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machen, wenn sie von dem ihnen in § 383 ZPO., § 52 StrPO., § 188 MilStrPO. gewährten Rechte der Zeugnisverweigerung keinen Gebrauch machen und Zeugnis ablegen. Sie befinden sich mit dieser Auffassung allerdings in Uebereinstimmung mit der in der Rechtswissenschaft herrschenden Meinung, deren Berechtigung aber sehr zweifelhaft erscheint.

§ 300 StrGB. straft u. a. Aerzte, wenn sie unbefugt Privatgeheimnisse offenbaren, die ihnen kraft ihres Amtes, Standes oder Gewerbes anvertraut sind. Nach den Bestimmungen der Prozefsgesetze sind die Aerzte (wie auch eine Reihe anderer Personen) in betreff der Tatsachen, auf die sich ihre Pflicht zur Verschwiegenheit bezieht, zur Zeugnisverweigerung berechtigt. Olshausen, StrGB. § 300 No. 9, erachtet eine Offenbarung dann nicht für unbefugt, d. h. für widerrechtlich, wenn gesetzliche Bestimmungen eine Offenbarung auch ohne Zustimmung des Anvertrauenden gebieten oder für zulässig erklären. Er führt aus, dafs sich daraus, dass die Prozefsgesetze die betr. Personen zur Verweigerung des Zeugnisses nur für berechtigt erklären, ergebe, dafs die Offenbarung des Geheimnisses bei der Zeugnisablegung nicht widerrechtlich sei. Die gleiche Ansicht wird u. a. vertreten von Oppenhoff, StrGB. § 300 No. 9, Haelschner, D. gem. dtsch. Strfr. Bd. II S. 218, Flügge, Das Recht des Arztes S. 69, Litten in: Monatsschrift f. Kriminalpsychologie u. Strafrechtsreform, 1904, S. 55, Placzek, Das Berufsgeheimnis des Arztes, S. 7, Flesch-Wertheimer, Geschlechtskrankheiten u. Rechtsschutz. Zu demselben Ergebnis gelangt Löwe-Hellweg, StrPO. § 52 No. 18, nachdem er den zutreffenden Satz vorangeschickt, dafs das Gesetz die gedachten Personen nur zur Verweigerung des Zeugnisses für „berechtigt“ erkläre und es ihrem pflichtmäfsigen Ermessen überlasse, ob sie Zeugnis ablegen wollen. Diese wie die Olshausensche Begründung können nur dahin verstanden werden, dafs der Gesetzgeber, da er die Zeugnisablegung nicht verboten hat, die in dem Zeugnis betätigte Offenbarung nicht für widerrechtlich habe erachten können, wobei sich Loewe-Hellweg auch noch auf die Entsch. d. RG. in Strafs. Bd. 19 S. 364 beruft. Die Schlüssigkeit dieser Begründung leuchtet nicht ein; ihre Unrichtigkeit wird aber m. E. aus der Entstehungsgeschichte des § 383 ZPO. und § 52 StrPO. klar dargetan. Petersen-Anger, ZPO. § 383 No. 6, tritt der herrschenden Auffassung, allerdings ohne Begründung, mit der Bemerkung entgegen: „Eine Person, die Tatsachen mitteilt, zu deren Geheimhaltung sie verpflichtet ist, kann sich strafbar machen", und von Schwarze, StrGB. § 300 No. 5, nimmt insofern eine unbestimmte Stellung ein, als er den Nichtgebrauch des Rechtes der Zeugnisverweigerung als nicht ohne weiteres hinreichend erklärt, um das Zeugnis als eine unbefugte Offenbarung zu bezeichnen.

Gewifs kann der Gesetzgeber in einer Prozefsordnung für einen dort vorgesehenen Fall ein im StrGB. mit Strafe bedrohtes Verhalten für straflos

erklären, und es wird dies um so anstandsloser geschehen können, wenn das StrGB. das ältere Gesetz ist. Aber dieses Ergebnis muss dann entweder im Wortlaute des Prozefsgesetzes Ausdruck finden oder sich aus seinem Inhalte mit Notwendigkeit ergeben. Ersteres ist nicht geschehen, und aus dem sachlichen Inhalt erhellt keineswegs, dafs man das Anwendungsgebiet des § 300 StrGB. hat einschränken wollen, und aus der Entstehungsgeschichte der Prozefsgesetze ergibt sich das Gegenteil.

