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être réduit à un simple enregistrement", sondern daß die Rathskammer zu einer, wenn auch nur summarischen Ueberprüfung des Vorhandenseins der Bedingungen für ein Auslieferungsbegehren, verpflichtet sei. 7) In voller Wirksamkeit kann diese Vollstreckbarkeitserklärung sogar erst nach Anhörung des requirirten Individuums erfolgen. Der in Kraft eines vorläufig für vollstreckbar erklärten ausländischen mandat d'arrêt Verhaftete kann nämlich verlangen, daß er von der Rathskammer mit seinen Einwendungen gegen die Anwendbarkeit des Vertrages gehört und die vorläufige Vollstreckbarkeitserklärung zurückgenommen werde. Gegen den ihn abweisenden Bescheid der Rathskammer hat er dann noch ein Appellationsrecht an die Anklagekammer. 8)

Wenn wir uns nun dem Recht der übrigen Staaten, etwa dem Deutschen oder Französischen Rechte zuwenden, so mag es auf den ersten Blick höchst auffallend erscheinen, daß Staaten, welche die Vollstreckung eines civilgerichtlichen Urtheiles ausländischer Gerichte im Inlande ent weder gar nicht oder nur nach mehr oder minder eingehender Prüfung gestatten und welche den Urtheilen ausländischer Gerichte in Straffachen jede Vollziehbarkeit verweigern, einer bloßen Incidententscheidung, welche nach nur summarischer Untersuchung der Sache in einem ausländischen Strafverfahren erfolgt ist, Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit im Inlande zugestehen, ohne diese Incidententscheidung selbst auf ihre Gründe und ihre Berechtigung zu prüfen. Allerdings wird in jenem Falle, von dem wir jest sprechen, das requirirte Individuum durch die von Seite des Zufluchtstaates im Wege des Auslieferungsverfahrens erfolgende Vollstreckung des im requirirenden Staate gegen dasselbe erlassenen Haftbefehles oder Anklagebeschlusses, nicht geradezu zur Bestrafung, sondern nur erst zur Entscheidung über die Stichhaltigkeit der erhobenen Beschuldigung oder Anklage überliefert. Aber wir dürfen nicht vergessen, welches schwere Uebel jede Auslieferung für das von ihr betroffene Individuum ist und wie es daher die Aufgabe des um eine Auslieferung ersuchten Staates sein muß, soviel als möglich der Gefahr vorzubeugen, daß dieses Uebel, welches unvergleichlich größer ist, als eine einfache Untersuchungshaft, einen Schuldlosen treffe.

,,Deditionem praecedere debet causae cognitio. Non decet axgírovç exdidóɣai", der Saz, den Hugo Grotius in den Anmerkungen zu seinem Hauptwerke ausspricht, 9) scheint daher im Sinne der Engländer verstanden werden zu müssen. Gewiß folgt wenigstens soviel aus ihm, daß der Zufluchtsstaat nicht auf jede Prüfung des Verdachtes und Beweises von vorneherein und ganz allgemein verzichten solle. Ob aber diese Prüfung eine regelmäßige Voraussetzung der Gewährung der Auslieferung sein, oder ob sie blos für einzelne, derselben besonders bedürftige und fähige Ausnahmsfälle vorbehalten bleiben solle und ob sie ferner soweit gehen solle, wie nach Englischem und Amerikanischem Rechte, ist eine andere Frage. Wenn wir auf den Grundgedanken und Hauptzweck des Rechtes der Auslieferung zurückgehen, so werden wir

finden, daß eine Beweisprüfung, wie die in England vorgeschriebene, diesem Grundgedanken widerspricht. Die Auslieferung soll ja gerade jener Gefahr für die Gerechtigkeit vorbeugen, welche darin liegt, daß über die gegen den Flüchtling erhobene Beschuldigung im Zufluchtstaate auf Grund von in einem anderen Lande aufgenommenen Zeugenprotokollen entschieden werde und sie soll an Stelle des Protokollarverfahrens im Zufluchtstaate das unmittelbar unter Abhörung der Zeugen vor dem erkennenden Richter durchgeführte Verfahren im Staate des Thatortes treten lassen. Und nun will gerade England, das Vaterland des modernen, unmittelbar vor dem erkennenden Richter durchgeführten Strafprocesses, eine Entscheidung auf Grund von Protokollen zulassen! Freilich soll diese Entscheidung nicht eine definitive sein, sondern blos über den Incidenzfall des Auslieferungsbegehrens erfolgen. Wenn aber das Auslieferungsbegehren auf Grund eines solchen Protokollarverfahrens abgewiesen wird, so ist diese, der Form nach nur incidente Entscheidung in Wahrheit eine endgiltige; denn sie sichert den betreffenden Flüchtling, wenn er nicht so thöricht ist, England wieder zu verlassen, vor jeder weiteren Verfolgung.

