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bar statt durch Geldmangel auch durch Krankheit hervorgerufen sein. Und wer seinen kranken Leib einem nicht approbierten unwissenden Kurpfuscher anvertraut, darf sich regelmässig gewifs nicht beschweren, wenn er in diesem Punkte leichtsinnig" oder „unerfahren" genannt wird.

Der von seiner Kunst überzeugte Kurpfuscher kann allerdings nicht aus § 302e bestraft werden, der Pfuscher mufs sich vielmehr seiner systematischen Ausbeutung des Publikums bewusst sein. Somit wird § 302 e häufig mit Betrug zusammentreffen. Aber § 263 versagt hier bekanntlich leicht (vgl. auch RG. in Strafs. Bd. 16 S. 93 ff.). Für den § 302e dagegen ist die heikle Frage gleichgültig, welche Meinung der leichtsinnige oder unerfahrene Ausgebeutete etwa von dem Ausbeuter gewonnen hat; ebenso ist unerheblich, ob und welche Gesundheitsschädigung nachzuweisen ist.

Da § 302e bei weitem schwerere Strafen androht, als die sonst noch in Betracht kommenden §§ 263, 230, 222 StrGB. und § 4 des Wettbewerbsgesetzes, müfste m. E. bei jedem Fall bösgläubiger gewerbsmäfsiger Kurpfuscherei von vorn herein und in erster Linie § 302e in Erwägung gezogen werden.

Gerichtsassessor Dr. Leo, Berlin.

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Für die Redaktion verantwortlich: Justizrat Dr. Hermann Staub. Verlag von Otto Liebmann. Druck von Pass & Garle b. Sämtlich in Berlin.

Nummer 8.

Berlin, den 15. April 1904.

(Nachdruck der Entscheidungen nur mit genauer, unverkürzter Quellenangabe gestattet.)

I. Reichsgericht.

1. Zivilsachen.

Mitget. v. Justizrat Boyens, Rechtsanwalt b. Reichsgericht, Leipzig.

31. (Beweislast in betreff vom Gesetz abweichender accidentalia, wie der Kündigungsfristen § 609 BGB.) Kläger klagt ein nach dem 1. Januar 1900 gewährtes Darlehn nach Beobachtung der gesetzlichen Kündigungsfrist ein. Bekl. behauptet, dass bei Hingabe des Darlehns eine längere (einjährige) Frist vereinbart sei. Parteien streiten über die Beweislast. Die Vorinstanzen haben dem Kläger den Beweis dafür, dafs eine besondere Kündigungsfrist nicht vereinbart sei, auferlegt und auf einen hierüber von dem Bekl. zu leistenden Eid erkannt. RG. hebt auf: Das BGB. enthalte teils Bestimmungen, die die Beweislast ausdrücklich regeln, teils solche, die durch ihre Ausdrucksweise erkennen lassen, wen die Beweislast bei gesetzlichen Dispositivregeln treffe. Diese Regelung ergibt (bezüglich der accidentalia des Geschäfts) zugleich, dafs der Gesetzgeber dann, wenn jemand sich auf eine solche Regel stützt, der Gegner sich auf eine die Wirkung derselben ausschliefsende oder modifizierende Vereinbarung beruft, diesem die Beweislast auflegt, da es eben einer Vereinbarung über den betreffenden Punkt nach dem Gesetz nicht bedarf und dieselbe daher dem Gesetz als etwas aufserhalb des Vertragsinhalts Liegendes, mithin als selbständiger Einwand erscheint. Der Bestand des Vertrages wird durch eine solche Vereinbarung nicht berührt, und dadurch unterscheiden sich dergleichen Fälle von dem Fall, dafs einer Klage auf Zahlung einer angemessenen Vergütung gegenüber der Bekl. sich auf die Vereinbarung einer geringeren Vergütung beruft, denn es gehört zu den wesentlichen (rechtsbegründenden) Tatsachen, dafs die Bestimmung der Vergütung dem billigen Ermessen des Fordernden überlassen sein sollte (§ 316 BGB.). In Uebereinstimmung mit früherer Praxis (Entsch. Bd. 1 S. 383, 2 S. 201, 6 S. 82, Bolze Bd. 12 No. 712c) sei daher gegen Stölzel (Schulung für die zivil. Praxis, 4. Aufl., Bd. 1, S. 159 ff.) dem Bekl. der Beweis seiner Behauptung aufzuerlegen. (Urt. VI. 428/03 v. 28. Jan. 1904.)1)