Die Begründung des Entwurfs der ZPO., der die Bestimmung des § 383 bereits enthielt, bemerkt (S. 252), dafs der preufs. Entw. § 463, Württemberg Art. 467, Bayern Art. 400, Hannover § 252, Baden § 481, hannov. Entw. § 328 diese Zeugen überhaupt als unzulässig bezeichnen und fährt dann fort: Eine derartige allgemeine Vorschrift erscheint entbehrlich, weil das Strafgesetz und . . . . gegen Indiskretionen der zum Zeugnisse vorgeschlagenen Personen genügend sichern", nachdem sie vorher schon hervorgehoben hat, dafs die Bestimmung mit § 300 RStrGB. im Einklang stehe. Diese letztere Bemerkung würde widersinnig sein, wenn man mit § 383 eine Einschränkung des § 300 RStrGB. bezweckt hätte. Wenn die herrschende Meinung zutreffend wäre, so würde der letzte Abs. des § 383 unverständlich sein, der es dem Richter zur Pflicht macht, die Vernehmung, auch wenn das Zeugnis nicht verweigert wird, auf Tatsachen nicht zu richten, ,,in Ansehung welcher erhellt, dafs ohne Verletzung der Verpflichtung zur Verschwiegenheit ein Zeugnis nicht abgelegt werden kann"; denn wenn die Aussage straflos macht, dann gibt es eben solche Tatsachen nicht. Es darf hier ferner darauf hingewiesen werden, dafs es einfach in die Hand der Parteien gelegt wäre, den § 300 RStrGB. für ein wesentliches Anwendungsgebiet aufser Kraft zu setzen. Denn da das Gericht das Zeugnisverweigerungsrecht nicht von Amts wegen zu berücksichtigen, ja den Arzt nicht einmal über dieses Recht zu belehren, und es andererseits die für erheblich erachteten Beweise, die die Parteien angetreten haben, zu erheben hat, so wird es den Arzt, wenn die Behauptung erheblich ist, zum Zeugnis aufrufen, und seine Aussage würde also lediglich deshalb straflos sein, weil eine Partei ihn als Zeugen benannt hat. Dafs der Gesetzgeber gegenüber dem § 300 RStrGB. dieses Ergebnis nicht gewollt hat, würde man auch bereits annehmen können, wenn er sich darüber ausgeschwiegen hätte. Er bezeichnet aber in der Begründung ausdrücklich iene Strafbestimmung als ausreichende Sicherheit gegen etwaige Indiskretionen. Dies kann doch nur dahin verstanden werden, dafs er es dem Arzte überlassen wolle, ob er aussagen wolle, und er es mit sich abzumachen habe, ob er durch seine Aussage den § 300 StrGB. nicht zu verletzen glaube, oder ob andere Gründe ihn veranlassen, seine Aussage zu machen, obwohl er sich der Gefahr der Bestrafung aussetzt. Diese von Löwe ausgesprochene Auffassung (die mit seinem, oben wiedergegebenen Endergebnis kaum zusammenstimmt) teilt das RG.

im Urt. Bd. 19 S. 365, wo ferner zutreffend bemerkt wird, dafs es vom Standpunkte des Prozefsrichters gleichgültig sei, ob der aussagende Arzt befugt oder unbefugt handle. Der Gesetzgeber der ZPO. hat eben darüber, ob eine Aussage straflos sei oder nicht, gar keine Entscheidung treffen wollen. Da man die oben dargelegte Folgerung, dafs die Straflosigkeit der Aussage in die Hände der Parteien gegeben sei, ohne weiteres wird ausschliefsen müssen, so würde mindestens anzunehmen sein, dafs der Gesetzgeber, wenn er die Straflosigkeit der Aussage gewollt hätte, dem Richter die Prüfung darüber zugewiesen hätte, ob der Arzt die Aussage ohne Verletzung des § 300 StrGB. machen könne, und ob er mit Recht von seinem Weigerungsrechte Gebrauch mache. Ersteres hat der Gesetzgeber absichtlich nicht getan, und die letztere Prüfung ist dahin beschränkt, dafs der Arzt nur glaubhaft zu machen hat, dafs ihm das, worüber er aussagen soll, nur bei Ausübung seines Berufes anvertraut worden und er auf keine andere Weise davon Kenntnis erlangt habe (s. Löwe-Hellweg, StrPO. 55 Anm. 1).