Nichts destoweniger scheint es mir wünschenswerth, für Fälle, in welchen die requirirte Person in der Lage ist, ohne erst auf langwierige Beweiserhebungen antragen zu müssen, sofort den sie treffenden Verdacht zu zerstören, eine solche Rechtfertigung in dem ersuchten Staate zuzulassen. Denn welchen Sinn und Zweck hätte es, wenn etwa Desterreich die Auslieferung Dessen zugestehen müßte, der sofort nachzuweisen vermag, daß er zur Zeit des angeblich von ihm in Paris verübten Mordes sich in Wien oder in Prag befand, oder wenn es Denjenigen ausliefern müßte, der nachweist, daß die von ihm angeblich in London defraudirte Geldsumme zur sofortigen und unbeschränkten Verfügung ihres Eigen. thümers bei der Desterreichisch-Ungarischen Bank in Wien erliege? Mit Recht hat daher Desterreich sich für solche, allerdings nur selten vorkommende Fälle das Recht einer ausnahmsweisen Prüfung des den Beschuldigten treffenden Verdachtes durch den citirten § 59 Desterr. St.-P.-D. gewahrt. Vielleicht ist es auch in einem ähnlichen Sinne und nicht im Sinne einer Anempfehlung des Englischen Systems zu verstehen, wenn das Institut de droit international als These 21 seiner Oxforder Beschlüsse, entgegen dem Antrage des Referenten Renault 10), den Saz angenommen hat:,,L'examen devrait avoir pour objet les conditions générales de l'extradition et la vraisemblance de l'accusation." 11) Deshalb möchte ich empfehlen, in die Auslieferungsverträge die Bestimmung aufzunehmen, daß die Auslieferung verweigert werden könne, wenn der Verfolgte bei seiner Vernehmung durch die competente Behörde des ersuchten Staates auf Grund der dieser bereits vorliegenden Beweise oder auf Grund solcher Behelfe, welche ohne besonderen Verzug erhoben werden können, die Grundlosigkeit der gegen ihn erhobenen concreten Beschuldigung darthut. 12)

