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Staatseinrichtungen mafsgebend sein, mögen sie von höherem juristischen Standpunkte auch nur geringen Wert besitzen. Im übrigen bedarf es solcher Kompensationen überhaupt nicht, da das Ergebnis der seitherigen indirekten Wahl von dem einer direkten nicht verschieden war, abgesehen von seltenen und unerwünschten Ausnahmefällen. Die Bestimmungen des Entwurfs sind daher für sich nur in der Richtung zu prüfen, ob sie eine Verbesserung der Verfassung herbeiführen und ob sie den veränderten Machtverhältnissen entsprechen.

Oberamtsrichter a. D. Dr. Bielefeld, Kehl.

Portofreiheit der Schreiben von Vormündern in vermögenslosen Vormundschaften. S. 309 1904 d. Bl. tritt AR. Ermel dafür ein, dafs den Vormündern in vermögenslosen Vormundschaften Portofreiheit für ihre Schreiben an das Vormundschaftsgericht aus Zweckmäfsigkeitsgründen von Staats wegen zu gewähren sei. Er meint, es müsse bestimmt werden, dafs sie ihre Berichte dem Gericht unfrankiert übersenden dürfen.

Einer solchen Bestimmung bedarf es indessen nicht, da die Vormünder in vermögenslosen Vormundschaften schon nach dem gegenwärtigen Rechtszustand ihre Berichte dem Gericht unfiankiert übersenden dürfen. § 1835 des BGB. bestimmt, dafs der Vormund, wenn er zum Zwecke der Führung der Vormundschaft Aufwendungen macht, nach den für den Auftrag geltenden Vorschriften der §§ 669, 670 von dem Mündel Vorschufs oder Ersatz verlangen Bann. Sowenig wie dem Beauftragten zugemutet wird, das ihm übertragene Geschäft auf seine Kosten für den Auftraggeber zu besorgen, sowenig wird dem Vormund zugemutet, vormundschaftliche Geschäfte auf seine Kosten zu besorgen. Ebenso wie der Beauftragte den Auftrag so lange nicht zu erfüllen braucht, als er nicht den erforderlichen Vorschufs erhalten hat (Planck, Anm. 1 zu § 669), braucht auch der Vormund das mit Aufwendungen notwendigerweise verbundene vormundschaftliche Geschäft nicht zu besorgen, wenn ihm der Vorschufs nicht geleistet wird. Die Berichterstattung an das Gericht ist nun nicht ein notwendigerweise mit Portoauslagen verbundenes Geschäft; denn der Vormund hat seiner Pflicht zur Berichterstattung auch dann genügt, wenn er den Bericht als unfrankierten Brief an das Gericht abgesandt hat. Da er seiner Pflicht ohne Frankierung des den Bericht enthaltenden Briefes genügen kann, mit Aufwendungen für den Mündel aber nicht in Vorschufs zu gehen braucht, so ergibt sich, dafs er seine Berichte unfrankiert absenden darf. Das Vormundschaftsgericht kann auch in Preufsen die Wiedereinziehung des Portos von dem Vormund nicht veranlassen. Denn nach der Verfügung des Justizministers v. 4. März 1894, betr. die Behandlung der Postsendungen in Staatsdienst- und Parteisachen, zu § 4 XXI B Satz 3 ist die Rücksendung des Briefumschlags an den Absender nur dann zu veranlassen, wenn der Absender zur Frankierung verpflichtet ist. Darüber, ob er dazu verpflichtet ist, entscheidet aber § 1835 BGB., der die dem Vormund kraft seines Amtes zustehende Stellung in dieser Beziehung regelt. Dafs dabei nicht an das Verhältnis des Absenders des Briefes zur Post gedacht sein kann, ergibt sich schon daraus, dass der Post gegenüber jeder Absender eines Briefes zur Tràgung des Portos verpflichtet ist. Die Frage, ob der Vormund für gemachte Aufwendungen vom Staat Ersatz verlangen kann (Planck Anm. 9 zu § 1835), ist eine andere. Sie ist selbstverständlich zu verneinen.

Oberlandesgerichtsrat Fuchs, Kassel.

Die Erledigung der Prozesse durch die Einzelrichter jetzt und vor 1879. In Anknüpfung an die Erörterung über die Entlastung des Reichsgerichts in der Märzsitzung der Berliner Juristischen Gesellschaft hob Präs. Rintelen die Tatsache hervor, dafs in den 1860 er Jahren von ihm als Einzelrichter jährlich 7000 Bagatellprozesse, von andern sogar gegen 12 000 erledigt seien, während heute die Zahl von 3000 schon als eine übermäfsig grofse gelte. Der Unterschied erscheint gewaltig, aber dabei ist wohl (wenn man nur die nackten Zahlen gegenüberstellt) folgendes übersehen: Jeder Bagatellprozefs des altpreufsischen Verfahrens, bei dem es sich um eine Geldforderung handelte, und das waren die allermeisten, begann mit der Erlassung des Bagatellmandats. Für die Zählung in der Prozefsliste machte es daher keinen Unterschied, ob der Prozefs damit zu Ende ging, oder ob durch Widerspruch des Beklagten die Anberaumung eines Termins notwendig wurde. Will man also die damaligen Zahlen mit den heutigen vergleichen, so muss man zu den letzteren noch die der Zahlungsbefehle fügen, die jeder Prozefsrichter zu erlassen hat, und damit verringert sich die obige Differenz schon ganz gewaltig.

