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eine feste Reihenfolge der Vorbereitungsstationen und eine bestimmte Dauer derselben nicht mehr vorgeschrieben.

4. Zulässig ist auch die Beschäftigung bei einer Versicherungsanstalt, einer Berufsgenossenschaft, einer Handelsoder Gewerbekammer, einer Bank oder in einem grösseren Fabrikunternehmen. Professor Dr. O. Fischer, Breslau.

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Betrug durch Vorspiegelung unsittlicher Dienste. In den überaus häufigen Fällen, in denen leichtgläubige Personen durch Vorspiegelung unsittlicher Dienste oder der Bereitwilligkeit zu solchen Diensten z. B. durch das Anerbieten zu einer in Wirklichkeit untauglichen Abtreibung, einer angeblich nötigen Bestechung, einer kupplerischen Vermittelung getäuscht und zur Hingabe von Geld oder Geldeswert an den Täter bestimmt werden, wird von der neueren Rechtsprechung des Reichsgerichts Betrug verneint, weil die Hingabe zu einem unsittlichen Zwecke keine Vermögensbeschädigung im Rechtssinne sei. Die Gründe, welche gegen diese Ansicht in den Artikeln des Präs. Lindenberg S. 425 und 1055 d. Bł. ausgeführt werden, sind so inhaltsschwer, dass das Reichsgericht nicht umhin können wird, in erneute Prüfung einzutreten. Auch ich bin der Meinung, dafs diese Judikatur einer Aenderung bedarf. Ich möchte dabei noch auf einen zweiten Gesichtspunkt aufmerksam machen.

In

Auch wenn der Satz, dafs die Hingabe eines Vermögenswertes zu unsittlichem Zwecke keine Vermögensbeschädigung darstelle, zum Ausgangspunkte genommen wird, kann die Folgerung, dafs § 263 StrGB. keine Anwendung finde, nur dann zutreffen, wenn auf der Basis dieses Satzes nicht blofs die zur Vollendung des Betruges erforderliche Vermögensbeschädigung, sondern zugleich die Merkmale eines nach § 263 strafbaren Betrugsversuches verneint werden. In dieser Richtung hat das RG. durch Urt. des I. Strafsen. v. 21. April/5. Mai 1898, Goltd. Bd. 46 S. 216, ausgesprochen, „dafs der Versuch, durch das Versprechen einer nach dem Wissen des anderen unerlaubten Leistung eine Vorleistung zu erlangen, eine Vermögensbeschädigung dessen, der zur Vorleistung bestimmt werden solle, nicht bewirken könne; damit sei ausgeschlossen, dafs bei solchem Versuche die blofse Vorspiegelung des Willens, die Gegenleistung zu beschaffen, einen Betrugsversuch ausmachen könne“. engerer Fassung ist derselbe Gedanke in dem Urt. des IV. Strafsen. v. 3. Juli 1903, Entsch. Bd. 36 S. 344, dahin ausgedrückt, dafs in solchen Fällen auch Betrugsversuch seitens dessen nicht gegeben sei, der seinem und des Gegenteils Willen entsprechend eine unerlaubte Leistung verspreche, um den anderen zu seinerseitiger Leistung zu bestimmen". Folgt man diesen Aussprüchen, so scheint die Möglichkeit eines Betrugsversuches in den Fällen nicht verkannt zu sein, wo der Vorspiege lung kein Glauben geschenkt und aus diesem oder einem anderen von dem Willen des Täters unabhängigen Grunde, z. B. gerade wegen des unsittlichen Charakters der angebotenen Dienste, die verlangte Geldgewährung verweigert wird. Dieser Standpunkt ist indes nicht aufrechtzuhalten; er führt zu dem Ergebnisse, dafs die Entscheidung über das Vorliegen eines Betrugsversuches von einem in der Person des Getäuschten hinzutretenden und in der Mehrzahl der Fälle der Vorspiegelung erst nachfolgenden Momente, nämlich von dessen Zustimmung oder Ablehnung, abhängt, während es im Rahmen des § 43 StrGB. doch nur darauf ankommt, ob in der Person des Täters, bei der Vorspiegelung, ein dem § 263 entsprechender Vorsatz obgewaltet hat. Einer

