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Entscheidung (Jur.-Ztg. 1904 S. 346) ausdrücklich, dafs er kein Bedenken trage, „zuzulassen, dass der Käufer vom Vertrage für die noch ausstehenden Lieferungen zurücktrete." Das ist aber kein Rücktrittsrecht mehr, sondern Konstatierung eines Kündigungsrechts. Denn durchbrochen ist der erste. Satz des Rücktrittsrechts, auf den sich alle übrigen Rechtssätze dieses Instituts stützen, nämlich, dafs die Parteien einander die empfangenen Leistungen zurückzugewähren haben.

Ebenso zeigt ein Blick auf die Voraussetzungen des Rücktrittsrechts, dafs die Staubsche Lehre in Wahrheit zu einem Kündigungs-, nicht zu einem Rücktrittsrechte führt.

Der § 326 berücksichtigt nicht den besonderen Fall des Dauergeschäfts (auch Satz 3 betrifft nicht derartige Geschäfte, sondern nur den Fall, dass eine einzelne, innerhalb einer gesetzten Frist ganz zu bewirkende Leistung nur teilweise ausgeführt wird), bei dem die einzelne Leistung hinter das vertragliche Verhalten, als Ganzes genommen, mehr oder minder zurücktritt. Er ist nur auf den gewöhnlichen Fall zugeschnitten, dafs eine Hauptleistung zu bewirken ist, auf deren Vollziehung alles ankommt. Er läfst daher ein Rücktrittsrecht schlechthin zu, wenn diese eine Leistung nicht fristgerecht bewirkt ist. Diese Regel führt denn auch, auf Dauergeschäfte übertragen, zu einer unleidlichen Starrheit und zu Unbilligkeit.

Denn es wäre unbillig, wenn ein einziger Fall des Verzuges oder der positiven Vertragsverletzung bei jahrelanger Vertragstreue hinreichen sollte, um das ganze Vertragsverhältnis sofort abbrechen zu können. Man vergleiche demgegenüber z. B. die nachsichtigen Bestimmungen hinsichtlich des Mietverhältnisses in den §§ 554, 553, 542, Abs. 2. Das Reichsgericht (Jur.-Ztg. S. 346, 1904) will nun zwar den § 326 nur heranziehen bei „andauernd fehlerhaften Leistungen“, und ebenso handelt es sich bei den Beispielen, die Staub zur Veranschaulichung seiner Lehre gibt, um Fälle, in denen fortgesetzt mangelhaft geliefert ist (a. a. O. S. 18 ff.). Aber wie soll diese Einschränkung mit den Bestimmungen des § 326 vereint werden, der bereits bei einer einzigen Vertragsverletzung den Rücktritt zuläfst?

Staub sagt, das Rücktrittsrecht werde nur durch solche Rechtsverletzungsakte ausgelöst, welche die Erreichung des Vertragszweckes gefährden (S. 23). Das Reichsgericht hat diese Formulierung vollkommen adoptiert. Und in der Tat würde ein unter solcher Voraussetzung gegebenes Rücktrittsrecht der Sachlage durchaus entsprechen. Es wird dadurch ausgeschlossen, was ich eben als unbillig bezeichnete, dafs stets auf Grund einer einzigen Vertragsverfehlung die Auflösung erfolgen kann. Denn nicht immer wird eine einzelne Fehlleistung die Annahme begründen, dass die künftige Erfüllung der Vertragspflichten gefährdet erscheint. Es wird jetzt das Verhalten des anderen Teiles als Ganzes betrachtet und hiervon der Rücktritt abhängig gemacht.

Dieses liberale, schmiegsame Rücktrittsrecht ist aber offenbar nicht das unseres BGB. Man wird Staub (S. 23) nicht zugeben können, dafs er mit seiner Fassung „den gesetzgeberischen Gedanken, der dem § 326 zugrunde liege“, zum Ausdruck bringe. Denn wie wir gesehen haben gewährt § 326, was namentlich in dem Regelfalle der Fristsetzung hervortritt, das Rücktrittsrecht schlechthin bei einem einzigen Falle des Verzuges. Staub schränkt also durch seine Fassung auch die Voraussetzungen für das Rücktrittsrecht wesentlich ein und bringt dadurch ein fremdes Element in den § 326, das wiederum die Merkmale des Kündigungsrechts zeigt. Man kann m. E. die Voraussetzung, unter der eine Kündigung zulässig ist, nicht treffender zum Ausdruck bringen, als wenn man sagt: Man kündigt, sobald die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. So werden bei Staub fast unmerklich die Voraussetzungen des Rücktritts verdrängt durch die der Kündigung. Dieser Vorgang kehrt noch in einem anderen Punkte wieder.