Freilich kommen noch andere Tatsachen in Betracht, die es dem Einzelrichter ermöglichten, trotz des viel umfangreicheren Dezernats damals mehr Sachen zu erledigen als jetzt: 1. Die Gebühren der Anwälte waren regelmässig nur erstattungsfähig, wenn der Mandant nicht am Gerichtsorte wohnte; die Parteien kamen daher meist selbst, und die Möglichkeit, einen Vergleich zu schliefsen, lag deshalb (zumal auch die Gerichtskosten niedriger waren) näher als jetzt. Heute scheitern bekanntlich viele Vergleiche in kleinen Prozessen lediglich am Kostenpunkt. 2. Das Verfahren und das ist der Hauptgrund war für den Richter erheblich bequemer. Es ist nicht sowohl die Mündlichkeit des Verfahrens, die doch vielfach auch heute bei den grofsen Gerichten erster Instanz nur auf dem Papier steht, sondern der Fortfall der sogen. Eventualmaxime seit 1879. Mit der Klage und Klagebeantwortung mufsten sich die Parteien im wesentlichen ausgesprochen haben, neue Tatsachen und Beweismittel waren - abgesehen von der Eideszuschiebung in der Instanz regelmässig nicht mehr zulässig. Mehr als vier Schriftsätze waren in erster Instanz selbst bei grofsen Prozessen sehr selten; die Möglichkeit, in einem späteren Stadium des Prozesses den Angriff oder die Verteidigung auf eine ganz neue Grundlage zu stellen, war ausgeschlossen, und damit fiel auch die Notwendigkeit vieler Vertagungen. Der Richter brauchte sich auf die Sachen nicht, wie das jetzt geschieht, wieder und wieder vergeblich vorzubereiten, und darum konnte er naturgemäfs mehr erledigen. Dazu kam, dafs das Fragerecht nicht bestand; war die Klage nicht „substantiiert", so wurde sie „in angebrachter Art“ abgewiesen; war das Bestreiten nicht schlüssig, so erfolgte Verurteilung. Eine grofse Anzahl von Prozessen kam deshalb im ersten Termin, in dem verhandelt wurde, zu Ende, bei denen, kämen sie heut zur Verhandlung, infolge der Ausübung des Fragerechts eine Beweisaufnahme nötig würde.

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Es sind dies wohl die Hauptursachen, weshalb der Einzelrichter vor 1879 mehr Prozesse erledigen konnte, als jetzt, ohne doch darum mehr angestrengt gewesen zu sein.

Landgerichtsrat Dr. Gumbinner, Berlin.

Zur Zuständigkeit der Landesgesetzgebung in ärztlichen Standesangelegenheiten. Die mehrfach vorgekommenen Streitigkeiten zwischen den Krankenkassen und den Kassen-Aerzten, insbesondere die sogen. AerzteStreiks, haben in neuerer Zeit das Interesse weiterer Kreise

wieder auf die ärztlichen Standesfragen gelenkt und mehrfach parlamentarische Erörterungen hervorgerufen. Dabei ist auch zur Sprache gekommen, dafs dem ärztlichen Stande Elemente angehören, welche von anderen Berufskreisen hätten ausgeschlossen werden können.

Versuche, dem ärztlichen Berufe eine der des Anwaltstandes gleiche Organisation zu geben, sind bisher nur von der Landesgesetzgebung unternommen: nach dem Vorgange der sächsischen Gesetzgebung ist in Preufsen das Gesetz betr. die ärztlichen Ehrengerichte, das Umlagerecht und die Kassen der Aerztekammern erlassen, in der Mehrzahl der deutschen Staaten fehlt es aber noch an gesetzlichen Bestimmungen über berufliche Organisation der Aerzte. Mit Rücksicht auf Zweifel, welche in dieser Beziehung aufgekommen sind, erscheint es angebracht, die Frage zu prüfen, wie weit die Zuständigkeit der Landesgesetzgebung in ärztlichen Standesangelegenheiten reicht. Keinem Zweifel unterliegt es, dafs die Reichsgesetzgebung zum Erlafs von Gesetzen über die ärztlichen Berufsorganisationen befugt ist, da ihr nach Art. 4 Z. 1, 15 der Reichsverf. einerseits die Bestimmungen „über den Gewerbebetrieb", anderseits die über „Mafsregeln der Medizinalpolizei“ unterliegen. Es sind nun zwar vereinzelt Stimmen hervorgetreten, dafs dadurch ein Vorgehen der Landesgesetzgebung auf dem fraglichen Gebiete ausgeschlossen sei. Es darf aber als communis opinio bezeichnet werden, dafs auch auf den verfassungsmässig der Kompetenz der Reichsgesetzgebung unterstehenden Gebieten der Weg der Landesgesetzgebung offensteht, solange die Reichsgesetzgebung von ihrer Befugnis keinen Gebrauch macht.