über diese Urteile hinausgehenden Ansicht begegnen wir in dem Urt. des III. Strafsen. v. 6. Juni 1898, Goltd. 46 S. 330. Dort ist in einem Falle, in welchem der Angeklagte sich als Gefangenenaufseher ausgegeben und zum Zwecke der vorgeblichen Befreiung eines Gefangenen von dessen Angehörigen 3000 M. verlangt, jedoch wegen Unglaubwürdigkeit seiner Angaben nichts erhalten hat, die wegen versuchten Betruges erfolgte Verurteilung aufgehoben und dabei ausgeführt, dafs die Hingabe von Vermögenswerten zwar tatsächlich, rein ökonomisch betrachtet, eine Minderung des Vermögens herbeigeführt haben würde, diese Vermögensminderung als solche jedoch für das Recht nicht existiere; hiernach erscheine gleich der Annahme eines vollendeten Betruges auch die Annahme eines Betrugsversuches schlechthin ausgeschlossen, da das Bewusstsein des Täters das Eintreten einer Vermögensbeschädigung im rechtlichen Sinne umfafst haben müsse, in einem Falle der gegenwärtigen Art aber nur einen rechtlich nicht als Vermögensbeschädigung zu qualifizierenden Erfolg umfafst haben könne, den der Täter entweder als den Begriff des Vermögensschadens nicht erfüllend erkannt oder nur irrtümlich als Vermögensbeschädigung aufgefasst habe; in letzterem Falle würde „nur eine strafrechtlich bedeutungslose Wahnvorstellung des Täters vorliegen, durch welche die nach dem Gesetz an sich straflose Tat nicht zu einer strafbaren habe umgewandelt werden können". Ich möchte das Gegenteil annehmen: die an sich strafbare Tat konnte durch die Beschaffenheit des Zwecks, zu welchem die 3000 M. verlangt waren, schon um des willen nicht straffrei werden, weil dieser Zweck vom Täter nur vorgespiegelt und auf seiner Seite gar nicht vorhanden war. Der Vorsatz des Täters ist derselbe, gleichviel ob von ihm als Zweck die Ablieferung des Geldes an die Ortsarmenkasse oder an die Lohndirne vorgegeben wird. Auch in Fällen der letzteren Art enthält die Feststellung eines auf Vermögensbeschädigung gerichteten Vorsatzes keinen Widerspruch, wenn der unsittliche Zweck in einem Irrtum des Getäuschten beruht und dieser Irrtum vom Täter mit dem Bewusstsein erregt oder unterhalten ist, dass die von ihm mittels des Irrtums erstrebte Disposition des Getäuschten für diesen mit dem Verluste von Vermögenswerten verbunden ist. Für strafrechtlich bedeutungslos könnte die vom RG. als „Wahnvorstellung“ bezeichnete Annahme des Täters, dafs das Vermögen des Getäuschten durch die Hingabe des Geldes gemindert werde, nicht einmal da erachtet werden, wo diese Annahme unrichtig und das Ergebnis eines zivilrechtlichen Irrtums ist. allgemeinen Grundsätze über den Versuch mit untauglichen Mitteln finden auch beim Betrugsversuche Anwendung. Soweit danach die Annahme eines strafbaren Versuchs nicht von der Tauglichkeit des Mittels zur Herbeiführung einer Vermögensbeschädigung, sondern nur davon abhängt, dafs der Täter das Mittel für tauglich gehalten hat, handelt es sich um eine rein tatsächliche Frage, welche auf dem Boden der Wirklichkeit, aus dem Geiste des Täters heraus, zu beantworten ist. Dabei wird sich regelmässig ergeben, dafs dem Vorstellungsvermögen des Täters die Konstruktion eines tatsächlich eingetretenen, rechtlich aber ausgeschlossenen Vermögensschadens fern geblieben ist. Aber auch dem gewiegten Kriminalstudenten, der durch Gerichtsverhandlungen oder Zeitungsnotizen auf die Judikatur des RG. aufmerksam geworden ist und sich diese zunutze macht, darf der Tatrichter entgegenhalten, dafs Angeklagter von seinem Standpunkt aus die Vermögensbeschädigung des Getäuschten nicht bezweifelt hat.

Reichsgerichtsrat a. D. Galli, Leipzig.

Die

Leistung an den geschäftsunfähigen Präsen tanten eines Inhaberpapieres. Ueber diese Frage ist in der einschlägigen Literatur bisher kaum etwas zu finden, trotz der erheblichen Wichtigkeit der Materie für die Praxis. Vielfach wird angenommen, dafs der Zweck der Inhaberklausel in den Versicherungspolicen für einen grofsen Komplex von Fällen illusorisch werde, wenn man die Prüfungsfreiheit nur auf die materielle Legitimation beschränken wollte. Die in der Tat unverkennbare Bedeutung der Frage dürfte daher eine Erörterung an dieser Stelle rechtfertigen. Ich werde dabei die Fälle einer völligen Geschäftsunfähigkeit und einer beschränkten Geschäftsfähigkeit des Präsentanten getrennt behandeln.

1. Dass der völlig Geschäftsunfähige, z. B. Geisteskranke, zu den Personen gehöre, die im Sinne des § 793 BGB. „zur Verfügung über die Urkunde nicht berechtigt sind", ist meines Wissens in der Literatur überall anerkannt und auch wohl unbestreitbar. Damit ergibt sich aber noch keine Entscheidung unserer Frage. Denn da nach Satz 2 daselbst der Aussteller auch durch die Leistung an einen nicht zur Verfügung berechtigten Inhaber befreit wird, so kann die mangelnde Verfügungsberechtigung des Präsentanten allein eine Befreiung des leistenden Ausstellers nicht verhindern. Auch innere Gründe ergeben, soweit ich übersehen kann, nichts gegen die Anwendbarkeit des Satzes 2 auf unseren Fall, ja die Verkehrssicherheit, auf deren Förderung das ganze Institut der Inhaberpapiere zugeschnitten ist, scheint entschieden für die Befreiung des Ausstellers auch durch Leistung an einen Geschäftsunfähigen zu sprechen.

