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er angestellt war, erhalten; er vererbt alle diese Staatsangehörigkeiten auf seine gesamte agnatische Deszendenz, und es können bei seinen Nachkommen immer noch neue hinzukommen. Welchen Sinn hat diese Häufung von Staatsangehörigkeiten, da es tatsächlich doch einzig und allein auf die Zugehörigkeit zu dem Staat ankommt, in dessen Gebiet man seinen Wohnsitz hat? Es streift nicht nur an das Komische, sondern es ist lächerlich, wenn jemand infolge der Lebensschicksale seiner Vorfahren und seiner eigenen 12 oder 14 Heimatsstaaten hat! Aber es kann dies auch praktische Folgen nach sich ziehen, die absurd sind. Wenn ein solcher Reichsangehöriger auswandert, so verliert er die Reichsangehörigkeit nur, wenn er von sämtlichen Staaten, denen er angehört, sich die Entlassung erteilen läfst. Dafs dies jemals vorkommen sollte, ist nicht anzunehmen. Wer von dem Staat, in dessen Gebiet er wohnt, die Entlassung erhalten hat und in das Ausland ausgewandert ist, der wird überzeugt sein, dafs er seine Zugehörigkeit zum Deutschen Reiche gelöst hat, und wenn er nicht zufällig das Reichsgesetz vom 1. Juli 1870 und seine eigentümlichen Folgen, sowie die Einzelheiten seiner Familiengeschichte kennt, wird er gar nicht auf den Gedanken kommen, dafs er die Entlassung auch von dem Staate sich erteilen lassen mufs, in dessen Gebiet etwa sein Grossvater einmal eine Zeitlang ein Gemeindeamt bekleidet hat. Und doch bleibt er ein Reichsangehöriger und vererbt auch im Auslande sie auf seine Deszendenz, bis sie vielleicht durch zehnjährige ununterbrochene Abwesenheit vom Reichsgebiet erlischt. Er behält den Anspruch auf konsularischen Schutz und im Falle der Rückkehr nach Deutschland das Recht der Niederlassung, des Unterstützungswohnsitzes, die Sicherung gegen Ausweisung usw., wofern er sich nur erinnert und den Nachweis führen kann, dafs ihm aufser der Staatsangehörigkeit, die er aufgegeben hat, noch eine andere aus längst vergangener Zeit anhaftet.

Das Reichsgesetz vom 1. Juni 1870 beruht auf dem preussischen Gesetz vom 31. Dezember 1842; seine Bestimmungen stammen also aus einer Zeit her, in welcher die politischen Verhältnisse Deutschlands von den jetzigen ganz verschieden waren. Damals mag es berechtigt gewesen sein, die deutschen Staaten auf gleiche Stufe mit anderen auswärtigen Staaten zu setzen. Seit der Gründung des Reiches ist der Begriff des Auslandes ein anderer geworden, und der Wechsel des Staatsbürgerrechts innerhalb des Reichsgebietes hat seine praktische Bedeutung zum allergröfsten Teile verloren. Die starre Festhaltung des Abstammungsprinzips pafst nicht mehr in das bundesstaatliche Verhältnis. Es ist ohnedies eine preussische Besonderheit gewesen; in vielen anderen deutschen Staaten wurde vor 1870 die Staatsangehörigkeit durch den Wohnsitz begründet. Auch in den aufserdeutschen grofsen Kulturstaaten besteht es nicht, und es entstehen daraus Kollisionen; doch ist das internationale Recht nicht Gegenstand dieser Erörterung. Innerhalb des Reichsgebietes aber ist

es eine praktische Notwendigkeit, auf den Wohnsitz Rücksicht zu nehmen. Die Vorschrift des § 12 des Gesetzes: „Der Wohnsitz innerhalb eines Bundesstaates begründet für sich allein die Staatsangehörigkeit nicht", ist Ausländern gegenüber berechtigt; in der Anwendung auf Reichsangehörige führt er zu Unzuträglichkeiten. Man braucht nicht so weit zu gehen, die Reichsangehörigkeit als das primäre Verhältnis zu erklären, welches die Staatsangehörigkeit am Orte des Aufenthaltes oder Wohnsitzes ohne weiteres nach sich zieht. Dies würde die Grundlagen zerstören oder verändern, auf denen die bundesstaatliche Verfassung des Reiches ruht. Es genügt, den Wechsel der Staatsangehörigkeit innerhalb des Reiches zu erleichtern und die mehrfache Staatsangehörigkeit zu beseitigen. Auch kann dafür ein Wohnsitz von gewisser Dauer verlangt werden nach dem Vorbilde des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz. Es würde diesen Rücksichten Rechnung getragen werden, wenn in das Gesetz die Bestimmung aufgenommen würde:

