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so suchte man namentlich auf Congreffen, wo die Vertreter vieler Staaten zusammenkamen, nach Auskunftsmitteln, man ließ die Zeit der Ankunft des einzelnen Gesandten oder die Anfangsbuchstaben der Mächte nach dem Französischen Alphabet oder das Loos entscheiden, oder auch Abwechselung eintreten. Im Anschluß hieran verfiel der Portugiesische Minister Pombal 1760, zufolge eines neuen heftigen Rangstreites zwischen dem Französischen und Englischen Gesandten in Lissabon, auf den Gedanken, daß, um alle Weiterungen zu vermeiden, sämmtliche Gesandten an einem Hofe nach dem Datum ihres Beglaubigungsschreibens rangiren sollten, wobei nur denen des Papstes und des Kaisers der Vortritt beLassen werden solle. Dieser Vorschlag aber wurde mit allgemeiner Entrüstung verworfen, und der Wiener Hof, obwohl selbst seines Vorrangs sicher, meinte qu'une pareille absurdité ne méritait que le mépris et qu'il fallait se concerter pour anéantir cette prétention ridicule." (Mémoires de Malouet II p. 325 ff.)

Nichtsdestoweniger ist diese vermeintliche Absurdität zur allge. meinen Regel geworden. Auf dem Wiener Congreß versuchte man noch einmal eine Rangordnung der Staaten festzustellen; der am 9. Februar 1815 erstattete Bericht stellte drei Rangclassen auf, Spanien und Portugal waren für zwei, Lord Castleragh erklärte sich gegen den Grundsaß der Classenordnung überhaupt, von dem er nur neue Schwierigkeiten er wartete, Desterreich, Frankreich, Preußen, Schweden, Rußland waren wohl für die drei Classen, konnten sich aber über den Rang der großen Freistaaten nicht einigen. So verfiel man denn auf das von Pombal vorgeschlagene Auskunftsmittel, nicht die gekrönten Häupter selbst nach ihrem im Rath der Mächte anzuerkennenden Rang, sondern deren Vertreter je nach dem von der Regierung eines jeden ihm beigelegten Titel in Classen zn ordnen. Innerhalb derselben aber sollte der Vorrang sich nach dem Datum der amtlichen Beglaubigung bestimmen.

Das von den acht Mächten Desterreich, Spanien, Frankreich, Groß. britannien, Portugal, Preußen und Rußland unterzeichnete Règlement sur le rang des agents diplomatiques vom 30. Mai 1815 bestimmte, um alle Rangstreitigkeiten der verschiedenen diplomatischen Vertreter abzuschneiden:

Art. 1. Die diplomatischen Beamten sind in drei Classen getheilt, die der Botschafter, Legaten oder Nuntien, die der Gesandten, Minister und andern, welche beim Souverän beglaubigt sind, die der Geschäfts. träger, welche beim auswärtigen Minister beglaubigt sind.

Art. 2. Die der ersten Classe haben ausschließlich den repräsenta. tiven Charakter.

Art. 3. Die diplomatischen Beamten in außerordentlicher Sendung haben wegen dieses Charakters keinerlei Vorrang.

Art. 4. Die diplomatischen Beamten innerhalb jeder Classe rangiren nach dem amtlichem Datum ihrer Ankunft. Das gegenwärtige Re

glement wird keine Neuerung hinsichtlich der Vertreter des Papstes zur Folge haben.

Art. 5. In jedem Staate werden gleichmäßige Bestimmungen über den Empfang der diplomatischen Beamten jeder Classe getroffen.

Art. 6. Verwandtschaftliche Bande, Familien oder politische Bündnisse zwischen den Höfen geben deren Vertretern keinen Vorrang.

Art. 7. In den Acten oder Verträgen zwischen mehreren Mächten, welche das Alternat zulassen, wird unter den Ministern das Loos die Ordnung entscheiden, die bei der Unterzeichnung zu befolgen ist.