Durch Leistung! Aber kann denn der Aussteller an eine derartige Person überhaupt wirksam „leisten“? Schwerlich lässt sich die Frage für alle Fälle gleichmässig beantworten. Mit Recht hat sich die Literatur des neuen Rechts gröfstenteils von dem alten Aberglauben freigemacht, dafs die Erfüllung als solche notwendig ein Vertrag sei und daher zu ihrer Gültigkeit unter allen Umständen eine Geschäftsfähigkeit des Erfüllungsempfängers voraussetze. „Ueberall“, sagte ich schon in meinem Kommentar (zu § 362 Nr. 4b) und halte es noch heute aufrecht, „wo nicht sowohl dem Gläubiger ein selbständiges Gut verschafft, als vielmehr eine seiner Person unmittelbar zugute kommende Leistung vollzogen werden soll", ist eine Geschäftsfähigkeit des Empfängers nicht notwendig geboten.

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Auf derartige Leistungen - eine kasuistische Aufzählung derselben würde hier zu weit gehen kann an sich auch eine Inhaberschuldverschreibung gerichtet sein. § 793 spricht bekanntlich von „Leistungen allgemein, bezieht also Leistungen irgendwelcher Art ein, die überhaupt den Inhalt eines Schuldverhältnisses nach allgemeinen Regeln bilden können. Und sofern der Aussteller eine solche, sozusagen „nicht empfangsbedürftige“ Leistung „an den Inhaber versprochen hat, wird sie auch dem geschäftsunfähigen Inhaber gegenüber mit befreiender Kraft vollzogen werden können. Dafs sie auf eine Präsentation seinerseits erfolgt, begründet schwerlich einen Unterschied; dadurch kann der Leistung selbst, die nach der Sachlage übrigens keinen Vertragscharakter aufweist, für sich allein unmöglich ein solcher verliehen werden!

Aber hinter dieser theoretischen Möglichkeit bleibt die praktische Wirklichkeit erheblich zurück. Nur äusserst selten dürften Inhaberschuldverschreibungen vorkommen, die auf eine andere Leistung als auf ein „dare“, insonderheit ein „dare“ von Geld oder sonstigen vertretbaren Sachen, gerichtet wären. Insofern vollzieht sich die „Leistung“ des Ausstellers tatsächlich fast ausnahmslos in Form eines Vertrages, insbesondere der Uebergabe (traditio). Diese

aber erfordert nach § 929 ein Einigsein der Parteien über den Eigentumsübergang und somit auch Geschäftsfähigkeit wie des Gebers so des Empfängers. Die Willenserklärung des Geschäftsunfähigen und damit der Traditionsakt an ihn ist nichtig (§ 105 BGB.); der Aussteller des Inhaberpapieres bleibt also Eigentümer der geleisteten Gegenstände, folgerecht aber auch Schuldner des aus dem Papier Berechtigten, sei dieser nun der geschäftsunfähige Empfänger oder ein dritter.

Dagegen liefse sich wohl nur aus § 797 ein Bedenken herleiten. Der Aussteller braucht allein gegen Aushändigung des Papieres zu leisten und wird nur selten unterlassen, von dieser Befugnis Gebrauch zu machen. Mit der Aushändigung aber erwirbt er am Papier selbst dann das Eigentum, wenn der Inhaber nicht verfügungsberechtigt war, kann also fürderhin aus dem Papier nicht mehr in Anspruch genommen werden.

in der Aus

Vollzieht sich der Erwerb aber auch in unserem Fall? Wer in der Aushändigung des § 797 ein Rechtsgeschäft, eine nur durch ihre Erzwingbarkeit und die verstärkte Rechtsfolge (gegenüber §§ 932, 935) ausgezeichnete Tradition erblickt, mufs die Frage unbedingt verneinen, da es am gültigen Uebereignungsakt in unserem Falle natürlich fehlt. Aber auch, wer eine Entscheidung der schwierigen Frage erübrigt sich hier händigung nur einen tatsächlichen Akt sieht und daher eine „Absicht des Inhabers, das Eigentum zu übertragen“, nicht erfordert (so Planck zu § 797 Nr. 2), wird kaum anders entscheiden können. Denn mag auch § 797 einen „transitus legalis" aussprechen, so doch nur einen an das Vorhandensein des dort vorgesehenen Tatbestandes geknüpften, d. h. an die Aushändigung des Papieres Zug um Zug gegen die oder nach Vollziehung der Leistung. Da es aber an einer gültigen Leistung dem Geschäftsunfähigen gegenüber fehlt, liegt auch keine den Anforderungen des § 797 entsprechende Aushändigung vor. 2. Kürzer beantwortet sich die Frage, wenn der Präsentant nur etwa als Minderjähriger oder entmündigter Verschwender in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist. Denn das bisher Gesagte findet auf diesen Fall fast durchweg entsprechende Anwendung. Der beschränkte Geschäftsfähige kann ohne Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters nur solche Willenserklärungen wirksam vornehmen, die ihm lediglich einen rechtlichen Vorteil bringen, BGB. §§ 107, 114. Zu solchen gehört aber der vertragsmäfsige Leistungsempfang unter keinen Umständen:

a) War der beschränkt geschäftsfähige Präsentant der Inhaberschuldverschreibung wahrer Gläubiger, SO könnte ihm die empfangene Leistung zwar Eigentum verschaffen, würde ihm aber zugleich seine Forderung entziehen. Sie bringt ihm folgerecht keinen ausschliesslich rechtlichen Vorteil, ist somit als einwilligungslose ungültig oder, genauer gesagt, in ihrer Gültigkeit im Sinne von BGB. §§ 108 ff. in der Schwebe.