Den umgekehrten Weg schlug der Entw. der StrPO. ein, indem er unter die zur Zeugnisverweigerung berechtigten Personen die Aerzte überhaupt nicht aufnahm und damit den von der herrschenden Meinung geltend gemachten Grund für die Straflosigkeit ihrer Aussage, soweit sie gegen § 300 StrGB. verstofsen würde, klar ausschlofs. Sie wurden aber in der Kommission I. Lesung (Prot. S. 42) infolge zweier Anträge mit der Begründung eingeschoben, dafs der Arzt gerade wegen der Strafandrohung des § 300 StrGB. von der allgemeinen Zeugnispflicht befreit bleiben solle, um ihm die Stellung des Vertrauensmannes zu erhalten, da man sonst das öffentliche Wohl schädige, indem man die Hilfesuchenden zur Zurückhaltung nötige. Ein pflichtgetreuer Arzt werde sich lieber wegen Zeugnisverweigerung strafen lassen, als Aussagen machen, die eine Diskretionsverletzung enthalten (s. a. Prot. II. Komm. S. 805). Auch hier hat niemand daran gedacht, dem aussagenden Arzte gemeinhin Straflosigkeit zuzusichern, sondern man hat ihn lediglich zum Schutze des Gemeinwohls aus der Zwangslage befreien wollen, wegen Eides weigerung bestraft zu werden, weil er in Beobachtung des § 300 StrGB. seine Aussage verweigert. Zu der gleichen Ansicht gelangt, unter Berufung auf die Motive der ZPO., Liebmann in seiner lesenswerten Schrift: Pflicht des Arztes zur Bewahrung anvertrauter Geheimnisse“ (S. 9), und ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich das Urteil des RG. in Z.-S. Bd. 53 S. 315 in seiner Anmerkung S. 317 in gleichem Sinne verwerte, die sich auch dagegen ausspricht, dafs man die zit. Entsch. in Str.-S. (Bd. 19 S. 365) zugunsten der herrschenden Meinung auslege.

„Die

Die Aerzte werden also darauf Bedacht nehmen müssen, bei ihrer Entschliefsung, ob sie als Zeugen aussagen wollen, sorgsam zu prüfen, ob § 300 StrGB. dem nicht entgegensteht.

Ein für das neue bürgerliche Recht wichtiger Fall aus dem corpus juris. Von Dr. jur. Richard Samter, Charlottenburg. In 1. 88 D. 46, 3 ist folgendes zu lesen:

"

Eine Mutter hatte die Geschäfte ihrer Tochter, Erbin des testamentlos verstorbenen Vaters, geführt und mit dem öffentlichen Verkauf von Vermögensbestandteilen Bankiers betraut, und zwar wufsten diese, wie aus ihrem Kontokorrentbuch selbst hervorgeht, dafs es sich um Vermögen der Tochter handle. Der Gesamterlös wurde von den Bankiers der Mutter ausbezahlt, und diese vollzog noch nach der Auszahlung etwa 9 Jahre lang alle erforderlich werdenden Rechtshandlungen im Namen der Tochter, verheiratete sie dann und antwortete ihr das Vermögen aus. Es wurde beim Juristen Scaevola angefragt, ob die Tochter irgendwie gegen die Bankiers klagbar werden könne, da nicht sie, die Eigentümerin, sondern ihre Mutter den Taxpreis der zum Verkauf gegebenen Vermögensbestandteile festgesetzt habe. Der Jurist antwortete: Was die Frage anbelange, ob mit besagter Auszahlung die Bankiers haftungsfrei geworden seien, so antworte er: ja. Ein anderer Jurist, Claudius (Tryphoninus) bemerkt: Ei, hier ist durch die Beweisanordnung die Frage offen gelassen worden, ob ihre Auszahlung bona fide geschah. Wufsten sie, dafs der Mutter das Verwaltungsrecht nicht zustand, so kommen sie nicht frei, vorausgesetzt, dafs nicht das Vermögen der Mutter zur Deckung des Schadens ausreicht."

Der Sachverhalt bietet keine erheblichen juristischen Schwierigkeiten. Die actio doli, um die es sich den Bankiers gegenüber handelt, war nur in subsidio zulässig, weshalb Tryphonin für ihre Anwendbarkeit fordert, dafs die Mutter frustra excussa sei; er scheint dabei zu übersehen, dafs die actio doli zu ihrem wesentlichsten Teil bereits verjährt war, was sich aus der Zeitangabe zusammen mit der reichlichen Ueberschreitung der Pubertätsgrenze (c. 5 § 1 C. 2, 40) ergibt, und nur noch die Rückforderung der Provision (id quo locupletiores facti sunt) übrig liefs. Was Scaevolas Stellungnahme betrifft, so ist sie dahin aufzufassen, dafs der Meister zwar den dolus der Bankiers nicht für erwiesen hält (köstlich ist in dem knappen: idque ipsum codice conscriptum est" der Seitenblick auf die Torheit, die darin läge, sich selber einen Strick zu drehen), aber doch seine Zweifel an der bona fides jener mit den juristischen Grundbegriffen gewifs vertraut gewesenen Grofskaufleute nicht unterdrücken kann, vielmehr durch den Hinweis auf die ohnehin eingetretene Verjährung, gegen die in integrum restitutio zu gewähren er nach Lage des Falles ablehnen würde, behebt. Beide Juristen aber stimmen darin überein, dafs sie die Mutter negotiorum gestorum für haftbar erklären, und zwar der taktvolle Respondent verblümt und zwischen den Zeilen, der an keine Rücksicht gebundene Kommentator mit rückhaltloser Offenheit.1)

