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in der Regel übergangen werden, deren Besprechung wegen des zu Grunde liegenden Tatbestandes oder der Art der Begründung sich in Kürze nicht geben läfst.

Von allgemeinem Interesse für die Rechtsprechung und die Stellung des Richters sind. die beiden Urteile des VI. Senats Nrn. 84 und 86 (S. 340, 357). Sie betreffen beide im wesentlichen dieselbe Rechtsfrage. Der preufsische Justizfiskus hat Richter auf Erstattung von Kosten (Tagegeldern und Reisekosten) in Anspruch genommen, welche durch Lokaltermine entstanden waren, die von den Amtsrichtern nach Ansicht des Klägers unnötigerweise angesetzt worden sind. In dem einen Falle handelte es sich um eine Zeugenvernehmung in einem Strafprozess, die der Amtsrichter, um etwaige Kollusionen zu verhüten, sofort vornehmen zu müssen glaubte; in dem anderen Falle in einem Zivilprozess um eine persönliche Verhandlung mit dem Beklagten, der infolge seines körperlichen Zustandes dauernd verhindert war, an der Gerichtsstelle zu erscheinen. In beiden Fällen wurde die Klage abgewiesen und eine schuldhafte Verletzung der Amtspflicht verneint. Es könne nicht darauf ankommen, ob das Vorgehen des Richters sich bei späterer Prüfung als sachdienlich und zweckmäfsig erweist und die Ansetzung des Termins hinterher als unnötig erkannt wurde, sondern ob der Richter bei Erwägung der Sachlage die von ihm angeordneten Vernehmungen für erforderlich und nützlich halten konnte. Es kann nicht im Sinne des Gesetzes liegen" heifst es S. 345 -,, wenn der richterliche Beamte in seiner, innerhalb der Grenzen der Gerichtsverf. und Prozefsordnung gelegenen, insoweit unabhängig auszuübenden, Amtstätigkeit durch die ihm drohende zivilrechtliche Haftung dem Fiskus gegenüber ungebührlich beengt würde, und wenn er für jede objektiv ungeeignete, obschon formell gesetzliche, Handlung auf dem Wege der Kostenerstattungspflicht zur Rechenschaft gezogen werden könnte, falls eine nachgängige Prüfung ergibt, dafs der Beamte bei Anwendung gröfster Sorgfalt anders hätte verfahren müssen."

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Ebenso ist die Zeugenpflicht von demselben Senat gegen ungebührliche Erschwerung geschützt worden (Nr. 19 S. 79). Ein in Berlin wohnhafter Zeuge hatte sein Ausbleiben im Termin in Hamburg unter Einsendung eines ärztlichen Attestes wegen Krankheit entschuldigt; das Gericht hielt die Bescheinigung nicht für glaubhaft und forderte den Zeugen auf, bei Vermeidung seiner Bestrafung das Attest eines Berliner Physikus über seinen Gesundheitszustand einzureichen. Auf eine briefliche Anfrage des Zeugen, auf wessen Kosten dieses Attest eingeholt werden solle, da er die Kosten aus seinen Mitteln zu erlegen aufserstande sei, wurde ihm vom Vorsitzenden des Gerichts geantwortet, dafs er diese Kosten zu tragen habe. Da der Zeuge darauf beharrte, dass es ihm unmöglich sei, die Kosten aufzuwenden, verurteilte ihn das Gericht zu einer Geldstrafe von 100 M., event. 14 Tagen Haft, und in die

durch sein Ausbleiben verursachten Kosten. Das Reichsgericht hob diesen Beschluss auf und erklärte, dafs der Zeuge nicht verpflichtet sei, seinerseits Kosten auszulegen, um seine Entschuldigung glaubhaft zu machen, wobei seine Vermögenslage übrigens ganz gleichgültig sei. Das OLG. Hamburg konnte das Amtsgericht in Berlin ersuchen, die erforderlichen Feststellungen durch einen Physikus bewirken zu lassen, und wenn sich herausgestellt hätte, dafs die Entschuldigung des Zeugen der Begründung entbehre, so hätte der Zeuge die amtlich aufgewendeten Kosten zu ersetzen gehabt.

Für die preufs. Städte von Wichtigkeit ist die Entsch. Nr. 2 (S. 4), dafs sie nicht gehindert sind, neben den Bedingungen, welche in der durch Ortsstatut erlassenen Bauordnung festgestellt sind, auch noch andere Vereinbarungen über die Errichtung von Bauten an projektierten Strafsen mit dem Anlieger zu treffen.