Aber selbst, wenn der ersuchte Staat, allerdings unter dem eben erörterten Vorbehalte für einen seltenen Ausnahmsfall, im Principe auf das Recht der Prüfung des gegen das verdächtige Individuum vor liegenden Verdachtes verzichtet, wird er m. E. darauf bestehen müssen, daß wenigstens in dem ersuchenden Staate eine ernstliche Prüfung des Anschuldigungsbeweises vorangegangen sei, damit nicht Jemand der so schwer seine Freiheit beeinträchtigenden Procedur der Auslieferung unter worfen werde, gegen den nur ganz geringfügige, durch eine genauere Untersuchung sofort zu zerstreuende Verdachtsmomente vorliegen. Eine Garantie dafür ist aber nur dann gewährt, wenn man die Auslieferung davon abhängig macht, daß gegen den Requirirten eine Voruntersuchung durchgeführt und eine Anklage erhoben worden ist, während die bloße Beibringung eines Haftbefehles eine Gewähr für die Begründung des dem Beschuldigten zur Last liegenden Verdachtes nicht bietet, da ein solcher, wenn es sich um die Verfolgung eines Beschuldigten von unbekanntem Aufenthalte handelt, wohl nach dem Rechte aller Staaten schon auf Grund einer nur einigermaaßen plausiblen, auf ihren wahren Werth aber noch gar nicht geprüften Beschuldigung erlassen zu werden pflegt. Wie oft erfolgt die Erlassung eines Haftbefehles gegen einen flüchtigen Beschuldigten einzig und allein auf Grund der Angaben des angeblich Beschädigten ohne eidliche Vernehmung von Zeugen oder sonstige Beweiserhebungen. Aber nicht blos die Abwägung des der Beschuldigung zu Grunde liegenden Verdachtes wird bei der Erlassung des Haftbefehles nothwendigerweise sehr eilig und flüchtig geschehen müssen, sondern es wird dies auch mit der rechtlichen Qualification der dem Beschuldigten zur Last gelegten That nicht anders der Fall sein. Auch diese wird auf Grund des ersten Eindruckes erfolgen, den die That nach der Darstellung des Beschädigten oder anderer an ihr betheiligter Personen macht. Sehr oft wird daher die Qualification der That im Verhaftsbefehle eine falsche sein und sich bei genauerer Prüfung der Sachlage in der Hauptverhandlung nicht aufrecht erhalten lassen. Wenn aber auch der Haftbefehl keinen ausreichenden Grund darbietet, um die Person, gegen welche er erlassen worden, mit jenem Maaße von Wahrscheinlichkeit der Verübung der ihr zur Last gelegten That wirklich für verdächtig zu halten, daß man sie sofort zwangsweise dem requirirenden Staate überliefern könnte, so reicht er doch dazu aus, daß der Staat, in welchem das verfolgte Individuum sich befindet, sich seiner Person versichere und die Ergebnisse der genaueren Untersuchung abwarte, auf Grund deren dann der verfolgende Staat die Auslieferung begehren mag. (Vgl. unten S. 549 ff.) Auch der requirirende Staat selbst kann kein Interesse daran haben, auf Grundlage einer oberflächlichen Untersuchung die Aus. lieferung eines Individuums zngestanden zu erhalten, welches schließlich von der gegen dasselbe erhobenen Anklage frei gesprochen werden muß und dessen Anwesenheit auf seinem Territorium für ihn nur zu einer Quelle von Verlegenheiten und Gefahren wird. (Vgl. unten S. 555 ff.) 13)

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1) Das citirte Hofdekret verfügt sub 3) Wenn das Verlangen der Aus. lieferung sogleich oder in einem angemessenen Zeitraume mit Beweisen oder durch erhebliche Inzichten unterstüßet wird, worüber sich der hier vernommene Fremde nicht auf der Stelle auszuweisen vermag, so muß auf dessen Auslieferung angetragen, jedoch hierzu die Genehmigung des Criminalobergerichtes eingeholt werden“ und ordnet sub 7) an, daß das Ansuchen um Auslieferung eines Verbrechers nach Desterreich „von dem (Oesterreichischen) Criminalgerichte mit Beweisen oder erheblichen Inzichten zu unterstüßen ist, worüber der Beschuldigte im Auslande vernommen werden kann." Und in der That enthalten auch schon die (jezt nicht mehr in Wirksamkeit stehenden) Auslieferungsverträge Desterreichs mit Parma, Piacenza und Guastalla von 1818 Art. 3 und mit der Schweiz von 1828 Art. 7 diesbezügliche Normen. *) Auf die nähere Erörterung dieses Conflictes zwischen den Desterreichi. schen Verträgen und dem Desterreichischen Geseze, sowie auf die Untersuchung der Frage, nach welchen dieser einander widersprechenden Normen der Desterreichische Richter vorzugehen habe, kann hier nicht eingegangen werden. Ich muß mir vielmehr erlauben auf meine eingehende Darstellung des Rechtes der Auslieferung S. 540 ff. zu verweisen.

3) So sagt denn auch Heßer S. 21. daß das Deutsche Reich einem Staate, mit welchem es keinen Auslieferungsvertrag besißt, eine Auslieferung nur dann gewährt, „wenn der ersuchte Staat von dem ersuchenden in die Lage verseßt worden ist, gründlich prüfen zu können, ob ein genügender Verdacht vorliegt.“ So hat m. W. auch Rußland, als es Frankreich um die Auslieferung Leo Hartmann's ersuchte, die gesammten Zeugenaussagen mitüberschickt.

4) Circulaire du ministre (français) de la justice du 5 avril 1841 § 3.
5) Auslieferungsgesez vom 5. April 1868, Art. 2 bei Billot, p. 428.
6) Gesez vom 13. März 1870, Art. 2 al. 1.

7) Vgl. auch Haus Nr. 968, Note 3 und 4.

8) Entscheidung des Cassationshofes v. 12. März 1855 bei Goddyn uud Mahiel's p. 180 ff. Vgl. Bernard II, 414. Über die Gründe, welche Belgien bestimmten, von der Forderung eines Anklagebeschlusses abzugehen, vgl. Auslieferungspflicht und Asylrecht, S. 567 ff.