1) Kann denn nicht die Tochter gegen die Bankiers mit a. neg. gest. klagen? Nein; denn die Mutter hat durch ihr ganzes späteres

Wenn ein juristischer Schriftsteller es heute unternimmt, eine corpus-juris-Stelle zum Ausgangspunkt einer Erörterung in einer nicht rechtsgeschichtlichen Zeitschrift zu machen, so kann es nicht der darin enthaltene Rechtsstoff sein, der ihm den Anlass dazu gibt, sondern nur der Kreis der in ihr aufgespeicherten, rechtlich bedeutsamen Tatsachen. Das corpus juris hat aufgehört, unmittelbare Gesetzeskraft in irgend einem Teile Deutschlands zu besitzen; es hat nicht aufgehört, ein unschätzbarer Niederschlag praktischer Lebenserfahrung zu sein. Soviel Rechtsfälle, soviel Dokumente des Lebens! Das herrliche Wort des Thukydides, dafs sein Werk, die Geschichte des peloponnesischen Krieges, denen dienen solle, die in geschehenen Dingen den Mafsstab zur Würdigung künftiger, nach dem Lauf der Welt einst ebenso oder ähnlich sich abspielender Ereignisse erblicken, dies Wort trifft auch auf unser, der Juristen, tuz

dazu und auf das mitgeteilte Bruchstück insbesondere. Fürwahr, jene paar Zeilen, die auf den ersten Blick so nüchtern-sachlich anmuten, erweisen sie sich nicht bei näherem Zusehen als ein echter Goethescher Griff ins volle Menschenleben? Der Vater, der sein Haus nicht bestellt hat, die Mutter, die mit dem Optimismus der Unwissenheit sich in Dinge stürzt, die sie nicht übersieht, die Bankiers, die gegen die publica utilitas ihres Berufs fehlen, das Aufbegehren der grofs gewordenen Tochter, hinter der wir, wenn uns nicht alles täuscht, den Herrn Schwiegersohn stehen sehen, und endlich die tragische Aussicht eines Familienzwists, die durch den Hinweis des Juristen auf den zulässigen Rückgriff gegen die Mutter eröffnet wird, sind das nicht Gestalten und Bilder von geradezu packender Lebenswahrheit?

Aber wie kann das thukydideische: „ebenso oder ähnlich" in unserem Falle Platz greifen, da doch die altrömische Mutter, wie aus der Stelle selbst hervorgeht, kein Verwaltungsrecht am Kindesvermögen besafs, während ihre neudeutsche Schicksalsgenossin die Rolle des Vaters fortsetzt, d. h. die elterliche Gewalt mit dem daraus entspringenden Verwaltungs- und Nutzniefsungsrecht am Kindesgut übernimmt? Darauf ist zu erwidern, dafs die Aehnlichkeit zunächst auf wirtschaftlichem Gebiet besteht. Während vor dem 1. Jan. 1900 der Staat von selbst einschritt und unter allen Umständen den vaterlosen Waisen einen geschäftskundigen Vormund oder Gegenvormund bestellte, huldigt er heute mehr dem Grundsatz des Geschehenlassens, wie vor 1800 Jahren der römische Staat, der seine puberes minores nur mit ihrem Willen unter Kuratel stellte und selbst das UnVerhalten (quidquid agendum erat, nomine pupillae egit) sattsam bewiesen, dafs sie die Lenkerin der Vermögensschicksale ihres Kindes war. Die Bankiers waren nur das vorübergehende Werkzeug, dessen sie sich zum Zwecke ihrer negotiorum gestio bediente. Das schliefst natürlich deren Haftung ex dolo nicht aus. Cebrigens lehrt unsere Stelle, dafs die Frage, ob beim tempus utile Unkenntnis zu berücksichtigen sei (Windscheid I § 104 Anm. 7), sich jedenfalls da nur von Fall zu Fall entscheiden läfst, wo die Klage überhaupt causae cognitio erforderte.