Die Gewerbeordnung hat nun allerdings die Ausübung der Heilkunde den Grundsätzen über den Gewerbebetrieb unterstellt und die Voraussetzungen geregelt, unter denen sich jemand als Arzt bezeichnen, von der Behörde als solcher anerkannt und mit amtlichen Funktionen betraut werden darf (§ 29), auch sonst in §§ 40, 53 (56a) 80, 144, 147 Bestimmungen getroffen, in betreff deren der Erlafs entgegenstehender landesgesetzlicher Vorschriften durch Art. 2 der RVerf. ausgeschlossen ist; in § 6 aber ist ausdrücklich ausgesprochen, dafs die Gewerbe-O. auf die Ausübung der Heilkunde nur insoweit Anwendung findet, als sie ausdrückliche Bestimmungen darüber enthält. Danach erscheint die Landesgesetzgebung aufserhalb der angezogenen Bestimmungen zum Erlafs von Gesetzen über die ärztliche Standesorganisation und sonstige ärztlichen Standesfragen zuständig, solange die Reichsgesetzgebung nicht ihrerseits eingreift; sie vermag insbesondere ärztliche Berufskorporationen zu schaffen und die Bildung solcher zwangsweise durchzuführen,

Was die im preufsischen und sächsischen Gesetze vorgesehenen ehrengerichtlichen Strafen betrifft, so ist klar, dafs die Absicht der Landesgesetzgebungen auf die Schaffung eines Disziplinarstrafrechts geht, entsprechend dem für die Rechtsanwälte durch die Rechtsanwaltsordnung statuierten, nicht auf die Einführung öffentlicher (krimineller) Strafen für Berufsvergehen, welche in einem Verwaltungsverfahren oder durch Sondergerichte verhängt werden sollen. Das ergibt sich aus der Bezeichnung ,,ehrengerichtliche Strafen", und aus der Art der Strafen, deren höchstes Mafs die Entziehung des Wahlrechts zur Aerztekammer bildet. Ein Disziplinarstrafrecht setzt allerdings das Bestehen eines besonderen Gewaltverhältnisses voraus.1) Es ist aber nicht notwendig, dafs das Gewaltverhältnis das eines Beamten zum Staate ist. Wenn behauptet wird, die Existenz eines Machtverhältnisses besonderer Art, das eine Disziplinár

1) Vgl. meine Abhandlung: Die Disziplinargewalt des Staates über seine Beamten" in den Annalen des Deutschen Reichs 1889 S. 213 ff. S. 250, 251.

gewalt gegen Untertanen geben könne, ohne dafs diese Beamte sind, sei für das Landesstaatsrecht zu verneinen, so ist zuzugeben, dafs die Annahme einer staatlichen Disziplinargewalt über nicht beamtete Aerzte bedenklich erscheint. Es handelt sich bei den ehrengerichtlichen Strafen gegen Aerzte aber nicht um die Anwendung eines dem Staate zustehenden Disziplinarstrafrechts, sondern um eine Disziplinargewalt, wie sie Korporationen gegen ihre Mitglieder zusteht, welche aus dem Gesichtspunkte des Eintritts des einzelnen in ein Gewaltverhältnis zur Gesamtheit zu erklären ist; eine solche steht z. B. nach der Gewerbe-O. (§ 92c) den Innungen gegen ihre Mitglieder zu. Die Zulässigkeit staatlicher Aufsicht bei der Festsetzung der Disziplinarstrafen erklärt sich aus der Vereinshoheit des Staates. Die Disziplinargewalt der ärztlichen Berufsorganisationen wird aber nicht erst durch die Verleihung seitens des Staates begründet, sondern die Gesetze enthalten nur die Anerkennung des an sich jeder Korporation gegen ihre Mitglieder zustehenden Disziplinarstrafrechts in diesem Einzelfalle. Dem Charakter einer Disziplinargewalt entspricht, dafs das Höchstmafs der Disziplinarstrafe nicht über die Ausschliefsung aus der Korporation hinausgehen darf; dem ist dadurch Rechnung getragen, dafs unter den ehrengerichtlichen Strafen als schwerste sich die Entziehung des Wahlrechts zu den Aerztekammern darstellt. Auch die Zulässigkeit dieser Strafart ergibt sich aus der Natur der Strafe als Disziplinarstrafe.

Auf der anderen Seite wird es keinem Zweifel unterliegen, dafs die Entziehung der Approbation als Arzt durch eine landesrechtliche Bestimmung auch nicht als Disziplinarstrafe zugelassen werden darf, weil die Gewerbe-Q. die Entziehung der Approbation in § 53 in Beihalt des § 6 unter Ausschliefsung der Zuständigkeit der Landesgesetzgebung regelt. Dafs diese Mafsregel schon an sich über den Charakter einer Disziplinarstrafe hinausgeht, wird aber nicht behauptet werden können angesichts der Möglichkeit der Ausschliefsung von der Rechtsanwaltschaft im ehrengerichtlichen Verfahren; der Unterschied beider Fälle liegt m. E. nur darin, dafs die Rechtsanwaltschaft durch Reichsgesetz korporativ organisiert ist. Würde also durch Reichsgesetz der ärztliche Stand als Berufsstand korporativ organisiert, so würde den ärztlichen Ehrengerichten auch der Ausschlufs unwürdiger Mitglieder aus dem ärztlichen Berufsstande, mithin die Entziehung der Approbation, zugestanden werden können.