b) Aber auch, wenn er nicht der wahre Gläubiger war, mufs dasselbe gelten. In diesem Fall würde der beschränkt geschäftsfähige Präsentant durch den Leistungsempfang zwar kein Forderungsrecht verlieren, dafür aber gemäfs § 816 Abs. 2 BGB. einem Bereicherungsanspruche des wirklichen Gläubigers ausgesetzt werden, einem Anspruche, der sich bei bösem Glauben sogar noch verschärfen könnte (§ 819). Für einen aus dem Empfang zu ziehenden reinen rechtlichen Vorteil" ist also niemals Raum und damit auch nicht für eine Gültigkeit des (einwilligungsoder genehmigungslosen) Leistungsempfangs.

Professor Dr. Oertmann, Erlangen.

Zur Frage der Entlastung des Reichsgerichts in Zivilsachen. I. In mehrfachen Ausführungen zur Begründung der Erhöhung der Revisionssumme wird m. E. zu sehr Gewicht darauf gelegt, dafs verhältnismäfsig viele Revisionen zurückgewiesen werden: der Erfolg der Revision in der einzelnen Sache interessiert die Allgemeinheit weniger als die Rechtsansicht des Reichsgerichts. Mit welcher Spannung werden doch die Entscheidungen unseres höchsten Gerichtshofes besonders seit Inkrafttreten des BGB. erwartet! Aber nur zu einem kleinen Teil konnte bisher das Reichsgericht dazu Stellung nehmen. Wenn nun durch Erhöhung der Revisionssumme diese Stellungnahme noch mehr erschwert wird, wäre dies gewiss für die Praxis ein Unglück. Manche Rechtsverhältnisse, die nur selten ein Objekt von 3000 M., oder gar 5000 M., erreichen, z. B. Leihe, Auslobung, u. ä., würden dann fast ganz der Rechtsprechung des Reichsgerichts entzogen sein. Wie wäre es nun, wenn der Grundsatz des § 380 StrPO. auch auf das bürgerliche Recht ausgedehnt, also die Revision in prozessualen Fragen bedeutend erschwert würde? Ein Anlauf dazu ist schon durch § 558 ZPO. gemacht. Die dringende Auslegung des materiellen Rechts würde dann keine Einbufse erleiden. Dieses Recht ist auch viel wichtiger als das formale. Viele Fragen des Prozefsrechts, derentwegen eine Aufhebung des Berufungsurteils erfolgte, waren auf die Endentscheidung einflufslos und verzögerten nur die Erledigung des Rechtsstreits. Gerade Rügen von Prozefsfehlern sind gewiss ein leichtes, oft benutztes Mittel, um den Prozefs zu verschleppen. Es ist auch das formale Recht in den 25 Jahren seines Bestehens vom Reichsgericht beinahe erschöpfend behandelt worden; es gibt wohl nur noch wenige wichtige Streitfragen, zu denen es noch nicht Stellung genommen hat. Für besonders wichtige Prozefsvorschriften, z. B. über den Eid, könnte die alte Revisionssumme noch bleiben, ebenso für einige wichtigere Bestimmungen der Novelle v. 17. Mai 1898; auch § 547 soll bleiben, wie er ist. Für alle übrigen Prozefsvorschriften aber könnte die Revisionssumme auf 5000 M. oder noch höher hinaufgesetzt werden. Dadurch wird auch das Prozefsrecht nicht völlig der Rechtsprechung des RG. entzogen. Ob hierdurch eine genügende Entlastung eintreten würde, könnte leicht festgestellt werden. Allerdings müsste, um den Vorschlag praktisch zu machen, das Verfahren vor dem RG. dahin geändert werden, dafs letzteres bei Rügen von Prozefsfehlern ohne mündliche Verhandlung durch einen Formularbeschlufs die Revision zurückweisen kann, wenn die Revisionssumme nicht gegeben ist. Dadurch müfste das Berufungsurteil unbedingt vollstreckbar werden. Immerhin könnte man noch der durch einen solchen Beschlufs benachteiligten Partei das Recht geben, eine mündliche Verhandlung, vielleicht unter beschränkenden Voraussetzungen, zu beantragen, ohne hierdurch die Vollstreckbarkeit des Urteils zu hemmen. Auch hier haben wir in den §§ 361, 386 der StrPO. ein Analogon.

Amtsrichter Gusinde, Zabrze.

II. Im Anschlufs an meinen bereits S. 56 d. Bl. gemachten Vorschlag möchte ich noch folgende Anregung geben:

Die Rechtsprechung in Patent- und MusterschutzProzessen wird für die letzte Instanz einem bei dem Reichspatentamte zu bildenden obersten Reichsgerichtshofe, dessen Senate mit 7 Richtern unter Vorsitz eines Präsidenten besetzt werden, übertragen. Die Ernennung der Richter erfolgt wie beim Reichsgerichte. Die Richter sind Reichsbeamte.