Es ist dies das in § 326 eingeführte Institut der Fristsetzung (vgl. auch die Fristsetzung des § 355 BGB.). Staub (a. a. O. S. 24) will von einer Fristbestimmung regelmäfsig absehen und sie nur unter besonderen Umständen zulassen. Das Reichsgericht (Entsch. v. 6. 3. 1903) behält sich vor, nach Lage des Einzelfalles über ihre Notwendigkeit zu befinden. Auch hier wird jeder zugeben müssen: Sehr richtig. Als regelmäfsiges Erfordernis pafst der umständliche Apparat der Fristsetzung nicht auf Dauergeschäfte. Seine innere Berechtigung hat er nur da, wo der ganze Vertrag auf eine entscheidende Leistung hinausläuft.

Ueberdies ist es vornehmlich das Institut der Fristsetzung, das dem Rücktrittsrecht die oben gekennzeichnete Starrheit verleiht und bei Dauergeschäften die einzelne Leistung aus dem Zusammenhang mit den übrigen reifst. Gewährt doch die einmalige Versäumnis einer gesetzten Frist schlechthin das Recht zum Rücktritt, ohne dafs es des Nachweises eines Interesses bedarf. Und gerade diese rein mechanische Auslösung des Rücktritts führt bei Dauergeschäften zur Härte und ermöglicht eine schikanöse Verwertung des Rücktritts.

Man kann also den Vertretern der Staubschen Lehre nur beistimmen, wenn sie eine Fristsetzung regelmässig nicht zulassen wollen. Ihre Begründung ist jedoch auch hier nicht überzeugend. Staub sagt (S. 24):,... Die positive Vertragsverletzung bricht unerwartet herein, der Unterlassung kann ein Ziel und darum auch eine Frist gesetzt werden." Es ist aber nicht ersichtlich, weshalb etwa bei einem Kohlenlieferungsvertrage das völlige Ausbleiben einer Lieferung weniger unerwartet kommen soll als das Eintreffen schlechter Kohlen, und weshalb nicht in beiden Fällen für die Lieferung vertragsmäfsiger Kohlen an sich eine Frist gesetzt werden könne.

Ich meine: Staub ist dem richtigen Rechtsgefühl gefolgt, wenn er den starren Mechanismus

der Fristsetzung verwirft; aber seine Begründung ist nicht zutreffend. Der wahre Grund, der die neue Durchbrechung des § 326 veranlafst, ist nur wieder der, dafs dieser Paragraph nun einmal auf Dauergeschäfte nicht pafst. Darum darf aber § 326 nicht willkürlich zurechtgeschnitten werden, sondern ist überhaupt nicht, weder direkt noch analog, zu verwenden. Er entspricht weder bei positiven Vertragsverletzungen noch bei einem einfachen Verzuge der Sachlage. Die Voraussetzungen, unter denen man zurücktreten darf, sind eben andere als die, welche eine Kündigung erlauben.

Hält man alles zusammen, so zeigt sich, dafs das Lösungsrecht, das Staub und mit ihm das Reichsgericht verwendet, seine rechtliche Geltung nicht dem § 326 entnehmen kann, weil es dem gesetzlichen Rücktrittsrechte dieses Paragraphen weder in seinen Voraussetzungen noch in seinen Folgen entspricht, sondern dafs in Wahrheit ein Kündigungsrecht statuiert wird. Ich gehe noch einen Schritt weiter und sage: Ein Kündigungsrecht ist es, das auch beim einfachen Leistungsverzuge not tut. Das Rücktrittsrecht des § 326 passt für Dauergeschäfte in keinem Falle, während das Kündigungsrecht gerade für solche Verhältnisse geschaffen ist.

Schliefslich, und das ist natürlich ein entscheidender Faktor, läfst sich das Kündigungsrecht auch positiv begründen. Man braucht nur auf jene zahlreichen, eingangs erwähnten Rechtsverhältnisse mit dauernder zeitlicher Bindung zurückgreifen, in denen ein Kündigungsrecht überall gewährleistet ist. Ich meine, man wird aus dieser gleichmässigen prinzipiellen Anerkennung das Kündigungsrecht sicherer entnehmen können, als wenn man auf die erweiternde Auslegung eines einzelnen Paragraphen angewiesen wäre.