32. (Kann ein von mehreren Personen geschlossener Vertrag von ihnen nur gemeinsam gegenüber dem Mitkontrahenten angefochten werden? Wirkung der Anfechtungserklärung §§ 123, 142, 143 BGB.) Kläger hat an Verkl. und G. eine Brauerei verkauft. Er klagt gegen den Verkl, allein einen Teil des Kaufgeldes ein. Dieser begegnet der Klage mit einer Anfechtung des Vertrages, gestützt darauf, dafs er und G. von dem Kläger in betreff des Umfangs des Bierumsatzes getäuscht worden seien. BerGer. hat verurteilt, da Verkl. fortdauernd den Betrieb der Brauerei fortsetze und sich zur Rückgabe nicht bereit erklärt babe. RG. hebt auf, da nach §§ 142, 143 BGB. die blofse Anfechtungserklärung das Geschäft von Anfang an nichtig mache. Der in der Revisionsinstanz erhobene Einwand, dafs Verkl. nicht allein, sondern nur in Gemeinschaft mit G. den Vertrag anfechten könne, sei nicht begründet. In der Literatur sei zwar die Ansicht vertreten, dafs in analoger Anwendung der Vorschriften der §§ 356, 467, 502, 512 BGB. über die Ausübung des Rücktrittsrechts, der Wandlung, des Vorkaufs- und Wiederkaufsrechts auch bei einer Mehrheit von Anfechtungsberechtigten das Recht nur von ihnen gemeinsam ausgeübt werden könne2). Dieser Ansicht sei nicht beizutreten. Jene Vorschriften seien nicht der Ausflufs einer allgemeinen Regel. Der Senat nehme an, dafs die

1) Vgl. Urt. III. Sen. v. 23. Dez. 1902. DJZ. 1903 S. 127 Nr. 26. 2) Vgl. Hellwig, Anspruch und Klagrecht S. 189 zu Not. 29 bis 32; Endemann, Lehrb. des Bürgerl. Rechts Bd. I § 75 Not. 11 S. 373 oben.

IX. Jahrgang.

Ausübung des Anfechtungsrechts durch einen von mehreren Berechtigten nur zugunsten des Anfechtenden wirke unabhängig von einer Ausübung des Anfechtungsrechts durch den andern. (Urt. II. 248/03 v. 5. Jan. 1904.)

33. (Analoge Anwendbarkeit des Art. 169 EG. z. BGB. auf die Ausschlufsfristen bei Ehescheidungsgründen.) Die verkl. Ehefrau ist von ihrem Mann Anfang März 1899 in lebens- und gesundheitsgefährlicher Art mifshandelt. Seit 23. Mai 1899 leben die Eheleute getrennt. Nachdem der Ehemann die Scheidungsklage erhoben hatte, hat die Ehefrau am 25. Juni 1902 wegen jener Mifshandlung Widerklage erhoben. Der Ehemann wendet ein, dafs nach der landrechtlichen Vorschrift (§ 721 II 1 Pr. ALR.) die letztere als verziehen gelte, da mehr als ein Jahr verstrichen sei. BerGer. hat auf die Widerklage geschieden. RG. verwirft die Revision des Ehemanns. Es sei in Ermangelung gesetzlicher Vorschrift auf die Ausschlufsfristen die in betreff der Verjährung im Art. 169 EG z. BGB gegebene Uebergangsvorschrift analog anzuwenden. Am 1. Jan. 1900 war die landrechtliche Frist von einem Jahr noch nicht verstrichen, der weitere Lauf dieser Frist wurde mit dem Inkrafttreten des BGB. gehemmt, da Parteien getrennt leben und dies nach § 1571 Abs. 2 BGB. die Wirkung äufsert, das Weiterlaufen der Frist zu verhindern. Denn dafs die Hemmung der Frist sich diesenfalls nach dem neuen Recht richte, ergebe sich aus Art. 169 Abs. 1 EG. (Urt. IV. 255/03 v. 11. Jan. 1904.)

34. (Anfechtbarkeit der Ehe wegen persönlicher Eigenschaften § 1333 BGB.) Kläger hat eine frühere Kellnerin geheiratet, von der er wufste, dafs sie in der elterlichen Schankwirtschaft die Gäste bedient, auch mit einem andern vorher ein Liebesabenteuer gehabt habe, das mit dessen Selbstmord endete und in der Zeitung besprochen wurde. Er will jetzt die Ehe anfechten weil er später erfahren habe, dafs sie den Gästen, die sie bediente, Freiheiten erlaubt, in verdächtiger und unpassender Weise auch mit verschiedenen Herren auswärts verkehrt habe, somit mit einem ihm unbekannt gebliebenen, sittlichen Makel behaftet gewesen sei. Das Ber Ger. hält diese Tatsachen nicht für ausreichend, sondern nur die weitere Behauptung des Kläg., dafs Bekl. mit ihren früheren Verlobten geschlechtlich verkehrt habe, und hat der Bekl. hierüber einen richterlichen Eid auferlegt. RG. weist die Revision des Kläg. zurück. Das Gesetz verlange einmal, dafs der Anfechtende über solche „persönliche Eigenschaften“ des andern Ehegatten geirrt habe, deren Mangel, „bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe", also an sich und objektiv geeignet war, den Eheschliefsungswillen aufzuheben. Es komme aber auch zweitens darauf an, ob von dem subjektiven Standpunkt des Irrenden aus das Fehlen der fraglichen Eigenschaften so erheblich war, dafs er sich bei Kenntnis derselben von der Eheschliefsung hätte abhalten lassen, da andernfalls die Kausalität fehle. Es sei also nicht rechtsirrig, wenn die Vorinstanz berücksichtigt habe, dafs der Kläg. bei seinem „abenteuernden Hang", einem bei ihm hervorgetretenen „Sensationsbedürfnis“, und infolge des Eindrucks der äufseren Erscheinung der Bekl. sich über die, rein objektiv betrachtet, erheblichen Mängel hinweggesetzt haben würde. (Urt. IV. 259/03 v. 14. Jan. 1904.)