In zwei Entscheidungen des VI. Senats handelt es sich um die Haftung des Staates aus Delikten von Beamten und um das Zusammentreffen öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Verhältnisse, die scharfsinnig unterschieden werden. Das erste der beiden Urteile (Nr. 22 S. 84) betrifft einen Gerichtsvollzieher, der einen gepfändeten Geldbetrag nicht abgeliefert, sondern sich rechtswidrig zugeeignet hatte, und aus dessen Vermögen Ersatz nicht zu erlangen war. Die Haftung des Fiskus (Els.Lothr.) wurde von diesem aus dem Grunde bestritten, weil die Ausübung der öffentlichen Gewalt bei der Zwangsvollstreckung sich gegen den Schuldner richte, nicht aber gegen den Gläubiger, in dessen Auftrage der Gerichtsvollzieher tätig werde. In Uebereinstimmung mit dem OLG. Kolmar führte aber das RG. aus, dass, wenngleich zwischen dem Gläubiger und dem von ihm beauftragten Gerichtsvollzieher ein, eine Geschäftsbesorgung betreffender nach BGB. zu beurteilender Dienstvertrag bestehe, daraus nicht folge, dafs der Gerichtsvollzieher sich dem auftraggebenden Gläubiger gegenüber nur in einem Vertragsverhältnisse befinde und seine Handlung den Charakter einer Amtshandlung verliere; die Ausübung eines Hoheitsrechts bestehe nicht notwendig in der Ausübung eines staatlichen Zwangsrechts; sie könne auch in einem Akte des staatlichen Schutzes, der staatlichen Fürsorge bestehen. Die Ablieferung des gepfändeten Geldes bilde den letzten Akt der Zwangsvollstreckung, habe also den Charakter einer Amtshandlung, die in den Bereich des dem Gerichtsvollzieher auf dem Gebiete der Zwangsvollstreckung eingeräumten Imperiums falle.

In dem anderen Falle (Nr. 55 S. 216) kam der Senat zur Verneinung der Haftung des Fiskus. Die Direktion einer Strafanstalt hatte einer Firma die Arbeitskräfte von Gefangenen für ihren Fabrikbetrieb zur Verfügung gestellt. Die Strafanstalt stellte die Arbeitsräume und führte die Aufsicht über die Arbeit. Ein Sträfling geriet bei der Arbeit mit der rechten Hand an die Scheibe einer Fräsmaschine, deren Zähne ihm drei Finger abrissen.

Er nahm den Fiskus auf Erstattung des Schadens in Anspruch, weil die Fräsmaschine der notwendigen und üblichen Schutzvorrichtungen ermangelt habe, und weil die Sträflinge nicht auf die grofse Gefährlichkeit aufmerksam gemacht worden seien, welche bei grofsen Umdrehungsgeschwindigkeiten der Maschine entstehe. Das Gericht unterscheidet auch hier zwischen dem privatrechtlichen Vertragsverhältnis, das zwischen der Strafanstaltsdirektion und der Firma hinsichtlich der Ueberlassung der Arbeitskräfte besteht und für den Fiskus vermögensrechtliche Pflichten und Rechte begründe, und der im Strafvollzuge dem Gefangenen gegenüber sich verwirklichenden öffentlichen Gewalt. Wenn deshalb ein Beamter im Dienste der Strafvollstreckung vorsätzlich oder aus Fahrlässigkeit einem Gefangenen widerrechtlich einen Schaden zufügt, so wird der Beamte selbst aus solcher Handlung dem Beschädigten nach §§ 839, 841 BGB. zum Schadensersatz verpflichtet; ob aber auch der Staat dafür einzustehen hat, richtet sich nach den Landesgesetzen (Einf.-Ges. Art. 77). Auch das die Krankenversicherung betreffende Urteil desselben Senats Nr. 85 (S. 346) ist wegen seiner ebenfalls vorzüglichen Begründung besonders hervorzuheben. Wegen eines Streits zweier Ortskrankenkassen über die örtliche Kassenzugehörigkeit gewisser Arbeiter hatte der Arbeitgeber für eine gewisse Zeit die Beiträge an beide. Kassen, also doppelt gezahlt. Diejenige Kasse, welche nach dem Gesetz nicht die zuständige war, hatte die Krankengelder gezahlt, so dafs ihr gegenüber das Versicherungsverhältnis „tatsächlich" fortbestand. Dessenungeachtet forderte der Arbeitgeber von dieser Kasse die von ihm gezahlten Beiträge als sine causa geleistet zurück. Das RG. erklärte diesen Anspruch für begründet und verwies die verklagte Krankenkasse wegen des Ersatzes ihrer Leistungen an die von Rechts wegen verpflichtete Ortskrankenkasse.