Ein Deutscher, welcher innerhalb des Gebiets eines Bundesstaates nach zurückgelegtem 21. Lebensjahre zwei Jahre lang ununterbrochen seinen Wohnsitz gehabt hat, erwirbt dadurch in demselben die Staatsangehörigkeit. Mit dem Erwerbe dieser erlischt seine bisherige Staatsangehörigkeit."

Dementsprechend müfste das Gesetz ferner den Zusatz erhalten, dass, wenn ein Deutscher durch Aufnahme oder durch die Anstellung in dem unmittelbaren oder mittelbaren Staatsdienst oder in dem Kirchen-, Schul- oder Kommunaldienst in einem Bundesstaat die Staatsangehörigkeit erwirbt, seine bisherige Staatsangehörigkeit erlischt.

Der Einwand, dafs es manchem wohl erwünscht sein kann, seine angestammte Staatsangehörigkeit zu behalten, weil er beabsichtigt, in seinen Heimatsstaat zurückzukehren, wenn seine Verhältnisse es ihm gestatten werden, kann gegen diesen Vorschlag nicht erhoben werden. Denn abgesehen davon, dafs er sofort nach der Rückkehr die Aufnahme in diesen Staat bewirken kann, tritt ja von Rechts wegen nach zweijährigem Wohnsitz ein Wechsel der Staatsangehörigkeit ein und seine alte Staatsangehörigkeit lebt von selbst wieder auf. Die deutschen Staaten aber würden an Stelle der aufserhalb ihres Gebietes lebenden Angehörigen, welche tatsächlich sich ihrem Untertanenverband entzogen haben, solche Staatsangehörige erhalten, welche es auch in Wirklichkeit

sind, und das Recht würde mit den natürlichen Verhältnissen in Einklang gesetzt werden.

Der Anspruch aus unerlaubten Handlungen in Konkurrenz mit anderen Ansprüchen aus demselben Tatbestande.

Vom Professor Dr. Carl Crome, Bonn.

I.

Der Aufforderung, zu dieser Frage Stellung zu nehmen, entspreche ich um so lieber, als sich. an ihr, als einem eklatanten Beispiele, zeigen läfst,

wieviel Irrungen und weitläufige Auseinandersetzungen vermieden werden könnten, wenn man statt spitzfindiger Augenblickseinfälle insbesondere auch bei der Auslegung moderner Einzelgesetze - mehr auf die grundlegenden Prinzipien zurückgreifen wollte, welche das alte wie das neue Recht beherrschen. Man hätte den Schlüssel zu allen Entscheidungen, die man jetzt notdürftig sammelt, in der Hand.

Im vorliegenden Falle war die Frage streitig geworden, ob die fünfjährige Verjährung der Regressansprüche gegen die Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (§ 43 d. RG. v. 20. April 1892, Red. v. 20. Mai 1898) sich blofs auf die in diesem Gesetz erwähnten Fälle, oder auch auf andere Verletzungen durch den geschäftsführenden Sozius (insbesondere auf bösliche Schädigungen) beziehe. So z. B., wenn der Geschäftsführer Geld unterschlagen, seine Mitgeschäftsführer betrogen oder absichtlich jede Kontrolle unterlassen und dadurch die Gesellschaft geschädigt hat. In seinem Kommentar zu der zit. Stelle geht Staub auf diese verschiedenen Möglichkeiten ein, aber die Frage ist bestritten geblieben. Steht der allSteht der allgemeine Deliktsanspruch selbständig neben. dem Spezialgesetze, so besteht neben der fünfjährigen Verjährung des letzteren gegen den Täter vom Tage der Entstehung des Anspruchs an noch die dreijährige Verjährung des § 852 BGB. vom Tage der Kenntnis des Delikts, und darüber hinaus die 30jährige Verjährung vom Tage der Tat.

