gegen sie ausgesprochen v. Liszt, Zeit schrift II, S. 73 ff., und Brusa, Annuario cit. II, p. 152 ff. Auch v. Bar, Gerichtssaal XXXIV. (1883) 504 und Rolin, Revue dr. intern. 1885, p. 395 ff.. heben die Mängel dieser Fassung hervor, über welche auch Bard, droit international pénal et privé, Paris 1883, p. 47 f., troß gekünstelter Interpretation nicht hinwegzukommen vermag.

Précis de

13) Vgl. meine Monographie S. 90 ff. und meine ausführliche Darstellung des Auslieferungsrechtes. S. 335 ff. und 342 ff.

1) Ueber einige andere Formeln zur Abgrenzung jener politischen Delicte, wegen welcher Auslieferung stattfinden und wegen welcher sie nicht statthaft sein joll, vgl. meine Monographie S. 95 ff. und Auslieferungspflicht und Asylrecht, S. 349 ff.

15) Vgl. auch v. Bar, Gerichtssaal 24. Bd., S. 498.

16) Vgl. insbesondere die Reden des Bayerischen Ministers des Aeußern, Freiherrn v. Crailsheim, in den Verhandlungen der Bayerischen Abgeordneten. fammer vom 12. November und vom 3. December 1885.

16a) Vgl. über diese Verträge Auslieferungspflicht und Asylrecht, S. 239, 254, 282, 355.

17) Also z. B. nicht wegen Complottes, wegen Nichtverhinderung des Ver brechens, wegen unterlassener Denunciation des bevorstehenden Verbrechens, wenn diese Formen der Mitschuld nach dem Rechte des requirirten Staates nicht strafbar sind.

18) Vgl. auch die XV. These des Oxforder Congresses (Annuaire V, p. 129) 19) Vgl. auch v. Holzendorff, Die Auslieferung der Verbrecher und das Aslyrecht. 1881. S. 56.

§ 118.

Ablehnung der Pflicht zur Auslieferung der Inländer.

Das Resultat unserer bisherigen Untersuchungen ist es, daß nach heutigem Völkerrechte die Auslieferung von Individuen, welche eines schweren, nicht politischen Delictes beschuldigt sind, stattfindet, daß die Staaten sich vertragsmäßig zur Auslieferung wegen solcher Delicte verpflichten und sogar nicht selten, selbst abgesehen von bestehenden Verträgen, Auslieferungen wegen solcher Thaten gewähren. Dieser Sah unterliegt aber mannigfachen Beschränkungen.

Eine der wichtigsten dieser Beschränkungen besteht darin, daß zahlreiche Staaten nicht blos die Uebernahme einer Verpflichtung zur Auslieferung ihrer eigenen Unterthanen wegen eines denselben zur Last fallenden, im Auslande verübten Delictes ablehnen, sondern daß dieselben die Auslieferung eines ihrer Angehörigen sogar geseßlich für unzulässig erklären. Die große Mehrzahl der Europäischen und der der Europäischen Cultur theilhaften transatlantischen Staaten betrachtet die eigenen Unterthanen auch während ihres Aufenthaltes im Auslande als den vaterländischen Gesezen fortdauernd unterworfen und zieht dieselben daher vor den Gerichten der Heimath für ihr rechtswidriges Verhalten im Auslande zur Verantwortung. Indem diese Staaten gleichzeitig es für eine ihrer wichtigsten Pflichten erachten, ihre Angehörigen vor jeder Vergewaltigung durch Behörden des Auslandes zu schüßen, betrachten sie den Richter der Heimath als den judex proprius ihrer Angehörigen auch hinsichtlich der von denselben im Auslande geäußerten Thätigkeiten. 1) Ueberlieferung des Inländers an ausländische Behörden erscheint hiernach als Pflichtund Rechtswidrigkeit der inländischen Staatsgewalt.

