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auch bei Handelskäufen nicht die Anwendbarkeit des § 326 Abs. 1 a. a. O. rechtfertige. Der Berufungsrichter zieht diese Entscheidung in Betracht; er führt aber aus, dafs im gegebenen Falle die Abnahme Hauptleistung des Käufers gewesen sei, weil es für Kaufleute, denen es an grofsem Umsatze, schneller Räumung ihres Lagers und steter Gelegenheit, der neuesten Richtung des Handels zu folgen, liegen müsse, sehr auf alsbaldige Abnahme ihrer Lieferungen ankommen werde.

Die im Urt. v. 9. Dez. 1902 vertretene rechtliche Auffassung haben in neuerer Zeit Düringer-Hachenburg bei Behandlung der Lehre vom Kauf nach BGB. (HGB. Bd. III S. 108/110) bekämpft. Die Bedeutung jener Behandlung der Lehre vom Kauf gab dem erkennenden Senat Anlafs zur wiederholten Prüfung der streitigen Frage, er gelangte dabei zu keinem anderen Ergebnisse.

Im kaufmännischen Sprachgebrauche ist vielfach der Ausdruck „Abnahme“, „abnehmen" Sammelname für die Tätigkeit des Käufers bis zur Zahlung des Kaufpreises. Nach den Darlegungen im Urt. v. 9. Dez. 1902 und in einem demnächst in den Entsch. des RG. zur Veröffentlichung kommenden Urt. des Senats v. 22. Dez. 1903 II. 200/03 ist dagegen Abnahme im technischen Sinne des § 433 Abs. 2 die körperliche Hinwegnahme der zu diesem Zwecke bereitgestellten Ware. Durch die Unterlassung der Abnahme entsteht notwendig nach §§ 293, 294 BGB. Gläubigerverzug, entsteht aber auch, wenn Mahnung und die anderen Erfordernisse des § 284 BGB. vorliegen, Schuldnerverzug; denn die Abnahme ist eine Verpflichtung des Käufers, der Verkäufer hat auf die Abnahme ein Recht und kann auf Erfüllung dieser Verpflichtung klagen, sofern die Ware zur körperlichen Hinwegnahme bereit ist. Wie hervorgehoben, hat in dem Sprachgebrauche der Geschäftswelt der Ausdruck „Abnahme" vielfach eine weitere Bedeutung, er umfafst insbes. auch die rechtsgeschäftlichen Handlungen des Käufers, durch die eine Unbestimmtheit in bezug auf die Lieferung der Ware nach Zeit, Ort, Art und Gegenstand beseitigt und dem Verkäufer erst eine körperliche Ablieferung der Ware ermöglicht wird, also insbes. den Abruf und die Spezifikation. In der Literatur wird die rechtliche Auffassung vertreten, die Vornahme jener rechtsgeschäftlichen Handlungen sei ein Bestandteil der Abnahmeverpflichtung aus § 433 Abs. 2. Bei Prüfung dieser Frage im Urt. v. 22. Dez. 1902 gelangte indessen der Senat zu dem Ergebnis, dafs damit der Vorschrift des § 433 Abs. 2 eine zu grofse Tragweite beigemessen werde; er hat dort ausgeführt, aus der Vorschrift des § 433 Abs. 2 über die Verpflichtung des Käufers zur körperlichen Hinwegnahme der gekauften Sache könne allerdings für das Recht des Kaufes nach BGB. abgeleitet werden, dafs eine nach der Natur des einzelnen Geschäftes gebotene oder verkehrsübliche oder besonders vereinbarte Mitwirkung des Käufers zur Ermöglichung einer Ablieferung der Ware neben der Verpflichtung zur Abnahme, aber nicht als Teil derselben, eine klagbare Verpflichtung des Käufers zur Vornahme auch jener Mitwirkung begründen könne, und dafs der Verzug mit dieser Verpflichtung, soweit nicht § 264 BGB. Platz greife, wie jeder andere Schuldnerverzug zu beurteilen sei. Dadurch findet die Vorschrift in § 375 HGB. über den Spezifikationskauf in dem Rahmen der allg. Grundsätze des BGB. volle Rechtfertigung; dort ist die Spezifikation durch den Käufer als Schuldnerverpflichtung desselben anerkannt, und sind die Folgen des Schuldnerverzuges mit dieser Verpflichtung ausdrücklich im Gesetze selbst festgesetzt.

Ferner ist an der im Urt. v. 9. Dez. 1902 (Entsch. Bd. 53 S. 163/164) näher begründeten Auslegung des § 326 Abs. 1 festzuhalten, dafs dort unter Verzug des einen Teils mit der ihm obliegenden Leistung Verzug mit der Hauptleistung zu verstehen ist. Die Ausführungen bei Düringer und Hachenburg a. a. O. bieten aber auch keinen Anlass, die in jenem Urteil (S. 164/165) weiter ausgesprochene, für die hier streitige Frage entscheidende Auffassung, dafs die Verpflichtung zur Abnahme der gekauften Sache in der Regel und zwar auch bei Handelskäufen nicht die Hauptleistung oder ein Teil der Hauptleistung sei,