Praktisch wichtiger noch ist dasselbe Problem der Konkurrenz des Anspruchs aus unerlaubten Handlungen mit anderen Ansprüchen für die Frage nach der Schärfe der Verantwortlichkeit des Handelnden und für die Beweislast.

Es ist bekannt, dafs der Verleiher, der Schenker einer Sache nur für grobe, der unentgeltliche Verwahrer nur für solche Fahrlässigkeit haftet, welche mit der von ihm in eigenen Angelegenheiten beobachteten Sorgfalt in Widerspruch steht. Wie nun, wenn er in den ersteren Fällen bei oder durch Uebergabe der Sache (man denke z. B. eines rotzkranken Pferdes, eines morschen Gerüstes u. dgl.) ein dem Empfänger gehöriges Gut oder den Empfänger selbst an Leib und Leben unter gewöhnlicher Fahrlässigkeit beschädigt hat, oder wenn der Verwahrer die hinterlegte Sache durch Unvorsichtigkeit zerstört oder verschlechtert? Cosack (Bürg. R. Bd. I § 163 I Ziff. 2 c) verneint hier bei Sachbeschädigung die Haftung des Gebers trotz der vorhandenen Fahrlässigkeit, die, abgesehen vom Vertrag, den Geber zweifellos deliktisch verantwortlich machen würde. § 823 Abs. 1 BGB. Diese Bestimmung sei hier nicht anwendbar. Die Inanspruchnahme wegen leichter Verschuldung scheitere daran, dafs der Vertrag die Verpflichtung des Schuldners in eigentümlicher Weise charakterisiere und zugleich begrenze," und dafs man dem Schuldner zu nahe trete, wenn man behaupte, seine Handlung wäre ein Delikt, wenn er Nichtschuldner wäre, also sei sie

auch ein Delikt nun, da er Schuldner ist. Diese Wendung hat auch Staub a. a. O. gefangen genommen. Während nach der herrschenden Lehre (vgl. Dernburg II § 64, Crome, System I § 121 Ziff. 3 etc.) von mehreren konkurrierenden Ansprüchen regelmässig jeder den ihm eigenen Rechtssätzen untersteht und soweit ausgeübt werden kann, als es danach möglich ist (also bis zur höchstmöglichen Befriedigung des Berechtigten), wird nach der Cosackschen Auffassung der Deliktsanspruch des § 823 Abs. 1 BGB. durch den Kontraktsanspruch absorbiert.

zum

Hiergegen ist zunächst zu bemerken, dafs diese Auffassung der Geschichte widerspricht. Schon nach gemeinem Recht absorbierte die Anstellung der actio commodati etc. keineswegs die actio legis Aquiliae. Wichtiger noch ist die Verletzung des Rechtsgefühls. Auch Cosack kann seine Ansicht von der Absorption nur für den Fall des § 823 Abs. 1 durchführen. Für die Verletzung von Schutznormen (§ 823 Abs. 2) und für die vorsätzliche unsittliche Schadenstiftung (§ 826 BGB.) erkennt er ausdrücklich an, dafs eine deliktische Pflichtverletzung des Schuldners bestehen bleiben und eine Ersatzpflicht begründen könne. Nun sind die Schutznormen aber überwiegenden Teil strafrechtliche Normen (vgl. Crome, System II § 326), und es ist bekannt, dafs eine Handlung nach ganz anderen Gesichtspunkten für strafbar als für zivilistisch verboten erklärt wird. Vor allem ist manche Verletzung nicht strafbar, für die zivilistisch Ersatz zu geben ist, wie insbesondere für die fahrlässige Sachbeschädigung. Es ist also nach der Cosackschen Auffassung vom reinen Zufall abhängig, ob neben der Vertragshaftung in einem gegebenen Fall noch die Deliktshaftung eintritt. Die Entscheidung richtet sich danach, ob das Strafrecht von seinem Gesichtspunkt aus die Handlung auch seinerseits noch trifft: der öffentliche Gesichtspunkt wird zu Unrecht in diese rein privatrechtliche Frage hineingetragen.

