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minister erwachsen, und er hatte, positiv oder negativ, jedenfalls inhaltlich zu ihr Stellung zu nehmen. Dafs er das nicht getan hat, läfst nur die eine Deutung zu, dafs er sich, wie gerade seine ausführliche Erörterung über die Zulässigkeit des Klageprüfungsverfahrens beweist, behindert glaubte. Hätte er nicht diese Auffassung gehabt, so wären die Erörterungen über §§ 170 ff. überflüssig gewesen, und er hätte vielmehr die sonstigen Gründe darzulegen gehabt, die ihn bestimmten, der Beschwerde keine Folge zu geben.

Professor Dr. Beling, Tübingen.

Zur Entlastung des Reichsgerichts. Die Vorlage eines Gesetzentwurfs betr. Erhöhung der Revisionssumme von 1500 M. auf 3000 M. stebt unmittelbar bevor. Grundsätzlich schliefse ich mich den dem Gesetzentwurf günstigen Ausführungen des OLG.-Präs. Dr. Vierhaus S. 389 d. Bl. an. So lange überhaupt eine Revisionssumme besteht, sehe ich in der Festsetzung der Grenze auf 3000 M. keinen Schaden. Bei der Stimmung, die in den Kreisen der Juristen und Abgeordneten vielfach zu herrschen scheint, ist es aber nicht ausgeschlossen, dafs der Entwurf abgelehnt wird. Für diesen Fall können vorläufig nur solche Vorschläge in Betracht kommen, die, ohne an der Grundlage der ZPO. zu rütteln, durch Abänderung einzelner Vorschriften wirksame Abhilfe versprechen. Solche Vorschläge sind mir bisher noch nicht bekannt geworden. Auch das, was neuerdings v. Jacubezky und Hellwig in d. Bl. angeregt haben, scheint mir den Erfordernissen kaum zu entsprechen.

Ich mache nun folgenden Vorschlag: Anstatt die Revisionssumme allgemein hinaufzusetzen, setze man in gewissen Fällen den Streitwert herab. Es wird schon lange als ein Mifsstand empfunden, dafs die Festsetzung des Streitwerts im allgemeinen nur nach juristischen Gesichtspunkten geregelt ist, während das wirtschaftliche Interesse der Streitenden an der Prozefsführung in den Hintergrund tritt. Das wirtschaftliche Interesse mufs aber m. E. allein mafsgebend sein, weil Prozesse in der Regel nur geführt werden, um den dem Recht entsprechenden wirtschaftlichen Zustand herbeizuführen. Darum muss bei § 6 der ZPO. der Hebel angesetzt werden. Wenn es dort heifst: „Der Wert des Streitgegenstandes wird bestimmt: durch den Wert einer Sache, wenn deren Besitz Gegenstand des Streits ist“, so werden dadurch eine grofse Zahl von Prozessen getroffen, deren wirtschaftlicher Gehalt nicht im geringsten dem Wert des geforderten Gegenstandes entspricht. Um ein schlagendes Beispiel zu geben: A hat dem B einen Schmuck im Werte von 10 000 M. auf einen Monat geliehen. Nach Ablauf des Monats klagt A gegen B auf Herausgabe. B behauptet, dafs er den Schmuck auf ein Jahr entliehen habe. Der Streitwert beträgt nach § 6 10 000 M., während das wirtschaftliche Interesse des A vielleicht nur 100 M. beträgt. Ferner: A hat von B ein Pferd für 3000 M. gekauft. Er klagt auf Uebergabe des Pferdes. Wird dem Klageantrage nicht stattgegeben, so erhält er zwar nicht das Pferd, er braucht aber auch nicht den Preis zu zahlen. Gleichwohl beträgt der Streitwert 3000 M. Besonders hart werden die Parteien betroffen, wenn es sich um die Auflassung eines - vielleicht stark belasteten Grundstücks gegen Zahlung des Kaufpreises handelt. Hier kann der Wert in die Hunderttausende gehen, während der Vorteil, den der Kläger durch den günstigen Ausgang des Rechtsstreits erhält, möglicherweise noch nicht einmal nach Tausenden zählt. Die Prozefsführung wird dadurch unter Umständen unmöglich gemacht, weil niemand, um einen geringen Vorteil zu erlangen, ein Vielfaches an Prozefs

kosten wagen will. Hier müfste also überall Festsetzung nach freiem Ermessen eintreten.

Der Wert der Sache, die den Gegenstand des Streites bildet, kann eigentlich nur dann den Streitwert bilden, wenn keine Gegenleistung oder Bedingung in Frage steht und wenn auch der durch den Prozefs zu bestätigende Zustand beim Unterliegen des Klägers ein dauernder ist.