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Diese Bestimmungen, welchen die andern gekrönten Häupter beizutreten eingeladen wurden, fanden eine Ergänzung in dem Protokoll des Aachener Congresses vom 21. November 1818 über die Stellung der Minister Residenten: „Um unangenehme Erörterungen zu vermeiden, welche in Zukunft über eine diplomatische Etikettenfrage stattfinden könnten, welche das Annex des Wiener Recesses, durch welches die Rangfragen geordnet sind, nicht vorausgesehen zu haben scheint, ist zwischen den fünf Höfen festgesezt, daß die bei ihnen beglaubigten Minister Residenten hinsichtlich ihres Ranges eine Zwischenclasse zwischen den Ministern zweiter Ordnung und den Geschäftsträgern bilden werden.“ Dem Wiener Reglement zufolge zählen sie unzweifelhaft zur zweiten Classe: „und andern, welche beim Souverän beglaubigt sind", was keinen Sinn gehabt hätte, wenn es nicht auf die Minister Residenten sich be zogen hätte; sie haben auch seitdem stets durchaus dieselben Rechte gehabt, nur daß sie den Envoyés und Ministres-plénipotentiaires im Rang nachstehen. Angesichts des Wortlautes des Protokolls accrédités auprès d'elles" (den Höfen) ist es unverständlich, wie von einigen Schriftstellern darüber Zweifel erhoben werden konnten, ob die Minister Residenten bei dem Souverän oder nur bei dem Minister des Auswärtigen beglaubigt worden. Solche Zweifel haben in der Praxis nie bestanden, indem die Minister - Residenten stets beim Souverän beglaubigt sind. Alt z. B. . 119 stellt die Frage nur, weil er unrichtig S. 22 Minister-Residenten, Geschäftsträger und sogar Consuln mit diplomatischem Charakter in die dritte Classe zusammenwirft. England und Frankreich beglaubigen keine Minister Residenten und gewöhnlich geben kleine Staaten ihren Ver tretern diesen Rang. Im Ganzen haben diese Bestimmungen durchweg An. erkennung in der Praxis gefunden. Die Befürchtung, daß ein kleiner Souverän einen Gesandten erster Classe beglaubigen könnte, dem dann die Gesandten zweiter Classe von Großmächten nachzustehen hätten, wird, abgesehen von ökonomischen Gründen, welche dies verhindern, dadurch beseitigt, daß zur Beglaubigung eines Agenten auch die Zustimmung dessen gehört, der ihn empfangen soll. So nahm man unter der JuliMonarchie von großherzoglichen oder herzoglichen Höfen nur MinisterResidenten oder Geschäftsträger an, der Papst weigerte sich sogar, den Fürsten von Chimay 1846 als außerordentlichen Botschafter von Belgien zu empfangen. Im Allgemeinen entspricht sich der Rang der Vertreter,

welche sich die Staaten gegenseitig senden, nur größere gaben ihren Gesandten bei kleineren wohl einen höheren Rang als die lezteren bei ihnen haben, so hat z. B. Frankreich einen Botschafter in Bern, während die Schweiz in Paris nur durch einen Gesandten zweiter Classe vertreten ist. Im Ganzen find Weigerungen sich den Wiener Bestimmungen zu fügen nicht durchgedrungen; so erhielt der Oesterreichische Gesandte Esterhazy, welcher sich 1846 im Haag weigerte, dem vor ihm beglau bigten Gesandten des Herzogs von Nassau den Vortritt zu geben, von seinem Hofe Unrecht, ebenso 1824 der Schwedische Minister - Resident Graf Löwenhjelm in Constantinopel, welcher dem Sardinischen Gesandten Marchese Gropallo nicht weichen wollte, weil Schweden das Aachener Protokoll nicht mitunterzeichnet habe. Es hat sogar an einem dritten Hofe ein Gesandter einem früher beglaubigten nachzustehen, dessen Regierung von der seinigen nicht anerkannt ist, ein Fall der mehrfach zwischen den Gesandten Spaniens und der Amerikanischen Republiken vor Anerkennung dieser Staaten durch das Cabinet von Madrid und ebenjo zwischen Spanischen und Portugiesischen Gesandten und denen der nor dischen Höfe vorkam, welche die Königinnen Isabella und Maria noch nicht anerkannt hatten.