aufzugeben. Sie nehmen zunächst an, dafs die Abnahmeverpflichtung ein wesentlicher Bestandteil des Kaufvertrags sei, und dafs, wenn der Käufer zur Abnahme überhaupt nicht verpflichtet ist, ein Kaufvertrag nicht vorliege. Diesen Ausführungen liegt augenscheinlich eine Verwechselung des rechtlichen Begriffes der essentialia negotii mit dem der sog. naturalia negotii zugrunde. Denn auch nach BGB. sind nur die Verpflichtungen zur Verschaffung der Kaufsache auf seiten des Verkäufers, zur Zahlung des Kaufpreises auf seiten des Käufers wesentliche Bestandteile des Kaufes, die ihm seinen Charakter geben. Die Verpflichtung des Käufers, die zu verschaffende Sache abzunehmen, ist durch die positive Vorschrift in § 433 Abs. 2 lediglich als eine Wirkung des Kaufvertrages bestimmt, die ihm in der Regel zukommt, die ihm aber nicht wesentlich ist, so dass sie von den Parteien ausgeschlossen werden kann. Für eine entgegengesetzte Auffassung findet sich weder im Gesetz noch in dessen Materialien zureichender Anhalt. Die bei Düringer und Hachenburg S. 109 zit. Motive (Bd. II S. 318) besagen ausdrücklich: „Schwiege das Gesetz, so würde die Abnahmepflicht als naturale negotii verneint erscheinen", und von den gen. Schriftstellern selbst wird die Verpflichtung zur Abnahme in Bd. III S. 50 II, 1 gelegentlich als naturale negotii bezeichnet; es ist auch schlechthin unerfindlich, aus welchem Grunde der Gesetzgeber zu einer derartigen Ueberspannung des Erfordernisses der Abnahmeverpflichtung gelangt sein sollte, dafs einem Vertrage die Eigenschaft als Kaufvertrag entzogen sei, wenn er z. B. das Geding enthält, dem Verkäufer stehe bei Verweigerung der Abnahme- unbeschadet seines Rechtes auf Zahlung des Kaufpreises mit den damit verknüpften weiteren Rechten nur die Befugnis zum Selbsthilfeverkauf aus §§ 383 ff. BGB., § 373 HGB. zu. Damit ist zugleich das dem Wortlaute des § 433 Abs. 2 — der Käufer ist verpflichtet, . . . . den Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen Argument entkräftet, die gedachten Schuldnerleistungen des Käufers seien dort koordiniert nebeneinander aufgezählt und ständen sich deshalb auch qualitativ gleich. Weiter kann darüber wohl kein Zweifel bestehen, dafs die Anerkennung der Verpflichtung zur Abnahme als einer in der Regel dem Kaufe zukommenden Wirkung an sich noch nicht den Schlufs rechtfertigt, die damit aufgestellte Leistung des Käufers sei die Hauptleistung oder ein Teil der Hauptleistung. Die weiteren Ausführungen der gen. Schriftsteller, dafs Billigkeit und das Verkehrsbedürfnis bei dem Abnahmeverzug des Käufers die Anwendung des § 326 Abs. 1 schlechthin verlangen, sind gleichfalls nicht überzeugend. Betrifft z. B. ein Meinungsstreit der Vertragschliefsenden lediglich die Zeit, wann abzunehmen sei - am 1. Sept. oder 1. Nov. so würde, wenn festgestellt wird, es sei am 1. Sept. abzunehmen gewesen, die mechanische Anwendung des

entnommene

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§ 326 Abs. 1 lediglich wegen eines Abnahme verzuges am 1. Sept. in den weitaus meisten Fällen zu Härten und Unbilligkeiten führen, die weder berechtigten Verkehrsanschauungen noch berechtigten Verkehrsbedürfnissen entsprechen. In der Literatur werden als Vorzüge einer solchen mechanischen Anwendung des § 326 Abs. 1 auf alle Fälle eines Abnahmeverzuges hervorgehoben, es werde dadurch eine klare Rechtslage geschaffen, der Verkäufer könne ohne weiteres bei steigender Konjunktur vom Vertrag zurücktreten, bei sinkender Konjunktur die Differenz als Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen und sei von den als lästig empfundenen Formalitäten des Selbsthilfeverkaufs befreit. Diese Vorzüge werden durch die Bedenken aufgewogen, die darin liegen, dafs an den Verzug mit einer in Wirklichkeit vielfach nebensächlichen und als solche auch aufgefafsten Leistung, wie das in der Regel die Abnahme der gekauften Sache ist, ohne innere Berechtigung die weittragenden Wirkungen des § 326 Abs. 1 schlechthin geknüpft sein sollen.

Allerdings wird sich in manchen Fällen unmittelbar aus der Natur und dem Gegenstande des Geschäftes, so im Grofshandel bei Lieferung von Massenprodukten und Massenartikeln, oder aus besonderen Bestimmungen des

Vertrages, so bei Verkäufen ab Schiff u. dergl., ergeben, dafs die Abnahmeverpflichtung des Käufers ein Teil der ihm obliegenden Hauptleistung sei; in Fällen dieser Art steht der Anwendung des § 326 Abs. 1 bei Verzug des Käufers in Erfüllung der Abnahmeverpflichtung kein Bedenken entgegen. Indessen reichen die Erwägungen, aus denen der Berufungsrichter für den gegebenen Fall abgeleitet hat, dafs auch hier die Abnahmeverpflichtung ein Teil der Hauptleistung sei, für eine solche Annahme nicht zu, da sie weder durch die Natur und den Gegenstand des Geschäftes noch durch eine besondere Bestimmung desselben gerechtfertigt sind.