In den Fällen der §§ 8 und 9 ZPO. könnten die für die Gebührenberechnung nach dem GKG. § 9a geltenden Grundsätze auf die Zuständigkeit und die Revisibilität erstreckt werden. Auch dadurch würden zahlreiche Sachen der Revision entzogen werden.

Der Nachteil, der den Streitenden durch Entziehung der Revision bereitet wird, gleicht sich reichlich durch die erhebliche Verminderung der Prozefskosten aus. Die Staatskasse und die Rechtsanwälte würden allerdings durch die vorgeschlagenen Aenderungen Ausfälle erleiden. Indessen darf bei einer so überaus wichtigen Angelegenheit der Rechtspflege der Kostenpunkt keine Rolle spielen. Durch Aenderung der Gebührensätze könnte auch leicht ein Ausgleich geschaffen werden.

Landrichter Dr. Boethke, Berlin.

Sind Gesindeverträge formlos gültig? Zu dieser Frage nimmt S. 114 d. Bl. LGR. Dr. Drabert in verneinendem Sinne Stellung, indem er einer in No. 24 1903 d. Bl. abgedruckten Entsch. des Kammergerichts entgegentritt, welche sich für die Gültigkeit formloser Gesindeverträge ausspricht. Drabert folgert aus Art. 95 EG. z. BGB., dass, vom Züchtigungsrecht abgesehen, alle landesgesetzlichen Bestimmungen, welche dem Gesinderecht angehören, aufrecht erhalten sind, also auch diejenigen über die Form für den Abschlufs von Gesindeverträgen. Enthält eine Gesindeordnung eine zwingende Formvorschrift, so hat Drabert natürlich recht, nicht aber dann, wenn, wie es in der Gesindeordnung von 1810 geschieht, hinsichtlich der Form auf die allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts verwiesen wird.

Die §§ 22, 23 der GesO. von 1810 haben die allgemeinen Formvorschriften des ALR. (§ 131 I. 5) im Auge und sind ohne sie in ihrer Tragweite nicht verständlich. Sie setzen fest, dafs es zur Annahme des Gesindes keines schriftlichen Vertrages bedarf, und dafs an seiner Stelle der Mietstaler genügt. Sie führen also zu dem Ergebnis, dass bei Mietverträgen bis zu 150 M. Formfreiheit gilt, bei Verabredung eines höheren Lohnes entweder Schriftlichkeit des Vertrages oder Hingabe und Annahme eines Mietstalers erforderlich ist. Das heifst nichts anderes als: Es bleiben auch für den Mietvertrag die allgemeinen Formvorschriften bestehen, und nur insofern wird eine Verkehrserleichterung gewährt, als an Stelle des schriftlichen Vertrages der Mietstaler treten kann. Letzterer bildet also nur ein „Surrogat“, während in erster Linie inhaltlich auf die allgemeinen Formvorschriften verwiesen wird. Nach Art. 4 EG. z. BGB. treten aber bei Verweisungen auf Vorschriften der Landesgesetze, die durch das BGB. aufser Kraft gesetzt sind, die entsprechenden Vorschriften des BGB. an deren Stelle, und zwar nicht etwa nur dann, wenn eine ausdrückliche Verweisung stattfindet, sondern auch dann, wenn „das aufgehobene Gesetz nur stillschweigend als Grundsatz gilt und als zur Ergänzung dienend vorausgesetzt wird." (Planck Anm. 1 zu Art. 4 EG. z. BGB.) Von dieser Regel ist nur dann eine Ausnahme zu machen, wenn die Verweisung auf einen Satz des bisherigen bürgerlichen Rechts die Bedeutung hat, dafs der Satz einen „Bestandteil des betreffenden Spezialrechts bilden soll." (Fischer-Henle, BGB. Anm. zu Art. 4 EG. z. BGB., ebenso Planck, Anm. 2 zu Art. 4

EG. z. BGB.) Die erörterte Art der Regelung der Formfrage in der GesO. v. 1810 läfst m. E. keinen Zweifel, dafs der gedachte Ausnahmefall des Art. 4 nicht vorliegt, und gibt keinen Grund zu der Annahme, dass § 131 I 5 ALR. ein selbständiger Bestandteil des preufs. Gesinderechts geworden ist. Ist aber letzteres nicht der Fall, so greifen nach Art. 4 EG. z. BGB. die allgemeinen Regeln des BGB. über Vertragsformen Platz, d. h. der Grundsatz der Formfreiheit, so dafs dadurch die Ersatzvorschrift des § 23 Ges0. gegenstandslos wird.1)

Die von Drabert als Analogie herangezogenen Versicherungs- und Verlagsverträge widersprechen dem Ergebnis nicht, denn die §§ 2064 II 8 und 998 I 11 ALR. enthalten keine Verweisung auf die allgemeinen Formvorschriften, sondern regeln unabhängig von § 131 I 5 ALR. als lex specialis auch für Objekte bis 150 M. die Form des Versicherungs- und Verlagsvertrages. Ihre Heranziehung erscheint deshalb nicht gerechtfertigt.