35. (Kann der Käufer des Inventars eines Grundstücks Befreiung von den darauf lastenden Hypotheken nach § 439 Abs. 2 BGB. verlangen? Tragweite des Zurückbehaltungsrechts § 273 BGB.) Bekl. ist Eigentümer eines Hotelgrundstücks. Er verpachtete dasselbe an G. & Co. auf längere Zeit; in demselben Vertrag verkaufte er ihnen das Inventar des Hotels, der Kaufpreis ist ihm bezahlt. Der Vertrag bestimmt weiter, dafs G. & Co. verpflichtet seien, Weine zum Betrag von mindestens 3000 M. von dem Verklagten zu übernehmen. G. & Co. haben ihre Rechte aus dem

Kaufvertrag weiter veräussert. Kläger, als ihr Rechtsnachfolger, fordert von dem Verklagten auf Grund des § 439 Abs. 2 BGB. Befreiung des Inventars von den das Hotelgrundstück und damit auch das Inventar (das jetzt von Kläger an G. & Co., welche die Pachtung des Hotels fortsetzen, vermietet ist) belastenden Hypotheken. Verkl. hält § 439 Abs. 2 BGB. nicht für anwendbar, wendet ferner auf Grund des § 273 BGB. ein, dafs G. & Co. ihrer Pflicht, von ihm Weine bis zu 3000 M. zu nehmen, nicht vollständig erfüllt hätten. Die Vorinstanz hat nach dem Klagantrag verurteilt. Verkl. hat Revision eingelegt. RG. hält mit der Vorinstanz den Anspruch auf Befreiung von den Hypotheken nach § 439 Abs. 2 BGB. für begründet, obwohl den Erwerbern bei Erwerb die Belastung des Grundstücks mit Hypotheken bekannt war. Es sei nach Zweck und Entstehungsgeschichte der Vorschrift nicht anzunehmen, dafs die unbedingte Vertretbarkeit der Hypotheken" auf den Fall der Veräusserung des Grundstücks selbst zu beschränken sei. Dagegen tritt das RG. der Verwerfung des Einwandes aus § 273 BGB., welchen das Berufungsgericht damit begründete, dass in derselben Vertragsurkunde drei verschiedene Rechtsgeschäfte begründet wurden: Pacht, Kaufvertrag über das Inventar, Weinlieferungsvertrag, nicht bei und hebt aus diesem Grund auf. Es wird unter Hinweis auf die Ausführung in den Motiven zu § 233 Entw. eines BGB. und der dort in Bezug genommenen Entscheidung des RG. in betreff des gemeinrechtlichen Retentionsrechts (Entsch. Bd. 14 S. 123) ausgeführt, dafs § 273 BGB. nicht eine kontraktliche gegenseitige Bedingtheit der Leistung und Gegenleistung erfordere, es vielmehr nur darauf ankomme, ob der Anspruch auf Leistung und Gegenleistung aus einem innerlich zusammengehörigen einheitlichen Lebensverhältnis entsprungen sei und ein hierdurch bewirkter natürlicher Zusammenhang der beiderseitigen Ansprüche vorliege. Aus diesem Gesichtspunkte sei der Einwand zu prüfen. (Urt. II. 322/03 v. 26. Jan. 1904.)

36. (Ansprüche wegen Störungen durch Einwirkung von Nachbargrundstücken §§ 906, 907 BGB.) a) RG. nimmt im Gegensatz zum BerGer. an, dafs wegen Beeinträchtigungen der im § 906 BGB. erwähnten Art, die von dem Mieter des Nachbargrundstückes ausgehen, eine Klage gegen den Eigentümer desselben zulässig sei, wenn er dieselben duldet oder gestattet hat. (Urt. V. 311/03 v. 23. Jan. 1904.)

b) Klägerin ist durch den Betrieb einer in dem benachbarten Brauereigrundstück aufgestellten Eismaschine, die Lärm und Erschütterung ihres Hauses verursacht, nervenkrank geworden und schliefslich zum Verlassen ihres Hauses gezwungen. Ihre Klage auf Entfernung der Maschine und Schadensersatz ist abgewiesen, weil das Mafs der gedachten Einwirkungen der Maschine auf ihr Grundstück das Mafs des Empfindens eines normalen Durchschnittsmenschen nicht übersteige. RG. billigt diese Entscheidung, da eine objektive, von wechselnden persönlichen Verhältnissen unabhängige Grenze gezogen werden müsse. (Urt. V. 519/03 v. 3. Febr. 1904.)