bevormundetsein der impuberes nicht von der Wurzel aus, durch unaufgefordert eintretenden staatlichen Zwang, zu verhüten wufste. Die gleiche wirtschaftliche Ursache aber (die Annahme des Grundsatzes laisser faire laisser aller in der gesetzgeberischen Behandlung vaterloser Minderjähriger) mufs auch die gleichen wirtschaftlichen Folgen nach sich ziehen, heute wie zur Römerzeit. Will man diese Aehnlichkeit zwischen klassischer Zeit und modernster Entwickelung greifbar hervortreten sehen, so gibt der Text unserer corpus-juris-Stelle ein vortreffliches Mittel dazu ab. Ersetzen wir hier nämlich den Begriff Vermögensbestandteile durch den engeren Begriff Wertpapiere, denken wir uns statt jener Bankiers moderne finanzielle Ratgeber von gleicher Gewissenhaftigkeit, und vertauschen wir schliefslich das Faktum des niedrigen Taxpreises der zum Verkauf gegebenen Vermögensbestandteile mit dem Tatbestand, dafs für des Vaters gute sichere Papiere der Gegenwert in Schwindelpapieren gefunden wurde, zu deren Anschaffung die Mutter, ebenso gesetzesunkundig oder gesetzesuneingedenk wie ihre römische Vorgängerin, durch die Vorspiegelung höheren Zinsgenusses sich bereden liefs, so sehen wir den Ursprung künftiger Vermögensverluste im Spiegelbilde eines antiken Familienschicksals täuschend vor uns, und Ben Akiba behält abermals recht!

Indessen, die Aehnlichkeit ist nicht auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise beschränkt, vielmehr regt unsere corpus-juris-Stelle unmittelbar zu der Frage an: Unter welchen Voraussetzungen wird eine Mutter ihrem Kinde schadensersatzpflichtig, wenn sie es unterlässt, die Bestellung eines Beistandes und erforderlichenfalls die Uebertragung der Vermögensverwaltung an ihn auf Grund der §§ 1687 Z. 2 und 1693 zu beantragen? Die Frage spitzt sich dahin zu: Unter welchen Voraussetzungen muss das Nichterbitten des Beistandes als grobe Fahrlässigkeit der Mutter (§ 277) gelten? Die Mutter ist keineswegs schon dadurch gedeckt, dafs das Vormundschaftsgericht es nicht für nötig findet, ihr von Amts wegen einen Beistand zu bestellen. Denn nicht nur lässt die Bestimmung des § 1687 Z. 3 dem diskretionären, also auch anderen als rein juristischen Erwägungen offenen Ermessen des Richters breiten Spielraum (das Gesetz sagt nicht: „wenn die Bestellung nötig ist", sondern: wenn das Vormundschaftsgericht die Bestellung für nötig erachtet"), sie gibt noch obendrein diesem diskretionären Ermessen eine nur in schwankenden Umrissen gehaltene Unterlage. Denn jedermann sieht ein, dafs „der Umfang oder die Schwierigkeiten der Vermögensverwaltung", objektiv betrachtet, mäfsig sein können und doch in der Persönlichkeit der Mutter der stärkste Anlafs zur Bestellung des Beistandes gegeben sein kann. Dies fühlte auch der Gesetzgeber selbst heraus (Protokolle Bd. 4 S. 613), und darum drückte er in der zweiten Lesung die eben angeführten Worte zu blofsen Beispielen herab und setzte als eigentliche Norm die Worte davor: „aus

besonderen Gründen". Schade nur, dafs diese besonderen Gründe, wenn sie eben in der mangelhaften Vorbildung der Mutter für die Vermögensverwaltung bestehen, meist erst dann zur Kenntnis des Vormundschaftsrichters gelangen, wenn die durch sie hervorgerufene Schädigung des Kindesvermögens bereits erfolgt ist! Gerade in der zuwartenden Stellung, die das heutige Gesetz dem Vormundschaftsrichter anweist im Gegensatz zu früheren Zeiten, gerade darin steckt die Gefahr für das Kindesgut. Um so schwerer liegt unter solchen Umständen der Mutter die Pflicht ob, wenn sie sich ihrer Unzulänglichkeit in Vermögensverwaltungssachen bewufst geworden ist (oder bei Anwendung gehöriger, d. h. grobe Fahrlässigkeit vermeidender Aufmerksamkeit bewusst werden mufste), ungesäumt das Mittel zu ergreifen, das ihr das Gesetz darbietet; sie mufs dies Mittel ergreifen, noch bevor sie Lehrgeld aus der Tasche ihres Kindes zahlt. Ob freilich diese Pflicht bis zu dem Grade besteht, dafs ihre Nichterfüllung als grobe Fahrlässigkeit der Mutter angesehen werden mufs, ist eine nur nach der Lage des einzelnen Falles zu entscheidende Frage. Sie wird unbedenklich dann zu bejahen sein, wenn das Gericht seine Zweifel der Mutter gegenüber eindringlich geäufsert und sie auf das vom Gesetz ihr an die Hand gegebene Mittel hingewiesen hat. Dagegen wird die Tatsache, dafs die Mutter bei der Vermögensverwaltung den Rat eines ihr nahestehenden Verwandten oder Bekannten eingeholt hat, einen Befreiungsgrund für sie abgeben, wofern sie nicht in der Wahl des Ratgebers selbst eine grobe Fahrlässigkeit beging.