Es dürfte jedoch, nachdem bereits die Landes-Gesetzgebung mit der Bildung ärztlicher Berufsorganisationen vorging, wenig Aussicht auf ein Vorgehen der Reichsgesetzgebung in dieser Richtung sein. Es ergibt sich zunächst die weitere Frage, ob durch Erweiterung des § 53 der Gewerbe-O. zu helfen wäre. Die Entziehung der Approbation der Aerzte ist darnach nur zulässig, wenn dem Inhaber der Approbation die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind und auch dann nur für die Dauer des Ehrenverlustes. Insbesondere wäre zu prüfen, ob nicht wenigstens an die Verurteilung zu Zuchthausstrafe die Möglichkeit der dauernden Entziehung der Approbation zu knüpfen wäre. In allen Fällen der Entziehung von Approbationen dürfte es sich weiter empfehlen, der zuständigen Behörde die gutachtliche Anhörung der Organe der Berufskorporationen der Aerzte zur Pflicht zu machen.

Schliefslich besteht noch die Möglichkeit, den landesrechtlichen Berufsorganisationen die Befugnis zur Entziehung der Approbation durch Reichsgesetz zu übertragen. Ich glaube, dafs dieser letztere Weg der gangbarste ist, zumal er, ohne den Bestand der Organisationen in Preufsen und Sachsen zu gefährden, auch diejenigen Bundesstaaten zu einem Vorgehen mit der Bildung

ärztlicher Berufskorporationen veranlassen würde, in denen solche noch nicht vorhanden sind. Solange den ärztlichen Ehrengerichten die Befugnis zur Entziehung der Approbation nicht zusteht, scheint mir die ganze Einrichtung nur eine halbe Mafsregel zu sein. Allein schon die Möglichkeit einer solchen ehrengerichtlichen Bestrafung würde m. E. besonders schwere Verletzungen der ärztlichen Standespflichten, wie sie heute ohne entsprechende Ahndung vorkommen können, in vielen Fällen verhindern.

Landgerichtsrat Dr. Labes, Rostock i. M.

Die Frage der Todesstrafe in Ungarn. Im Anschlusse an den interessanten Aufsatz des Prof Dr. Mittermaier S. 553, 1903 d. Bl. über den heutigen Stand der Todesstrafe, in welchem er die Ergebnisse der Statistik, sowie eine Uebersicht über die Anwendung der Todesstrafe in den heutigen Strafgesetzgebungen gab, möchte ich die Frage mit Bezug auf die Verhältnisse in Ungarn ergänzen. Die Ergebnisse der ungarischen Praxis bilden in mehrfacher Hinsicht bedenkenswerte Beiträge zur Beurteilung dieser Frage.

Das ungarische StrGB. (Ges. Art. V 1878) bedroht mit Todesstrafe den vollendeten Mord (§ 278) und zwei Fälle des Hochverrates: Mord oder Tötung des Königs, oder Versuch dieser Delikte (Abs. 1 § 126). Die Todesstrafe ist aber auch in diesen Fällen nicht als absolute Strafe aufzufassen, da der allgemeine Teil des Gesetzes mehrere Ausnahmen feststellt; so schliefst z. B. § 87 die Anwendung derselben aus, wenn der Täter bei Begehung des Deliktes sein 20. Lebensjahr nicht erreicht hat1) (eine weitere Einschränkung bei Tätern unter 16 Jahren im § 85); dem Richter wird durch § 91 die Möglichkeit gegeben, im Falle von Milderungsgründen statt der Todesstrafe lebenslängliches Zuchthaus, und wenn die Milderungsgründe vorwiegen, (§ 92) Zuchthaus nicht unter 15 Jahren auszumessen. Die Feststellung der Milderungsgründe ist der richterlichen Erwägung anheimgestellt.

In

Die Statistik weist demgemäfs folgende Ergebnisse auf: in den 20 Jahren 1880-1900 wurden 89 Todesurteile gefällt; worunter z. B. 1895-99, also in einem Zeitraum von fünf Jahren, kein einziges Todesurteil erbracht wurde wogegen in Deutschland die kleinste Ziffer der in einem Jahre (1899) gefällten Todesurteile 37 beträgt, und in Oesterreich in derselben Periode (1880-1900) gegen 1800 Verbrecher zum Tode verurteilt wurden Ungarn wurden in den zwanzig Jahren (1880-1900) von den zum Tode verurteilten 89 Verbrechern 51 begnadigt und 35 Todesurteile vollstreckt; in Deutschland werden nach Angabe Mittermaiers kaum 1/10 der Todesurteile vollstreckt; in Oesterreich wurden, wie er mitteilt, in den Jahren 1874-1898 von 2169 zum Tode verurteilten Verbrechern blofs 74 gehängt.

Was ist nun die Ursache dieses grofsen Unterschiedes, und welche Folgen sind damit verbunden?