Unter den das Handelsrecht betreffenden Entscheidungen beschäftigen sich mehrere mit dem Gesellschaftsrecht. Zunächst ist in Nr. 24 (S. 96) der Rechtssatz anerkannt, dafs, wenn die Miteigentümer eines Grundstücks sich zu einer off. HG. vereinigen und ihr Grundstück als Einlage einbringen, der Eigentumsübergang erst durch die Umschreibung des Grundstücks auf die Gesellschaft erfolgt.

Nr. 53 (S. 206) betrifft den Anschaffungsstempel. Bei einem Konsortium zur Begebung von Wertpapieren war X mit einem Anteil von 8% des übernommenen Betrages beteiligt; er übernahm von dem Konsortium drei Viertel des Anleihebetrages zu einem vereinbarten Kurse, und es entstand die Streitfrage, ob er den Anschaffungsstempel von dem ganzen von ihm übernommenen Betrage zu entrichten habe oder ob der auf seine eigene Konsortial beteiligung entfallende Anteil von 8% von der Steuer frei bleibe. Das RG. entschied, dass der Wert des ganzen von X übernommenen Anleihebetrages dem Anschaffungsstempel unterliege. In den Gründen wird über die rechtliche Natur des

Konsortiums ausgeführt, dafs unter den Konsorten kein Miteigentum, sondern ein Gesamteigentum bestehe. Die mehreren Gesellschafter seien in ihrer Zusammenfassung die Träger von Rechten und Verbindlichkeiten, als Inhaber des gemeinschaftlichen Vermögens, an welches die bisher den einzelnen gehörenden Objekte übergehen und in welches die von der Gesellschaft erworbenen Rechte aufgenommen werden. Darin liege keine Schöpfung einer juristischen Persönlichkeit im römisch-rechtlichen Sinne (?), wohl aber entspricht die Regelung den im deutschen Recht entwickelten Grundsätzen über die Vereinigungen zur gesamten Hand.

Von der gleichen Auffassung geht derselbe Senat in Nr. 105 (S. 431) aus. Die Mitglieder einer offenen HG. hatten ihre Gesellschaft in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und die als Aequivalent empfangenen Aktien unter sich nach Verhältnis ihrer Geschäftsanteile verteilt. Sie sollten den Anschaffungsstempel zweimal entrichten, einmal für die Zuteilung der Aktien an die HG. und sodann für die Verteilung an die einzelnen Gesellschafter. Das RG. hat dies gebilligt; die off. HG. sei zwar keine juristische Person, aber das Gesellschaftsvermögen sei ein selbständiges (!), an welchem eine Gemeinschaft zur gesamten Hand bestehe. Die Verteilung sei ein entgeltliches Anschaffungsgeschäft zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern. Für den Fiskus sind diese Entscheidungen zwar sehr erfreulich, und die Begründung steht im Einklang mit einer verbreiteten Theorie; ob sie aber dem natürlichen und unbefangenen Rechts- und Billigkeitsgefühl entsprechen, dürfte sehr fraglich sein. Ein Vermögen, das keine Stiftung ist, keiner juristischen Person gehört und an dem die Berechtigten kein Miteigentum haben, das vielmehr „selbständig“ ist, scheint mir eine überkünstliche Konstruktion zu sein. Im praktischen Erfolge kommt diese Selbständigkeit auf dasselbe hinaus wie die Personifikation der Gesellschaft, welche doch mit vollem Recht abgelehnt wird. Das Gesamteigentum ist allerdings verschieden von dem einfachen, schlichten, freien Miteigentum; es ist gebundenes; durch das unter den Beteiligten bestehende Rechtsverhältnis beherrschtes Miteigentum, aber immerhin Miteigentum und nicht ein auf sich selbst gestelltes,selbständiges" - Vermögen.