Wir haben bisher die wirtschaftliche und die juristische Ausbeute unserer corpus-juris-Stelle betrachtet; es erübrigt eine dritte, die administrative. Auch in dieser Hinsicht spricht die Gestalt jener Römerin mit ihrer Unwissenheit auf rechtlichem und finanziellem Gebiet Bände. Es handelt sich aber heute darum, zwei ganz verschiedenen Forderungen gerecht zu werden. Auf der einen Seite ist es ein unerträglicher Gedanke, dafs das uneheliche Kind in seinem Vermögen geschützter sein solle, als das vaterlose eheliche; denn jenem haftet der Vormund für jegliche Fahrlässigkeit, dieses kann Ansprüche gegen die Mutter nur aus grober Fahrlässigkeit, ihren gegen nicht vorsätzlich schädigenden Ratgeber überhaupt nicht geltend machen. Auf der anderen Seite hiefse es, den Zug der Zeit verkennen, wollte man den Lerneifer der heutigen Frau, ihr Ringen um selbständige Erfassung der ihr gestellten Lebensaufgabe künstlich unterbinden. Die Lösung dürfte darin zu finden sein, dafs dem Beistand mehr und mehr nicht die Rolle des dauernden Beraters, sondern die eines zeitweiligen Einführers der Mutter in das ihr fremde Gebiet der Vermögensverwaltung zugewiesen wird. Vielleicht können wir noch einen Schritt weiter gehen und sagen: So gut, wie es berufsmässige Konkursverwalter gibt, müfste es auch berufsmässige Beistände geben. Wird solchergestalt diese Schöp

fung unseres Gesetzbuches, soweit sie Vermögenspflege bezweckt, auf ein vorwiegend geschäftliches Niveau gebracht, gewöhnt sich die deutsche Frau daran, in dem Beistand einen bezahlten Beauftragten zu sehen, der mehr Angestellter als Respektsperson für sie ist, so werden zweifellos weit mehr gebildete Frauen als bisher geneigt sein, den Antrag auf Bestellung eines Beistandes von sich aus zu stellen. Ja, selbst kinderlose Frauen und andere geschäftsunkundige Personen würden kein Bedenken tragen, aus freien Stücken an diese öffentlich beglaubigten Personen sich zu wenden, um von ihnen in die Geheimnisse der Vermögensverwaltung eingeweiht zu werden. So könnte das neue Rechtsgebilde weit über den ursprünglich gedachten Umfang hinaus ein Segen für den gesamten Volkswohlstand werden.

Juristische Rundschau.

Kleine Ursachen, grofse Wirkungen! Der jüngste Berliner Schulstreit mag einem verhältnismässig unbedeutenden Anlafs entsprungen sein. Aber zu einem tiefgehenden Konflikt zwischen Gemeinde und Staat hat er sich verschärft. Das Provinzialschulkollegium verbietet jede Verwendung der Schulräume, für welchen Zweck es auch sei, ohne seine Genehmigung. Damit ist der Gemeinde die selbstständige Verfügung über die Gemeindeschulen, die schon durch das Wort als ihr Eigentum gestempelt sind, entzogen. Welches ist die Rechtslage? Das preufsische Schulrecht ist in einem chaotischen Zustande. Die Verheifsung auf das besondere Unterrichtsgesetz (Art. 26 V.-U.) ist unerfüllt geblieben. Aber folgende Sätze dürfen Geltung fordern. Die Stadtgemeinde ist Eigentümerin der Schulgebäude. Diese sind einem bestimmten Zwecke gewidmet, dem Schulbetriebe. Diesem Zwecke dürfen sie nicht entfremdet werden. Geschähe es, so könnte der Staat vermöge seines unbestrittenen Aufsichtsrechts eingreifen. Aus dem Aufsichtsrechte folgt aber nicht, dafs der Eigentümer die Genehmigung zu jeder Verwaltungshandlung, zu jeder Verwendung der Räume in der schulfreien Zeit einholen müsse. Aufsicht und Verwaltung sind rechtlich zweierlei. Der Eigentümer verwaltet. Nimmt die Behörde das Recht der Genehmigung in jedem Einzelfalle in Anspruch, so bedeutet dies, dafs nicht sowohl die Aufsicht, als die Verwaltung selbst von ihr ausgeübt wird.