c) Kläger klagt auf Beseitigung des Lärms einer Kegelbahn, die auf einer seinem Grundstück benachbarten Gastwirtschaft nach 9 Uhr betrieben werde und seine Ruhe störe. Die Vorinstanz hat verurteilt, da der Umstand, dafs 80-200 m entfernt noch 3 andere Kegelbahnen vorhanden seien, nicht ausreiche, um eine Ortsüblichkeit im Sinne des § 906 BGB. anzunehmen, die erfordere, dafs die betreffende Art, die Grundstücke zu benutzen, im Verhältnis zu andern in gleicher Gegend der Stadt vorkommenden Benutzungsarten gewöhnlich sei. RG. hebt auf. Es sei allerdings möglich, die Prüfung der Ortsüblichkeit auf einzelne Ortsteile zu beschränken. Dies setze aber voraus, dafs es sich dabei um Stadtbezirke handle, denen durch die besondere Art der Bebauung oder vorherrschenden gewerblichen Betrieb ein charakteristisches Gepräge verliehen sei, durch das sie sich in objektiv erkennbarer Weise von anderen Stadtbezirken unterscheiden (Villenstil, herrschaftliche Mietshäuser, Fabrikgegend), was hier nicht festgestellt sei. (Urt. V. 354/03 v. 20. Febr. 1904.)

2. Strafsachen.

Mitgeteilt von Unger, Reichsgerichtsrat, Leipzig. 24. (Anträge auf Berichtigung des Sitzungsprotokolls.) Dem heute vom Verteidiger gestellten Antrage auf Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz behufs Erledigung der gestellten Protokollberichtigungsanträge vermochte eine Folge nicht gegeben zu werden. Sache des Angekl. bezw. der Verteidigung war es, für die ordnungsmäfsige Erledigung der Berichtigungsanträge eventl. im Wege der Beschwerde an das Oberlandesgericht sich zu bemühen. Das RevGer. ist nicht in der Lage, die zuständigen Gerichtspersonen zu einer das Protokoll betreffenden Erklärung aufzufordern; eine solche Aufforderung enthielte eine Beweiserhebung, welche vom RevGer. nicht angeordnet werden kann. Für das RevGer. mufste, da eine ordnungsmäfsige Berichtigung nicht erfolgt ist, das Protokoll in seiner ursprünglichen Fassung mafsgebend sein. (Urt. III. 5971/03 v. 14. Jan. 1904.)

25. (Idealkonkurrenz zwischen Diebstahl und Untreue.) Angekl. hatte als Obergärtner eines Gutsbesitzers diesem gehörige Obstbäume und Aepfelwildlinge in der Absicht der Zueignung ausgegraben und nach dem von ihm gepachteten auswärtigen Gartenland versandt; seine Rev. gegen die dieserhalb erfolgte Verurteilung wegen Diebstahls und Untreue ist verworfen. Die Annahme einer in Idealkonkurrenz mit Diebstahl begangenen Untreue unterlegt rechtlichen Bedenken nicht. Die beiden Delikte schliefsen sich nicht aus; insbesondere kann Untreue auch durch Verfügung über solche Gegenstände des Auftraggebers begangen werden, deren Gewahrsam der Bevollmächtigte nicht hat. Angekl. war Bevollmächtigter, weil zu seinen Obliegenheiten auch der Verkauf von Erzeugnissen der Gärtnerei gehörte. Es ist nicht erforderlich, dafs der Bevollmächtigte zu der Handlung berechtigt war; es genügt, dafs die Handlung im Zusammenhang mit der Stellung des Täters als Bevollmächtigten steht, und unter Verfügung über ein Vermögensstück des Auftraggebers ist eine Mafsregel zu verstehen, welche in irgend einer Weise eine Veränderung in dem Verhältnisse des Auftraggebers zu den Vermögensstücken herbeiführt. (Urt. II. 3460/03 v. 15. Jan. 1904.)

26. (Ne bis in idem. § 66 pr. Einkommensteuerges) Gegen den Angekl. ist ein vollstreckbarer amtsrichterlicher Strafbefehl erlassen, weil er in der Steuererklärung für das Jahr 1901 wissentlich unrichtige Angaben über sein Einkommen aus Grundvermögen im Orte G. gemacht hatte, die geeignet waren, zur Verkürzung der Steuer zu führen. Später war gegen ihn ebenfalls aus § 66 Einkstges. das Hauptverfahren eröffnet auf Grund der Beschuldigung, in derselben Steuererklärung und für dasselbe Steuerjahr wissentlich bezüglich des Einkommens aus seiner ärztlichen Praxis, einem Wohnhause in S. u. a. m. weitere unrichtige Angaben gemacht zu haben, die eine Steuerverkürzung herbeizuführen geeignet waren. Die Strafk. erkannte auf Einstellung des Verfahrens, weil es sich um dieselbe Tat wie in dem amtsrichterlichen Verfahren handele. Dies billigte das RG. gegenüber der Rev. des StA. Aus den Gründen: Der Erlafs eines Strafbefehls steht einer neuen Strafverfolgung nicht entgegen, wenn es sich bei dieser um einen früher aufser Betracht gelassenen rechtlichen Gesichtspunkt handelt. Dagegen hindert der Strafbefehl eine weitere Verfolgung, wenn in dem neuen Strafverfahren lediglich aus dem bereits im Strafbefehl zur Anwendung gelangten Strafgesetze oder einem milderen Strafgesetze zu strafen wäre. Das ist aber vorliegend der Fall. Das anzuwendende Strafgesetz würde dasselbe sein. (Urt. IV. 3653/03 v. 19. Jan. 1904.)