Mancherlei praktische Bedenken kommen zu diesen grundsätzlichen Erwägungen hinzu. Es gilt als eine Härte, als eine Unmenschlichkeit, den Inländer, der auf Feststellung der Frage, ob er eines Verbrechens schuldig ist oder nicht, durch die Gerichte und nach den Normen des Inlandes ein durch seine Geburt erworbenes Recht besißt, den Behörden des Auslandes, welche uns geringeres Vertrauen in die Rechtmäßigkeit ihres Vorgehens einflößen, zu überantworten. Diese Härte tritt dann ganz besonders hervor, wenn der auszuliefernde Inländer in Folge seiner Unkenntniß der Institutionen oder in Folge des Mangels an Bekannten, die seiner sich annehmen könnten, als Angeklagter in eine ungünstigere Lage geriethe als ein Angehöriger jenes Staates, an den er ausgeliefert wird. Und wirklich mag zu Zeiten selbst Derjenige, den unschuldig der Verdacht eines Verbrechens trifft, geradezu der größten Gefahr ausgesezt

sein, wenn etwa in dem Staate, an welchen er ausgeliefert wird, aus nationalen, confessionellen oder politischen Gründen eine seinem Volke ungünstige Stimmung herrscht. Zum mindesten ist in solchen Zeiten der wirklich schuldige Ausländer der Gefahr einer unverhältnißmäßig strengen Beurtheilung ausgesezt. Insbesondere wird die Ueberlieferung eines Jnländers an ausländische Gerichte dann verwerflich erscheinen, wenn sich das Gerichtsverfahren oder das Strafensystem jenes fremden Staates vou dem der Heimath des Verbrechers in wesentlichen Beziehungen unterscheidet. Ein Staat, dessen Strafproceßrecht alle von der modernen Wissenschaft geforderten Garantien gegen die Möglichkeit der Verurthei lung eines Unschuldigen verwirklicht hat, wird sich nicht leicht entschließen, einen seiner Angehörigen, den der Verdacht trifft, im Auslande ein Verbrechen verübt zu haben, an den Staat des Ortes der angeblichen Uebelthat auszuliefern, wenn dem Strafverfahren dieses Staates noch alle Gebrechen des alten Inquisitionsprocesses anhaften. Und ebenso wird ein Staat, welcher sein Strafensystem den gegenwärtig herrschenden humanen Anschauungen angepaßt hat, nicht leicht einen seiner Bürger an ein ausländisches Gericht ausliefern, wenn derselbe von den fremden Richtern vielleicht zum Tode oder zu einer Leibesstrafe oder zu einer be sonders qualvollen Art der Freiheitsstrafe verurtheilt werden müßte oder doch wenigstens verurtheilt werden könnte, während die ihm zur Last liegende That nach seinem heimathlichen, ihm angeborenen Rechte mit einer verhältnißmäßig weit milderen Strafe gebüßt würde.

Erwägungen, ähnlich den bisher entwickelten, sind es gewesen, welche die Gesetzgeber der meisten Staaten in neuester Zeit) bestimmt haben, die Auslieferung der Inländer zu verbieten.3) Die Folge dieser geseßlichen Verbote war es denn, daß auch in der großen Mehrzahl der geltenden Auslieferungsverträge die Verpflichtung zur Auslieferung der Juländer abgelehnt wird.

In der Literatur hat diese Einschränkung der Auslieferungspflicht nahezu allgemeinen Beifall gefunden1) und ist sie in derselben von vielen Autoren mit Gründen und noch öfter und leidenschaftlicher mit Phrasen vertheidigt worden.

Seine nothwendige Ergänzung muß der Grundsaß der Nichtausliefe rung der Inländer in einem Rechtssaße finden, demzufolge die Bestrafung des in seine Heimath zurückgekehrten Inländers wegen aller außerhalb des Gebietes seiner Heimath verübten, einigermaßen schweren Delicte zulässig ist. Wenn ein Staat seine Angehörigen wegen im Auslande verübter schwerer Delicte weder ausliefert noch im Inlande bestraft, oder wenn er sie etwa nur wegen der gegen die inländische Staatsgewalt und gegen Inländer, nicht aber auch wegen der gegen Ausländer verübten Verbrechen bestraft, wie dies beispielsweise in Frankreich von 1830 bis zum Gesetze vom 27. Juni 1866 der Fall war, sind alle übrigen Mächte berechtigt, gegen eine derartige Verweigerung der Justiz die ernstlichsten Vorstellungen zu machen und Abhilfe zu fordern.

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