Hierdurch würde nicht nur eine erhebliche Entlastung

des Reichsgerichts, sondern auch eine schnellere, sehr oft den Verhältnissen besser angepasste Spruchfällung erfolgen, da diese Richter mit der Praxis in steter Fühlung bleiben.

Durch diesen Vorschlag möchte ich keineswegs die hervorragenden Leistungen des Reichsgerichts und speziell die des für Patent- und Musterschutzsachen in Betracht kommenden I. Zivilsenats bemängeln; aber das Interesse des Publikums erfordert gerade für derartige Prozesse eine möglichst beschleunigte Erledigung.

Justizrat Viebig, Berlin.

Bahnhofsautomaten und Sonntagsruhe. Dass Verkaufsautomaten den zeitlichen Betriebsbeschränkungen, welche die Gewerbeordnung den „offenen Verkaufsstellen" auferlegt, unterliegen, ist allgemein anerkannt. Zweifel bestehen hinsichtlich der Behandlung der Automaten in Gastwirtschaften und der Bahnhofsautomaten.

Soweit die Automaten innerhalb der Gastwirtsbetriebe in Betracht kommen, dürfte, wenigstens für Preussen, die Grundlage einer einheitlichen rechtlichen Behandlung in dem Urt. des Kammergerichts v. 26. Juni 1893 (Johow, Bd. 14 S. 385) gegeben sein. Danach fallen solche Automaten, insoweit sie wirklich zur Unterstützung des Schankgewerbes dienen, nicht unter § 105 b GewO. Schwankend ist dagegen die Rechtsprechung über die Bahnhofsautomaten. Mehrere Oberlandesgerichte haben sich für die Anwendung der betriebseinschränkenden Bestimmungen der Gewerbeordnung ausgesprochen, viele andere dagegen. In diesem Blatte 1901 S. 512, 1904 S. 559 sind zwei vom OLG. Braunschweig erlassene Urt. v. 23. Okt. 1900 und 28. April 1903 veröffentlicht, welche die Geltung des § 6b GewO., der die Eisenbahnunternehmungen von den Bestimmungen der GewO. ausnimmt, auf Bahnsteigautomaten nicht erstrecken lassen. Den Begründungen beider Urteile kann m. E. nicht beigepflichtet werden.

Das zweite dieser Urteile geht von der zutreffenden Voraussetzung aus, dafs es darauf ankomme, ob der Automatenbetrieb in den Betrieb des Eisenbahnunternehmens falle, verneint aber die Frage mit der Deduktion, „dafs nicht alle Veranstaltungen, die zum Betriebe des Eisenbahnunternehmens in eine rein äufserliche Verbindung gebracht sind, ohne in dem Transportzweck selbst ihre notwendige Basis zu finden, dazu gerechnet werden können“, und dafs der Warenverkauf mittels Automaten auf den Bahnhöfen, auch wenn ihn die Eisenbahnverwaltung selbst betreibt, nur in einer rein äufserlichen Beziehung zu dem Bahnunternehmen stehe".

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Diese Ausführung hat den Fehler, dass sie sich in einem zu engen kasuistischen Rahmen bewegt. Schon der Ausdruck „Gewerbebetrieb der Eisenbahnunternehmungen“ schliefst begrifflich mehr als den auf den Transportzweck unmittelbar gerichteten Gewerbebetrieb ein. Er weist auf die Zurechnung der dem eigentlichen Transportbetrieb dienenden, ihn ergänzenden Vorkehrungen und gewerblichen Anstalten hin, soweit sie nicht aus der wirtschaftlichen Einheit des Unternehmens selbst herausfallen (Entsch. des RG. in ZS. Bd. 8 S. 54). Wenn das Urt. des KG. bei der Verneinung der Sonntagsruhe für Gastwirtschaftsautomaten es für genügend erklärt, dafs die Automaten den Wirtschaftsbetrieb nur unterstützen, so mufs, was den Gastwirtschaften recht ist, den Eisenbahnen bei der viel umfassenderen Natur ihres Unternehmens um so billiger sein und die Abstellung des entscheidenden Moments auf den blofsen Transportbetrieb verfehlt erscheinen.

Natürlich können nicht die Grenzen beliebig weit gezogen werden, sondern es müssen sich für die Sub

sumierung der Eisenbahnautomaten unter § 6b a. a. O. sichere Kriterien finden lassen, welche die Schranken objektiv bestimmen. Solche Kriterien ergeben sich aus der örtlichen, sachlichen und persönlichen Zugehörigkeit zu dem Eisenbahnunternehmen in dem Sinne, dafs alle drei Beziehungen zusammen vorliegen müssen, damit der Bahnhofsautomat als Bestandteil des Eisenbahnunternehmens anerkannt werden darf.