27. (Betrug bei Erfüllung eines Vertrages.) Angekl. hatte bei einer Firma eine Spiegelscheibe käuflich bestellt. Den Ueberbringer, welcher angewiesen war, die Scheibe nur gegen Bezahlung des Preises auszuantworten, bewog Angekl. zur Herausgabe der Scheibe ohne Zahlung durch die Vorspiegelung, dafs die Firma auf telephonische Anfrage dies genehmigt habe. Die Rev. des wegen Betruges verurteilten Angekl. ist verworfen. A. d. Gr.:

Wenn die Rev. unter Hinweis auf den Beschlufs der Verein. Strafsenate v. 20. April 1887 (Entsch. Bd. 16 S. 1) die Annahme einer Vermögensbeschädigung als nicht dem Tatbestand des Gesetzes entsprechend bezeichnet, so übersieht sie, dafs es sich vorliegend nicht um einen bei der Eingehung, sondern bei der Erfüllung eines gegenseitigen Vertrages begangenen Betrug handelt. Nach den Feststellungen der Vorinstanz war der Kaufvertrag über die Scheibe durch Annahme des vom Angekl. gemachten Vertragsantrages seitens der Firma zustande gekommen (§§ 145, 151 BGB.), und diese war gemäfs § 320 BGB. berechtigt, gegen Lieferung der Scheibe Zug um Zug die Zahlung des Preises zu verlangen. Erst bei der Erfüllung dieses Vertrages durch die Firma hat Angekl. durch die Vorspiegelung einer falschen Tatsache gegenüber dem Ueberbringer diesen veranlafst, ihm ohne Zahlung des Preises die Scheibe auszuhändigen. Dadurch, dafs die Firma infolge der Täuschung ihres Beauftragten den Besitz der Scheibe verlor, ohne zugleich den ihr vertragsmässig Zug um Zug zustehenden Preis zu erhalten, war sie in ihrem Vermögen beschädigt, und es bedurfte einer Erörterung darüber nicht, ob der Angekl. nach seiner Vermögenslage zur Zahlung des Kaufpreises imstande war. (Urt. II. 6395/03 v. 19. Jan. 1904.)

II. Kammergericht.

1. Zivilsachen.

Mitgeteilt von Dr. Eugen Fuchs, Justizrat, Berlin.

8. (Zustellung der Berufung.) Die durch Vermittelung des Gerichtsschreibers bewirkte Zustellung ist zwar, da auf der zugestellten Urkunde der Terminsvermerk nicht ordnungsmäfsig beglaubigt war, unwirksam gewesen. Ist aber, wie in diesem Fall, die Berufungsschrift schon vor Ablauf der Berufungsfrist auf der Gerichtsschreiberei eingereicht, so erfüllt die gesetzlichen Formalien nicht blofs eine durch Vermittelung des Gerichtsschreibers binnen zwei Wochen nach Einreichung bewirkte ordnungsmässige Zustellung dieser Schrift, sondern auch, wie auch RG. Bd. 46 S. 390 ausgesprochen hat, jede andere innerhalb dieser zwei Wochen erfolgte ordnungsmäfsige Zustellung der Berufungsschrift. Daher erscheint die Berufung auf Grund der am 18. Mai 1903 von Anwalt zu Anwalt bewirkten ordnungsmäfsigen Zustellung der Berufungsschrift als frist- und formgerecht eingelegt. Das RG. hat zwar (Jur. Woch. 1903 S. 270 No. 4) den Standpunkt des Beklagten dahingehend vertreten, dafs durch die einmal unwirksam erfolgte Zustellung einer Berufungsschrift der auf diese gesetzte Verhandlungstermin verbraucht sei und nicht mehr zu einer neuen Berufungseinlegung verwertet werden könne. Das Berufungsgericht vermag sich dieser Ansicht aber im Anschlufs an die Entsch. des RG. v. 27. Sept. 1897 (VI. 119 1897) und v. 14. Mai 1900 (VI. 138 1900) nicht anzuschliefsen. (Urt. 15 U 2552/03 v. 18. Dez. 1903.)

9 (Fahrnispfändung nach Liegenschaftsbeschlagnahme. ZPO. § 865 Abs. 2, ZVG. §§ 20 ff., 146 ff.) Allerdings wirkt die Beschlagnahme des Grundstücks auch bei der Zwangsverwaltung nur zu Gunsten des betreibenden Gläubigers. Diese Bestimmung führt aber nicht dazu, dafs die Mieten nur für den betreibenden Gläubiger Gegenstand der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen sind, jedem anderen Gläubiger aber in bezug auf sie die Zwangsvollstreckung in das bewegliche Vermögen offen steht; sie sind vielmehr objektiv dem Gebiete der MobiliarExekution gänzlich entrückt, und auch andere Gläubiger, als der betreibende, können sie als Befriedigungsmittel nur in den Formen der Immobiliar-Exekution, also durch Beitritt zu dem eingeleiteten Zwangsverwaltungs-Verfahren, verlangen. Der Pfändungsbeschlufs ist aber erst am 27. Juni 1901 den Drittschuldnern (den Mietern) zugestellt, hat also vor dem Eintritt der Beschlagnahme, dem 24. Juni 1901, keine Wirksamkeit erlangt, konnte sie nachher auch nach Aufhebung der Beschlagnahme nicht mehr erlangen, ist daher ebenso wie seine Zustellung ein rechtlich ganz belangloser Akt, gibt daher dem Bekl. keine Rechte und macht auch die Vorpfändung nicht wirksam, weil die