Unselbständige Handlungen.

Von Landrichter Ratzlaff, Beuthen O.-S. Nach § 74 StrGB. ist bei Realkonkurrenz auf eine Gesamtstrafe zu erkennen, die in einer Erhöhung der verwirkten schwersten Strafe besteht; das Mafs der Gesamtstrafe darf den Betrag der verwirkten Einzelstrafen nicht erreichen. Diese Bestimmungen werden einer seelischen Reaktion gerecht, die das Volk treffend mit der Wendung wiedergibt: „Die Länge hat die Last". Das Gesetz weifs sehr wohl, dafs die zeitlich späteren Tage, Wochen und Monate von dem Strafgefangenen ungleich schwerer empfunden werden. Mit dem Verbot einer blofsen Addition und dem korrespondierenden Erfordernis einer Verschärfung der Einsatzstrafe erheischt das Gesetz daher eine Gesamtstrafe, die hinter der Summe der Einzelstrafen merklich zurückbleibt.

Aber wie verfährt die Praxis? Anstatt nach Festsetzung der Einzelstrafen die schwerste Strafe mit einem Ausblick auf das gesamte Summenergebnis angemessen zu verschärfen, addiert sie einfach die

Einzelstrafen und zieht von der Summe einen Teilbetrag ab. Der Abzug selbst ist fast ausnahmslos derart geringfügig, dafs er jeglicher Bedeutung entbehrt. Bei Einzelstrafen z. B. von 9, 6, 3 und 1 Monat 19 Monaten wird regelmässig nur eine Woche, höchstens ein Monat abgezogen, so dafs bestenfalls eine Gesamtstrafe von 18 Monaten bleibt, während dem Willen des Gesetzes vielleicht eine Gesamtstrafe von 12 bis 15 Monaten entsprechen würde. Diese Praxis wird weder dem Gesetze noch dem Angeklagten gerecht. Zudem hinterlässt sie einen fatalen Eindruck: Der Strafrichter soll nicht knipsen und knausern, er soll nicht kippen und wägen, wie ein Krämer; er soll vielmehr, sei es in seiner Milde, sei es in seiner Strenge, reich und grofs aus dem Vollen schöpfen.

Die Lage des Angeklagten wird bei dieser Gesetzesanwendung noch ungünstiger durch die offenbare und starke Abneigung, die die Praxis der Annahme einer einheitlichen Handlung entgegenbringt. Das Reichsgericht hat in zahlreichen Entscheidungen. die Angängigkeit eines solchen Rechtsbegriffes zum gröfseren Teil verneint, zum kleineren Teil bejaht; aber selbst die bejahenden Entscheidungen lassen einen gewissen Zwang erraten. Diese Abneigung leuchtet besonders aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz hervor, den auch die bejahenden Entscheidungen nicht bekämpfen, nämlich dem, dafs die Selbständigkeit der Handlungen keiner ausdrücklichen Feststellung bedürfe, wohl aber die Einheitlichkeit; ein Grundsatz, der innerlich ebenso unbegründet wie in seinen Folgen unglücklich ist.

Wie die Praxis liegt, werden regelmässig selbstständige Handlungen angenommen, und schon damit. kommt der Angeklagte, auch bei richtiger Bemessung der Gesamtstrafe, schlechter weg als bei Annahme einer einheitlichen Handlung. Weiter aber wird auch die Gesamtstrafe unter fehlerhafter Anwendung des § 74 fast ausnahmslos über die Absicht des Gesetzes hinaufgeschraubt. Diese beiden Erscheinungen sind Tatsachen von so praktischer Bedeutung, dafs eine rechtstheoretische Beleuchtung der Tateinheit keineswegs einen blofs theoretischen Wert besitzt.

Das Strafgesetzbuch fafst sich kurz. In dem Gegensatz zwischen § 74 und § 73 scheint die Lösung der Frage zu liegen. Aber nur scheinbar. Sehen wir genauer hin, so finden wir, dafs der Gegensatz der beiden Paragraphen ein anderer ist als der hier fragliche: dort eine Reihe von Einzelhandlungen, hier nur eine einzige Handlung. Unser Gegensatz aber liegt darin, dafs in beiden Fällen mehrere Einzelhandlungen vorhanden sind, die nur in dem einen Falle ohne inneren Zusammenhang aufeinander folgen, in dem anderen Falle hingegen durch ein gewisses Band zusammengefasst werden. Der § 73 also scheidet aus. Sitz der Frage ist allein der § 74.