a) In örtlicher Beziehung mufs verlangt werden, dafs der Automat sich innerhalb der Bahnhofsanlagen befindet. Würde die Bahn einen Warenautomaten etwa auf der Strafse aufserhalb des Bahnhofs halten, so würde die spezifische Beziehung zum Bahnbetriebe verloren gehen, weil die Bestimmung, den Zwecken des Reiseverkehrs zu dienen, so gelockert würde, dafs ein Unterschied von gleichartigen, nicht speziell dem Interesse des Reiseverkehrs dienenden Veranstaltungen nicht zu finden wäre. Dagegen kommt es nicht darauf an, welchen Standort innerhalb der Bahnhofsanlage der Verkaufsautomat hat, wie auch in einer von den Entscheidungen, welche das Braunschweiger Urt. irrigerweise für seine Ansicht zitiert, nämlich im Urt. des OLG. Naumburg v. 7. März 1903 (in d. Bl. 1903 S. 228), ausgeführt wird. Danach brauchen die Bahnhofsautomaten nicht einmal auf dem Bahnsteig selbst oder in den Wartesälen zu stehen, können also sich in der Vorhalle, in Korridoren usw. befinden, um unter § 6b a. a. O. zu fallen.

b) In sachlicher Beziehung ist zu erfordern, dass die durch den Automaten verkauften Gegenstände der Erleichterung, Sicherheit und Bequemlichkeit des Reisens - dienen. Es ist zuzugeben, dafs hier leicht eine straffere Bestimmtheit vermifst werden kann. Aber man sollte doch im Zeitalter, „das im Zeichen des Verkehrs steht", bei der Sichtung der Automatenwaren unter dem hier hervorgehobenen Gesichtspunkt nicht zu kleinlich vorgehen. Nach dem anderen Braunschweiger Urt. (in d. Bl. 1901 S. 512) sind „Kölnisches Wasser, Sturm- und Wachsstreichhölzer, Päckchen mit Nadeln, Zwirn u. dgl." nicht zugelassen. Aber bei diesen Gegenständen kann die unmittelbare Beziehung zur Reinlichkeit, Bequemlichkeit und selbst Sicherheit des Reisens nicht mit Recht verneint werden. Dafs Automaten mit solchen Sachen „nicht zur Befriedigung schon bestehender Bedürfnisse, sondern zu dem Zwecke aufgestellt werden, die Begehrlichkeit erst künstlich zu erzeugen", dürfte nur einer ziemlich puritanischen Auffassung von Reiseluxus entsprechen. Das zit. Urt. des KG. nimmt einen freieren Standpunkt ein, wenn es in mit Schokolade und Bonbons gefüllten Automaten nichts über den Betrieb der Gastwirtschaften Hinausgehendes fand. M. E. würde die sachliche Beziehung bei den mancherlei Erfrischungen, die zum Genusse durch Verzehren, Rauchen, Einatmen dienen, bei Zündhölzern, kleinen Hausmitteln gegen körperliches Unbehagen auf der Reise, kleineren Utensilien zur Reinigung und Toilette, bei Zeitungsblättern, Ansichtskarten u. dgl., nicht aber bei gröfseren Büchern, Blumensträufsen, voluminösen Reiseandenken usw. vorhanden sein.

c) Die persönliche Beziehung des Automatenbetriebs zum Eisenbahnunternehmen dürfte in der Praxis die geringste Schwierigkeit machen, da erfahrungsgemäss entweder der Bahneigentümer für seine Rechnung oder ein dritter auf Grund Vertrages mit demselben einen Automaten aufstellt. Diesem dritten ist dann eben ein innerhalb des Bahnunternehmens liegender Betrieb abgetreten.

Rechtsanwalt Immerwahr, Beuthen.

In einer

Eidesverweigerung im Strafprozess. kürzlich in Berlin vorgekommenen Strafkammer-Verhandlung sollen, Tageszeitungen zufolge, zwei einer religiösen Sekte angehörige Zeugen die Beeidigung ihrer Aussagen verweigert haben unter Berufung auf die Worte der Bibel: „Eure Rede sei ja, ja, nein, nein; was darüber ist, das ist vom Uebel." Vergeblich gab der Vorsitzende sich Mühe, die Zeugen zu einer Sinnesänderung zu bewegen, indem er ihnen vorhielt, die Schrift besage auch: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat." Die Zeugen erwiderten, es stehe dagegen geschrieben, man solle Gott mehr gehorchen als den Menschen, und blieben bei inrer Weigerung. Die Verhandlung mufste schliesslich vertagt werden, und die Zeugen wurden in eine Geldstrafe genommen.

Dieser Vorfall regt wieder einmal zum Nachdenken an über die bestehenden gesetzlichen Vorschriften betreffend die obligatorische Beeidigung des Zeugnisses und deren Erzwingung.

Zunächst kann es nicht gerade zur Erhöhung der Autorität des Richters beitragen, wenn dieser mit Zeugen über Bibelstellen zu polemisieren anfängt und dabei womöglich den kürzeren ziehen mufs. Dies wird leicht der Fall sein, da Personen, die aus den angegebenen Gründen den Eid verweigern, mit den hierauf bezüglichen Stellen der Heiligen Schrift genau Bescheid zu wissen, darauf gewissermassen dressiert zu sein pflegen. Und doch wird jeder, der als Richter längere Zeit in der Praxis gestanden hat, es jenem Vorsitzenden nachfühlen können, dafs er erst alles mögliche versucht hat, die Zeugen auf gütlichem Wege zur Aufgabe ihres Standpunktes zu veranlassen. War doch die Perspektive, die sich ihm bei beharrlicher Weigerung eröffnete, eine nicht gerade angenehme.