In dem Urt. Nr. 75 (S. 297) handelt es sich ebenfalls um ein Konsortium. Die Leipziger Bank gehörte einem Konsortium an, welches sich zur Emission einer Leipziger Stadtanleihe gebildet hatte, und nahm Zeichnungen auf diese Anleihe entgegen. Der Kläger hatte bei ihr 5000 M. gezeichnet und darüber eine Schlufsnote der Leipziger Bank erhalten, in welcher der Zusatz „für Rechnung eines Konsortiums" aufgedruckt war. Da die Leipziger Bank in Konkurs geriet und das Anleihestück nicht liefern konnte, nahm der Kläger eine andere zum Konsortium gehörende Bank auf Lieferung des entsprechenden Anleihestückes in Anspruch, in der Annahme, dafs ihm die Konsortialbeteiligten ge

samtschuldnerisch haften. Allein hier verliefs „die gesamte Hand" ihn und das Reichsgericht; seine Klage wurde vom I. Zivilsenat aus dem sehr zutreffenden Grunde, dafs die Leipziger Bank die Schlufsnote im eigenen Namen, nicht im Namen des Konsortiums, wenn auch für dessen Rechnung, ausgestellt habe, zurückgewiesen.

Nr. 5 (S. 20) entscheidet die sehr streitige Frage, in welcher Weise die Aufrechnung im Kontokorrent zu erfolgen hat, wenn die, die Aktivseite übersteigenden, Passivposten teils aus voll wirksamen, teils aus ungültigen Verbindlichkeiten (Börsentermingeschäften) bestehen, dahin, dafs die Verrechnung auf die mehreren Posten verhältnismässig zu erfolgen habe, und dafs daher die aus klaglosen Geschäften herrührenden Verbindlichkeiten soweit und nur insoweit - getilgt sind, als bei einer verhältnismäfsigen Aufrechnung der Aktivposten auf sie entfällt.

Zu erwähnen sind endlich das Urt. Nr. 91 (S. 372), welches das Recht der Handlungsgehilfen, insbesondere die Konkurrenzklausel betrifft, sowie das eingehend und vortrefflich begründete Urt. Nr. 72 (S. 271) in dem bekannten Prozefs gegen den Börsenverein der deutschen Buchhändler, welcher die klagende Firma auf die Schleudererliste" gesetzt hatte.

Die überwiegende Mehrzahl der Entscheidungen bezieht sich natürlich auf das BGB., von denen einige hier erwähnt sein mögen.

In Nr. 26. (S. 104) wird ausgeführt, dafs § 181 nicht die Bedeutung eines gesetzlichen Verbotes im Sinne des § 134 habe, sondern dafs ein Rechtsgeschäft, das ein Vertreter mit sich selbst abschliefst, rechtlich ebenso zu beurteilen ist, wie jede andere Vollmachtsüberschreitung, und demzufolge nach 177 in seiner Wirksamkeit von der Genehmigung des Vertretenen abhängt.

In Nr. 32 (S. 130) wird gegenüber der von Eccius vertretenen Meinung in sorgfältiger Begründung dargetan, dafs zu einem Kreditauftrag im Sinne von BGB. § 778 immer ein wirklicher, rechtsgeschäftlicher Auftrag und die Annahme desselben seitens des Beauftragten erforderlich sei.

In Nr. 69 (S. 262) wird für die Annahme einer Offerte die Empfangstheorie gebilligt und eine konsequente Anwendung davon gemacht, wenn der die Annahme-Erklärung enthaltende Brief dem Offerenten nicht zugestellt werden konnte.

Von den ziemlich zahlreichen, das Immobiliensachenrecht betreffenden Entscheidungen betrifft Nr. 3 (S. 10) die Pfändung einer Eigentümergrundschuld und führt u. a. aus, dafs der Anspruch auf Prändung durch eine Vormerkung mit den Wirkungen des § 883 nicht gesichert werden kann, dafs vielmehr die Eintragung einer Sicherungshypothek erforderlich ist.

In Nr. 94 (S. 383) wird erkannt, dass ein über Grundstücke geschlossener Tauschvertrag, der der Formvorschrift des § 313 nicht entspricht, nur dadurch rechtsverbindlich wird, dass von beiden

Kontrahenten die Auflassung erklärt und die Umschreibung im Grundbuch bewirkt worden ist.