Wenn ein Gesetz den Begriff der Selbständigen Handlungen" aufstellt, im übrigen aber schweigt, so ist damit der natürliche Gegensatz, ist der Begriff

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der Unselbständigen Handlungen" keineswegs vernichtet. Logische und rationelle Gedanken bleiben bestehen und wirken fort, auch wenn sie in dem Gesetz keinen besonderen Ausdruck gefunden haben. Das Gesetz hat denn auch mit seinem Schweigen diesen Begriff nicht beseitigen wollen; es blickt auf eine Entwickelung von tausend Jahren zurück, und zur Zeit seiner Redaktion war der Begriff schon alt and vielumstritten. Es will vielmehr einem Begriffe, dessen Existenz unangefochten bleibt, der aber noch dunkel ist, klüglich Zeit lassen, sich in den Ufern der Rechtswissenschaft und des Rechtslebens zu klären.

Also das Gesetz steht dem Begriff der einheitlichen Handlung nicht entgegen. Untersuchen wir jetzt das Wesen dieses Begriffes.

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Mit den letzten Worten haben wir schon das Fundament unserer Erörterung betreten. Nicht die äufsere Handlung, die in der Welt der Erscheinungen den Sinnesorganen vernehmbar wird, macht für sich allein den Tatbestand einer strafbaren Handlung aus; die Tat eines Bewufstlosen, z. B. eines Schlafenden, ist straflos. Es mufs vielmehr als notwendige Ergänzung noch hinzutreten ein Wollen, der Vorsatz. Wie aber die Aeufserungen des Willens, in ihren Erscheinungsarten trachtet, unendlich zahlreich sind, so ist auch das Gebiet der rein gedankenmäfsigen Konzipierung der Straftat unausmefsbar. Ja, die reine Gedankentätigkeit scheint aus dem Grunde noch einen gröfseren Umfang zu besitzen, weil sie von den Hemmnissen der äufseren Handlungen frei ist, den Erscheinungsformen des Raumes, der Zeit und der Ursächlichkeit. Der Vorsatz also, das rein innere Moment, ist unendlich umfangreich und unendlich kompliziert. Nicht immer wird der Fall so einfach liegen, dafs der Dieb klar und bestimmt gewillt ist, gerade die Jacke wegzunehmen, die ihm von der Ladentür herab als einziges Aushängestück verführerisch in die Augen sticht. Schon etwas verwickelter ist die Willensbildung, wenn er mit dem Vorsatz in den Laden tritt, von allen, ihm gänzlich unbekannten Gegenständen den noch völlig unbestimmten zu nehmen, den ihm eine günstige Gelegenheit gerade ergreifbar macht. Noch schwieriger ist es, wenn er generell und umfassend von vornherein den Vorsatz fafst, fortgesetzt und zeitlich unbeschränkt bis zu seiner Festnahme, auf allen Wochenmärkten

Oberschlesiens, in Kattowitz, Königshütte, Beuthen usw., wo er sich gerade befindet, alles von Wert zu stehlen, was ihm gerade vor die Finger kommt. Aber in allen Fällen ist doch nur ein einziger, einheitlicher Vorsatz vorhanden. In dem letztgenannten Falle sind zwar zahlreiche Einzelhandlungen da; aber sie werden, wie die hundert einzelnen Perlen, von der einen Schnur des vorsätzlichen Willens zu dem Einheitsding einer Kette zusammengefasst.

Es gibt eben einen bestimmten und einen unbestimmten Vorsatz. Seit Feuerbachs längst verflossenen Tagen ist der dolus determinatus und der dolus indeterminatus ein bewährtes Rüstzeug der Strafrechtswissenschaft, und selbst der dolus eventualis, eine Ausstrahlung des undeterminierten Vorsatzes, hat alle Angriffe siegreich ausgehalten. Nur in den allerseltensten Fällen wird der Verbrecher bei Konzipierung seines Vorsatzes die sämtlichen Bestandteile der Tat, die gesamten Phasen der Handlung klar überschauen können. Fast ausnahmslos wird sein Vorsatz hier und da notgedrungen an einer mehr oder minder starken Unbestimmtheit leiden. Sofern er jedoch nur nicht in das Gebiet des Unbewussten hinübergleitet, behält der dolus indeterminatus dieselbe strafrechtliche Bedeutung wie der dolus determinatus.