Die dadurch entstehende Ungerechtigkeit liegt auf der Hand. Der Verleiher oder Schenker, der nach dem Vertrage nur für grobe Fahrlässigkeit haftet, ist frei, wenn er bei leichter Fahrlässigkeit die wertvollsten Sachen (z. B. den ganzen Viehbestand des Empfängers durch Ansteckung) vernichtet; er braucht ja dabei nicht gerade gegen das Viehseuchengesetz verstofsen zu haben. Dagegen ist er deliktisch verantwortlich, wenn der Empfänger sich auf der zusammenbrechenden Sache (dem Gerüst etc.) den Finger verstaucht. Denn nur die fahrlässige Körperverletzung ist strafbar! Von dem Fall eines beiderseitigen Verschuldens der Beteiligten (wodurch das Ergebnis sich verändern kann) ist hier natürlich abzusehen. Wir setzen voraus, dafs der Mangel der geliehenen etc. Sache dem Empfänger nicht erkennbar war. Nun hat es ja guten Grund, wenn das Strafrecht die fahrlässige Körperverletzung pönalisiert, die fahrlässige Sachbeschädigung dagegen nicht. Aber für das bürger

liche Recht, dem es doch in erster Linie blofs auf den Ersatz des eingetretenen Schadens ankommt, steht die durch das eine wie das andere Handeln eingetretene Vermögensbeschädigung des Verletzten im wesentlichen gleich und muss ihm gleichstehen. Die Gleichstellung geht auch aus § 823 Abs. 1 BGB., der neben Leib und Leben die Verletzung des Eigentums nennt und für beide Verletzungen grundsätzlich die gleiche Ersatzpflicht aufstellt, deutlich hervor. Nur neben diesem Abs. 1 konnte das Gesetz zur Konstruktion weiterer Deliktsfälle auch auf die Uebertretung krimineller und anderer Schutzgesetze verweisen. Streicht man aus diesem System wie hier durch die behauptete Absorption geschieht den Abs. 1 heraus, so bleibt nur ein Zerrbild (Spiel des Zufalls) übrig.

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Auch Staub (a. a. O.) ist weit entfernt, solch radikaler Absorption des Delikts- durch den Vertragsanspruch das Wort zu reden. Vielmehr sucht er nach einer „Vermittelung" und trifft auch im überwiegenden Fall das Richtige. Freilich unbewufst, da er statt jeder Vermittelung eine vollständige Rückkehr zur herrschenden Lehre selbst vollzieht, die ihm in diesem Fall sein Rechtsgefühl, trotz seines Glaubens, etwas anderes zu sagen, diktiert. Die gewählten Beispiele machen. das Mifsverständnis besonders klar.

Die ungeheure Mehrheit der Laien und Rechtskundigen wird mit uns der Meinung sein, dafs Leihe und Schenkung keinen Freibrief geben für Verletzungen von Leib und Leben, wie auch von Eigentum und anderen Gütern des Empfängers, die diesem mit der überlieferten Sache vom Geber, wenn auch nur unter leichter Fahrlässigkeit, zugefügt werden. Z. B. wenn unter den geschenkten Kohlen eine Dynamitpatrone steckt wenn mittelst der geschenkten oder geliehenen Sache Krankheiten beim Empfänger eingeschleppt werden mag nun ein Menschenoder Viehsterben daraus entstehen. Wenn der geschäftsführende Gesellschafter mit der Geschäftskasse durchgeht, so wird allseitig anerkannt, dafs ein Vertragsanspruch und ein Deliktsanspruch vorliegt. Ebenso, wenn ein Geschäftsführer seine Mitgeschäftsführer betrogen und dadurch die Gesellschaft geschädigt hat. Der Tatbestand erzeugt hier gleichmäfsig beide Ansprüche, und der Beschädigte kann vom Vertrag absehen, wo gleichzeitig schon ohnehin die gesetzliche Verpflichtung des Täters wegen unerlaubter Handlung erwächst. Dies ist der unverrückbare Ausgangspunkt in dieser Lehre

die Konkurrenz der Aktionen, die darum selbstverständlich ist, weil der vorliegende Tatbestand (ähnlich wie auch im Strafrecht) von allen darauf passenden Gesetzesvorschriften erfasst wird. Wie sie ihm alle ihren Stempel aufdrücken, so kann daraus auch die höchstmögliche Rechtskonsequenz gezogen werden. Von einer Absorption der höheren dieser Konsequenzen durch die mindere kann keine Rede sein. Der Satz: Du sollst nicht stehlen" gilt allgemein; nicht blofs da, wo keine Geschäftsverbindung unter den Parteien

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besteht! Und was für das zivilistische Diebstahlsverbot gilt, das mufs entsprechend auch für die zivilrechtlich ganz gleichgearteten Fälle der Sachbeschädigung etc. gelten.