9) Anmerkung zu B. II. cap. 21, § 4.

19) Vgl. Annuaire V. p. 92 und p. 101 Nr. 21.

11) Vgl. die Uebersicht der Debatte über diese These im Annuaire V, 123 f. 12) Über die Würdigung der Strafausschließungsgründe überhaupt vgl. Aus. lieferungspflicht und Asylrecht, S. 444 ff.

13) Zum Ganzen vgl. Auslieferungspflicht und Asylrecht, S. 535-576.

§ 125.

Gang des Auslieferungsverfahrens.

Nach dem Rechte aller Staaten, auch jener, welche sich in eine Prüfung des Beweismateriales in gar keiner Richtung einlassen, wird eine Verpflichtung zur Auslieferung natürlich nur dann anerkannt, wenn die nach dem Vertrage mit dem requirirenden Staate geforderten besonderen Entstehungsbedingungen derselben vorliegen, wenn also die dem

requirirten Individuum zur Last gelegte That eines der im Vertrage aufgezählten Delicte constituirt (vgl. oben S. 476 ff.), wenn sie sich nicht als ein politisches Delict im Sinne des Vertrages darstellt und wenn keiner der von dem betreffenden Vertrage recipirten besonderen Ausschließungsgründe der Auslieferungspflicht vorliegt, die S. 511 ff. darge stellt worden sind. Die Aufgabe, über die Existenz oder Nichtexistenz dieser Bedingungen zu entscheiden, ist nun nach dem Rechte der einzelnen Staaten verschiedenen Behörden zugewiesen. In manchen Staaten fällt sie den Gerichten, in anderen den Verwaltungsbehörden zu und wieder in anderen theilen sich Behörden beider Kategorien in dieselbe. Es ist natürlich, daß das Recht jener Staaten, welche nur nach einer Prüfung des gegen das reclamirte Individuum vorgebrachten Beweises eine AusLieferung zugestehen, diese Prüfung des Beweises und damit überhaupt die Feststellung des Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins der Bedingungen der Auslieferungspflicht den Gerichten zutheilt. Ebenso begreiflich aber ist es, daß hinwiderum jene andern Staaten, deren Recht die Auslieferung als die bloße Vollstreckung eines ausländischen Haftbefehles behandelt, die Entscheidung über das Auslieferungsbegehren eines fremden Staates den obersten Verwaltungsbehörden, den an einer solchen Entscheidung betheiligten Ministerien, also dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten und dem der Justiz, übertragen. Die Frage nach dem Subjecte der Prüfung des Auslieferungsbegehrens steht also in einem gewissen Zusammenhange mit der anderen nach dem Objecte der Prüfung. Wir werden deshalb am besten thun, beide Fragen nicht von einander zu trennen und müssen daher nun den Gang der Verhandlungen über ein Auslieferungsbegehren des Näheren betrachten. Wir wollen zunächst nur den einfachsten Fall in's Auge fassen und alle Complicationen und Zwischenfälle späterer Erörterung vorbehalten.

Das Auslieferungsverfahren beginnt in der Regel damit, daß der Gesandte das requirirenden Staates bei dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten des Zufluchtstaates das Ansuchen stellt, seine Regierung möge das betreffende Individuum aufsuchen und festnehmen lassen und möge auf Grund der beigebrachten Urkunden dessen Auslieferung an die zur Uebernahme desselben von Seite des requirirenden Staates legitimirten Organe anordnen. 1)

Im Ministerium des Aeußern erfolgt denn auch nach dem Rechte der meisten europäischen Staaten die erste Prüfung der Frage, ob die Bedingungen der Auslieferungspflicht im concreten Falle vorliegen. Anders ist dies m. W. nur in der Desterreich-Ungarischen Monarchie und theilweise auch im Deutschen Reiche. Da nämlich die Gewährung der Auslieferung Sache nicht des Reiches, sondern der ein zelnen Staaten ist, so ist das gemeinsame Ministerium des Aeußern bez. das Reichskanzleramt nur eine Durchgangsstation für das Ansuchen des fremden Staates, ohne daß demselben ein Antheil an der meritorischen Entscheidung zustände.2) Nichtsdestoweniger muß ein Ansuchen um Ge

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