Abgesehen von der kleineren absoluten Zahl der Gesamtbevölkerung Ungarns im Vergleiche zu Deutschland und Oesterreich und den allgemein, relativ günstigeren Resultaten, welche unsere Kriminalstatistik im Vergleiche zu den letzteren kennzeichnet, ist die kleine Anzahl der Todesurteile hauptsächlich dem Umstande zuzuschreiben, dafs die §§ 91, 92 unseres StrGBchs. es der richterlichen Erwägung überlassen, von der Anwendung dieser Strafe im Falle von mildernden Umständen abzusehen. Es geschieht daher schon durch den Richter gewöhnlich schon bei der ersten Instanz-cine Ausscheidung jener Fälle,

1) Bei uns könnte also ein Fall Detrois Hinrichtung eines 18 jährigen Knaben nicht vorkommen. Siebe in d. Bl. a. a. O.

in welchen die Todesstrafe beseitigt werden kann, von den schwersten Fällen, in welchen die Anwendung derselben vom Standpunkte des bestehenden Rechts als unvermeidlich erscheint und dem Täter einzig die Möglichkeit einer Umwandlung derselben in eine Freiheitsstrafe im Gnadenwege gegeben werden kann.

Die Vorteile einer solchen Lösung der Frage, gegenüber dem deutschen und österreichischen Systeme, welche bei einer beinahe automatischen Anwendung der Todesstrafe die Umwandlung derselben sozusagen vollständig dem Gnadenwege vorbehalten sind vom besonderen strafrechtlichen, als auch vom allgemeinen rechtspolitischen Standpunkte von wichtiger Bedeutung.

Die besonderen strafrechtlichen Vorteile dessen, dafs es der Erwägung des Prozefsrichters - der alle Einzelheiten des Falles und bei einem auf das Prinzip der Unmittelbarkeit gegründeten Strafprozesse die Individualität des Täters kennt anheimgestellt wird, zwischen der schwersten und der weniger schweren Strafe zu wählen, brauchen wohl kaum näher erörtert zu werden. Die öffentliche Meinung wird sich hinsichtlich der Gerechtigkeit eines solchen Urteils auch eher beruhigen können. Wer wird es hingegen mit ruhigem Gewissen verantworten können, dafs das Todesurteil in Form der Nichtbegnadigung unter 2169 Fällen ich erinnere an die erwähnte Statistik Oesterreichs gerade jene 74 Verbrecher getroffen hat, die es am meisten verdient haben? Es fehlt einer solchen Strafe nicht nur jene Gewissheit, welche heute als Hauptbedingung jeder Strafe betrachtet wird, sondern es mangelt einer solchen richterlichen Enunziation auch an dem nötigen Ernste. Hat sich ja infolge eines solchen richterlichen Todesurteils die Lage des Täters nur insofern verändert, als ihm nun eine Möglichkeit bevorsteht, eventuell nicht begnadigt zu werden. Je gröfser die Anzahl der Begnadigungen, desto kleiner die Gefahr dieser Eventualität, deren Möglichkeit sich z. B. in Oesterreich verhält wie 1:30, in Deutschland 1: 10, in Ungarn 1: 1,7.

Die allgemeine rechtspolitische Bedeutung einer derartigen Lösung der Frage darf auch nicht aufser acht gelassen werden. Es wird als eine wichtige Errungenschaft der letzten Jahrzehnte betrachtet, die richterliche Gewalt von der administrativen abgesondert zu haben. Die Einräumung des Gnadenweges in Deutschland und Oesterreich als gewöhnliche und notwendige Korrektur der Schärfe des Strafgesetzes, welcher gegenüber der Richter im Falle der Todesstrafe rat- und kraftlos steht, bedeutet aber da das Begnadigungsrecht in konstitutionellen Staaten auf Vorschlag und unter Verantwortlichkeit der obersten Verwaltungsbehörde geschieht eigentlich ein Eingreifen der administrativen Gewalt in die richterliche, und zwar, was besonders hervorgehoben werden mufs, gerade in jenen Fällen, welche als die schwierigsten, in die wichtigsten Interessen des Individuums eingreifenden, der freien Erwägung des unabhängigen Richters am meisten bedürfen.

Der Standpunkt des ungarischen StrGB. und der auf Grund desselben entwickelten Gerichtspraxis, welche die Anwendung der Todesstrafe auf ein Minimum beschränkt,1) mag als ein glückliches Kompromifs der beiden Gegensätze, der Todesstrafe und der abolitionistischen Auffassung, betrachtet werden. Dieser Standpunkt des Gesetzes und der Praxis findet seine Begründung in der geschichtlichen Entwickelung, welche im Zusammenhange mit dem

1) Nach einem Intervallum von 5 Jahren, innerhalb welcher kein einziges Todesurteil erbracht wurde, haben wir seit 1900 jährlich 1-2 Todesurteile zu verzeichnen, was aber gröfstenteils prozessualen Gründen, der Einschränkung der Revision laut unserer neuen Strafprozefs-Ordnung und einer überaus engherzigen Interpretation der Nullitätsgründe, besonders hinsichtlich des Strafmafses (Abs. 3 § 385 ung. StrPO.), seitens unseres obersten Gerichtshofes zuzuschreiben ist.

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Zur Frage nach dem Antragsrecht und der Stellung des gesetzlichen Vertreters im Privatklageverfahren. Die von mir zuerst in d. Bl. (1902 S. 364) behandelte Streitfrage, ob der gesetzliche Vertreter nach Inkrafttreten des BGB. noch ein selbständiges Strafantragsrecht wegen Beleidigung und Körperverletzung des von ihm vertretenen Minderjährigen hat, und ob er demnach auf Grund des § 414 StrPO. noch befugt erscheint, im eigenen Namen Privatklage wegen Beleidigung und Körperverletzung des Minderjährigen zu erheben, bildet nach wie vor ein Schmerzenskind aller, die gelegentlich praktisch mit der Lösung der Frage befasst werden. Die neuere Judikatur hierüber bildet ein wahres Labyrinth von Widersprüchen.