II.

Nur eines ist hierbei zu beachten. Es gibt unvereinbare Ansprüche im Einzelfall, Ansprüche, die sich gegenseitig ausschliefsen, weil das Fundament (die konkrete Grundlage) des einen mit dem anderen unverträglich ist. Auch hierbei handelt es sich um einen altbekannten allgemeinen Grundsatz, der vor allem im Prozefsrecht (bei Besprechung der Klagegründe oder des Verhältnisses mehrerer Prozesse zueinander), vielfach auch beim Verhältnis der Besitzklage zur Klage aus dem Recht etc. ausgesprochen und dann doch an geeigneter Stelle leicht wieder vergessen wird, wo er angewendet werden sollte! Der Satz ist auch nicht blofs so zu verstehen, dafs immer erst bei Erhebung des zweiten Anspruchs die Unvereinbarkeit zu prüfen sei. Auch wenn der, durch einen anderen ausgeschlossene oder beschränkte, Anspruch zuerst erhoben wird, kann der Beklagte sich (bestreitend) auf diese Sachlage berufen und daraufhin die Abweisung der Klage begehren. Unseren Fall anlangend, so schliefst nun das Vertragsverhältnis sehr häufig die Befugnis des anderen Beteiligten zu gewissen Handlungen und Mafsregeln in sich, die, für sich allein betrachtet, verboten sein würden. Z. B. die Niederlegung eines alten Hauses, die Sprengung von Gewölben etc. zur vertragsmässigen Herstellung von Neuanlagen ist keine Sachbeschädigung. Dies ist selbstverständlich. Es gilt auch nicht blofs für die in § 823 Abs. 1 hervorgehobenen Deliktsfälle, sondern unter Umständen ganz ebenso auch für die Verletzung von Schutzgesetzen. Zum Ausschlufs des Delikts bedarf es hier keiner besonderen gesetzlichen Bestimmung. Wo der Vertrag das Verhalten des Gegners rechtfertigt und nicht zugleich der Schutz dritter Personen in Frage steht, ist das Gesetz eben nicht verletzt! Es liegt kein Delikt vor, folglich kann auch von einem Deliktsanspruch nicht die Rede sein. Wenn im Gesellschaftsvertrage festgesetzt ist, dafs der geschäftsführende Gesellschafter sich den ihm gebührenden Lohn am Quartalsschlufs selbst aus der Geschäftskasse nehmen darf, so ist dies, wenn er es tut, keine Unterschlagung von Gesellschaftsgeldern.

So klar dies ist, so sehr ist es verkannt worden, wenn nicht direkt erlaubte, sondern anderweitige Handlungen in Frage stehen, welche nur indirekt oder mittelbar durch das Vertragsverhältnis gerechtfertigt werden. Die Parteien können nun. nicht an alles denken; sehr oft sind sie, wie das Leben zeigt, sogar sehr wenig weitblickend! Wenn sich dann in der weiteren Vertragsausführung die Notwendigkeit unvorhergesehenen Handelns ergibt, so ist im Einzelfalle zuzusehen, inwieweit dieses Handeln nach dem Vertrage gerechtfertigt war. Insoweit liegt kein Delikt vor. Z. B.

wenn

eine Eisenbahnverwaltung reglementsmäfsig | Lehrlinge, das Hausgesinde etc., sei es überhaupt Waren in offenem Waggon versendet, die nachher durch die Funken der Lokomotive Feuer fangen, so kann sich der Verfrachter nicht unter dem Gesichtspunkt der Deliktshaftung auf diese Sachbeschädigung berufen. Wenn ich jemandem den Auftrag gebe, in bestimmter Weise mit meinen Sachen zu verfahren, oder wenn ich jemanden, der sich sonst weigern würde, unter Entbindung von jeder Sorgfalt zur Uebernahme einer Aufbewahrung bewege, so kann ich mich nachher nicht aus einem anderen Gesichtspunkt beschweren, wenn die Sachen im Rahmen jener vertraglich gegebenen Direktive oder Latitude Schaden leiden. Wobei

in Betracht kommt, dafs der Uebernehmer der Sachen gemäfs §§ 665, 675, 692 BGB. und ähnlicher Bestimmungen in der Regel nicht nur sklavisch getreu, sondern den Umständen entsprechend handeln darf.