Bedingung des § 845 Abs. 2 ZPO. nicht eingetreten ist. (Urt. 14 U. 4427/03 v. 4. Febr. 1904.)

2. Strafsachen.

Mitgeteilt von Lindenberg, Senatspräsident, Berlin. 15. (Einfluss von Satzungsänderungen auf das Verbleiben von Frauen in einem Verein.) Einem „Bürgerverein“ gehörten auch Frauen an. Der Verein beschlofs, seine Satzungen dahin zu ändern, dafs auch „kommunale Angelegenheiten" in den Kreis der Beratungen zu ziehen seien. Trotz einer Anregung der Polizeibehörde führte der Vereinsvorstand den Austritt der Frauen nicht herbei. Der Vorstand wurde vom Schöffengericht aus §§ 8 und 16 Vereinsges. (Verordn. v. 11. März 1850) verurteilt. Die Strafkammer aber sprach frei, weil § 8a nur die Aufnahme von Frauenspersonen in politische Vereine verbiete, hier aber die Frauen schon vor der Statutenänderung Mitglieder gewesen, also in den politischen Verein nicht aufgenommen seien. Dies ist rechtsirrtümlich. Zutreffend macht die Revision der Staatsanwaltschaft darauf aufmerksam, dafs, wenn die Ansicht der Strafkammer richtig wäre, das Gesetz auf die einfachste Weise umgangen werden könnte, indem z. B. ein Frauenverein mit unpolitischem Programm gegründet und dann später durch Statutenänderung zu einem politischen Verein würde. Das Gesetz geht davon aus, dafs Frauen nicht Mitglieder eines politischen Vereins sein sollen. Nach § 8 Abs. 3 VG. dürfen Frauenspersonen den Versammlungen und Sitzungen politischer Vereine nicht beiwohnen. Es würde aber widersinnig sein, wenn das Gesetz die Vereinsmitgliedschaft der Frauen dulden, daneben aber deren Teilnahme an allen Versammlungen und Sitzungen verbieten wollte. - Die Auslegung, die der Vorderrichter den Worten aufnehmen dürfen" in § 8a gibt, ist zu eng. Das Gesetz scheidet aus kriminalpolitischen Gründen die Vereine in drei Klassen: a) Vereine, welche eine Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten bezwecken (§ 2). b) Vereine, welche politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern bezwecken (§ 8). c) Vereine anderer Art, bei denen keiner dieser Zwecke vorhanden ist. Alles kommt also auf den Vereinszweck an, nach ihm richten sich die Pflichten der Vorstände und die Rechte der Polizeibehörde. Für das Vereinsgesetz wird ein Verein, der seine Zwecke ändert, zu einem anderen neuen Verein, vorausgesetzt, dafs die Aenderung den Uebertritt des Vereins aus einer der bezeichneten 3 Klassen in eine andere bewirkt. Dieser Fall ist hier zu unterstellen. Der Bürgerverein ist aus Gruppe a oder c in Gruppe b übergetreten. Dadurch wurde ein politischer Verein begründet, der bis dahin nicht existierte. In diesen neuen Verein sind dann mit allen anderen Mitgliedern des alten Vereins auch die Frauen „aufgenommen worden. (Urt. S. 1490/03 v. 14. Jan. 1904.)

an

16. (Durch Polizeiverordnung kann die Anbringung bestimmter Signalvorrichtungen Fahrrädern gültig angeordnet werden.) Angekl., dessen Fahrrad nicht, wie durch Polizeiverordnung vorgeschrieben, mit einer helltönenden Glocke, sondern mit einer sog. Huppe (wie Automobile) versehen war, wurde von der Strafkammer freigesprochen. Dies Urteil hat das KG. aufgehoben und ausgeführt: Die Ansicht des Vorderrichters, dafs nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift jede Signalvorrichtung genüge, durch die das Publikum auf das Herannahen eines Radfahrers aufmerksam gemacht werde, also auch eine Huppe, und dafs, wenn die Verordnung eine bestimmte Signalvorrichtung habe anordnen wollen, diese Vorschrift über das Machtgebiet der Polizei hinausgehe, erscheint rechtsirrig. Aus Wortlaut und Sinn ergibt sich, dafs die Polizei die Anbringung einer bestimmten Signalvorrichtung vorschreiben wollte. Die Anordnung einer Glocke findet ihre gesetzliche Stütze in § 6b und f des Ges. v. 11. März 1850. Es soll Leben und Gesundheit der Strafsenpassanten geschützt und die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gefördert werden. Dies wird aber in erhöhtem Mafse dadurch erreicht, dafs die Beschaffenheit der Signalvorrichtung nicht dem Belieben des Radfahrers überlassen ist. Dadurch werden von vorn

