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Vorschrift im § 361 No. 6 StrGB. gegeben sind, d. h. sie wegen der gewerbsmäfsigen Unzucht einer polizeilichen Aufsicht unterstellt ist und eine zur Sicherheit der Gesundheit erlassene polizeiliche Vorschrift im Sinne der No. 6 die Zulässigkeit der Zwangsheilung vorsieht. Die Zwangsheilung kann dann auch herbeigeführt werden, lediglich um die Kranke Vor eigenem weiteren Kranksein oder schwererem Krank werden zu schützen1), und ohne Rücksicht darauf, ob im einzelnen Falle die Gefahr einer Ansteckung für andere Personen besteht oder ausgeschlossen ist. Es verpflichtet ferner § 69 der durch die Kabinettsorder v. 8. Aug. 1835 (GS. S. 240) bestätigten sanitätspolizeilichen Vorschriften bei den am häufigsten vorkommenden ansteckenden Krankheiten die Polizeibehörden, liederliche und unvermögende Personen, von deren Leichtsinn die weitere Verbreitung des Uebels - nämlich der Syphilis - zu befürchten und bei denen ein freiwilliges Aufsuchen ärztlicher Hilfe nicht zu erwarten ist, in die Kur zu geben", also zwangsweise heilen zu lassen. Handelt es sich um eine sogenannte gemeingefährliche Krankheit im Sinne des Gesetzes, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten, vom 30. Juni 1900, so ermöglichen dessen Bestimmungen öfter, jemand polizeilich gegen sich selbst zu schützen. Nach § 14 z. B. kann der Zutritt zu kranken oder krankheits- oder ansteckungsverdächtigen Personen anderen mit gewissen Ausnahmen und sofern nicht gewisse besondere Verhältnisse bestehen untersagt werden, nicht blofs, damit sie die Krankheit nicht weiter verbreiten, sondern auch schon, damit sie nicht selbst krank werden. Ebenda wird die Polizeibehörde unter Umständen ermächtigt, einen Kranken ohne und gegen seinen Willen in ein Krankenhaus überführen zu lassen und ihn so in Verhältnisse zu bringen, die für eine Heilung günstiger sind. Weiter kann bereits bei dem allgemeinen Vorhandensein von Krankheitsgefahr für deren Dauer ohne die nach dem § 10 II 17 ALR. notwendige besondere und bevorstehende Gefahr in weitem Umfange polizeilich eingeschritten und dadurch mittelbar auch jemand gegen sich selbst geschützt werden. So darf im Falle des § 17 jemandem die Benutzung seines eigenen Brunnens verboten und nach § 18 jemand genötigt werden, seine Wohnung zu räumen, obwohl hier und dort dadurch nur er selbst gegen sich geschützt wird. Ein Beispiel für die Möglichkeit, sogar einen Gesunden zwangsweise, d. h. gegen oder ohne seinen und seiner Vertreter Willen, polizeilich davor zu behüten, dafs er krank werde, liefern die Bestimmungen über den Impfzwang. Im übrigen jedoch gilt der Grundsatz, dafs niemand gehindert werden kann, sich krank zu machen, noch jemand gezwungen werden kann, seinen Gesundheitszustand feststellen

1) Vgl. Urt. des Bundesamts für das Heimatwesen v. 12. April 1902 (Heft 34 der Entsch. desselben S. 88, 90): „Der Auffassung, dafs die Einleitung der Zwangsheilung einer geschlechtlich erkrankten Prostituierten durch polizeiliche Verfügung ein Akt der Polizeiverwaltung ist, steht nicht der Umstand entgegen, dafs die Heilung auch im eigenen Interesse der betreffenden Person lag."