Für das Erbrecht sind zwei Entscheidungen bemerkenswert. Nr. 81 (S. 327) entwickelt den Rechtssatz, dafs ein gegen die Erben ergangener Schiedsspruch nicht gemäfs § 1042 ZPO. gegen den Testamentsvollstrecker mit dem Vollstreckungsurteil versehen werden kann und die Zwangsvollstreckung aus einem solchen Schiedsspruch in den Nachlafs daher nicht für zulässig erklärt werden darf.

In Nr. 89 (S. 367) wird ein Testament für ungültig erklärt, welches mit drei Kreuzen als „Handzeichen des S." unterzeichnet war. In dem Protokoll war bemerkt worden, dafs es von dem Erblasser, „da er zum Schreiben zu matt war, mit drei Kreuzen unterzeichnet wurde"; es hätte aber nach § 2242 konstatiert werden müssen, dafs der Erblasser erklärt habe, dafs er nicht schreiben könne. Ob dies nicht ein zu weit getriebener Formalismus gerade in Rücksicht auf die Respektierung des letzten Willens ist, mag dahingestellt bleiben.

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Zum Schlufs ist noch das Urteil Nr. 18 (S. 74) zu erwähnen. In demselben wird zunächst dargetan, dafs auch bei der allgemeinen Gütergemeinschaft die Regel des § 1400 Abs. 1 Anwendung findet, und dafs das Wort „unwirksam“ in diesem Paragraphen nicht blofs auf die Rechtskraft, sondern. auch auf die obligierende Wirkung des Urteils bezogen werden mufs. Sodann aber führt das Urteil aus, dafs eine arglistige Schädigung in solchen Fällen nicht anzunehmen ist, in denen die Schädigung eines anderen als eine entfernte Möglichkeit, die sich aller Wahrscheinlichkeit zufolge kaum verwirklichen werde, vorgestellt wird. Die Sache wird daher zurückverwiesen, weil es noch erst der tatsächlichen Feststellung bedurfte, ob die Ehefrau H. sich die Möglichkeit einer Schädigung der Klägerin als eine so naheliegende vorgestellt habe, dass man diese Vorstellung einem Wissen von der bevorstehenden Schädigung gleich achten dürfe“. Diese tatsächliche Feststellung einer Vorstellung, die eine Partei vor vielen Jahren gehabt hat, dürfte dem Gericht wohl schwer fallen. Gemeint sind wohl nicht die subjektiven 'Geisteszustände, sondern die objektiven Umstände, aus denen sich die Wahrscheinlichkeit der Schädigung bei vernünftiger Würdigung derselben ergab.

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Zuständigkeit der Gewerbegerichte für Rechtsnachfolger der Arbeiter oder Arbeitgeber.

Von Oberlandesgerichtsrat Dr. Bewer, Köln. Sind die Gewerbegerichte blofs zuständig, wenn der Rechtsstreit zwischen Arbeitgeber und Arbeiter, unter welchen die Streitigkeit entstanden ist, anhängig wird, oder auch dann, wenn die Klage von ihrem Rechtsnachfolger erhoben wird? Das Reichsgericht hat am 15. April 1902 (E. 51, 193)-die Zuständigkeit für die Lohnklage des Erben eines Ge

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werbegehilfen verneint, entgegen dem Urt. des OLG. Dresden v. 8. Nov. 1901 (Gewerbegericht 7, 127). Zu dieser Frage sei hier Stellung genommen.

Grundsätzlich entscheidet für die Zuständigkeit nicht der Beginn des Prozesses, sondern die ihn veranlassende Tatsache. Auch das Reichsgericht spricht aus, dass nach der bestehenden Organisation der Rechtspflege das Kompetenzkriterium in dem Inhalte des streitigen Rechtsverhältnisses liege. Es verkennt nicht, dafs die Abhängigkeit von dem Wechsel in der Person des Gläubigers wie des Schuldners, in welche die Zuständigkeit der Gewerbegerichte durch das Erfordernis des zwischen den Prozessparteien begründeten Arbeitsverhältnisses gebracht wird", diesem Gedanken nicht entspricht. Eine Beschränkung der Gewerbegerichte auf einen bestimmten Personenkreis würde sie zu Sondergerichten für Personen1) machen. Aber für eine derartige Ausnahme fehlt der Nachweis; er ist weder durch die Einhelligkeit der Praxis und Theorie, noch durch den Wortlaut des Gesetzes, ebensowenig aus dem Inhalt und den Materialien oder aus dem Zwecke des Gesetzes zu erbringen. 2)