Danach wäre an sich die Begründung des Berufungsurteils nicht geeignet, die Anwendung des § 326 Abs. 1 BGB. zu rechtfertigen. Indessen reicht das festgestellte Sachverhältnis zu, um auf anderem Wege zur Anwendung dieser Bestimmung zu gelangen. Der Beklagte hatte nicht blofs die Abnahme unterlassen und sich ernstlich geweigert, abzunehmen, was die Folge gehabt hätte, dafs dem Verkäufer Mahnung und Fristsetzung erspart blieben, wie solche zur Herbeiführung des Gläubiger- und Schuldnerverzuges erforderlich sind; er hatte sich vielmehr in der ernstlich festgehaltenen und auch im Rechtsstreite verwerteten Erklärung v. 15. Febr. 1901, „er annulliere den Vertrag," von dem ganzen Geschäfte losgesagt. Schon unter der Herrschaft des alten HGB. neigte sich die Praxis dahin, Erklärungen, in denen sich der Käufer von dem Vertrage lossagte, wie z. B. „der Vertrag sei nicht zustande gekommen," ,,man trete vom Vertrag zurück," man annulliere den Vertrag," dem in Art. 354 (a. F.) geforderten Zahlungsverzuge gleichzustellen, und die Geschäftswelt scheint daran festzuhalten. In der Tat läfst eine derartige Erklärung jedem vernünftigen Menschen es als zwecklos erscheinen, dafs der Verkäufer, um Schuldnerverzug herbeizuführen, die Ware erst noch liefern müsse; mit solchen Erklärungen verzichtet der Käufer auf die Rechte aus § 320 Abs. 1 BGB., auf Mahnung und Fristsetzung (Urt. v. 27. Mai 1902 Entsch. d. RG. i. Z.-S. Bd. 51 S. 347). Der Verkäufer darf also sicher annehmen, dafs der Käufer nicht zahlen werde, selbst wenn ihm geliefert würde. Schwierigkeiten macht nur der Fall, dafs der Verkäufer vorzuleisten hat. Es entsteht die Frage, ob in solchen Fällen, wenn der Käufer vor jeder Lieferung oder doch vor Lieferung der ausstehenden Leistungen die Annullierungserklärung abgibt, der Verkäufer ihn sofort so behandeln kann, wie es § 326 Abs. 1 BGB. nach erfolgter Mahnung, Fristsetzung und Androhung gestattet. Die gleiche Frage ergibt sich übrigens auch bei Zug um Zug-Geschäften, wenn der Käufer schon vor dem Lieferungstermine · die Annullierungserklärung abgibt. Der Senat hat sich im Urt. v. 6. März 1903 II. 388/02 - Entsch. d. RG. i Z.-S. Bd. 54 S. 98 bereits dahin ausgesprochen, dafs bei gegenseitigen Verträgen auch wegen positiver Vertragsverletzungen des einen Teils, welche die Erreichung des Vertragszweckes gefährden, der andere Teil unter entsprechender Anwendung des § 326 BGB. vom Vertrag zurücktreten oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen kann. Das gegebene Gesetz steht der Annahme nicht entgegen, dafs in einem unberechtigten und vertragswidrigen Sichlossagen vom Vertrage der oben bezeichneten Art eine solche positive Vertragsverletzung liege, und dafs eine folgerichtige Anwendung des im Urt. v. 6. März 1903 gefundenen rechtlichen Grundsatzes zu dem Ergebnisse führt, der Verkäufer sei in Fällen dieser Art schon auf Grundlage der unberechtigten und vertragswidrigen Annullierungserklärung berechtigt, in Anwendung des § 326 vom Vertrag zurückzutreten oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen, und es stehe dem Käufer, nachdem der Verkäufer davon Gebrauch gemacht hatte, nicht mehr frei, seine Annullierungserklärung zurückzunehmen und sich zur Vertragserfüllung bereit zu erklären. Insoweit trifft für Fälle dieser Art Urt. v. 11. Juli 1902 II. 129/02 (Entsch. d. RG. i. ZS. Bd. 52 S. 150 ff. hier S. 152) nicht zu, wonach dem Käufer offen bliebe, durch Erfüllung während der noch laufenden Lieferungszeit den Schadensersatz wegen Nichterfüllung abzuwenden.

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Im übrigen hat allerdings auch für Fälle dieser Art die Berechnung des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung auf der Grundlage der Lieferungsbestimmungen des Kaufvertrages zu erfolgen. Auf dieser rechtlichen Grundlage wäre der Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung aus § 326 dem Grunde nach gerechtfertigt, wenn die Annullierungserklärung des Beklagten v. 15. Febr. 1901 unberechtigt und vertragswidrig war. Das würde allerdings nicht zutreffen, wenn der Beklagte, wie er geltend macht, mit jener Erklärung berechtigterweise auf Grund des § 326 BGB. vom Vertrage zurückgetreten ist.

3. Der Beklagte hatte schon vor dem 15. Februar 1901 wiederholt die seit dem Spätsommer 1900 gelieferten Garne als mangelhaft bezeichnet und mehrfach angedroht, dafs er wegen andauernder vertragswidriger Lieferungen den Rest des Vertrages annulliere. Mit dieser Androhung hatte er in den Briefen vom 18. und 22. Dez. 1900 die Lieferung eines „Probeballens" verlangt, und als dieser wieder angeblich wegen Mängel vertragswidrig war, hat er in dem Briefe v. 15. Febr. 1901 die „Annullierung“ erklärt. Der Berufungsrichter führt unter Bezugnahme auf die Abhandlung von Dernburg Deutsche Juristen-Zeitung 1903 S. 1 bis 5 aus, ein solcher Rücktritt von jeder ferneren Lieferung habe dem Beklagten nicht zugestanden, er wäre lediglich in der Lage gewesen, wegen der einzelnen gemachten Lieferungen Minderung oder Wandelung zu verlangen und nur im Falle eines Lieferungsverzuges nach § 326 BGB. vom Vertrag zurückzutreten. So habe er jede einzelne Lieferung genommen" und bezahlt, dann aber „plötzlich" die fernere Abnahme überhaupt verweigert.