oder, nachdem er krank geworden, sich heilen zu lassen. 1) Die Gefahr einer Ansteckung anderer Personen, wozu allerdings auch hier wieder die nächsten Familienmitglieder gehören, vermag immer nur zu Absperrungs- und Aufsichtsmafsregeln (vgl. §§ 18, 38 usw. der Vorschriften v. 8. August 1835, sowie §§ 12 und 14 des Ges. v. 30. Juni 1900), aber nicht zu einer Zwangsheilung zu berechtigen. 2) Die Einrichtung oder Beibehaltung von Ofenklappen kann polizeilich verboten werden. Man hat dies zwar beanstandet, die Zulässigkeit des Verbots ist jedoch anzunehmen. Immer aber hat die Befugnis der Polizei hierzu ihren Grund nur darin, dafs der Eigentümer des Hauses oder der Inhaber der Wohnung durch das Vorhandensein von Ofenklappen das Leben oder die Gesundheit der in den betr. Räumen wohnenden oder sich aufhaltenden anderen Personen gefährdet. Ist eine solche Gefahr nach den obwaltenden besonderen Umständen ausgeschlossen, so ist das Verbot unzulässig. Es kann daher niemand polizeilich gehindert werden, in den von ihm allein benutzten Wohn- und Schlafräumen die Oefen mit Klappen zu versehen. Mittelbar öffnet sich indessen doch auch hier wieder ein Weg zu dem Verbote. Durch eine Polizeiverordnung können die Klappen allgemein verboten werden, und um eine solche Polizeiverordnung zu erlassen. genügt das Vorhandensein einer Gefahr im allgemeinen, ohne dafs es der zu dem Vorgehen mittels einer einzelnen Verfügung notwendigen Gefahr im besonderen Falle bedarf. Ist nun eine Polizeiverordnung erlassen worden, so kann sie auch in der Art zur Anwendung gebracht werden, dass jemandem auf Grund derselben durch polizeiliche Verfügung die Beseitigung der Klappen geboten wird. Von der Pflicht, die Polizeiverordnung gegen sich gelten zu lassen und der an ihn deshalb gerichteten polizeilichen Verfügung zu genügen, wird er dadurch nicht frei, dafs die Polizei zu ihrem Vorgehen durch die Absicht, blofs ihn gegen sich selbst zu schützen, veranlafst worden ist.

Wie mit den Ofenklappen verhält es sich mit der Beleuchtung der Treppen und Flure in Miethäusern und mit sonstigen Einrichtungen zur Verhütung von Gefahren für diejenigen, welche ein Haus bewohnen und betreten. Auch insoweit kann der Hauseigentümer oder Hausbewohner gegen sich selbst nicht unmittelbar geschützt, aber eine Polizeiverordnung zu seinem Schutze angewendet werden. 3)

1) Darüber, dafs dies selbst für Geschlechtskranke gilt, sofern sie nicht der Prostitution angehören, siehe Pohlmann im Preufs. Verwaltungsbl. Bd. 19 S. 257.

2) Uebereinstimmend im Preufs. Verwaltungsbl. Bd. 24 S. 475 die Antwort unter A in C.

3) Auf einem anderen Standpunkte steht das S. 87 in Anm. 1 zit. Urt. des OVG. v. 17. Juni 1890, in dem es allgemein heifst: „Die Polizeibehörde ist auch befugt, den Inhaber einer Wohnung von der höchstens ihm allein drohenden gesundheitsgefährlichen Benutzung derselben zurückzuhalten“, eine Auffassung, die mit der neueren, besonders in den Urt. v. 1. Februar 1901, 17. Sept. 1901, 8. Nov. 1901 und 11. Mai 1903 (Entsch. des OVG. Bd. 39 S. 390, Preufs. Verwaltungsbl. Bd. 23 S. 534, 548 und Bd. 25 S. 161) vertretenen, dafs ,es Aufgabe der Polizei im allgemeinen nicht ist, die Menschen gegen sich selbst zu schützen, und es zu ihren Befugnissen im allgemeinen nicht gehört, bestimmte Handlungen, die dem sie Vornehmenden

Aehnlich liegt die Sache noch in manchen anderen Fällen. So gestatten die von den Uebertretungen handelnden Vorschriften des StrGB., die Gesetze zur Abwehr der Reblauskrankheit, das Feld- und Forstpolizeigesetz v. 1. April 1880 usw. Beschränkungen des Eigentums durch Anordnungen und Polizeiverordnungen, von denen dann die Polizei auch zum Schutze jemandes gegen sich selbst Gebrauch machen darf. Es kann z. B. bei einer Polizeiverordnung über das Raupen (§ 368 No. 2 StrGB.) oder über die Vertilgung von Unkräutern (§ 34 F. u. FPG.) ein Zwang ausgeübt werden, damit der Gezwungene nicht durch seine Unterlassung leide, und obwohl nach den besonderen Umständen für keinen anderen ein Schaden zu besorgen ist.