Mit obigen Grundsätzen steht nicht nur eine Uebung durch drei Menschenalter, mit ihnen stehen auch die Rechtsquellen im Einklang. Bei Errichtung der Schuldeputation für Berlin (Verord. v. 20. 6. 1829) ist die äufsere Verwaltung der Gemeindeschulen, zu der sicherlich die Hergabe der Schulhäuser aufserhalb der Unterrichtszeit gehört, dieser Deputation unter Aufsicht des Magistrats überwiesen worden. Ebenso hat nach § 56 No. 3 und 5 der Städte-Ord. v. 30.5. 1853 der Magistrat „die städtischen Gemeindeanstalten, ferner das Eigentum der Stadtgemeinde zu verwalten und ihre Rechte zu wahren". Der § 18 der Instr. v. 23. Okt. 1817, auf den die Regierung sich stützt, ist durch die spätere staatsrechtliche Entwicklung überholt. Die Gemeinde ist aber nicht souverän. Sie untersteht mit ihrer gesamten Ver

waltung der staatlichen Aufsicht (§ 76 a. a. O.), die durch die Kommunalaufsichtsbehörden, in letzter Instanz den Minister des Innern, geübt wird. Die Verfügungen dieser Behörden sind im geordneten Verwaltungsstreitverfahren angreifbar, die der Schulaufsichtsbehörden und des Kultusministers aber nicht. Lag nicht bei der geschilderten Rechtslage aller Anlafs vor, denjenigen Weg zu wählen, der den Streitfall zur Entscheidung vor einen unabhängigen Richter gebracht hätte? Hat Gneist vergeblich gewarnt vor dem Verfahren der Umkehrung der Gesetze durch die Verwaltung"? Welches auch das Ziel dieser Mafsnahmen sei, ihr Erfolg ist offenbar die Verkümmerung der Selbstverwaltung, der freien Entfaltung der lebendigen Kräfte des kommunalen Lebens, die Stadt und Vaterland aus dunklem Abgrund auf lichte Höhe geführt haben. Deshalb hat die unerschrockene Wahrung des Rechtsstandpunktes Bedeutung weit über den Einzelstreit hinaus.

Kompetenzübergriffe, die in der Verwaltungspraxis häufiger sind, sollte der Richter, der Hüter des Rechts, vor allem scheuen. Aber aus Ost und West, aus Bromberg und Aachen, werden Abschiedsansprachen gemeldet, in denen die Vorsitzenden von -Schwurgerichten eine Kritik an den Freisprüchen der Geschworenen und der ganzen Einrichtung der Schwurgerichte übten. Die Schwurgerichte ), seien unhaltbar und die Zeit hoffentlich nicht mehr allzufern, wo mit dem alten Zopf gebrochen werden würde? Man mag von den Schwurgerichten denken, wie man will. Diese Kritik ist ungerecht, denn sie hängt dem Freigesprochenen einen Makel an. Sie ist unzulässig, denn sie entbehrt jeder Stütze im Gesetz. Sie ist ein Mifsbrauch der sella curulis, weil zu unrechter Zeit und am unrechten Orte geübt. In die Tages- und Fachpresse, in die Parlamente gehört ein solcher Vorstofs. Und soll er dem Ansehen der Rechtspflege nützen? Wenn eine Richterbank die andere schilt, wird im Volk das Vertrauen zu beiden erschüttert.

Eindringliche Mahnungen predigt der Hamburger Prozefs gegen die Engelmacherin Wiese mit seinen grauenerregenden Enthüllungen. Die Rechtslage der unehelichen Kinder gilt es zu verbessern. Die Mutter ist in den Städten fast immer genötigt, das Kind in Pflege" zu geben. Wenig kann sie dafür aufbringen. Die einmalige Vergütung, wenn sie hoch kommt: wenige hundert Mark, besiegelt das entsetzliche Schicksal dieser Kostkinder. Vormundschaftliche Aufsicht und freie Liebestätigkeit können nur in einzelnen Fällen Hilfe schaffen. Das Gesetz mufs die Alimentationspflicht des unehelichen Vaters verstärken, ihn nach seinen Vermögensverhältnissen zur Fürsorge für das Kind verpflichten. So wird es vielleicht möglich sein, in etwas bethlehemitischer Kindesmörderei zu steuern. Justizrat Dr. J. Stranz, Berlin.

Vermischtes.