Diese von der Revisionsbegründung angefochtenen Ausführungen sind nicht frei von Rechtsirrtum. Der Senat ist bereits bei Begründung des zit. Urt. v. 6. März 1903 den Ausführungen Dernburgs, soweit sie die hier streitige Frage betreffen, entgegengetreten. Damals wurde dargelegt, in § 326 sei der Ausspruch eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes für schuldhafte oder aus anderem Grunde zu vertretende Nichterfüllung gegenseitiger Verträge in der besonderen Anwendung auf den Verzug zu finden (Gleiches gilt entsprechend auch von § 325), und daraus abgeleitet, es seien im Wege der Analogie bei gegenseitigen Verträgen auch aus positiven Vertragsverletzungen des einen Teiles dem anderen Teile die in § 326 ausgesprochenen Rechte dann zu gewähren, wenn durch jene Vertragsverletzungen die Erreichung des Vertragszweckes gefährdet wird. Alle Voraussetzungen für Anwendung des auf diesem Wege gefundenen rechtlichen Grundsatzes sind gegeben, wenn bei einem Sukzessiv lieferungsgeschäfte in einer Weise andauernd mangelhaft geliefert wurde, welche die Annahme rechtfertigt, es sei nicht zu erwarten, dafs künftig anders geliefert werde, und danach durch einen vom Verkäufer zu vertretenden Umstand die Erreichung des Vertragszweckes gefährdet ist. Der Senat trägt daher kein Bedenken, für Fälle dieser Art unter entsprechender Anwendung des § 326 zuzulassen, dafs der Käufer vom Vertrage für die noch ausstehenden Lieferungen zurücktrete. In den Fällen andauernd fehlerhafter Leistungen beim Sukzessivlieferungsgeschäft wird gerade das Hauptanwendungsgebiet des im Urt. v. 6. März 1903 gefundenen rechtlichen Grundsatzes liegen. Uebrigens hat der Senat die gleichen Grundsätze bereits im Urt. v. 14. Mai 1901 II. 67/01 ausgesprochen; dort ist ferner ausgeführt, eine solche Auflösung des Vertragsverhältnisses sei dadurch nicht ausgeschlossen, dafs die einzelne Lieferung genommen und bezahlt sei", sofern nur der Mangel rechtzeitig gerügt wurde und in dem Nehmen und Bezahlen nach Lage des Einzelfalles keine Genehmigung der Ware als fehlerlose zu finden sei, es stehe auch einer solchen Annahme nicht das Urt. v. 16. März 1880 (Entsch. d. RG. i. ZS., Bd. 1 S. 62) entgegen. Das Urt. v. 14. Mai 1901 betraf allerdings den Fall der Auflösung eines Bierabnahmevertrages wegen andauernder Lieferung schlechten Bieres auf Grund des Satzes 1184 des Badischen Landrechtes, der gleich Art. 1184 des Code civil bei Nichterfüllung eines gegenseitigen Vertrages dem anderen Teil die dem richterlichen Ermessen unterstellte Auflösung durch Urteil einräumt. Die

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Neue Gesetze, Verordnungen u. dgl.

Deutsches Reich: Bkm. v. 26. 2. 1904, bt. Vorschriften üb. Auswandererschiffe (R.-Ges.-Bl. S. 136).

Preufsen: Allg. Vf. v. 16. 2. 1904 weg. des b. Pfändg. d. Gehält. o. Pensionen v. Beamt. der Schutzgebiete zu beobachtend. Verfahrens (J.-M.-Bl. S. 47). Allg. Vf. v. 24. 2. 1904, bt. das v. d. Staatsbehörden zu verwendende Papier (S. 50). - M.-Erl. v. 9.2. 1904 bt. Schutz d. Telegr.- u. Fernsprechanlag, gegenüb. elektr. Kleinbahnen (Eisenb.-Vo.-Bl. S. 61). — M.-Vf. v. 7. 3. 1904, bt. Anleg. d. Grund b. f. Bezt. d. A.-G. Camberg, Dillenburg, St. Goarshausen, Höchst a. M., Höhr-Grenzhausen, Langenschwalbach, Rüdesheim, Runkel, Usingen u. Weilburg (Ges.-S. S. 25).

Sachsen: Ges. v. 25. 2. 1904, bt. Abänd. d. Bestimg. in Abs. 2 von § 84 d. Revid. Städteordng. (Ges.- u. Vo.-BI. S. 108). Vo. v. 26. 2. 1904, bt. d. jurist. Vorbereitgsdienst im Geschäftsbereiche d. inneren Verwltg. u. Prüfg. f. d. höh. Verwltgsdienst in dies. Geschäftsbereiche (S. 108).

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Baden: M.-Vo. v. 16. 2. 1904, bt. Vollzug d. Gebäudeversichrgsges. (Ges.- u. Vo.-Bl. S. 14). M.-Vo. v. 22. 2. 1904 z. Ausf. d. R.-Ges. v. 26. 7. 1897 üb. Abänd. d. Gew.-O. (S. 14). M.-Vo. v. 29. 2. 1904, bt. Schutz der b. Bauten beschäft. Pers. geg. Berufsgefahren (S. 15). - Ldh. Vo. v. 2. 3. 1904, bt. Vollz. d. Ges. v. 11. 8. 1902 üb. Erziehg. u. Unterricht nicht vollsinnig. Kinder (S. 27). M.-Bk. v. 8. 3. 1904, bt. Inkraftsetz. d. reichsgesetzl. Grundbuchr. i. Bezt. d. A.-G. Schönau, Weinheim u. Mosbach (S. 28).

-

Braunschweig: Vo. v. 29. 2. 1904 z. weit. Ausf. d. R.-Ges. v. 30. 6. 1900, bt. Abänd. d. Gew.-O. (Ges.- u. Vo.-S. S. 33).

Sachsen-Koburg: Ges. v. 28. 3. 1903, bt. Gebühren-O. in Verwaltgssach. (Ges.-S. S. 77). - Vo. v. 27. 8. 1903, bt. Verk. m. Geheimmitt. u. and. ähnl. Arzneimitt. (S. 185). Ges. v. 22. 12. 1903, bt. Erbschafts- u. Schenkgsabgabe (S 213). Anhalt: M.-Vo. v. 27. 1. 1904, bt. die Schlachtvieh- u. Fleischbeschau (Ges.-S. S. 5).