Aber bei der Frage der einheitlichen Handlung wird dies Rüstzeug nicht gebraucht. Da wird vielmehr das strenge Dogma der Identität des verletzten Subjektes und der Identität des verletzten Objektes aufgestellt. Doch wird dies dem Charakter der verbrecherischen Willensbildung nicht gerecht. Die rein geistige, konzipierende Tätigkeit ist frei. Wenn der Verbrecher von vornherein den Vorsatz fafst, auf allen oberschlesischen Wochenmärkten alles Passende zu stehlen, so ist das einfach eine Tatsache, die der Strafjurist nicht wegzudeuteln, sondern die er als Willensmoment zu berücksichtigen hat. Wenn der Uebeltäter dann bald in Beuthen, bald in Zabrze stiehlt, so sind diese Einzelhandlungen doch nur Ausflüsse eines und desselben weitgehenden, umfassenden, unbestimmten Vorsatzes, so dass ihre Gesamtheit eine Einheitlichkeit bildet. Jenes Dogma würde zwar bei einer weitherzigen Handhabung auf unser Beispiel wohl anzuwenden sein: Das verletzte Rechtssubjekt wäre jeder der tausend oberschlesischen Marktbesucher, das verletzte Rechtsobjekt wäre das Eigentum derselben Personen. Aber diese Handhabung entspricht nicht der Enge, die jenen Begriffen nach der Absicht ihrer Schöpfer innewohnen soll.

Wenn wir jedoch die unbestrittenen Wahrheiten festhalten, dafs der innere Vorsatz den äusseren Handlungen ihren Charakter verleiht, und dafs der Vorsatz dabei von weitem Umfange und grofser Unbestimmtheit sein kann, so werden wir zu der Einsicht durchdringen, dafs die Strafrechtsfälle von grofsen und freien Gesichtspunkten aus beurteilt werden müssen. Wer ein Gemälde richtig würdigen. will, wird nicht jeden Pinselstrich einer peinlichen. Einzelprüfung unterziehen, sondern er wird aus

weiter Entfernung einen langen und vollen Blick auf das Ganze werfen. Dann wird er die Einzelheiten so zusammengefafst sehen, wie es der Künstler gewollt hat, zu einem einheitlichen, konzinnen Ganzen. Ebenso sollen wir einen Rechtsfall betrachten. Niemals besteht eine Straftat nur aus einer einzigen äufseren Handlung. Selbst der Dieb, der die einzelne Jacke stiehlt, läfst eine gute Summe von Willensbetätigungen erkennen: er geht heran, er hebt den Arm empor, er reifst die Jacke vom Haken, er steckt sie unter den Rock und läuft davon. Sein Vorsatz jedoch fafst die Zahl dieser Handlungen zu einer strafrechtlichen Einheit zusammen. Nicht anders ist es, wenn mehrere Summen von Willensbetätigungen vorhanden sind, von denen jede Summe schon für sich den Tatbestand einer strafbaren Handlung bildet. Wenn der Täter es so gewollt hat, bilden sie alle zusammen nur eine Tat. Also wenn wir als Richter den Fall betrachten, so dürfen wir nicht über die Strohhalme der vielen einzelnen Straftaten stolpern; denn nur, wenn wir einen vollen Blick auf das Ganze werfen, wird uns das Verständnis dafür aufgehen, dass hier nach dem Willen des Täters ein Werk aus einem Gufs vorhanden ist.

Dementsprechend hüten wir uns klüglich, aus übergrofser Genauigkeit allzu viele Merkmale aufzustellen, die nur geeignet wären, den Begriff fehlerhaft einzuschränken. Indem wir uns bemühen, nur die tiefgründigen Merkmale herauszufinden, erblicken wir das Wesen der Tateinheit allein in der Willensrichtung des Täters.