Nicht ganz klar ist die Stellung der Vereinigten Staaten. Wenn dieselben keine Botschafter senden, weil, wie ein Amerikanischer Schrift. steller meint, solche mit der Regierungsform unvereinbar seien, da die Nation doch nicht zugleich wie ein Souverän durch einen Botschafter vertreten werden könne, so ist das Sache ihres freien Entschlusses. Die Bestimmungen des Wiener und Aachener Congresses waren in das official register of the State Departement aufgenommen, so daß der neueste Schriftsteller über Amerikanische Diplomatie sagt, die Vereinigten Staaten hätten die selben formally accepted".) In den siebenziger Jahren weigerte sich indeß der Amerikanische Gesandte in Berlin, Mr. Bancroft, dem Briti schen Botschafter beim geschäftlichen Empfang im auswärtigen Ministerium den Vortritt zuzugestehen und die Deutsche Regierung gab ihm Recht.5) Verschieden ist die Frage beantwortet, wie der Rang zu regeln ist, wenn bei einem Thronwechsel oder einem Wechsel der Regierungs, form der Dynastie die schon beglaubigten Gesandten neue Creditive über geben. Das Reglement sagt nichts darüber, ob die alte Ordnung bleiben foll oder die Uebergabe der neuen Beglaubigung entscheiden soll. Nach der Julirevolution kamen die in Paris anwesenden Gesandten überein, die frühere Rangordnung beizubehalten und ebenso bei der Thronbesteigung des Königs Wilhelm I. von Preußen und Leopold II. von Belgien. Nach der Begründung des zweiten Kaiserreichs in Frank reich wurde die Priorität durch das Datum der neuen Creditive geregelt.

1) Marselaer: Legatus. 1663.,,Agentes aut Residentes, qui a minoris jurisdictionis et conditionis Principe aut sacramentis fidelitatis adstrictis, destinantur ad majores, aut vice versa.

2) Die Genesis giebt Leibniß gewiß richtig, indem er sagt, ein außer ordentlicher Gesandter werde nur dann vorgezogen, wenn derselbe,,certae rei orationisque causa“ geschickt werde und schon ein ordentlicher da sei, denn die Regel sei, daß von zwei übrigens sich gleichstehenden Dienern desselbigen Herrn der. jenige vorgehe, welcher zulezt komme; außerdem wurden zu außerordentlichen Sendungen vorzugsweise vornehmere Personen gewählt, aber dadurch wurde keineswegs eine besondere Kangclasse begründet: „,errant vero qui ordinarium ab extraordinariis specie dignitatis differre arbitrantur" (Caesarinus Fuerstenerius, De jure suprematus ac legationis principum Germaniae 1677 c. VI.) 3) Eugene Schuyler, American diplomacy 1886 p. 109.

4) Mr. Bancroft hat mir auf meine Anfrage die nachstehende Auskunft über den Fall gegeben. It was held by the representative of the United States, that the business of his government had the right to attention in its turn, irrespective of the rank of the official of another government, that from the antechamber of the Secretary of State an ambassador could not claim to be received before a minister who had been waiting for admission longer than he. This view was upheld by the German govern. ment. My colleagues expressed to me their pleasure at the establishment of the rule and gave me credit for obtaining it.<<

§ 157.

Gesandte erster Classe.