Nach § 69 StrPO. mufs bei Eides weigerung gegen den renitenten Zeugen eine Strafe, und zwar eine einmalige, festgesetzt werden; aufserdem kann zur Erzwingung nicht nur des Zeugnisses, sondern auch der Beeidigung (so nimmt wenigstens trotz der zweifelhaften Fassung des Gesetzes die herrschende Meinung an) die Haft angeordnet werden.

Ist es hiernach dem Ermessen des Richters überlassen, ob er das Zwangsverfahren einschlagen will oder nicht, so wird man doch anerkennen müssen, dafs dieses Ermessen nicht zu einem rein willkürlichen werden darf. Vielmehr wird der Zwang nur da nicht anzuwenden sein, wo zwar keine gesetzlichen, aber doch aus anderen Gesichtspunkten billigenswerte Gründe der Weigerung vorgebracht werden oder sonst erhellen, so z. B. wenn es sich um Schonung weiblicher Ehre, Wahrung anvertrauter Geheimnisse und dgl. handelt. In allen anderen Fällen, wo schutzbedürftige Interessen nicht vorliegen, wird der Richter aus dem ihm verliehenen Recht auch die Pflicht herleiten müssen, den Zwang anzuwenden. Fadenscheinige oder törichte Weigerungsgründe gelten zu lassen, würde ein klägliches Zurückweichen der von ihm vertretenen Staatsautorität bedeuten. Bedenklich erscheint es aus diesem Grunde auch, die Ausübung des Zwanges etwa von der gröfseren oder geringeren Wichtigkeit der Zeugenaussage abhängig zu machen.

Daber wird man zu dem Schlusse gelangen, dass bei Verweigerung des Zeugnisses der Zwang unter Umständen nicht Anwendung zu finden braucht, wohl aber bei Verweigerung der Beeidigung des einmal abgelegten Zeugnisses. Denn für diese Weigerung werden stets nur mifsverstandener Schriftauslegung entstandene oder doch jedenfalls von den grofsen Religionsgemeinschaften unserer Tage nicht anerkannte religiöse Bedenken ange

aus

führt werden können, die der Richter gegenüber der Vorschrift des Gesetzes nun einmal nicht berücksichtigen darf, ohne der Staatsautorität einer von ihm als irrig erkannten Sektenlehre zuliebe etwas zu vergeben.

Welche Folgen können sich nun aber daraus ergeben, dafs in diesem Falle der Richter den Zwang anwenden mufs? Zunächst wird, wenn die Weigerung, wie dies naturgemäss der Regelfall sein wird, in der Hauptverhandlung erfolgt, die Vertagung der Verhandlung und ihre Aussetzung bis zur Beendigung des Zwangsverfahrens erforderlich werden. Denn da die Haft nicht über die Beendigung des Verfahrens in der Instanz hinaus dauern darf, so würde ihre Verhängung bis zur Urteilsfällung am selben Tage, also für wenige Stunden, wohl keinen grofsen Eindruck auf den Zeugen machen. Bleibt dieser beharrlich bei seiner Weigerung, wie es gerade in Fällen, wo dieselbe aus religiösen Gründen erfolgt, leicht geschehen wird, so mufs die Aussetzung (aufser bei Uebertretungen) 6 Monate dauern. Wie nun, wenn es sich um einen Angeklagten handelt, der sich in Untersuchungshaft befindet und um solcher törichten Eides weigerung willen 6 Monate länger in dieser Haft schmachten soll? Darf der Richter ihm zuliebe von der Ausübung des Zwanges Abstand nehmen? Nach dem, was eben erörtert wurde, ist diese Frage zu verneinen.

Dieses betrübende Ergebnis legt wieder einmal die Frage nahe: Läfst sich eine erhebliche Einschränkung der Eidesleistungen nicht ermöglichen und durchführen? Ist nicht der schon oft erhobenen Forderung doch Rechnung zu tragen, dafs der unbeeidigten Zeugenaussage auch in der Hauptverhandlung geglaubt werden dürfe, dafs ihre Beeidigung nur aus besonderen Gründen anzuordnen und auch die unbeeidigte falsche Aussage unter, wenn auch geringere, Strafe zu stellen sei? Der Ueberfülle unnötiger Eidesleistungen hätte vielleicht auch schon dadurch längst abgeholfen werden können, dafs man, wie im Zivilprozess den Parteien, so hier dem Staatsanwalt und dem Angeklagten gestattet hätte, auf Beeidigung eines Zeugen zu verzichten. Gibt der § 244 StrPO. dem Gericht das Recht, von der Erhebung einzelner Beweise abzusehen, wenn die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte hiermit einverstanden sind, so könnte bei gleicher Voraussetzung ihm auch das Recht eingeräumt werden, die Beeidigung eines Zeugen zu unterlassen.

Amtsrichter Leisering, Tondern.