Das Landgericht I Berlin hatte die Frage, ursprünglich gestützt auf Art. 34 VI des EinfGes. z. BGB., verneint, dann unter Bezugnahme auf den Aufsatz in d. Bl.1) die Klage des Vaters für zulässig erklärt. Diese Praxis blieb längere Zeit beim LG. I Berlin die herrschende, auch nachdem die Besetzung der Kammer mehrfach gewechselt hatte. Zu derselben Zeit aber änderte das Landgericht II, welches früher die Klage des Vaters für zulässig erachtet hatte, seinen Standpunkt und erklärte in einem ungedruckten Beschlufs aus Nov. 1902 die Klage des Vaters für unzulässig. Auch die Strafkammer des LG. I Berlin soll nachträglich bald den einen, bald den anderen Standpunkt vertreten haben. Eine ähnliche Verwirrung herrscht, wie mir mitgeteilt ist, in der Provinz und den aufserpreufsischen Staaten. Insbesondere liegt mir ein eingehend begründetes Urt. des LG. Passau (v. 12. Dez.) 1902 vor, in welchem unter Aufhebung des verurteilenden schöffengerichtlichen Erkenntnisses die Privatklage des Vaters als unzulässig zurückgewiesen wird; den gleichen Standpunkt hat in einem soeben bekannt gegebenen Urt. v. 17. Febr. 1904 das OLG. Posen vertreten.

Das Kammergericht vollends hat in drei aufeinanderfolgenden Entscheidungen drei verschiedene Ansichten über diese Frage zum Ausdruck gebracht. In einem ungedruckten Urt. v. 10. Okt. 1902 hat es gelegentlich einer aus anderen Gründen eingelegten Revision in Uebereinstimmung mit der hier vertretenen Ansicht ausgesprochen, dafs der Vater als gesetzlicher Vertreter seines minderjährigen Kindes zur selbständigen Klageerhebung berechtigt sei. In einem zweiten Urt. v. 13. Dez. 1902, in welchem die Frage den Gegenstand der Revisionsbeschwerde bildete, hat das KG. auf Grund des § 380 StrPO. die Entscheidung der Frage, als aufserhalb seiner Zuständigkeit liegend, abgelehnt. Endlich hat es in der Entsch. v. 18. April 19032)

1) Entsch. v. 4. Aug. 1902, Blätter für Rechtspfl. 1903, S. 12.
2) Abgedruckt in den Blättern für Rechtspflege v. 18. Juni 1903.

die Streitfrage dadurch „in befriedigender Weise" zu lösen geglaubt, dafs es dem gesetzlichen Vertreter des über 18 Jahre alten Minderjährigen ein selbständiges Klagerecht zuerkennt, während es dieses Recht in dem Falle, wo der Minderjährige das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, dem gesetzlichen Vertreter versagt. Nach Ansicht des Kammergerichts kann daher der gesetzliche Vertreter für den Minderjährigen stets, kraft eigenen Rechts dagegen nur dann klagen, wenn der Minderjährige das 18. Lebensjahr vollendet hat. Aber diese Lösung hat aufserhalb des Kammergerichts wenig Beifall gefunden. Anwälte und Gerichtsschreiber lassen nach wie vor den Vertreter kraft eigenen Rechts klagen, und auch die untern Instanzen halten vielfach auch jetzt noch die von mir vertretene Ansicht für die richtige. So hat noch jüngst das Amtsgericht I am 5. Dez. 1903 149 B 1093/03 in ausgesprochenem Gegensatz zum Kammergericht diese Ansicht ,,als die zutreffende, mit dem Gesetz vereinbare und allein befriedigende" seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Der Zustand wird dadurch noch wesentlich verschlimmert, dafs von anderer Seite mit beachtenswerten Gründen auch der Standpunkt vertreten wird, der gesetzliche Vertreter müsse kraft eigenen Rechtes die Klage erheben, und eine in Vertretung des noch nicht 18jährigen Minderjährigen erhobene Privatklage sei unzulässig, weil diesem selbst nach §65Abs. 2 StrGB. ein Strafantragsrecht überhaupt nicht zustehe.

Infolgedessen besteht eine Rechtsunsicherheit, die praktisch häufig der Rechtsverweigerung gleichsteht, weil sich niemals voraussehen läfst, welchen Rechtsstandpunkt das angerufene Gericht vertreten wird, und weil die rechtsunkundigen Parteien und leider auch ihre rechtskundigen Vertreter über den jeweiligen Stand der Frage oft nicht unterrichtet sind.