„Wer aus ein- und demselben Vorsatz heraus mehrere strafbare Handlungen begeht, begeht nur eine Handlung." Dieser Satz reicht aus für die fortgesetzte Handlung, die z. B. dann vorliegt, wenn jemand mit dem generellen Vorsatz handelt, aus einem Hause allmählich alle Gegenstände von Wert zu stehlen. Aber der Satz ist doch noch zu weit. „Die Handlungen müssen auch zueinander in einem inneren Zusammenhange stehen." Wenn sich nämlich jemand z. B. von vornherein vornimmt, in dem Hause des A einen Diebstahl auszuführen und unmittelbar darauf in dem Nachbarhause des B einen Hausfriedensbruch zu begehen, so will er doch nur zwei innerlich voneinander völlig getrennte, zwei selbständige Handlungen verüben; die Konzipierung dieser Straftaten durch einen Entschluss entbehrt der seelischen Verbindung, ihr Zusammenhang ist lediglich ein zufälliger und äufserer, ist nur ein zeitlicher und örtlicher Zusammenhang. Anders aber, wenn jemand in ein reiches Haus, aus dem er bei einem früheren Orientierungsbesuch als verdächtig ein für allemal hinausgewiesen war, hineindringt, um einen kostbaren Gegenstand zu stehlen. Hier ist der Hausfriedensbruch das Mittel zum Diebstahl; ohne den Hausfriedensbruch war der Diebstahl nicht ausführbar, der Hausfriedensbruch steht also zu dem Diebstahl in einem notwendigen, kausalen Verhältnis. Von einer Selbstständigkeit der beiden Straftaten kann daher keine Rede sein; es liegt nur eine Tat vor (§ 74 Revers

seite), die hier noch das Besondere zeigt, dafs sie, als zwei Strafgesetze verletzend, auch unter § 73 fällt. Desgleichen ist nur eine Tat vorhanden, wenn jemand mit dem Vorsatz handelt, seinen Widersacher A. koste es, was es wolle, zu verprügeln, daran aber von dessen Freunde B gehindert wird, so dass er seinen Vorsatz gegen A. nicht anders ausführen kann, als dafs er B. vorher zu Boden schlägt. Die Einheitlichkeit wird uns klar werden, wenn wir die sonst übliche Formulierung zugleich zur Hervorhebung des strafschärfenden Akzidenzmomentes auf diese Fälle übertragen:

Fall 1. „Es ist festgestellt, dafs der Angeklagte dem Kaufmann A eine fremde, bewegliche Sache in der Absicht rechtswidriger Zueignung weggenommen hat, und zwar indem er zur Ausführung dieser Tat in das Haus des A rechtswidrig eindrang.

Vergehen gegen §§ 242, 123, 74, 73 StrGB." Fall 2. „Es ist festgestellt, dafs der Angeklagte den Knecht A vorsätzlich körperlich gemifshandelt hat, und zwar indem er zur Ausführung dieser Tat auch den Knecht B vorsätzlich körperlich misshandelte.

Vergehen gegen §§ 223, 74 StrGB."

Da die Kausalität der beiden Straftaten durch den freien Willen des Uebeltäters hervorgerufen wird er konnte ja ebensogut von den Straftaten abstehen -, so sehen wir, dafs der erheischte „innere“ Zusammenhang seinen Ursprung nicht in einer besonderen, etwa miteinander harmonierenden Eigenart der beiden Straftaten hat, sondern lediglich in dem Willen des Täters. Der innere Zusammenhang ist also im letzten Grunde ein geistiger. Nur der Vorsatz, sagten wir, verleiht den äufseren Handlungen den Charakter; allein in der Willensrichtung des Täters suchten wir daher das Wesen der Tateinheit.

Einen Straffall soll man weniger juristischlogisch-zerpflückend betrachten als juristisch-psychologisch-verbindend. Vielleicht kommt man diesem Ziele näher, wenn man in das Gesetz aufnimmt

einen neuen

§ 74a. Wer aus einem und demselben Vorsatz heraus mehrere strafbare Handlungen begeht, die zueinander in einem inneren Zusammenhange stehen, begeht nur eine Straftat."

Juristische Rundschau.

Mit einer, leider berechtigten, eindringlichen Mahnung, fleifsiger zu erscheinen, hat Graf Ballestrem den Reichstag diesmal eröffnet. Und in der Tat, die grofsen und wichtigen Aufgaben neben dem Etat die gesetzliche Festlegung der zweijährigen Dienstzeit, die Feststellung der Friedenspräsenzstärke für die nächsten fünf Jahre, das Militärpensionsgesetz, die Handelsverträge erheischen zu ihrer Lösung auch eine Präsenzstärke des Reichstages, die fast nie mehr vorhanden ist. Wird sie sich ohne Diäten überhaupt erreichen lassen?