Vertragsmäfsige Ordnung des Einflusses kurzer Verhinderungen auf den Lohnanspruch. § 616 BGB. Das preufs. Justizministerialblatt v. 1904 enthält auf S. 271 eine neue allgemeine Verfügung, die von der Befugnis Gebrauch macht, die Folgen unter § 616 BGB. fallender Verhinderungen für die Bemessung der vertragmäfsigen Vergütung aus Dienstverträgen des Justizfiskus mit seinen Angestellten den Bedürfnissen der Justizverwaltung entsprechend zu ordnen durch Anordnung der Aufnahme entsprechender Bestimmungen in die Dienstverträge. Es ist speziell festgesetzt, inwieweit militärische Uebungen und Erkrankungen, Verhinderungen durch Wahrnehmung von Terminen (als Schöffe, Geschworener, Zeuge, Sachverständiger, Vormund usw.), Kontrollversammlungen, Teilnahme an Wahlen u. dgl. zur Belassung, Kürzung oder Vorenthaltung des Gehalts kontraktlich Anlafs geben sollen und inwieweit Spielraum für das Ermessen des Vorstandes der den Arbeiter beschäftigenden Behörde bleiben soll. Dieses Ermessen ist namentlich für Verhinderungsfälle für entscheidend erklärt, die durch dringende persönliche Angelegenheiten, beispiels

weise Geburten, Taufen, Eheschliefsung, Todesfälle, Termine in eigenen Sachen, veranlasst sind.

Die Bedürfnisse des Justizfiskus gleichen in diesen Hinsichten denen aller der Arbeitgeber, die viele. Angestellte beschäftigen, mögen auch die Meinungen über den Umfang solcher Bedürfnisse auseinandergehen.

Ob der Arbeitgeber oder der Arbeiter bei Ersetzung der Dispositivnorm des Gesetzes durch solche Abreden rechnerisch besser wegkommt, hängt von dem Inhalte der Auslegung der Dispositivnorm durch die Gerichte ab. Es läfst sich daher nicht generell sagen, dafs solche Spezialabreden eine Begünstigung oder eine Benachteiligung des Angestellten enthalten, zumal auch Aenderungen der vertraglichen und gesetzlichen Festsetzung der Höhe der Vergütungen notgedrungen im Laufe der Zeit etwaige generell verschlechternd oder verbessernd auf die Lage des Angestellten einwirkende Einflüsse solcher Spezialabreden beseitigen. Aber eins ist klar:

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Insoweit der Angestellte gegenüber dem Arbeitgeber der wirtschaftlich Schwächere ist und er ist das ja in der Regel insoweit trägt er, von der Hand in den Mund lebend, den unverschuldeten Ausfall schwerer, als der Dienstherr die zeitweilige Zahlung von Gehalt ohne Gegenleistung.

Auf dieser Grundlage gelange ich zu folgenden Ergebnissen:

a) Bei Lage der geltenden Gesetzgebung ist es nicht unpraktisch und nicht nur durch einseitiges Arbeitgeberinteresse geboten, in Dienstverträgen Spezialabreden über die Folgen zeitweiliger Verhinderungen des Angestellten zu treffen, die geeignet sind, beide Teile vor Ueberraschungen durch ihren Intentionen nicht entsprechenden Inhalt richterlicher Normierung der Verhinderungsfolgen zu sichern.

b) Wirtschaftlich starke Arbeitgeber sollten, gleichviel, ob das richterliche Ermessen durch Vertrag eingeschränkt ist oder nicht, konkret prüfen, wo ausnahmsweise auch freiwillige Belassung des Gehalts in unverschuldeten Verhinderungsfällen durch besondere Tüchtigkeit oder besondere Notlage des Angestellten geboten erscheint.

c) Auch die Vertreter von Vermögen einer juristischen Person oder einer Gesellschaft sollten es nicht für pflichtwidrig halten, nach dem Grundsatze b zu handeln. Es wäre ein unberechtigter Vorwurf der Oberrechnungs-, kammer oder der Gesellschaft gegen Vorstände oder gesetzliche Vertreter, wenn man einen solchen daraus herleiten wollte, dafs sie als Verwalter fremden Vermögens nicht glauben, anders handeln zu müssen, als sie es als „gute Hausväter" und als Ehrenmänner in ihren eigenen Angelegenheiten tun würden.

Leider glauben Vertreter fremder Vermögen gar zu oft, solche Vorwürfe scheuen und demgemäss handeln zu dürfen und zu müssen.

d) Der Uebergang von landrechtlicher Kasuistik zur weitgehenden Zulassung freien richterlichen Ermessens durch § 616 BGB. war ein unleugbarer Fortschritt. Alle Verhältnisse des Lebens können kasuistische Rechtsnormen niemals treffen, wie wir Landrechtler gesehen haben; es folgt das daraus, dafs die Lebensverhältnisse eben unzählig sind. Ordnung bei Vertragsschlufs nicht geordneter Verhältnisse durch freies richterliches Ermessen sichert ihre angemessene Ordnung besser als ein kasuistisches Gesetz. Konkrete Unbilligkeiten kann dies nicht vermeiden, wohl aber der Richter und am besten der Vertrag.

Rechtsanwalt Dr. Siehr, Königsberg.

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