Es bleibt noch der letzte der aufgeführten Fälle, der des Schutzes eines Trunkenboldes und eines Betrunkenen dagegen, dafs sie sich durch weiteres Trinken oder in der Trunkenheit selbst Schaden zufügen. Die Regel des § 10 II 17 ALR. läfst diesen Schutz freilich an sich nicht zu. Sie berechtigt namentlich nicht die Polizei zu einem Verbote, künftig oder noch mehr zu trinken, wegen der Gefahr, sich dadurch zugrunde zu richten, und noch weniger etwa zu dem Zwange, sich von der Trunksucht in einer Trinkerheilanstalt oder sonst heilen zu lassen. Aber es bieten sich doch auch hier wieder verschiedene Möglichkeiten, mittelbar einen Schutz zu erreichen. Selbst § 10 gewährt eine solche. Denn die nach ihm bestehende Pflicht der Polizei zur Wegschaffung hilfloser, namentlich kranker und betrunkener Personen von Strafsen und sonstigen öffentlichen Orten und zu ihrer Unterbringung1) ist von dem Willen des Hilflosen unabhängig, weil es

in Betracht, dafs von der Polizei den Schankwirten und den gleichstehenden Gewerbetreibenden verboten werden darf, an Angetrunkene und an Trunkenbolde, die ihnen namhaft gemacht worden sind, geistige Getränke abzugeben und sie in ihren Lokalen zu dulden.1) Ihren Grund hat die Befugnis hierzu in der Berechtigung der Polizei, den Gewerbebetrieb der Schankwirte usw. dahin zu regeln, dafs er nicht zur Förderung der Trunksucht und Völlerei gemifsbraucht werde. Das Ziel der danach getroffenen Mafsregel ist aber allein oder doch mindestens vorwiegend der Schutz des Angetrunkenen oder Trunkenboldes nicht vor den Schankwirten, sondern vor sich selbst. Diese Absicht läfst für sich einen polizeilichen Zwang nicht zu. Dafs bei ihr aber jene Grundlage für das Vorgehen besteht, die ihm die Eigenschaft einer gewerbepolizeilichen Mafsregel gibt, macht einen Zwang bei dem Verbote zulässig, der sich allerdings unmittelbar nur gegen den Schankwirt usw. richten kann, aber zugleich notwendig den Angetrunkenen und Trunkenbold mittrifft.

Blickt man auf die gewonnenen Ergebnisse zurück, so wird man anerkennen müssen, dafs sie nicht unbefriedigend sind, wodurch ihre Richtigkeit wesentlich bestätigt wird. Es behält danach der einzelne seine individuelle Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht über sich selbst, sein Handeln. oder Unterlassen und die Möglichkeit einer weitgehenden selbständigen Bewegung und Verfügung innerhalb der eigenen Sphäre. Anderseits erhält jedoch die Polizei das, was auch im Rechtsstaate der Polizei zukommt; ein weites Feld für ihre Tätigkeit bleibt ihr offen.

sich um die Herbeiführung eines polizeimäfsigen Zur Frage der Haftung für Tierschäden.

Zustandes auf den Strafsen usw. handelt, und, wenn auch immer blofs diese Herbeiführung den Grund und Zweck des Einschreitens bildet, so ist doch damit ein Schutz des Betrunkenen gegen sich selbst als untrennbare Folge verbunden. Ferner ermöglicht einen Schutz in weitem Umfange die Sonderbestimmung des § 6 des Gesetzes zum Schutze der persönlichen Freiheit v. 15. Februar 1850, wonach die Polizeibehörden befugt sind, Personen eine gewisse Zeit hindurch in polizeiliche Verwahrung zu nehmen, wenn der eigene Schutz dieser Personen die Massregel dringend erfordert. Es ist dabei allerdings zunächst an den Schutz gegenüber anderen gedacht. Das Gesetz bringt jedoch eine solche Beschränkung nicht zum Ausdrucke. Die Vorschrift darf deshalb auch benutzt werden, um den Betrunkenen lediglich gegen sich selbst zu schützen.2) Besonders aber kommt selbst schädlich werden können, aus diesem Grunde zu verbieten*, und dafs die Ortspolizei denjenigen, die sich einer Lebensgefahr aussetzen wollen, dies nicht im voraus verbieten darf, sie vollends nicht befugt ist, diejenigen, die sich einer Erwerbsgelegenheit unter Gefährdung ihrer Gesundheit oder ihres Lebens aussetzen mögen, hieran zu hindern", nicht mehr vereinbar ist.

1) Vgl. die Urt. des OVG., Entsch. Bd. 35 S. 97 und Bd. 42 S. 77 und im Preufs. Verwaltungsbl. Bd. 23 S. 599 sowie den § 25 Abs. 1 der Dienstinstr. für die Gendarmerie v. 30. Dez. 1820 (GS. 1821 S. 10).