Schwarzburg-Sondershausen: M.-Vo. v. 15. 2. 1904 üb. Verkauf v. Waffen (Ges.-S. S. 7). Ges. v. 4. 3. 1904, bt. e. Nachtr. z. d. Ges. üb. Verwaltgszwangsverfahr. v. 19. 7. 1899 (S. 9). Reufs j. L.: M.-Vo. v. 23. 2. 1904, bt. weitere Ausf. d. Ges. üb. Verfahr. in Verwitgsstrafsach. (Ges.-S. S. 109). - M.-Vo. v. 22. 2. 1904, bt. Einführg. e. Todesursach. - Statistik (S. 113). Lippe-Detmold: Allg. Vf. v. 7. 1. 1904, bt. Abänd. d. Geschäfts-O. f. d. Sekretariat d. St.- Anwaltsch. b. d. L.-Ger. (Ges.S. S. 5). Ges. v. 2. 3. 1904, bt. A end. d. Ges. v. 31 3. 1898 üb. Besoldg. d. staatl. Beamten (S. 9). Auth. Interpretation v. 29. 2. 1904 des § 8 d. Ausf.-Ges. v. 26. 6. 1879 z. dtsch. ZPO. (S. 11). Lübeck: II. Nachtr. v. 16. 2. 1904 z. lüb. Gerichtskostenges. v. 12. 11. 1900 (Saml. d. Ges. No. 9). Vo. v. 16. 2. 1904, bt. Bahngrundbuch (No. 10). . - Vo. v. 19. 2. 1904, bt. Führg. u. Behandlg. d. Schiffstagebuchs (No. 12).

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Hamburg: Bk. v. 2. 3. 1904, bt. Ausf.-Bestimgn. z. R.-Ges. üb. Bekämpfg. gemeingefährl. Krankhtn. (Amtsbl. S. 399).

Sprechsaal.

In dem Aufsatz des Prof. Dr. Beling über die staatsanwaltschaftliche Ablehnung der Strafverfolgung etc. S. 300, 1904 d. Bl. befinden sich einige tatsächliche Unrichtigkeiten, die dem Verfasser nicht bekannt gewesen zu

sein scheinen, ihm aber Anlass geben zu nicht ganz richtigen Schlufsfolgerungen, und die ich richtig stellen möchte.

Die Staatsanwaltschaft erster Instanz hat in dem Falle „Dr. Barth" nicht das Vorliegen eines öffentlichen Interesses verneint und den Antragsteller auf den Weg der Privatklage verwiesen. In dem Bescheide v. 27. Juni 1903 ist nur deshalb die Erhebung der öffentlichen Anklage abgelehnt worden, weil eine Strafverfolgung im Hinblicke auf § 193 StrGB. aussichtslos sein würde. Auf die dagegen eingelegte Beschwerde konnte wohl der Oberstaatsanwalt in der Sache selbst entscheiden und die vollständige Prüfung des Rechtsfalls vornehmen. Er hat dann im Bescheide v. 14. Juli 1903 unter Anerkennung des Vorliegens einer Beleidigung und des öffentlichen Interesses zum Einschreiten die Beschwerde wegen des den Verbreitern des Flugblattes zur Seite stehenden Schutzes des § 193 StrGB. zurückgewiesen. Nachdem der Justizminister am 6. August 1903 die Einleitung des Ermittelungsverfahrens angeordnet hatte, haben sich in den Bescheiden vom 17. Nov. 1903 und 4. Jan. 1904 die staatsanwaltschaftlichen Behörden nach Beendigung des Ermittelungsverfahrens auf ihren früheren Standpunkt gestellt. Der Minister hat dann im Beschwerdewege durch Verfügung v. 24. Jan. 1904 erklärt, dafs er keinen Anlafs nehme, die Verfügung des Oberstaatsanwalts im Aufsichtswege abzuändern, da in Gemäfsheit des § 170 StrPO. der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zulässig sei. Der Justizminister hat im Abgeordnetenhause am 25. Febr. 1904 unter Darlegung der Gründe, welche eine Verweisung auf § 170 StrPO. trotz der Möglichkeit der Erhebung einer Privatklage im vorliegenden Falle, in welchem das öffentliche Interesse nicht verneint war, rechtfertigen, nicht die Unzulässigkeit der beim Justizminister erhobenen Beschwerde behauptet, sondern geltend gemacht, dafs er an und für sich befugt gewesen wäre, in die Sache einzugreifen, er aber keinen Anlass gehabt habe, von dem durch § 170 StrPO. gegebenen gesetzlichen Weg abzugehen, und dafs Dr. Barth, wenn ihm der Weg versagte, immer noch die Möglichkeit offen gestanden habe, sich nochmals an den Justizminister zu wenden. Damit hat wohl der Justizminister nicht die Unzulässigkeit einer Remedur im Justizverwaltungswege aussprechen wollen, und erübrigen sich die dagegen gerichteten, völlig zutreffenden Ausführungen des Prof. Dr. Beling. Landgerichtsrat Peltasohn,

Mitgl. des Abgeordnetenhauses, Bromberg.

Fürsorge für die nicht zur Familienfideikommifsfolge gelangendenAbkömmlinge (Preussen). Das neuere FFK.-Recht hat sich bemüht, für den Fall der Errichtung von FFK. diejenigen Familienglieder, die nicht zur FFK.-Folge gelangen, in der einen oder anderen Weise einigermafsen gegen die Nachteile der Willkür des Stifters zu schützen.1) Während aber dieses Ziel z. B. nach dem neuesten dieser Gesetze dadurch erreicht werden soll, dafs innerhalb des FFK.-Vermögens ein Kapital (die „Familienkasse") mit besonderer Zweckbestimmung gebildet wird, will der neue preufsische Entwurf eines Gesetzes über FFK. dies Kapital aus dem FFK.-Vermögen ausscheiden und vollkommen rechtlich selbständig gestalten. Dazu soll nach § 97 des Entwurfs diese Familien-Fürsorge nicht nur, wie in beschränkter Weise nach § 53 Pr. ALR. T. II Tit. 4, nicht mehr in der Willkür des Stifters stehen,