1. Einhelligkeit der Praxis und Theorie. Das Reichsgericht legt Gewicht darauf, dafs seit Erlafs des GewGerGes. v. 29. Juli 1890, soweit ermittelt, einstimmig" die Ansicht vertreten worden sei, dafs die Zuständigkeit des Gewerbegerichts entfällt, wenn die Forderung, welche ein Arbeiter gegen seinen Arbeitgeber oder dieser gegen jenen hat, sei es durch Abtretung oder durch zwangsweise Ueberweisung oder durch Erbgang, auf eine dritte Person übergeht". Diese Einstimmigkeit besteht nicht.

Die Frage war schon vor 1890 streitig, als noch der § 108 GewO. v. 21. Juni 1869 in Kraft war. Dort hiefs es, „Streitigkeiten der selbständigen Gewerbetreibenden mit ihren Gesellen" usw. seien von besonderen Behörden zu entscheiden. Als ein Nichtarbeiter als Zessionar eines Gewerbegehilfen dessen Lohnforderung bei jener Behörde geltend machte, aber wegen Unzuständigkeit abgewiesen wurde, verneinte der Gerichtshof zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte, „dafs das Kompetenzverhältnis im Sinne des § 108 GewO. durch Eintritt eines Zessionars sich ändere".3) Da nun die Worte im § 108 und die entsprechenden des späteren § 120a der GewO.-Novelle v. 17. Juli 1878 Streitigkeiten der selbständigen Gewerbetreibenden mit ihren Arbeitern" dasselbe wie „Streitigkeiten zwischen Arbeitern einerseits und ihren Arbeitgebern andererseits" in dem § 1 Abs. 1 des Gew.-GerGes. bedeuten, so liegt in jenen Urteilen

1) Planck, Zivilprozefsrecht I, 1887 S. 28 erklärt alle Sondergerichte für Personen bis auf diejenigen für Landesherren und mobilgemachte Militärpersonen für aufgehoben; die Gewerbegerichte rechnet er S. 29 zu den Gerichten für eigenartige Rechtsverhältnisse.

2) Diese Ausführungen schliefsen sich an Wilhelmi-Bewer, Gewerbegerichtsgesetz § 4 A. 5 an.

3) Urt. v. 10. Juni 1876 und v. 11. Nov. 1876, bei Stölzel, Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte S. 562.

eine noch jetzt beachtliche 1), dem Reichsgerichte widersprechende Auffassung eines höchsten preussischen Gerichtshofs vor.

Auch die Praxis des Gew.-Ger.-Ges. hat die Frage verschieden behandelt. So wird im ,,Gewerbegericht" v. 4. Febr. 1897 berichtet, das Amtsgericht Stettin habe im Gegensatze zum Gewerbegericht Stettin seine Zuständigkeit für Klagen der Rechtsnachfolger mehrfach verneint, weil ,,sonst der Arbeiter durch Zession die Tätigkeit des Gewerbegerichts völlig lahm legen könne, während auch der Arbeitgeber ein Recht habe, dafs die Sache vor dem Gewerbegerichte verhandelt werde". Auch bei Klagen aus Pfändungs- und Ueberweisungsbeschlüssen verneint das Amtsgericht, wie dort berichtet wird, für gewisse Fälle seine Zuständigkeit, z. B. wenn der Drittschuldner die Forderung bestreitet. Auch das Gewerbegericht Berlin hat hat geschwankt. So ist in dem Urt. v. 12. Sept. 19012) unterschieden, dass zwar die Sondernachfolge (Zession), nicht aber die Universalnachfolge die Person des Gläubigers ändere, die ,,bei der Erbschaft sozusagen dieselbe bleibt", demgemäss an Stelle des Arbeiters der Erbe vor dem Gewerbegerichte Recht nehmen könne.