2) Uebereinstimmend Lindenau im Preufs. Verwaltungsbl. Bd. 23 S. 203.

Vom Professor Dr. Paul Oertmann, Erlangen.

I. Durch den Antrag der konservativen Reichstagsfraktion (v. Treuenfels und Gen.) zum § 833 BGB. ist die in der Ueberschrift genannte Frage, in Juristenkreisen anläfslich mehrfacher zu auffälligen Ergebnissen führender Entscheidungen schon seit einiger Zeit vielfach verhandelt, wieder auf die Tagesordnung der allgemeinen Erörterungen gesetzt worden.

Der § 833 BGB. läfst bekanntlich den Halter eines Tieres für den durch dasselbe angerichteten Schaden allgemein und ohne jedwede Abmilderung haften2) und bezeichnet damit den, nicht mehr zu überbietenden Schlufspunkt einer Entwicklung, die vom ersten Entwurfe ab immer mehr die Interessen des Publikums gegenüber denen des Tierhalters in den Vordergrund geschoben hatte.

Der erste Entwurf folgte, wie sonst, so auch in dieser Frage durchaus den Pfaden des individualistischen, gemeinrechtlichen Haftungsprinzips, ja er blieb noch hinter ihm zurück, indem er unter

1) Biermann, Privatrecht und Polizei in Preufsen S. 64. 2) Wird durch ein Tier ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen."

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Beseitigung der bisher anwendbaren actiones de | § 833 als den Grofse-Hunde-Paragraphen" bepauperie und de pastu den Tierhalter nur verpflich- zeichnen. tete, unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Hausvaters diejenigen Vorsichtsmafsregeln zu treffen, welche erforderlich sind, um das Tier an der Zufügung von Beschädigungen zu hindern“. Nur bei nachweislicher Aufserachtlassung dieser Sorgfalt sollte eine Haftung begründet sein (§ 734).

Der Entwurf II, § 756, und ihm folgend die Reichstagsvorlage, § 818, liefsen bereits eine wesentliche Verschärfung der Haftpflicht eintreten. Sie sprachen grundsätzlich die uns jetzt in § 833 entgegentretende unbedingte Verantwortlichkeit des Tierhalters mit dem oben mitgeteilten, unverändert gebliebenen Wortlaut aus und liefsen nur in Abs. 2 bei Haustieren eine Abmilderung insofern eintreten, als dem Tierhalter der sogen. Exkulpationsbeweis gestattet ward.1) Die Haftung für Haustiere war also der in § 831 geregelten Haftung für Angestellte durchaus gleichartig gestaltet.

Erst die Reichstagskommission beschlofs, die Haftung des Tierhalters durch Streichung des Absatzes 2 zu einer unbedingten zu erheben, trotz Widerspruchs der verbündeten Regierungen. Die Begründung 2) für den „mit grofser Majorität“ gefafsten Beschlufs beschränkte sich auf den Hinweis „auf die nicht wenigen, durch das Halten von grofsen Luxushunden hervorgerufenen Körperverletzungen" und den Satz, „dafs auch, wer zu gewerblichen Zwecken gefährliche Tiere zu halten gezwungen sei, die damit für andere verbundenen Gefahren übernehmen müsse".

Das Plenum hielt in dritter Lesung, nachdem ein zunächst gefafster gegenteiliger Beschlufs als ,durch ein formelles Versehen ungültig" weggefallen war, an dem von der Kommission eingenommenen Standpunkt fest.3)

Dafs dieser sich zum mindesten die Begründung aufserordentlich leicht gemacht hat, wird niemand bestreiten. Die etwas philiströse Angst vor den Schrecken der Luxushunde hat einen Beschlufs gezeitigt, dessen mögliche und inzwischen zur Tatsache gewordene Tragweite die Gesetzgeber am Königsplatz schwerlich voll erwogen haben. Die im Leben bei weitem wichtigsten Fälle der Tierschäden, nämlich die von Pferden und Rindvieh angerichteten, hat die Begründung ganz ausgeschaltet; denn Pferde und Rindvieh einfach als „gefährliche Tiere zu brandmarken, hätte vielleicht in einem Kaffeekränzchen älterer Damen Beifall gefunden einer aus deutschen Männern bestehenden Kommission dürfen wir eine solche beleidigende Vermutung nimmermehr antun! Hatte man in einem bekannten anderen Fall einem Paragraphen unseres Gesetzbuches den Namen „Hasenparagraph" gegeben, so könnte man mit wohl mehr Recht den

1) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird und derjenige, welcher das Tier hält, bei dessen Beaufsichtigung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet, oder wenn der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde.