Gleichwohl gibt es einen Ausweg, der es ermöglicht, ohne Rücksicht auf die schwankende Rechtsprechung in allen Fällen der Zurückweisung der Klage wegen Unzulässigkeit derselben vorzubeugen. Es braucht nämlich nur im Klagerubrum ausgedrückt zu werden, dafs Kläger sowohl kraft eigenen Rechts, als auch in seiner Eigenschaft als gesetzlicher Vertreter des Verletzten klage. An der rechtlichen Zulässigkeit dieses Verfahrens kann mit Rücksicht auf § 415 StrPO. nicht gezweifelt werden, und eine Zurückweisung der Klage wegen mangelnder Aktivlegitimation des Klägers ist nicht mehr zu befürchten. Seine Rechtslage ist allerdings insofern erschwert, als eine Berufung auf das Zeugnis des Minderjährigen, die sonst statthaft sein würde, ausgeschlossen ist, auch der Angeklagte eine Widerklage erheben kann, die mit Rücksicht auf § 428 StrPO. gegen die alleinige Klage des gesetzlichen Vertreters unzulässig sein würde. Auch ist es nicht ausgeschlossen, dafs ihm ein Teil der Kosten zur Last gelegt wird. Aber gegenüber der Gefahr gänzlicher Abweisung der Klage aus formalen Gründen erscheint diese Erschwerung der Prozefslage des Privatklägers als das kleinere Uebel. Rechtsanwalt Dr. Siegfr. Löwenstein, Berlin.

Pfändbarkeit zukünftiger Forderungen. Diese bestreitet LGR. Lippmann in No. 20 1903 d. Bl. Die Abtretbarkeit ist nunmehr vom Reichsgericht festgestellt; Lippmann hält aber einen eine solche Forderung betreffenden Pfändungs- und Ueberweisungsbeschluss für wirkungslos. Demgegenüber dürfte daran zu erinnern sein, dafs die ZPO. ausdrücklich Pfändungs- und Ueberweisungsbeschlüsse nennt, deren Wirksamkeit sich auf zukünftige Forderungen erstreckt. Wird nämlich eine Forderung auf Gehalt oder auf ähnliche fortlaufende Bezüge gepfändet, so erstreckt sich das Pfandrecht auch auf

die erst nach der Pfändung fällig werdenden Beträge (§ 832 ZPO.). Die auf letztere Beträge gerichteten Forderungen aber sind zukünftige, ungewisse, weil durch die Fortdauer des Dienstverhältnisses oder z. B. durch das Fortleben des Rentenberechtigten bedingte. Nach § 833 ZPO. wird durch die Pfändung eines Diensteinkommens sogar dasjenige Einkommen betroffen, welches der Schuldner infolge der Versetzung in ein anderes Amt, der Uebertragung eines neuen Amtes oder einer Gehaltserhöhung zu beziehen hat. Spricht nicht aber auch die Natur der Sache für die Pfändbarkeit zukünftiger Forderungen? Ebenso wie zu ihrer Sicherung der Arrest stattfindet (§ 916 ZPO.), wie sie zur Teilnahme am Konkursverfahren berechtigen (§§ 65, 67 KO.), ebensosehr müssen sie Gegenstand der Vollstreckung sein. Nach der gegenteiligen Ansicht müfste der Gläubiger machtlos zusehen, wie der Schuldner seine noch betagten oder bedingten Forderungen auf dritte überträgt; ihm bliebe nur nach Eintritt des Termins bezw. der Bedingung der meist umständliche und oft wenig aussichtsvolle Anfechtungsprozefs.

Die von Lippmann angezogenen Einzelvorschriften der ZPO. stehen m. E. der hier vertretenen Meinung nicht entgegen. Das gerichtliche Zahlungsverbot an den Drittschuldner und das gerichtliche Einziehungsverbot an den Schuldner (§ 829 ZPO.) wirken bei der zukünftigen Forderung nicht nur vom Eintritt des Termins bezw. der Bedingung an, sie beugen vielmehr auch schon vorher einer Kollusion zwischen Schuldner und Drittschuldner vor. Ebenso wenig ist ersichtlich, inwiefern die §§ 836 Abs. 3, 840 ZPO., wonach der Schuldner dem Gläubiger die zur Geltendmachung der Forderung nötige Auskunft erteilen, der Drittschuldner sich über Anerkennung seiner Schuld und Zahlungsbereitschaft erklären muss, auf zukünftige Forderungen unanwendbar sind. Eine Ueberweisung zukünftiger Geldforderungen an Zahlungs Statt ist allerdings ausgeschlossen; eine solche Ueberweisung ist aber auch kraft Gesetzes unzulässig bei allen Ansprüchen, die auf Herausgabe oder Leitung körperlicher Sachen gerichtet sind (§§ 846, 849 ZPO.).