III.

Das ist also die richtig verstandene herrschende Ansicht, der Dernburg, wie ich selbst, von Anfang an huldigten, und der auch Staub der Sache nach folgt. Ich hoffe, wir werden durch Konstatierung dieses allseitigen Einverständnisses endlich in dieser Frage einen gedeihlichen Schritt weiter kommen.

Freilich bleibt im Detail noch manches zu sagen übrig. Die Fälle von Unvereinbarkeit der mehreren erhobenen (kontraktlichen und deliktischen) Ansprüche sind Spezialfälle! Immer ist also diese Frage für ein gegebenes (konkretes) Rechtsverhältnis im einzelnen zu untersuchen. Hier gibt es noch Arbeit genug. Im allgemeinen läfst sich nur sagen, dafs auch in dieser Beziehung der Vertrag nicht nach dem Wortlaut, sondern nach dem Sinne auszulegen, und hiernach (gemäss Treu und Glauben unter Berücksichtigung des Lebens und der Verkehrssitte) zu bestimmen ist, ob nach der vorliegenden Beziehung der Parteien zueinander die schadenstiftende Handlung als nicht unerlaubt angesehen werden kann. Hierüber entscheidet von Fall zu Fall das zuständige Gericht nach freiem Ermessen. Immer hat es die Frage so zu stellen: Durfte der Täter nach der konkreten Sachlage so handeln? Durfte er es, so liegt kein Delikt vor. So fehlt die Deliktshaftung in den oben erwähnten Fällen der Geschäftsbesorgung und Verwahrung, wenn die Sache ohne Verletzung der vertraglichen Sorgfalt zerstört oder von dritten gestohlen wird. Z. B. der Sack, den ich mir nur erbat, im offenen Hausflur niedersetzen zu dürfen, wird dort gestohlen. Hier kann ich den Verwahrer nicht verantwortlich machen, weil es Fahrlässigkeit sei, das Haus nicht abzuschliefsen. Dagegen ist die Verantwortlichkeit auch hier gegeben, wenn die Sache vom anderen Kontrahenten unterschlagen wird. Dabei kann die Strafbarkeit der Tat fehlen, und doch tritt die Deliktshaftung ein. So sind Ehegatten, Angehörige, Vormünder,

oder wegen nicht gestellten Antrages, nicht straffällig (§ 247 StrGB.), und doch aus der begangenen Unterschlagung ersatzpflichtig (nicht blofs im Rahmen des Ehe- und Anstellungsvertrages haftbar). Es kann keine Rede davon sein, dafs das konkrete Vertragsverhältnis die deliktische Verantwortlichkeit beschränke. Der Bestohlene kann dem Dienstboten die Sachen schenken, wie er nachträglich auf jeden Anspruch (den kontraktlichen wie den deliktischen) verzichten kann. Er kann dem anderen Teil auf seinen Lohn die einen oder anderen Sachen zuweisen oder ihm (siehe schon oben) die Befugnis geben, sich zu gewisser Zeit empfangenes Geld oder andere Produkte seiner Geschäftsführung auf diesen Lohn zuzueignen. In allen diesen Fällen hat die Aneignung einen Rechtsgrund (Schenkung, Zahlung), sie ist kein Delikt. Aber niemals kann der Vertrag direkt oder indirekt im voraus dem anderen Teil die Diebstahlshaftung erlassen. Eine solche Klausel verstöfst gegen die guten Sitten; sie ist nichtig. Folgerecht kann man auch im Gesellschaftsvertrag weder direkt noch indirekt einen Genossen indemnisieren, wenn er absichtlich die anderen schädigt oder absichtlich die Kontrolle unterlässt. Vgl. Crome, System Bd. I § 109 Ziff. 5, Bd. II § 158 N. 5, über die Nichtigkeit des pactum de dolo non praestando in den verschiedenen Anwendungsfällen.

IV.