2) S. Kommissionsbericht S. 60.

3) S. Goslich in Gruchots Beiträgen Bd. 47 S. 6.

II. Dafs die praktische Anwendung unserer Vorschrift zu erheblichen Schwierigkeiten geführt hat, ist jedem meiner Leser bekannt. Vor allem macht die Frage den Gerichten Kopfzerbrechen, wieweit die Haftung des Tierhalters für einen von dem Tiere als mehr oder minder willenlosem Werkzeuge in der Hand eines anderen Menschen angerichteten Schaden ausgeschlossen sei. Während eine strengere Lehre1) ihn auch in solchem Falle solange verantwortlich sein läfst, als das Tier noch nicht zu einem ganz willenlosen, selbständiger Handlungsmöglichkeit beraubten Instrument geworden ist, oder solange die Verwendbarkeit des Tieres als Werkzeug gerade als Folge seiner gefährlichen Eigenart erscheint, nimmt die vorherrschende2), vom Reichsgericht wiederholt vertretene Lehre den milderen Standpunkt ein.

So unliebsam derlei Meinungsverschiedenheiten in einer so wichtigen Frage auch sein mögen: zu einem Griff an die Klinke der Gesetzgebung würden sie keinen Anlafs geben. Schliefslich ist die dogmatische Schwierigkeit nicht gröfser, als bei zahlreichen anderen Vorschriften des Gesetzbuches, und man würde sie schwerlich bei irgend einer anderen Formulierung ganz vermeiden können. Mit ihr hat daher denn auch sowenig der Antrag Treuenfels wie dieser Aufsatz zu tun. Was zur Diskussion steht, ist nur die rechtspolitische Berechtigung der in ihrem dogmatischen Gehalt unangezweifelten und auch unanzweifelbaren Haftung. Ist diese in ihrer jetzigen Schärfe unerträglich? Nur wer diese Frage mit einem blanken „Ja“ sich zu beantworten getraut, wird dem Antrage v. Treuenfels günstig gegenüberstehen dürfen. Wenn irgendwo, gilt gegenüber dem Bürgerlichen Gesetzbuch der alte Satz von dem quieta non movere". Jede wirtschaftliche Interessentengruppe, jede politische wie religiöse Ueberzeugung hat bei seinem Werdegang Lieblingswünsche zurückstellen müssen, die sie besser heute als morgen wieder hervorholen möchte. Heute steht das Werk noch wie ein festgefügter, schier unangreifbarer Turm vor uns; hat man aber erst einen Stein davon gelockert, so möchte das Beispiel in unserem unsteten, unruhigen Zeitalter nur allzu leicht Nachfolge finden! Wird die Kritik uns Gründe bieten, schwerwiegend genug, um diese ernsten Bedenken zum Schweigen zu zwingen?

"

III. Zunächst ist zweifellos, dafs die Haftung nach 833 weit über die entsprechenden Sätze anderer moderner Gesetzbücher - die auf ganz anderen, veralteten Grundanschauungen beruhende Haftungsstrenge altdeutscher Rechtsquellen3) hat für uns ebensowenig dogmatischen Wert wie das römische

1) So Goslich a. a. O.; OLG. Naumburg in Seufferts Archiv Bd. 56 Nr. 223 S. 400.

2) So Fleischauer, Jurist. Wochenschr. 1901, S. 881, Gruchots Beitr. Bd. 47, S. 303 f.; Entsch, des RG. 50 Nr. 37 S. 180, Bd. 54 Nr. 22 S. 74; OLG. Jena bei Seuffert 58 Nr. 5 S. 10.

3) S. darüber vorzüglich Isay in Jherings Jahrb. Bd. 39 S. 214 f.

System der Noxalklagen hinausgeht. Das gilt vor allem vom Preufsischen Landrecht1), das nach der Eigenart des schädigenden Tieres abstuft: nur der Halter eines wilden oder doch seiner Natur nach schädlichen Tieres haftet auf vollen Schadensersatz, und auch das nur beim Fehlen einer obrigkeitlichen Erlaubnis. Dagegen ist man für Luxustiere ohne besonderes Verschulden nur auf Ersatz des unmittelbaren Schadens, und bei „anderen von Natur unschädlichen Tieren" gar „nur für den Schaden, welcher aus der verabsäumten Aufsicht über sie entspringt", verantwortlich.