Schliefslich ist noch auf folgendes hinzuweisen: Lippmann meint, Zweck der Pfändung und Ueberweisung sei die dem Gläubiger zu gewährende Möglichkeit, gegen den Drittschuldner auf Anerkennung der überwiesenen Forderung zu klagen; bei der zukünftigen Forderung aber wäre der Gläubiger mit dieser Klage abzuweisen, woraus denn auch die Unzulässigkeit ihrer Pfändung und Ueberweisung folge. Dieser Argumentation ist entgegenzutreten. Wäre der Zweck der Pfändung und Ueberweisung der von Lippmann gedachte, so wäre die Anerkennungsklage beim Eintritt des Termins, der Bedingung gegeben. Zweck der Pfändung und Ueberweisung ist aber nicht die gedachte Anerkennungsklage. Eine solche besondere Klage auf Anerkennung ist nirgends statuiert, insbesondere auch nicht durch § 840 No. 1 ZPO. Letztere Bestimmung gibt dem Gläubiger lediglich das nötigenfalls klageweise durchzuführende Recht auf eine Erklärung des Drittschuldners, ob und inwieweit er zur Zeit seine Schuld anerkenne; die Klage aus § 840 No. 1 cit. ist nur dann gegeben, wenn der Drittschuldner überhaupt keine Erklärung abgibt, nicht aber, wenn er seine Schuld bestreitet. Zweck der Pfändung und Ueberweisung ist vielmehr die durch diese Mafsnahme dem Gläubiger gegen den Drittschuldner gewährte Leistungsklage. Letztere Klage ist bei zukünftiger Forderung gegeben, sobald der Termin, die Bedingung eingetreten sind. Vor diesem Zeitpunkt kann die Feststellungsklage gegeben sein.

Rechtsanwalt Dr. Marcus, Berlin.

Eine weitere Waffe gegen die Kurpfuscherei. Nachdem kaum der Fall Nardenkötter erledigt war, hat kürzlich der Prozess gegen den Kurpfuscher Schröter die öffentliche Meinung beschäftigt. Im Anschluss an den wegen des erstgen. Falles veröffentlichten interessanten Aufsatz des Geh. Reg.-Rat Flügge in No. 8 1903 d. Bl. möchte ich jetzt noch auf § 302e StrGB. hinweisen, der m. E. in vielen Fällen als wirksame Waffe gegen die Kurpfuscher dienen könnte.

Sachwucher

Nach seiner gewöhnlichen Bezeichnungparagraph - scheint es abwegig, ihn mit der Kurpfuscherei in Verbindung zu bringen. Aber der Ausdruck Sachwucher ist bekanntlich schief. § 302 e bezieht sich nach seinem Wortlaut und der Absicht des Gesetzgebers auf ausbeuterische Rechtsgeschäfte jeglicher Art, mit Ausnahme gerade derjenigen Geschäfte, welche denselben wirtschaftlichen Zwecken, wie ein Darlehn oder die Stundung einer Geldforderung dienen. Er trifft anerkanntermafsen aufser Kaufgeschäften auch Dienstverträge und Werkverträge (vgl. RG. in Strafs. Bd. 25 S. 315, Bd. 29 S. 78, Oppenhoff, Anm. zu § 302e, Stenglein, Strafrechtl. Nebengesetze 3. Aufl. S. 724, namentlich Dernburg, Bürgerl. Recht Bd. I § 127 No. 1).

Mag der Kurpfuscher nun ein wertloses Arkanum aus billigen Stoffen zusammenbrauen und für teures Geld als Wunderheilmittel seinen Patienten abgeben, oder mag er sich eine wertlose, auf verfehlter Methode beruhende Kurbehandlung teuer bezahlen lassen: In beiden Fällen, scheint mir, wird nicht selten die Feststellung möglich sein, dass er gewerbs- oder gewohnheitsmäfsig unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit seiner Patienten sich Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läfst, welche den Wert der Leistung dergestalt überschreiten, dafs nach den Umständen des Falles die Vermögensvorteile in auffälligem Mifsverhältnis zu der Leistung stehen.

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Der Wert der Leistung" ist hier nicht derjenige Wert, den der ausgebeutete Patient etwa in seiner Unkunde der Leistung beilegen mag, sondern der objektive Wert, den die Leistung nach der Abschätzung unbefangener Sachverständiger besitzt. Allerdings handelt es sich um den objektiven Wert der vereinbarten, nicht der tatsächlich gewährten Leistung, die hinter der Vereinbarung vielleicht in hohem Masse zurückgeblieben ist (vgl. Entsch. des RG. in Strafs. Bd. 29 S. 84 ff.). Aber schon die mit dem Kurpfuscher vereinbarte, von ihm versprochene Leistung ist regelmässig minderwertiger Natur. Denn er pflegt sich aus verständlichen Gründen nicht zur Heilung [opus], sondern nur zur Abgabe seiner bestimmten Mittel oder zur Krankenbehandlung [operae] zu verpflichten. Diese seine von ihm zu gewährenden Mittel oder Dienstleistungen verlieren aber die ihnen von vornherein anhaftende objektive Minderwertigkeit nicht durch Illusionen des Patienten oder durch Vorspiegelungen des Kurpfuschers über ihre Heilkraft.

Die „Auffälligkeit" des Mifsverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung bleibt bestehen, auch wenn etwa andere Kurpfuscher ähnlich ausschweifende Preise nehmen; ebenso wie es den Wucherer nicht vor dem § 302a beschützt, wenn neben ihm noch viele andere Wucherer aufgetreten sind.

Selbstverständlich darf der Kurpfuscher hier nicht für sich verwerten, dass ein approbierter Arzt für eine — rationelle Behandlung des Patienten vielleicht noch höhere Forderungen gestellt haben würde. Denn die bedenkliche „Ersparnis", die der Patient dabei erzielt hat, ist vielleicht durch der Kurpfuscher nebenbei veranlafst, aber kein Teil der vereinbarten Vertragsleistung des Kurpfuschers.

Die in § 302 e ferner geforderte „Notlage“ kann offen

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