herein ungeeignete Signalvorrichtungen ausgeschlossen. Die Vorschrift gibt aber auch dadurch, dafs sie andere Signalvorrichtungen an Fahrrädern nicht zuläfst, dem Publikum die Möglichkeit, bei dem Ertönen die Massnahmen zu ergreifen, die nötig sind, um sich vor einem Fahrrad zu schützen. Aus den gleichen Erwägungen ist für Kraftfahrzeuge in Polizeiverordnungen ausschliefslich die Anbringung ciner Huppe vorgesehen. (Urt S. 1550/03 v. 25. Jan 1904.)

III. Preussisches Oberverwaltungsgericht.

A. I.-IV. u. VIII. Senat. Mitget. v. Dr. Schultzenstein, Oberverwaltungsgerichtsrat, Berlin. 32. (Brackenjagd.) Der § 33 Abs. 1 der hannov. Jagdordnung v. 11. März 1859 ist nicht dahin zu verstehen, dafs blofs der Eigentümer von 10 000 Morgen Grundfläche die Brackenjagd ausüben dürfe. (Urt. III. 2017 v. 26. Okt. 1903 mit näherer Begründung.)

33. (Zeitdauer von Krankenunterstützungen.) Als Zeit, während welcher R. krank war und gemäfs § 57a Abs. 2 des Krankenvers -Ges. von der klagenden Gemeindekrankenversicherung unterstützt worden ist, will die beklagte Kasse blofs den Tag angesehen wissen, an dem die ärztliche Konsultation stattfand und R. Arznei (die Salbe) erhielt. Dem steht jedoch entgegen, dafs ärztliche Anordnungen gleich für eine Mehrheit von Tagen erfolgen können und ebenso eine Arznei in ausreichender Menge und mit der Bestimmung für eine längere Zeit verschrieben und gegeben werden kann. Es ist daher wohl möglich, anzunehmen, dafs ein Kranker in ärztlicher Behandlung gestanden und Arzneien empfangen hat auch an Tagen, an denen er keine weiteren Verhaltungsmafsregeln seitens des Arztes und keine neue Arznei erhielt. Ob eine solche Annahme zulässig ist, hängt von den Umständen des einzelnen Falles ab. (Urt. III. 2107 v. 5. Nov. 1903, betr. einen Anspruch wegen irrtümlich geleisteter Unterstützung.)

34. (Tanzlustbarkeiten eines Vereins.) Die polizeiliche Befugnis, die Veranstaltung einer Tanzlustbarkeit von einer polizeilichen Genehmigung abhängig zu machen, kann durch eine Polizeiverordnung gemäss § 6 zu d des Polizeiverwaltungsges. v. 11. März 1850, wonach zu den Gegenständen der ortspolizeilichen Vorschriften die Ordnung und Gesetzlichkeit bei dem öffentlichen Zusammensein einer gröfseren Anzahl von Personen gehört, den Polizeibehörden nur hinsichtlich öffentlicher Lustbarkeiten beigelegt werden. Fehlt sie gesetzlich der Polizei gegenüber nicht öffentlichen Lustbarkeiten, so kann sie auch nicht durch eine Polizeiverordnung vermittels der Vorschrift begründet werden, dafs nicht öffentliche Lustbarkeiten unter gewissen Voraussetzungen als öffentliche gelten“ sollen. Durch Art. 29, 30 der Verf.-Urk. und die zu ihrer Ausführung erlassene Verordnung v. 11. März 1850 sind die Befugnisse der Polizei gegenüber dem Versammlungsrechte der Staatsbürger eingeschränkt worden. Eine Erweiterung dieser Befugnisse kann nur im Wege der Gesetzgebung erfolgen. Ebensowenig kann eine polizeiliche Befugnis, die gesetzlich auf das öffentliche Zusammensein von Personen beschränkt ist, im Wege der Polizeiverordnung vermittelst einer Fiktion bei dem Vorliegen gewisser Voraussetzungen auf das nicht öffentliche Zusammensein in geschlossenen Räumen ausgedehnt werden. Soweit die Polizeiverordnung v. 4. Sept. 1897 in ihrem § 2, wonach Tanzlustbarkeiten „als öffentliche gelten", wenn sie von einem Verein veranstaltet werden, der ausschliesslich oder hauptsächlich zu dem Zwecke zusammengetreten ist, dies tut, entbehrt sie der gesetzlichen Grundlage und kann daher die Ortspolizeibehörde zu dem Verbot einer Veranstaltung nicht berechtigen, die dieser Vorschrift der Polizeiverordnung zuwider läuft. Eine nicht öffentliche Tanzlustbarkeit, die von einer geschlossenen Gesellschaft veranstaltet wird, darf auch nicht deshalb im voraus untersagt werden, weil die Polizeibehörde aus früheren Vorgängen Anlafs zu dem Glauben hat, die Lustbarkeit werde sich durch den Hinzutritt anderer, nicht zu der geschlossenen Gesellschaft gehöriger Personen zu einer öffentlichen gestalten. Die Polizei darf nur, falls die als nicht öffentliche veranstaltete Lustbarkeit

zu einer öffentlichen wird, ihre Fortsetzung hindern und eine Bestrafung derjenigen herbeiführen, die der Polizeiverordnung zuwider eine öffentliche Lustbarkeit ohne Erlaubnis veranstaltet haben. (Urt. I. 1649 v. 13. Nov. 1903.)