Strenger war freilich der Code civil.2) Aber sein Art. 1385, auf den sich die Verfechter der unbedingten Verantwortlichkeit im Reichstage vorzüglich berufen haben, ist keineswegs vollauf in ihrem Sinne zu verstehen.

a) Einmal scheidet der Fall aus dem Anwendungsgebiet der Haftung von vornherein aus, wenn das Tier sich im Gebrauche eines anderen, z. B. eines Diebes, befindet. Dagegen nach § 833 BGB. ist keineswegs sicher, ob damit ohne weiteres die Verantwortlichkeit auf diesen übergehe.

b) Die Praxis des französischen Rechts läfst den Halter nur für solchen Schaden haftbar sein, den das Tier aus eigenem Antriebe anrichtet.3) Die Auslegung des § 833 zieht, das erfuhren wir schon oben, der Haftung nur teilweise diese Grenze.

c) Endlich läfst man gegenüber der Haftpflicht aus Art. 1385 die Einwendung der höheren Gewalt zu1), während es nach deutschem Reichsrecht auf dieselbe im Sinne der Verantwortlichkeit nicht ankommt.5)

Auf die bunte Mannigfaltigkeit der sonstigen Gesetzbücher kann hier nicht eingegangen werden; es genüge, festzustellen, dafs kein einziges von ihnen eine unbedingte Haftung des Tierhalters kennt. Soweit sie über das Schuldprinzip hinausgehen, tun sie das meist nur im Sinne einer Schuldvermutung oder doch so, dafs sich der Eigentümer, wie in Rom, durch Preisgabe des schuldigen Tieres der Haftung entziehen kann.

Mit der, den Exkulpationsbeweis offen lassenden Schuldvermutung hatte für den Bereich der Haustiere auch der zweite Entwurf, wie wir sahen, die Frage zu lösen versucht; mit ihr arbeitet nunmehr auch der Antrag Treuenfels, der nichts als eine. wortgetreue Wiederherstellung des durch den Reichstag gestrichenen § 818 Abs. 2 begehrt.

Man tut indes gut, die Verwertbarkeit früherer Vorbilder für unsere Gesetzgebungsfrage nicht zu überschätzen. Mehr als die meisten anderen Privatrechtsgebiete erheischt das Schadensersatzrecht eine moderne Behandlungsweise: ohne ein feinfühliges Verständnis für die Bedingungen des modernen

1) Teil I Titel 6 §§ 70/8.

2) Le propriétaire d'un animal, ou celui qui s'en sert, pendant qu'il est à son usage, est responsable du dommage que l'animal a causé, soit que l'animal fût sous sa garde, soit qu'il fût égaré ou échappé.

3) S. Crome-Zachariae, Handbuch II § 418 a. A.
4) S. Crome-Zachariae a. a. O. bei Anm. 5.

5) S. Entsch. des RG. Bd. 54 Nr. 104 S. 408.

Verkehrs- und Wirtschaftslebens läfst sich gerade auf diesem Gebiete nichts wirklich Erspriefsliches schaffen, das haben uns die bahnbrechenden Arbeiten der letzten Dezennien unwiderleglich bewiesen. Niemand wird zweifeln, dafs gerade hier ein blofses Verfolgen der alten, ausgetretenen Geleise, die einer früheren Verkehrsentwickelung genügen mochten, vom Uebel sei.

IV. Dreierlei Erwägungen sind es, soweit ich sehe, die man bisher zur Rechtfertigung der strengen Verantwortlichkeit herangezogen hat1):

a) Der Gesichtspunkt der sogen. Gefährdungshaftung oder, damit wesentlich zusammenfallend, des Handelns auf eigene Gefahr. Wer im eigenen Interesse Tiere hält, der mufs auch die damit für andere verbundenen Gefahren übernehmen.

b) Der Gesichtspunkt der sogen. Motivationspolitik: Die strenge Haftung wird vom Halten unnützer Tiere abschrecken und allgemein den Tierhalter zu besonderer Sorgfalt bei Auswahl seiner Leute und Aufsicht über seine Tiere anhalten.

c) Der Gesichtspunkt, dafs der Tierhalter das Risiko seiner Verantwortlichkeit durch Versicherung decken und die Kosten auf seine Abnehmer abwälzen kann.