2. Wortlaut des Gesetzes. Der § 4 Abs. 1 GGG. verweist vor die Gewerbegerichte Streitigkeiten zwischen Arbeitern einerseits und ihren Arbeitgebern andererseits sowie zwischen Arbeitern desselben Arbeitgebers". Zu diesem Wortlaute räumt das Reichsgericht ein, er sei nicht so unzweideutiger Art", um ihn nicht dahin verstehen zu können, dafs die Zuständigkeit nicht schon entfalle, wenn die Klage von dem Rechtsnachfolger des verstorbenen Arbeiters erhoben wird. Hierfür spricht die gleiche Fassung des § 23 N. 2 GVG. Dort heifst es in demselben Satze, also auch wohl in demselben Sinne, die Zuständigkeit der Amtsgerichte umfasse Streitigkeiten zwischen Vermieter und Mieter usw., zwischen Arbeitgebern und Arbeitern hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses sowie die im § 4 Abs. 1 des GGG. bezeichneten Streitigkeiten usw.; Streitigkeiten zwischen Reisenden und Wirten usw.

Nun besteht kein Bedenken gegen die Zuständigkeit der Amtsgerichte, wenn die Klage aus den im § 23 Nr. 2 gedachten Miets-, Arbeits- oder Reisestreitigkeiten von dem Rechtsnachfolger des Vermieters, Arbeiters oder Reisenden erhoben wird. Hieraus darf man folgern, dafs die Gewerbegerichte für Klagen mit Rechtsnachfolge gleichfalls zuständig sind. Deshalb hat auch das Amtsgericht Berlin I am 2. Mai 19043) entgegen dem Reichsgerichte für die Klage gegen den Erben des Arbeitgebers das Gewerbegericht für zuständig erklärt.

3. Inhalt und Materialien des Gesetzes. Das Reichsgericht fragt weiter, ob überwiegende

1) A. M. Stölzel, Rechtsweg und Kompetenzkonflikt 1901 S. 321 A. 18. 2) Soziale Praxis 11, 798. 3) Gewerbegericht 9, 242.

Gründe dafür sprechen, dafs die gesetzgebenden Faktoren den Sinn, es solle das Gewerbegericht zuständig bleiben, wenn die im Arbeitsverhältnisse zwischen Arbeiter und Arbeitgeber entstandene Forderung auf einen dritten übergeht, mit dem Wortlaute des § 1 Abs. 1 GewGerGes. in der Tat verbunden haben. So dürfte wohl nicht die Frage lauten. Denn der Wortlaut läfst doch vermuten, dafs er den Sinn des allgemeinen Grundsatzes, wonach das Kompetenzmerkmal im Inhalte des strittigen Rechtsverhältnisses liegt, wiedergibt. Also ist die Frage so zu stellen, ob aus erkennbaren Gründen die gesetzgebenden Faktoren mit dem Wortlaute des § 1 Abs. 1 den regelwidrigen Sinn verbunden haben, das Gewerbegericht solle beim Uebergange von Forderungen gewerbegerichtlicher Art auf dritte nicht zuständig sein.

Dies ergeben die Materialien nicht. Die Motive zum GewGerGes. v. 1890 begründen die Schaffung von Gewerbegerichten an Stelle der im § 120a GewO. berufenen Behörden damit, dafs letztere ihren Zweck, für die Streitigkeiten, welche im gewerblichen Verkehr aus dem Verhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitern entspringen, eine im besonderen Mafse des Vertrauens der Beteiligten versicherte und besonders schleunige Rechtspflege zu schaffen, nur in unvollkommener Weise erreicht" haben. Hiernach sind die Gewerbegerichte zuständig, sobald die Streitigkeit im gewerblichen Verkehre zwischen Arbeitgebern und Arbeitern entstanden ist. Auch fällt ihre Zuständigkeit nicht schon weg, wenn der gewerbliche Verkehr zwischen Arbeiter und Arbeitgeber wegfällt, sondern bleibt, auch wenn der Arbeiter längst nicht mehr in dem Arbeitsverhältnis, aus dem der Anspruch herrühren soll, steht 1). Die Worte der Motive „Streitigkeiten, welche im gewerblichen Verkehr aus dem Verhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitern entspringen", besagen also Streitigkeiten aus dem gewerblichen Arbeitsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitern".