35. (Krankenunterstützung von Rekonvaleszenten) Allerdings haben Rekonvaleszenten als solche keinen Anspruch an die Krankenkassen, sofern diese nicht von der Befugnis im § 21 No. 3 des Krankenversicherungsgesetzes (vgl. auch § 46 No. 3 daselbst) Gebrauch gemacht haben, was seitens der Beklagten nicht geschehen ist (s. die bei Hoffmann, Krankenvers.-Ges, 3. Aufl., S. 70 Anm. 6 zit. Stelle des Kommissionsberichts). Indessen ist der Begriff der Rekonvaleszenz kein so fester, dafs bereits die Aufnahme in dem für Rekonvaleszenten (Genesende) bestimmten Genesungshause zu W. einen Anhalt dafür böte, dafs die G. während ihres Aufenthaltes darin nicht mehr krank oder erwerbsunfähig gewesen sei. Es kann sehr wohl schon in der Notwendigkeit der im Genesungshause gewährten Ruhe, guten Luft, kräftigen Kost usw. die Notwendigkeit ärztlicher Behandlung zur Beseitigung einer noch fortdauernden Krankheit, zur Verhütung einer Verschlimmerung des Zustandes bei sofortiger Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit oder zur Wiederherstellung der durch Krankheit verminderten Arbeitskraft zu finden sein. Vor allem aber kann noch die Erwerbsunfähigkeit nach vollständiger Behebung der Krankheit während der Rekonvaleszenz fortgedauert haben. (Urt. III. 2215 v. 19. Nov. 1903.) B. V. VII. Senat (Staatssteuersachen). Mitgeteilt von Wirkl. Geh. Oberregierungsrat Fuisting, Senatspräsident des Oberverwaltungsgerichts, Berlin.

36.

(Einkommensteuersachen.)

(Effektenhandel.) Der Beschwerdeführer bestreitet mit Unrecht, dafs seine in fortgesetztem An- und Verkaufe von Effekten bestehende Spekulationstätigkeit nach aufsen hin, und zwar dem grofsen Publikum und nicht blofs einzelnen Berufsgenossen gegenüber in einer den Gewerbebegriff erfüllenden Weise, hervorgetreten sei. Nach den ihm mitgeteilten und nicht bestrittenen Aussagen sachverständiger Zeugen hat Beschwerdeführer allgemein in Bankierkreisen als gewerbmäfsiger An- und Verkäufer von Effekten, insbesondere von Bergwerkpapieren, gegolten. Er hat Spekulationsgeschäfte von ungewöhnlichem Umfange betrieben, auch in blanko spekuliert, d. h Papiere verkauft, die er nicht besafs. Er ist sogar zeitweise bemüht gewesen, die Stimmung an der Berliner Börse zu beeinflussen, so dafs er eine Zeitlang ein Faktor war, mit dem die Berliner Börse zu rechnen hatte. Hiernach kann es nicht zweifelhaft sein, dafs er im Börsenverkehr sowie in Bankierkreisen seiner Absicht wie dem Erfolge nach eine Tätigkeit entwickelt hat, die einheitlich und zum voraus auf eine ganze Reihe in bestimmter Willensrichtung verbundener Geschäfte in ihrem Zusammenhange, nämlich auf den Betrieb des Effektenhandels, gerichtet und als solche nach aufsen hin erkennbar hervorgetreten ist. Das genügt zur Feststellung des Merkmales berufmäfsiger Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehre. Dieses Merkmal hat keineswegs die unmittelbare Ausdehnung des Verkehrs auf das Publikum im weitesten Sinne zur notwendigen Voraussetzung. Wie der Grosshandel in Warengattungen jeglicher Art sich nicht unmittelbar auf das die Ware zum Ge- oder Verbrauche kaufende Publikum zu erstrecken pflegt, gibt es auch einen Grofshandel in Effekten, der sich auf börsen- und bankmäfsigen Verkehr beschränkt, und einen solchen Grofshandel hat der Beschwerdeführer nach seinem Willen und in Wirklichkeit ausgeübt. (Urt. XIII. b. 349 v. 24. Sept. 1903). IV. Preufs. Gerichtshof zur Entscheidung der Kompetenzkonflikte.

Mitgeteilt von Falkmann, Kammergerichtsrat, Berlin. 1. (Sind die Gerichte, wenn vor ihnen ein Prozefs über ein im Zusammenlegungsverfahren befindliches Grundstück schwebt, befugt, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Einbeziehung des Grundstücks in das Verfahren

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