Von diesen Argumenten dürfte das mittlere von vornherein auszuschalten sein. Soweit reine Luxustiere in Betracht kommen, wird man gegen ihre übermäfsige Anhäufung viel wirkungsvoller mit präventiven Mafsregeln ankämpfen können: Besteuerung, Maulkorb- oder Leinezwang, polizeiliche Beschränkung im Halten und der Verwendung solcher Tiere. Die erhöhte Anspannung der Sorgfalt dagegen beim Halten nützlicher Tiere wird durch die Vorschriften des zweiten Entwurfes in demselben Masse, wie durch die schlechthin unbedingte Haftung, erreicht werden.

Das dritte Argument hat für sich allein nicht die mindeste Beweiskraft: Liefse sich sonst kein genügender rechtspolitischer Grund der Haftpflicht anführen, so wäre die Möglichkeit einer Versicherung kein besserer Beweis für sie, als für die Einführung einer allgemeinen Haftpflicht ohne individuelles Verschulden. Mit demselben Recht könnte man den Radler, den Jäger für jeden von ihm verursachten Unfall verantwortlich erklären. Greift man aber nur den Tierhalter heraus, so wird er sich mit Fug über eine ungerechte Sonderbehandlung beschweren können. Auch der Hinweis auf die Abwälzbarkeit des Schadens, fernliegend an sich und bestenfalls wegen der in gewerblichen Betrieben verwendeten Tiere passend, kann daran nichts ändern.

Allein der erste Gesichtspunkt kommt somit für eine ernsthafte Erörterung in Betracht. Ihn wird am wenigsten der geringschätzen dürfen, der die individuelle Verschuldung als notwendige Grundlage der Haftpflicht verwirft und eine Entwickelung des modernen Haftpflichtrechts im Sinne der sogen. Gefährdungshaftung oder eines ähnlichen Prinzips für dringend geboten erachtet. Ja, ich gestehe frei1) S. namentlich Goslich a. a. O. S. 9.

mütig: Hätte sich das geltende Recht bereits folgerecht zu einem derartigen Standpunkt durchgerungen, so wäre ich der letzte, zugunsten der Tierhalter eine prinziplose Ausnahme zu verfechten.

Aber dieser Vordersatz trifft nicht zu. Nur in vereinzelten Fällen sagt das geltende Recht dem Verschuldungsprinzip Valet und, wo es das tut, fast nur im Sinne einer Umkehrung der Beweislast (Haftung ohne Nachweis der Schuld, aber unter zugelassenem Exkulpationsbeweis, so z. B. § 831) oder durch Bezugnahme auf individuelle Billigkeitserwägungen im Einzelfall (s. § 829). Eine unbedingte Haftung findet sich aufser nach § 833 und dem auf besonderen Gesichtspunkten beruhenden § 835 (Wildschadensersatz) fast nur noch im Reichshaftpflichtgesetz § 1. Und auch hier in, verglichen mit unserem Fall, stark abgeschwächter Weise. Es ist nur der Betriebsunternehmer einer Eisenbahn, der schuldlos haftet; er ist verantwortlich nur für die Beschädigung von Personen, nicht auch für die von Sachen; er haftet nur, wenn der Schaden beim Eisenbahnbetriebe zugefügt wurde; er wird endlich frei durch den Nachweis höherer Gewalt oder eigenen Verschuldens des Beschädigten.

Bedenken wir die Tragweite der damit gegebenen Einschränkungen, die auch bei Annahme der strengeren, sogenannten objektiven Theorie von der höheren Gewalt an Bedeutung nicht sonderlich viel verlieren, so mufs der Unterschied gegenüber der unbedingten Haftpflicht nach § 833 einigermafsen peinlich berühren. Zumal wenn man die Verschiedenheit der beteiligten Subjekte beachtet: Bei der Eisenbahn trägt die Haftpflicht ein wohl ausnahmslos hervorragend kapitalstarker Unternehmer; sie bildet ein zweifellos berechtigtes, sehr wertvolles Aequivalent für die ihm gestattete Entfaltung eines an sich gefährlichen Betriebes und für die ihm dabei teils rechtliche, teils mindestens tatsächlich eingeräumte Monopolstellung. Im Tierhalter dagegen trifft die Verantwortlichkeit, wie die Ergebnisse der bisherigen Praxis unwiderleglich dartun, vorwiegend die Angehörigen des landwirtschaftlichen Mittelstandes, Kreise also, die auch ein Gegner mafslos agrarischer" Forderungen als der Gunst des Gesetzgebers in besonderem Masse würdig und bedürftig erachten wird. Nicht mit Unrecht können sie darauf hinweisen, dafs der Gesetzgeber in der Regelung der Haftpflicht keineswegs mit gleichem Mafse gemessen habe.