1) Vgl. § 46 des bayr. Edikts v. 26. 5. 1818, § 34 des hannoverischen Ges. v. 13. 4. 1836 u. §§ 50, 54-59 der Verordnung v. 19. 4. 1847, § 6 No. 1, 7, 8, 9 des braunschweig. Ges. v. 20. 5. 1858, Art. 24 u. Art. 19 des hessischen Ges. v. 13.,9. 1858 u. 30. 9. 1899, §§ 43 flgde. des kgl. sächs. Ges. v. 7. 7. 1900.

sondern, zugleich in weit umfassenderer Weise, eine gesetzliche Bedingung der FFK.-Errichtung werden. Dem FFK.Stifter soll zur Pflicht gemacht werden, zugleich mit dem FFK. selbst eine „Abfindungsstiftung" und eine „Ausstattungsstiftung“ zu errichten. Die Abfindungsstiftung soll dazu dienen, die Angehörigen der FFK.Besitzer, die nicht zur FFK.-Folge gelangen, dafür „abzufinden", dafs ihnen mit dem Nachfolgefalle der tatsächliche Mitgenufs des FFK.-Vermögens entzogen wird. Die Ausstattungsstiftung dagegen soll allen denjenigen Gliedern der Familie des Stifters zugute kommen, die zur Begründung einer ihrem Stande entsprechenden Selbständigkeit einer Beihilfe bedürfen, weil ihnen von anderer Seite, insbesondere auch durch den Genufs der FFK.-Erträge, Mittel nicht zu Gebote stehen. Diese beiden Stiftungen sollen in einer Urkunde mit der Errichtung des FFK. beurkundet werden. Ihre Genehmigung soll durch die Genehmigung der FFK.-Errichtung geschehen. Als Sitz der Stiftungen soll, mangels abweichender Bestimmung der Stiftungsurkunde, der Sitz der FFK.-Behörde gelten. Die Bestimmungen über Familienstiftungen sollen auf diese Stiftungen keine Anwendung finden.

In der Annahme, dafs der Entwurf zum Gesetz erhoben werden wird, und dafs auch nach dem bisher geltenden preufs. FFK.-Recht die Errichtung von Stiftungen der bezeichneten Art mit eigener Rechtsfähigkeit in einer FFK.-Stiftungsurkunde zulässig sei, hat ein FFK.-Stifter der FFK.-Behörde (Oberlandesgericht, in dessen Bezirke er seinen Wohnsitz hat) den Entwurf einer solchen FFK.Stiftungsurkunde zur Prüfung zwecks Vorbereitung ihrer gerichtlichen Verlautbarung und Bestätigung vorgelegt. Auf seine Beschwerde über den erhaltenen ablehnenden Bescheid hat ihn der Justizminister indessen am 8. 1. 1904 gleichfalls abfällig beschieden. Zur Begründung ist ausgeführt worden, es könne nicht anerkannt werden, dafs die Zulässigkeit der beabsichtigten Anordnungen nach dem jetzt geltenden Recht aus § 53 Pr. ALR. T. II Tit. 4 entnommen werden könne. Denn hier werde nur bestimmt, dafs der dem FK.-Besitzer kraft seines nutzbaren Eigentums (§ 72 a. a. O.) zustehende Ertrag der FK.-Güter mit Prästationen zum Besten der Kinder des jedesmaligen FK.-Besitzers in gewisser Höhe belastet werden könne. Es sei also nur von einer Einschränkung des Nutzungsrechts des FK.-Besitzers die Rede. Solle der Zweck der im obigen Gesetzentwurf in Aussicht genommenen Abfindungs- und Ausstattungsstiftung bereits jetzt durch Errichtung einer eigenen rechtsfähigen Stiftung erreicht werden, so könne das nur durch Begründung einer den Vorschriften des Pr. AG. z. BGB. entsprechenden Familienstiftung geschehen. Werde dabei zugleich beabsichtigt, diese Stiftung der Genehmigung und Beaufsichtigung einer Gerichtsbehörde zu unterstellen, so seien diejenigen Gerichtsbehörden ausschliesslich örtlich zuständig, in deren Bezirke die Stiftung ihren Sitz haben solle. Diese ausschliefsliche örtliche Zuständigkeit gelte auch dann, wenn die Genehmigung und Beaufsichtigung der Stiftung ausnahmsweise nicht durch das Amtsgericht erfolgen, sondern durch den Justizminister einem Gerichte höherer Instanz übertragen werden solle. (Vgl. den Gebrauch des bestimmten Artikels vor den Worten „Landgericht“ und „Oberlandesgericht" im § 29 Pr. AG. z. GVG. u. § 1 Abs. 2 Pr. AG. z. BGB. sowie Crusen u. Müller, Kommentar z. AG. z. BGB. S. 52.)

Oberlandesgerichtsrat Wolff, Naumburg.

Prozesse im Armenrecht. Unsere ZPO. bestimmt, dafs einer Partei vom Prozefsgericht für einen Prozess

das Armenrecht zu bewilligen ist, wenn sie ihr finanzielles Unvermögen durch ein polizeiliches Armutszeugnis nachzuweisen vermag und die von ihr beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht aussichtslos ist. Diese Bestimmung stellt einen Akt sozialer Fürsorge dar, ihre Anwendung ist aber allmählich zu einem schweren Schaden für unsere Rechtspflege geworden. Die Zahl der Prozesse im Armenrecht wächst von Jahr zu Jahr. Das müsste hingenommen werden; aber leider wächst auch noch mehr die Zahl derjenigen Prozesse, die einen für die arme Partei ungünstigen Ausgang nehmen und am letzten Ende dartun, dafs das Armenrecht für sie nicht hätte bewilligt werden sollen. Dafs es doch bewilligt wurde, beruht in einer grofsen Zahl von Fällen auf einem zu schematischen Verfahren der Prozessgerichte.