Gleichwohl bestreitet Staub beim Dolus eines Gesellschafters die Deliktshaftung, und die Entscheidung ist nur bedingt richtig. Sie ist richtig, insofern der Dolus für sich allein noch kein Delikt bildet. Hier kann natürlich auch von keiner Deliktshaftung die Rede sein; so wenig wie. oben, wo dem handelnden Genossen gewisse Gegenstände geschenkt oder als Zahlung überwiesen sind. Sobald aber der Dolus sich zu irgend einem bestimmten Delikt auswächst, ist auch neben der vertraglichen die entsprechende Deliktshaftung gegeben. So in den Fällen der Untreue (§ 266 StrGB.), oder wenn das Verhalten eines Gesellschafters sich als Betrug darstellt, oder das allgemeine Delikt der vorsätzlichen unsittlichen Schadenstiftung (§ 826 BGB.) vorliegt. In dem von Staub erwähnten Beispiel ist nur zugegeben, dafs ein solches Delikt tatsächlich selten zu konstatieren sein wird. Ueberall aber, wo neben der Vertragsverletzung der Tatbestand des § 826 BGB. festzustellen wäre, würde neben dem Vertragsanspruch auch die moderne actio doli gegeben sein. Vorbehaltlich der oben geschilderten Möglichkeiten kann das Vertragsverhältnis gar nicht so charakterisiert sein", dafs es sie ausschliefst, da eben ein solcher Ausschlufs nichtig wäre. Der vorhandene Deliktsanspruch erzeugt also in solchen Fällen. auch in Ansehung der Verjährung etc. neben dem Vertragsanspruch seine gewöhnlichen Wirkungen.

Dichterische Behandlung wirklicher Be- verletzungen, Verletzungen des öffentlichen oder des gebenheiten und Personen.

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Eine juristische Betrachtung. Vom Geheimen Justizrat, Professor Dr. Gareis, München. I. Verrauscht ist die erste Aufregung über den Prozefs Bilse, seinen Anlafs und seine urteilsmässige Beendigung, und gelegt haben sich die erst hochaufschäumenden Wogen von Entrüstung oder von Bestürzung über den Roman Jena oder Sedan?" von Franz Adam Beyerlein, und so dürfte es an der Zeit sein, unbeeinflufst von persönlicher Erregung, die innerhalb der beiden Erscheinungen schwebende Rechtsfrage zu behandeln: Ist es dem dichtenden Schriftsteller gestattet, wirkliche Personen, sie seien lebend oder tot, und zugleich wirkliche Begebenheiten, in denen jene auftreten, zu schildern, ohne sich einer Verletzung eines Persönlichkeitsrechts schuldig zu machen?

Die Aufwerfung dieser Frage wird jetzt nicht blofs durch die beiden Romane „Aus einer kleinen Garnison“ und „Jena oder Sedan?" nahegelegt, auch der gegen den Schriftsteller und Rechtsanwalt Paul Albers in Ratibor geführte literarische Disziplinarprozefs wegen dessen Novelle „Franz und Marie❝1) drängt zu ihrer Beantwortung, und mit der gleichen Frage hat sich im Jahre 1902 das Seine-Tribunal in zwei gegen Romanschriftsteller geführten Prozessen2) entscheidend beschäftigt. Wenn ich nun dieser Frage näher trete, so geschieht dies unter einer strikten Verwahrung: mir sind die genannten. Rechtsfälle insgesamt, also namentlich auch der Prozefs Bilse, nicht Gegenstand der Betrachtung, sondern nur Anlafs dieser Untersuchung; es hiesse das ganze Wesen der öffentlichen und mündlichen Verhandlung verkennen, wollte man sich ein Urteil erlauben, das über dem derjenigen Personen stehen soll, die den Fall aus der Verhandlung selbst kennen; und noch einen anderen Vorbehalt mufs ich voranstellen: ich kann mich hier nicht mit militärischen und rein disziplinarrechtlichen Erwägungen, auch nicht mit dem Abmessen befassen, wie weit die Kameradschaftlichkeit oder der Korpsgeist oder der Amtscharakter in jenen Dingen Pflichten auferlegen oder Schranken setzen; es bleiben auch ohne diese, praktisch gewifs wichtigen, für die sagen wir akademische oder theoretische Hauptfrage hier gleichgültigen Erwägungen noch Betrachtungen genug anzustellen, die mit Schwierigkeiten verbunden und hier doch unerlässlich sind.

II. Der gewifs unanfechtbare Ausgangspunkt für unsere Betrachtung sei der Satz: Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Verboten sind Rechts

1) Wilhelm Kammer, Die literarische Freiheit der Juristen. Breslau 1903.