Der Streit um die Hibernia. Die Rechtsfragen, die sich an die viel erörterte Angelegenheit bez. der Verstaatlichung der Bergwerksgesellschaft Hibernia knüpften, sind S. 953 d. Bl. einer Nachprüfung durch Prof. Dr. Rehm unterzogen worden, der auch in dieser Nr. S. 1028 in Gemäfsheit der durch die neue Generalversammlung ver

änderten Sachlage die neuesten Vorkommnisse beleuchtet. Nunmehr ist am 15. Oktober 1904 der Beschluss des Kammergerichts (I. Ziv.-Senat) in der Registersache ergangen. Bekanntlich batten die Dresdner Bank und zwei andere Aktionäre der Hibernia nach Hinterlegung von 1/20 des Grundkapitals bei Vorstand und Aufsichtsrat den Antrag gestellt, auf die Tagesordnung der neu einzuberufenden Generalversammlung unter anderem zu setzen: Aufhebung des in der letzten Generalversammlung gefafsten Beschlusses auf Erhöhung des Aktienkapitals um 61/2 Millionen Mark. Vorstand und Aufsichtsrat hatten dies abgelehnt. Darauf hat das Amtsgericht Herne die Antragsteller gemäss § 254 HGB. ermächtigt, den Beratungsgegenstand selbst anzukündigen. Auf eingelegte Beschwerde der Gesellschaft hat das Landgericht Bochum die erteilte Ermächtigung zurückgezogen. Auf weitere Beschwerde der Antragsteller hat das Kammergericht die amtsgerichtliche Entscheidung wiederhergestellt. Da der Teil der Entscheidungsgründe, der sich auf den bezeichneten Punkt der Tagesordnung bezieht, von grofser grundsätzlicher Bedeutung für die Praxis ist, so veröffentlichen wir nachstehend diesen Teil seinem wesentlichen Inhalte nach. Das Kammergericht führt in dieser Beziehung aus:

Nach § 254 HGB. ist die Generalversammlung zu berufen und sind Gegenstände zur Beschlufsfassung einer Generalversammlung anzukündigen, wenn dies Aktionäre, deren Anteile zusammen den zwanzigsten Teil des Grundkapitals erreichen, schriftlich unter Angabe des Zweckes und der Gründe verlangen. Wird dem Verlangen weder durch den Vorstand noch durch den Aufsichtsrat entsprochen, so kann das Gericht die Aktionäre, welche das Verlangen gestellt haben, zur Berufung der Gener.-Vers. oder zur Ankündigung des Gegenstandes ermächtigen. Das Gericht hat somit über das Verlangen der Aktionäre nach freiem, pflichtmäfsigem Ermessen zu befinden. Der I. Entwurf des reuen HGB., der dieses freie Ermessen des Gerichtes beseitigen wollte (§ 234 Abs. 3 und Denkschrift), ist insoweit in den II. Entwurf (§ 249 Abs. 3) nicht übergegangen, und ein in der Reichstagskommission (Bericht zu § 249, S. 246, 247) gestellter Antrag, der das richterliche Ermessen einschränken wollte, wurde zurückgezogen. Das Beschwerdegericht ist sonach mit Recht in eine sachliche Prüfung des Verlangens der Aktionäre eingetreten. Die Gründe aber, aus denen es dieses Verlangen hinsichtlich des hier fraglichen Gegenstandes (Aufhebung des Kapitalserhöhungsbeschlusses) zurückgewiesen hat,

rechtfertigen die Ablehnung nicht. Das Landgericht erwägt, es ständen sich zwei Gruppen von Aktionären gegenüber, deren Machtmittel und Anteile am Gesellschaftsvermögen sich bis auf einen kleinen Bruchteil die Wage hielten. Es verhalte sich nicht etwa so, dafs die Dresdner Bank weit überwiegende Interessen vertrete, während ihre Gegner nutzlose, hinausziehende Opposition machten. Vom wirtschaftlichen Standpunkt aus falle das Interesse des einen Grofsaktionärs, auch wenn es rechnerisch grösser sei, nicht ganz so ins Gewicht, wie die Interessen der gegenüberstehenden Gruppe, die von vielen einzelnen Aktionären mit kleinerem Aktienbesitze gebildet werde. Deren Interesse an der Erhaltung der Gesellschaft verdiene deshalb eine weitgehende Berücksichtigung; es werde vom Vorstande und Aufsichtsrat vertreten, während die Dresdner Bank als Grofsaktionärin gegenüberstehe. Ob diese Erwägungen zutreffen, ist nicht zu prüfen, weil sie nicht in Betracht kommen. Zur Entscheidung steht die Frage, ob das Verlangen gerechtfertigt ist, den Antrag auf Aufhebung des früher gefafsten Kapitalserhöhungsbeschlusses auf die Tagesordnung der neuen Gen.-Vers. zu setzen. Das Verlangen wäre ungerechtfertigt und zurückzuweisen, wenn es die Vornahme einer rechtswidrigen Handlung bezweckte, denn zur Erreichung eines solchen Zieles darf das Gericht nicht mitwirken. In welcher Weise aber die Annahme jenes Antrages die Interessen der verschiedenen Gruppen der Aktionäre berührt und welchen Interessen vom wirt

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