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Aber das Reichsgericht lehnt die weitere Folgerung ab, dafs die Zuständigkeit der Gewerbegerichte auch da gewollt sei, wo die Prozefsparteien überhaupt nicht in dem Arbeitsverhältnisse gestanden haben. Ebenso wenig ist aber sein entgegengesetzter Schlufs gerechtfertigt, es sei die Zuständigkeit für solche Prozefsparteien nicht gewollt. Es ist dieser Punkt nicht hervorgehoben, offenbar, weil kein Anlafs bestand, mit einer Ausnahme in die Grundsätze über die sachliche Zuständigkeit einzubrechen. Hätte die Zuständigkeit auf die Vertragsparteien des Arbeitsverhältnisses als Prozefsparteien beschränkt werden sollen, so hätten die Motive dies gesagt. Dazu kommt ein Umstand, den allerdings das Reichsgericht noch nicht berücksichtigen konnte, nämlich der § 1 Abs. 1 des Gesetzes betr. Kaufmannsgerichte v. 6. Juli 1904, welcher lautet:

Zur Entscheidung von Streitigkeiten aus dem Dienst- oder Lehrverhältnisse zwischen Kaufleuten 1) Reichsgericht v. 30. Juni 1900, Seufferts Archiv 56 Nr. 85.

einerseits und ihren Handlungsgehilfen oder Handlungslehrlingen andererseits können Kaufmannsgerichte errichtet werden.

Es ist dort die Fassung gewählt, die nach der obigen Auslegung der Motive des GewGerGes. dem Sinne des § 1 Abs. 1 (Streitigkeiten aus dem gewerblichen Arbeitsverhältnisse) genau entspricht. Das KaufGerGes., das in seinem sachlichen Zuständigkeitsgebiete (§ 5) dem § 4 GewGerGes. nachgebildet ist, weicht in seinem § 1 Abs. 1 von dem § 1 Abs. 1 GGG. nur redaktionell ab. Als der im Reichsjustizamt ausgearbeitete Urentwurf des Ges. betr. Kaufmannsgerichte 1) dem Bundesrat Anfang 1903 zuging, lagen die widersprechenden Urteile des OLG. Dresden und des Reichsgerichts schon vor. Deshalb wurde nicht mehr mifsverständlich

redigiert. Nach den Motiven 2) soll die Fassung des Abs. 1 ausdrücken, dafs die Zuständigkeit des Kaufmannsgerichts auch dann gegeben ist, wenn der erhobene Anspruch vor oder nach Erhebung der Klage auf einen Rechtsnachfolger übergegangen ist“. Hätte dies eine Abweichung von der Zuständigkeitsnorm des GewGerGes. als des Muttergesetzes bedeuten sollen, so wäre dies ausgesprochen worden.

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4. Auch dem Zwecke des GewGerGes. läuft es nicht zuwider, wenn Rechtsnachfolger der Arbeiter und Arbeitgeber vor dem Gewerbegerichte klagen oder verklagt werden. Das Reichsgericht scheint dies zu verneinen, indem es für die Beschränkung des Gewerbegerichts auf einen bestimmten Personenkreis anführt, die Abweichungen des gewerbegerichtlichen Verfahrens fänden ihre rechtfertigende Grundlage nur unter der Voraussetzung, dafs es sich um schleunige Erledigung eines zwischen Arbeitgeber und Arbeiter geführten Streites handelt“. Diese Erwägung kann nicht überzeugen. Unbestritten wird die Zuständigkeit des Gewerbegerichts durch eine erst im Laufe des Verfahrens eingetretene Rechtsnachfolge nicht beeinflusst. Für diesen Fall ist also die Grundlage des Verfahrens nicht anzuzweifeln; wenn aber die vom Reichsgerichte hervorgehobenen Besonderheiten des GewGerGes. (Ausschlufs berufsmässiger Prozefsvertreter u. a.) gerechtfertigt sind, falls die Erben des Arbeiters den Rechtsstreit aufnehmen, so ist nicht einzusehen, warum es hierin anders sein soll, wenn sie die Klage selbst erheben. Sozial gedacht, hat an der schleunigen Erledigung des Streites die Witwe des Arbeiters, die den Lohn ihres verstorbenen Mannes einklagt, oft ein stärkeres Interesse, als wenn ein im Geld verdienste stehender Arbeiter klagt. Zudem ist die Schleunigkeit nur einer der Vorzüge des Gewerbegerichts; der Grundvorzug ist die in besonderem Mafse des Vertrauens der Beteiligten versicherte Rechtspflege", die sachkundige Erledigung, hinsichtlich deren doch die Rechtsnachfolger des Arbeiters nicht schlechter stehen dürfen, als dieser selbst.

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Auch hier kommt das KaufGerGes. in Betracht.

1) Soziale Praxis 12, 436 v. 15. Jan. 1903.

2) Drucksache No. 143 der 11. Legislaturperiode I. Session.

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