Exemplum docet: der preufsische Landtag, dessen Mitglieder Diäten beziehen, ist besser besucht. Er arbeitet mit Volldampf. Für den Juristen

von besonderem Interesse ist der Gesetzentwurf betr. die Errichtung eines Oberlandesgerichts in Düsseldorf, der die Zustimmung des Abgeordneten- und des Herrenhauses gefunden hat. Köln hört auf, die Justizhauptstadt des Rheinlandes zu sein, trotzdem Kölns Vertreter, der Abg. Trimborn, den verlorenen Posten mit „der Ausdauer und Zähigkeit eines Stössel" verteidigte. Aber die organisatorischen Gründe, welche die Regierung ins Feld führte, siegten. Das rechtsuchende Publikum habe Anspruch nicht nur auf eine gute, sondern auch auf eine prompte Rechtspflege. Bei der langen Dauer der Prozesse am Oberlandesgericht Köln sei eine Abhilfe im Interesse des ganzen rheinisch-westfälischen Erwerbslebens geboten. War aber diese Abhilfe nur zu erreichen durch die Bevorzugung Düsseldorfs? Nicht durch eine Vermehrung der Senate in Köln? Auch abgesehen von dem Opfer für die Stadt Köln, hat das Gesetz eine gewisse präjudizielle Bedeutung, die vielleicht nicht ohne Gefahr für die Zukunft ist. Bisher hat jede Provinz nur ein Oberlandesgericht. Dies bietet für die irrevisiblen Sachen eine nicht zu unterschätzende Gewähr für die Einheitlichkeit der Rechtsprechung in der Provinz. Ansehen ferner und Autorität der Oberlandesgerichte können durch derartige Zerstückelungen leiden.

Aus Anlafs des Antrages der Abg. Keruth und Genossen hat der Justizminister im preufs Abgeordnetenhause die erfreuliche Versicherung abgegeben, es werde der nächstjährige Etat (für 1905) eine so bedeutende Vermehrung der Richter- und Staatsanwaltschaftsstellen bringen, wie sie noch kein anderer Etat annähernd gebracht hat. Sie kann nicht grofs genug sein im Hinblick auf das starke Wachstum der Bevölkerung und die aufserordentliche Zunahme der Geschäfte.

Für das juristische Prüfungs- und Vorbildungswesen sind bemerkenswerte Verfügungen ergangen. Laut einer Anordnung des hessischen Justizministeriums ist die Zulassung zum Assessorexamen zu versagen, wenn seit bestandener erster Prüfung sechs Jahre verflossen sind. In Preussen haben die Dekane der juristischen Fakultäten auf eine Mitteilung des Ministers der öffentlichen Arbeiten aufmerksam gemacht. Danach haben Juristen nur dann Aussicht, zur Staatseisenbahnverwaltung überzu werden, wenn sie eingehende Studien in der Volkswirtschaftslehre, der Finanzwissenschaft, der sozialpolitischen Gesetzgebung und der Technologie nachweisen. Die Beschäftigung mit diesen Disziplinen, abgesehen von der Technologie, ist übrigens jedem Studenten ans Herz zu legen, wenn er das Banausentum vermeiden will.

nommen

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Vermischtes.

Eine,,Vereinigung für gerichtliche Psychologie und Psychiatrie im Grofsherzogtum Hessen" ist gegründet worden. Ihren Zweck, die psychologischen und psychiatrischen Fragen im Rechtsleben (nicht allein im Strafrecht) zu erörtern, will sie durch Vorträge, Besichtigungen von Anstalten und Materialsammlung erfüllen, wozu jährlich zwei Versammlungen dienen sollen. Es ist hier wohl zum erstenmal eine feste Organisation zu solchem Zweck in einem ganzen Lande geschaffen; hoffentlich findet sie Nacheiferung. In den Eröffnungsworten des Generalstaatsanwaltes Preetorius, Darmstadt, der Professoren Sommer und Mittermaier, Giessen, wurde die Wichtigkeit psychologischer und psychiatrischer Kenntnisse für den Juristen betont. Professor Mittermaier erstattete einen Bericht über die Reformfragen im Vorverfahren des Strafprozesses, worin er hervorhob, wie sehr man gut tue, die prozessualen Verhältnisse möglichst vom psychologischen Gesichtspunkt aus zu betrachten, und wie wünschenswert die Einrichtung von Kursen in der Kunst des Strafverfahrens für die jungen Praktiker sei. In der Sache selbst schlofs er sich dabei ganz dem Aufsatze des Hofrats v. Lilienthal über die Reform des Vorverfahrens S. 1001 ff. d. Bl. Schliesslich berichtete Prof. Sommer über die Forschungen über die Psychologie der Aussage.

an.