V. Dafs die Haftpflicht des Tierhalters aber auch tatsächlich unbillig gewirkt hat, ergibt sich sofort, wenn man den vom Reichsgericht Bd. 54 No. 22 S. 73, nach § 833 sicher zutreffend, entschiedenen Fall ins Auge fafst und dabei bedenkt, dafs sich derselbe ähnlich alle Tage ereignen kann und keineswegs den Stempel des Absonderlichen an sich trägt der Beklagte nahm einen Bekannten auf dessen Bitten (!) in seinen Einspänner auf. Als ein anderes, von einem Betrunkenen geleitetes Gefährt den Wagen überholte, fiel ein Koffer von dem überholenden Gefährt herab. Das Pferd des Be

klagten wurde dadurch scheu, ging durch und schleuderte den Wagen an einen Baum, wobei der aufgenommene Fahrgast eine tödliche Verletzung erhielt. Die vom Reichsgericht ausgesprochene Verantwortlichkeit des Beklagten gegenüber den Erben des Getöteten widerspricht offenbar den elementarsten Grundsätzen der Billigkeit; ein zu ihr hinführender Rechtszustand legt auf die Gewährung der Menschenhilfe, statt sie zu begünstigen, ein unerträgliches Risiko, schreckt somit von ihr ab und wirkt gerade im Sinne der Motivationspolitik dem Allgemeinwohl abträglich.

Ebenso bedenklich erscheint mir rechtspolitisch die Entsch. des Reichsgerichts Bd. 52 Nr. 31 S. 117, wonach der Tierhalter haftet, wenn ein anderer sein Tier widerrechtlich benutzt und dabei einen dritten beschädigt; nicht minder die weitere, wonach seine Ersatzpflicht selbst dadurch nicht ausgeschlossen wird, dafs das eigene Verhalten des deliktsunfähigen Beschädigten zur Entstehung des Schadens mitgewirkt hat (das. Bd 54 Nr. 104 S. 410).1) Auch dafs die Haftung des Tierhalters fortdauern soll, wenn das Tier ihm entlaufen ist und sich aufsichtslos umhertreibt umhertreibt (OLG. Naumburg bei Seuffert 58 Nr. 210 S. 396), mufs als eine m. E. freilich auch dogmatisch nicht unanfechtbare

unerfreuliche Folgerung aus § 833 bezeichnet werden. Denn der Gesichtspunkt der Haftung für die Betriebsgefahren kann doch dann nicht mehr durchgreifen, wenn das Tier tatsächlich aus dem Betriebs- und Einwirkungsbereiche seines Herrn ausgeschieden ist. Dasselbe Bedenken spricht gegen die Haftung des Eigentümers, der sein Tier einem anderen geliehen hat; man läfst ihn noch verantwortlich sein (OLG. Jena bei Seuffert 58 Nr. 5 S. 10), sowohl dem Entleiher wie dritten gegenüber, obwohl der Gesichtspunkt der „Gefährdungshaftung“ hier viel eher im Sinne einer Verantwortlichkeit des Entleihers, als welcher zur Zeit vom Gebrauch des Tieres allein den Vorteil hat, auf dasselbe achtzugeben in der Lage ist, mitsprechen würde. Auch in den Fällen dürfte die Haftung des Tierhalters ernsten Bedenken unterliegen, wenn der Verletzte zwar nicht im Sinne des § 254 die vorwiegende Schuld an dem Unfall trägt, sich aber doch in eigenem Interesse oder überhaupt ohne genügenden Grund der Einwirkungssphäre des Tieres ausgesetzt hat. Geht ein Tourist über eine Alpenweide und wird von dem wütenden Stier verletzt, so wird sich eine Haftung aus § 833 kaum vermeiden lassen, obwohl eine im sozialen Interesse abwägende Beurteilung zweifellos umgekehrt entscheiden müfste: war doch das Weiden des Viehes eine wirtschaftliche Notwendigkeit, die in weit höherem Mafse die Sympathien des Gesetzgebers verdient, als die Affektionsinteressen der Spaziergänger und Alpenfexe.

Alle diese Beispiele, teils aus der Praxis, teils unmittelbar aus dem Leben geschöpft, beweisen auch empirisch, dafs der jetzige Rechtszustand zu

1) Denn § 254 BGB. kommt nach der herrschenden Lehre bei einem geschäfts- bezw. deliktsunfähigen Beschädigten nicht in Frage.

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