Freilich: Die ZPO. sagt nicht, dafs die beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtsvoll, sondern nur, dafs sie nicht aussichtslos sein müsse, und das wenden die Gerichte wohl regelmässig in dem Sinne an, dafs sie das Armenrecht nur versagen dürften, wenn die Rechtsverfolgung aussichtslos ist, dafs also dem Antragsteller die Aussichtslosigkeit gewissermafsen nachgewiesen werden müsse. Und aus dieser Auffassung heraus begnügen sich die Gerichte mit der formalen Schlüssigkeit der Klage, für welche das Armenrecht nachgesucht wird. Wenn A in seiner Klage behauptet, er habe dem B eine bestimmte Geldsumme geliehen, und wenn er mit der Klage die Rückzahlung dieser Summe begehrt, so wird sicher in den allermeisten Fällen das Gericht dem Ersuchen um Bewilligung des Armenrechts für die Klage ohne weitere Bedenken entsprechen. Denn wenn A dem B Geld geliehen hat, ist er auch zur Rückforderung berechtigt, die Klage ist also formell schlüssig. Aber eben auch nur formell. Innerlich schlüssig. sachlich begründet ist sie nur dann, wenn die Behauptung des A richtig ist, wenn B der Behauptung im Prozess gar nicht widerspricht oder im Fall des Widerspruches A seine Behauptung zu beweisen vermag. Ich will aus dem Abstrakten ins Konkrete übersetzen. Ein heruntergekommener Mensch klagt mit der Behauptung, er habe einem im ganzen Ort, also auch dem Richter, als wohlhabend, pünktlich und gewissenhaft bekannten Mann eine gröfsere Geldsumme geliehen, diese Summe ein und erbittet für die Klage das Armenrecht. Es wird ihm nach der jetzigen Praxis wohl gegeben werden, während sich doch das Prozefsgericht bei Anwendung seiner Menschenkenntnis und Lebenserfahrung sagen mufste, die Behauptung des Antragstellers ist ganz unwahrscheinlich, es liegt die dringende Vermutung vor, dafs es sich bei der Klage nur um einen Erpressungsversuch oder um die Schädigung eines persönlichen Feindes handelt. Unter diesen Umständen müfste das Gericht die beabsichtigte Rechtsverfolgung zunächst für aussichtslos halten und von dem Antragsteller verlangen, dafs er die sich erhebenden Bedenken durch aufklärende Angaben beseitige.

Ein anderer Fall. Ein mittelloser Kommissionär klagt mit der Bitte um Bewilligung des Armenrechts einen Anspruch ein, der ihm von einem reichen Geschäftsmann abgetreten worden ist. Auch hier ist die Klage vielleicht formell schlüssig, das Gericht sollte sich aber doch die Frage vorlegen, wie ist es denkbar, dafs der reiche Mann dem armen Agenten einen wertvollen Anspruch abtritt. Es mufs zu der Vermutung gedrängt werden, dass die Abtretung zu dem Zweck erfolgt ist, bei einem etwaigen Bestreiten des Anspruchs durch den Beklagten die Vernehmung des ursprünglichen Gläubigers als Zeugen zu ermöglichen, vielleicht aber auch deshalb, weil der reiche Geschäftsmann bei der Verfolgung eines bestrittenen Anspruchs nicht seinen eigenen Geldbeutel in Gefahr bringen will, sondern die Einklagung dem Agenten überläfst, der

ja das Armenrecht nachsuchen kann. Gegen den erstgedachten Zweck vermag das Gericht von Amts wegen nichts auszurichten, dem zweiten aber kann es entgegenwirken, indem es vor Bewilligung des Armenrechts sich die Ernstlichkeit der Abtretung glaubhaft machen läfst.

Die zu Unrecht im Armenrecht geführten Prozesse belasten in schwerer Weise die Gerichte, die Anwälte und vor allem die Gegner der armen Parteien, die, auch wenn sie obsiegen, doch die Kosten ihres Anwalts, häufig auch die Kosten von Zeugen und Sachverständigen, aus ihrer Tasche bezahlen müssen. Die Anwälte können wenig zur Behebung des Uebels tun. Sie sehen ja häufig einer Klage, für die sie als Armenanwälte zugeordnet sind, von vornherein die Grundlosigkeit und Erfolglosigkeit an, eine Unterredung mit der Partei beseitigt ihre Bedenken nicht, sondern bestärkt sie. Sie könnten ja nun bei dem Prozessgericht die Entbindung von dem Mandat, die Wiederentziehung des Armenrechts beantragen, aber sie wissen nicht, ob sie mit diesem Antrage bei Gericht durchdringen werden; sie fürchten weiter, der Partei, der sie doch nun einmal im Prozefs beigeordnet sind, dadurch unheilbar zu schaden, dafs sie dem Gericht Bedenken vorlegen, auf welche der Gegner der armen Partei möglicherweise nicht verfällt, vor allem aber wollen sie sich nicht dem Verdachte aussetzen, dafs sie weniger Mitgefühl für die Armen haben, als das Gericht.

Dafs im wesentlichen das, was ich hier von einer unbegründeten Klage ausgeführt habe, auch von dem unbegründeten, frivolen Widerspruch gegen eine begründete Klage gilt, brauche ich nicht besonders zu sagen. Wenn gegenüber einer wohlbegründeten Klage dem Beklagten auf seine einfache Angabe hin, die Klage sei nicht berechtigt, ja manchmal sogar ohne eine solche Angabe das Armenrecht bewilligt wird und sich hinterher erweist, dafs der Beklagte wirkliche Einwendungen gar nicht erheben kann, so bedeutet dies auch eine schwere Schädigung des Gegners der armen Partei.

Justizrat Pallaske, Liegnitz, Mitglied des Hauses der Abgeordneten.