2) Urteil des Seine-Tribunals v. 11. Nov. 1902, Pasic. belge, 03. 4. 44, betr. Klage eines Wirtes, dessen in Paris gelegene, nach Strafse, Hausnummer und dem Vornamen des Wirtes genau bezeichnete Wirtschaft in einem Roman als Verbrecherkneipe geschildert wird; und Urteil desselben Tribunals v. 31. Okt. 1902, Pasic. belge 3. 4. 43, ausführlich mitgeteilt in der Ztschr. f. Bürgerl. Recht und Französ. Zivilrecht, Mannheim 1903, Bd. XXXIV S. 432 ff. und besprochen in Osterrieths „Gewerbl. Rechtsschutz und Urheberrecht". 1903 (8. Jahrgang) S. 328.

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privaten, bürgerlichen Rechts; zu den ersteren muss man auch das Handeln gegen eine Dienstvorschrift, gegen eine besondere Amtspflicht rechnen, die zweifellos auch darin bestehen kann, sich schriftstellerischer Tätigkeit, betrieben ohne besondere Ermächtigung oder wenigstens Anzeige, zu enthalten. Dies ist so klar, dafs nicht weiter davon gesprochen zu werden braucht. Anders aber liegt es mit der Verletzung eines privaten Rechtsguts das bürgerliche Recht kennt vermögensrechtliche Güter und reine Persönlichkeitsrechte, und es sind diese beiden Gruppen von Gütern sowohl durch strafrechtliche Normen wie durch die vermögensrechtliche Schadensersatzpflicht, mitunter sogar durch die Pflicht, auch solchen Schaden zu ersetzen, der nicht in einem Vermögensnachteile besteht, rechtlich geschützt. So ist das Rechtsgut der Ehre, des guten Namens geschützt nicht blofs durch die strafrechtlichen Bestimmungen, durch welche dem Beleidiger oder Verleumder Strafen angedroht sind (StrGB. §§ 185 bis 200), sondern auch durch die Zulassung von Schadensersatzansprüchen geschützt, welche, wenigstens unter gewissen Umständen, gegen den Ehrabschneider erhoben werden können (BGB. § 824). Ist aber neben dem Rechtsgut der Ehre noch ein besonderes Rechtsgut der Persönlichkeit in der Richtung anerkannt, dafs niemand ohne seine Zustimmung geschildert werden darf? Man spricht von einem Recht am eigenen Bilde1), einem Persönlichkeitsrechte, über welches in diesem Blatte schon eingehend genug gesprochen worden ist.2) Am klarsten tritt dieses Recht dann hervor, wenn rechtlich feststeht, dafs photographische Porträts nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden dürfen.3) Dieses Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten besteht aber nur gegenüber einer mechanisch aufgenommenen Abbildung und deren mechanischer Vervielfältigung. Es soll und darf zwar nicht verkannt werden, dass auch den Photographen ein künstlerisches Ermessen in bezug auf die Wahl der Stellung oder Beleuchtung u. s. w. des Objektes seiner Aufnahme leiten kann, ja soll; aber die Wiedergabe des Aehnlichen zwischen Original und Aufnahme desselben ist doch automatisches Werk der Lichteinwirkung auf die Platte, nicht die individuelle Betätigung des künstlerischen Sinnes. Wo jedoch letztere eintritt, verlöscht das Recht am eigenen Bilde. Dafs ich dieses mit allem Nachdrucke schon bei meiner ersten Be

gründung des Rechts am eigenen Bilde hervorgehoben und dafs also die Künstlerschaft umsonst gegen mich zu den Waffen gerufen worden ist, hat man freilich übersehen.) „Ich gestehe" (und man gestehe) „dem freischaffenden Künstler ein selbstständiges Urheberrecht an der Abbildung eines Menschen zu, wenn die äufsere Erscheinung des

1) Vgl. Keyfsners Gutachten u. das des Verf. f. d. 26. D. Jur.-Tag. 2) Festgabe zum 26. Deutschen Juristentag, Sept. 1902, S. 20 ff. 3) Vgl. den Entwurf des Reichsgesetzes betr. das Urheberrecht an Werken der Photographie, Reichsanzeiger 1902, No. 169. 4) Vgl. Beil. z. Allg. Ztg. 1902 No. 224.

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