Personalien. Der Chef der Justizverwaltung in Hamburg, Senator Dr. Gustav Hertz, der dem Senate 17 Jahre lang angehörte, und der am 27. Juni 1899 unter lebhafter Teilnahme sein 50jähriges Doktorjubiläum feierte, ist in den Ruhestand getreten. Hertz hat sich um die Rechtspflege Hamburgs besonders verdient gemacht. Viel bemerkt wurde seine inhaltsreiche Rede, die er am 16. September 1903 anlässlich der Einweihung des neuen Ziviljustizgebäudes hielt, und die wir damals (S. 467, 1903 d. Bl.) ihrer Bedeutung wegen veröffentlichten.

Neue Gesetze, Verordnungen u. dgl.

Preufsen: Vo. v. 7. 11. 1904 üb. Inkrafttreten d. Ges. v. 16. 9. 1899, bt. Gerichtsorganisation f. Berlin u. Umgebg. (Ges.-S. S. 281). Bayern: M.-Bk. v. 10. 11. 1904, bt. Kosten der Rechtshilfe unter Behörden verschied. Bundesstaaten (J.-M.-Bl. S. 267).

Sachsen: M.-Vo. v. 15. 11. 1904, bt. poliz. Vorschriften üb. Waffen u. Schiefsbedarf (Ges.- u. Vo.-Bl. S.*435).

Baden: M-Bk. v. 7. 11. 1904, bt. Ausübg. d. Heilkunde durch nicht approb. Pers. (Ges.- u. Vo.-Bl. S. 431).

Hessen: M.-Bk. v. 14. 11. 1904, bt. Einführg. v. Notizbogen z. Zwecke des Sicherg. geschuldeter Gerichtskosten (Amtsbl. d. M. d. Just. Nr. 23). M.-Bk. v. 16. 11. 1904, bt. Ausführg. des Ges. üb. Verfahren in Forst- u. Feldrügesachen in der Fassg. d. Bkm. v. 21. 10. 1904 (Nr. 24).

Mecklenburg-Strelitz: Reg -Bkm. v. 17. 11. 1904, bt. Grundbuchanlegung in den Grdbchbezirkn. Bäk, Bardowiek, Bechelsdorf, Blüssen, Boitin-Resdorf, Gr. Bünsdorf, Kl. Bünsdorf (Off. Anz. f. Ratzeburg S. 327).

Oldenburg: Ges. f. d. Hzt. Oldenb. v. 7. 11. 1904, bt. Abändrg. d. Ges. f. d. Hzt. Oldenb. v. 25. 3. 1879 üb. Anleg. od. Verändrg. v. Strafsen u. Plätzen in Städten u. gröfseren Orten (Ges.Bl. f. Hzt. Oldenb. S. 247). Ges. f. d. Fstt. Birken f. v. 17. 11. 1904, bt. Hebammenwesen (Ges.-Bl. f. Birkenf. S. 355). Sachsen-Altenburg: M.-Bkm. v. 10. 10. 1904, bt. Kosten der Rechtshilfe unt. den Behörden verschied. Bundesstaaten (Ges.-S. S. 107). M.-Vo. v. 13. 10. 1904, bt. Ausf. d. R.-Ges. v. 6. 7. 1904 üb. Kaufmannsgerichte (S. 108). - M.-Vo. v. 30. 10. 1904 z. Ausf. d. Ges. üb. Gemeindeleistungen v. 14. 3. 1904 (S. 109). Sachsen-Koburg und Gotha: M.-Vo. v. 31. 10. 1904 z. Ausf. d. R.-Ges. v. 6. 7. 1904, bt. Kaufmannsgerichte (Ges.-S. f. Gotha S. 111).

Schwarzburg-Rudolstadt: M.-Vo. v. 7. 11. 1904. bt. Behandlg. der Anträge auf Entschädg. für unschuldig erlitt. Untersuchgshaft. (Ges.-S. S. 215). Elsafs-Lothringen: M.-Bk. v. 3. 11. 1904 z. Vollzuge d. R.Ges. v. 30. 6. 1900, bt. Bekämpf. gemein gefährl. Krankhtn. (Z.u. Bez.-Amtsbl. S. 143). - Verkehrssteuerges. v. 14. 11. 1904 (Ges.-Bl. S. 49). Bkm. v. 15. 11. 1904, bt. Fassg. des Ges. üb. Strafsachen der Verkehrssteuerverwltg. (S. 90).. M.-Bkm. v. 18. 11. 1904, bt. die im Rechtshilfeverkehr zwisch. den dtschn. Bundesstaaten entstehend. Kosten (Z.- u. Bez.-Amtsbl. S. 155).

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