Kostenfestsetzung in Privatklagesachen. Unter welchen Voraussetzungen sie zu erfolgen und wer sie vorzunehmen hat, ist zweifelhaft und auch tatsächlich streitig. Hat das Schöffengericht allein mit der Sache zu tun gehabt, so ist zwar klar, dafs das Amtsgericht die zur Erlassung des Kostenfestsetzungsbeschlusses zuständige Stelle ist. Allein es erhebt sich die Frage, ob dieses Gericht einfach auf Anrufen seitens des obsiegenden Teiles seinen Festsetzungsbeschlufs zu erlassen hat, oder ob es nicht verpflichtet ist, den Nachweis zu verlangen, dass zwischen den Beteiligten „über die Höhe der Kosten oder über die Notwendigkeit der unter ihnen begriffenen Auslagen Streit" besteht, und ob es bejahenden Falles nicht nur in diesem Umfange entscheiden darf. Hat aber die Privatklage mehrere Instanzen durchlaufen, so fragt sich, welches Gericht dann die Festsetzung vornehmen soll, ob das Amtsgericht für das Verfahren in allen Instanzen oder etwa jede Instanz für das von ihr erledigte Verfahren. Letzteren Falles könnte man dazu kommen, in einer durch 3 Instanzen gelaufenen Privatklage 3 besondere Kostenfestsetzungen für nötig zu halten.

Bei dieser Sachlage ist es von Bedeutung, von der Auffassung Kenntnis zu geben, welche das OLG. Kolmar im Beschl. v. 13. Febr. 1904, durch welchen die Fragen prinzipiell zu entscheiden waren, niedergelegt hat. Das OLG. führt aus, dafs die StrPO. keine ausdrückliche Bestimmung über das Kostenfestsetzungsverfahren in Privat

klagesachen enthalte, dafs aber die Praxis darüber einig sei, auch für das Privatklageverfahren im Anschlusse an § 104 ff. ZPO. ein Kostenfestsetzungsverfahren zuzulassen, um dem Anspruchsberechtigten einen zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titel ohne weiteres und auch dann zu verschaffen, wenn „Streit" im Sinne des § 496 Abs. 2 StrPO. nicht bestehe. Diese Praxis unterliege um so weniger einem Bedenken, als die StrPO. selbst (vgl. §§ 419, 503 Abs. 5) auf die ZPO. verweise; sie führe aber dazu, auch hinsichtlich der Zuständigkeit der ZPO. (§ 104 Abs. 2) zu folgen und das Amtsgericht ausschliesslich für zuständig zu erachten, in Privatklagesachen Kostenfestsetzungen erstinstanzlich vorzunehmen. Das Kostenfestsetzungsverfahren folge als selbständiges Verfahren seinem eigenen Instanzenzuge.

Diese Entscheidung kommt zwar den Bedürfnissen des praktischen Lebens entgegen; sie erscheint aber gleichwohl nicht unbedenklich. Sie führt z. B. dazu, auch § 568 Abs. 2 u. 3 ZPO. zur Anwendung zu bringen, und läfst es somit möglich erscheinen, dafs die Oberlandesgerichte letztinstan lich mit Kostenfestsetzungen in Privatklagesachen befasst werden, während doch § 352 StrPO. die weitere Beschwerde gegen die von den Landgerichten in der Beschwerdeinstanz erlassenen Beschlüsse, von Verhaftungen abgesehen, ausdrücklich ausschliefst.

Da schon mehrfach auf diesen Paragraphen in oberlandesgerichtlichen Beschlüssen zu Kostenfestsetzungsgesuchen verwiesen worden ist, wäre es erwünscht, wenn die erörterte Frage auch anderwärts zur Entscheidung gebracht würde.

Landgerichtsrat Eifser, Saargemünd.

Zur Frage der Ueberlastung des Reichsgerichts. In der Juristischen Gesellschaft zu Berlin" am 12. März 1904 hat nach der „Vossischen Zeitung" v. 14. März 1904 AGR. Jastrow bei einer Vergleichung der Belastung der Zivilsenate des preussischen Obertribunals mit der Belastung des Reichsgerichts gesagt:

Beim Obertribunal sind im Jahre 1877 in den Zivilsenaten 5451 Nichtigkeitsbeschwerden und Revisionen beurteilt worden. Unter diesen befanden sich 637, welche nach erfolgter Instruktion an das Reichsoberhandelsgericht abgegeben worden sind, so dafs 4814 Sachen verbleiben. Das Obertribunal hatte damals 62 Räte. Von diesen sind allermindestens 12 volle Kräfte auf die beiden Abteilungen des Strafsenats zu rechnen, so dafs für die Zivilsachen höchstens 50 Räte verbleiben (wahrscheinlich etwas weniger). Danach entfallen auf jeden Rat 96 Sachen im Jahre, das ist 171 v. H. derjenigen Sachen, die beim Reichsgericht auf einen Rat kamen.

Bei Jastrows Berechnung, der anscheinend die im JMBI. 1878 auf S. 175 ff. abgedruckten statistischen Mitteilungen über die Geschäftsverwaltung der Justizbehörden im Jahre 1877 zugrunde gelegt sind, ist nicht berücksichtigt, dass von den auf die 6 Zivilsenate entfallenden 5451 Referaten, abgesehen von den 637 an das Reichs-Oberhandelsgericht abgegebenen Sachen, noch eine sehr erhebliche Anzahl abzusetzen ist, nämlich alle die Sachen, welche vor Anfertigung der Referate durch Präklusion und Entsagung ausgeschieden sind, und ferner die unerledigt gebliebenen Referate. Nach der erwähnten Statistik schieden von sämtlichen i. J. 1877 vom Obertribunal zu bearbeitenden Referaten, die einschliefslich der Strafsachen 8203 betrugen, durch Präklusion und Entsagung vor Anfertigung der Referate nicht weniger als 2219 aus, während weitere 803 unerledigt blieben. Bei diesen Zahlen sind die Strafsachen, etwa ein Drittel aller Sachen, mitberechnet. Für die Zivilsachen allein wird sich die Zahl der von Jastrows Ziffer abzu

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