Dieselben haben ausschließlich den repräsentativen Charakter. Im Allgemeinen vertreten alle Gesandte ihren Staat und seine Interessen, die Botschafter aber gelten als persönliche Vertreter ihres Souveräns. Dies ist indeß doch nicht unbedingt zu verstehen. Nicht allein haben von jeher die großen Republiken das Recht geübt, Botschafter zu beglaubigen, wie früher Venedig, jezt Frankreich, das sogar bei einer andern Republik, der Schweiz, allein einen Botschafter unterhält, soudern auch bei Monarchieen ist der repräsentative Charakter, wie schon Leibniz sagt, nur ,,quantum fert ratio aut consuetudo" zu verstehen. Was die politischen Geschäfte betrifft, so ist daraus nicht ein Recht des Botschafters abzuleiten, dieselben unter Uebergehung des auswärtigen Ministers mit dem Souverän selbst zu verhandeln; wie Fürst Bismarck gewiß mit Recht bemerkte, hat kein Gesandter, auch nicht der Botschafter das Recht, eine persönliche Zusammenkunft mit dem Staatsoberhaupt zu fordern, und speciell kann in keinem Staate, welcher eine repräsentative Verfassung hat, der Souverän ohne den Rath seines verantwortlichen Ministers unterhandeln. Nur thatsächlich und namentlich bei absoluten Fürsten hat der leichtere Zu tritt, den ein Botschafter beim Souverän genießt, auch politische Wichtig. keit, wie man bei den persönlichen Verhandlungen Lord Stratfords mit dem Sultan 1853, des Preußischen Botschafters Grafen v. d. Golz mit Napoleon III. 1866 gesehen. Derselbe Grund aber spricht seitens des Empfangs. staates dagegen; wenn ein Minister des Auswärtigen gewärtig sein muß, Handbuch des Völkerrechts III.

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daß, was er mit einem Gesandten ausgemacht, durch Unterredungen desselben mit dem Souverän umgestoßen wird, so wird eine folgerichtige Politik unmöglich. Friedrich der Große wollte daher keine Botschafter haben, weil sie ihm unbequem waren. Im Uebrigen sind ihre Vorrechte nur Ehrenrechte; nur ihnen kommt im diplomatischen Verkehr der Titel Excellenz zu, sie werden in besonders feierlicher Weise vom Souverän empfangen, haben das Recht denselben einzuladen und den ersten Besuch aller Gesandten unteren Ranges zu erwarten; indeß, wenn sie auch bei Hofe grundsäglich Anspruch auf den ersten Plaß haben, weichen sie doch stets den Prinzen von königlichem Geblüt und in diplomatischen Häusern auch dem auswärtigen Minister.

Da das Wiener Reglement hinsichtlich der Vertreter des Papstes nichts neuern will, so ist unter den Gesandten erster Classe den Legaten und Nuntien der Vortritt gelassen, und hierin ist auch durch den Verlust der weltlichen Herrschaft nichts geändert, da offenbar dies Vorrecht nicht dem Souverän des Kirchenstaates, sondern dem Papste als Oberhaupt der katholischen Kirche belassen war. Die Legaten sind außer ordentliche Botschafter des Papstes, die aus den Cardinälen gewählt werden, die Nuntien sind die ordentlichen Botschafter. Früher hatten die Päpste ihren ständigen Vertretern dadurch eine bedeutsame Stellung gegeben, daß sie ihnen eine weitreichende Jurisdiction übertrugen; sie wurden dem Episcopat vorgesezte Behörden, von denen nur an den Papst appellirt werden konnte. Frankreich duldete dies indeß niemals, und die Anmaßungen der päpstlichen Nuntiaturen in Köln, Wien, Brüssel, Luzern, Warschau führten zu einem allgemeinen Widerstand; nach der Errichtung einer Nuntiatur in München protestirten die deutschen Bischöfe auf dem Emser Congreß 1786 gegen die Eingriffe der Nuntien in ihre Befugnisse, und Josef II. entzog den Nuntien jede Jurisdiction. In Frankreich müssen dieselben vor ihrer Beglaubigung ihre Vollmacht vorlegen, damit die Regierung prüfen kann, ob dieselbe dem Concordat entspricht, und es wird streng darauf gehalten, daß der Nuntius mit Ausnahme des Informationsprocesses bei der Bischofsweihe sich in keiner Weise in innere kirchliche Angelegenheiten mische. Als 1824 derselbe nur den Französischen Bischöfen den Tod des Papstes und die Wahl seines Nachfolgers anzeigte, erließ die Regierung ein Circular an die Bischöfe, welches dieselben erinnerte, daß der Nuntius nur die Functionen eines Botschafters versehe und sich wie alle Gesandte nur mit dem auswärtigen Minister in Verbindung sehen könne, und als 1870 der Nuntius im päpstlichen Auftrag Adressen beantwortete, welche dem Papst aus Anlaß des Concils aus Frankreich gesandt waren, wurde dies im Journal officiel" als unzulässiger Uebergriff gerügt.

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