Amtsrichter Dr. Lothholz, Fehrbellin.

Der Streit um Korea und der Krieg zwischen Japan und Rufsland. Nachdem RA. Dr. Siehr S. 281 d. Bl. den „Angriff der Japaner gegen Russland im Lichte des Völkerrechts" beleuchtet hat, wird es von Interesse sein, die Regeln festzulegen, die in diesem Falle der völkerrechtlichen Neutralität Koreas gelten.

Der neutrale Staat Korea darf prinzipiell auf seinem Gebiete keiner Kriegspartei, weder den Japanern noch den Russen, eine Feindseligkeit gegen die andere gestatten. Nun sucht aber Japan gewaltsam, oder in Güte durch den Zwang eines völkerrechtlichen Vertrages, das neutrale Korea für seine kriegerischen Unternehmungen gegen Rufsland zu benutzen; es kann daher vom schwachen Korea nicht gefordert werden, dafs es der Gewalt mit Gewalt entgegentrete. Es wäre ungerecht, wenn etwa Rufsland, was übrigens im Sinne seiner Note gar nicht der Fall ist, Korea wegen des ihm mit Gewalt der Waffen oder der Ueberredung Abgerungenen feindlich behandeln wollte. In dem Verhalten des Neutralen mufs sich nur immer, vorausgesetzt, dafs er Herr im Hause ist und bleibt, die in dem Wesen der Neutralität gegründete Negativität gegen den Krieg betätigen. Das Verhalten der Neutralen soll nach völkerrechtlicher Anschauung eine mehr oder minder energische Verneinung der Verletzungen seiner Neutralität nach Mafsgabe seiner gröfseren oder geringeren Macht enthalten. Womöglich soll daher der Neutrale, wenn er hierzu die Macht besitzt, die Verletzung seiner Neutralität mit zwingender Gewalt zu hindern suchen. Ist er aber zu schwach, so soll er sich auf einen allerdings papiernen Protest beschränken. Unter keiner Bedingung, sagt aber Berner 2), darf er eine Billigung der Verletzung seiner Neutralität aussprechen, wenn er die Neutralität behalten will. Unter keiner Bedingung" selbst wenn dem Neutralen, sagen wir Korea, die Freiheit des Willens mangelt? Von dieser Voraussetzung geht Rufsland in seiner Note v. 22. Febr. aus, wenn es, da Japan unrechtmäfsigerweise die Macht in Korea an sich gerissen hat, alle Verordnungen und Erklärungen, die

1) Die zit. Entscheidg. des KG. (vgl. Johow Bd. 26 C 79), ebenso Gentzen, Jur. Wochenschr. 1901 S. 694, auch das dort abgedruckte Erkenntnis des LG. Dortmund stimmen mit obiger Charakteristik der §§ 22, 23 Ges.O. überein, sprechen aber nicht davon, dafs sie eine Verweisung enthalten, und ziehen deshalb auch Art. 4 EG. z. BGB. nicht heran. Das ist aber m. E. notwendig, um die Drabertsche Deduktion zu widerlegen, denn eine Berufung auf Art. 55 EG. z. BGB. genügt dazu nicht, weil Art. 95 EG. z. BGB. einen der im Art. 55 gemachten Vorbehalte trifft.

2) Staatswörterbuch (Bluntschli und Brater) Artikel „Neutralität“.

seitens der koreanischen Regierung erlassen werden könnten, für ungültig erklärt". Eine starke neutrale Macht wird demgegenüber auf ihrem Gebiete den angegriffenen und verfolgten Teil unter ihre schützenden Fittiche nehmen und dem Gegner mit der Schärfe des Schwertes sein quos ego! zurufen. Ja, sie wird sogar noch einen Schritt weiter gehen und die etwa schon erreichten Ergebnisse des Bruches der Neutralität vernichten, indem sie dafür sorgt, dafs die der einen Partei durch Neutralitätsbruch von der anderen abgenommenen Gefangenen und Sachen zurückgegeben werden. Bevor wir jedoch zur Betrachtung des Neutralitätsbruches zur See übergehen, müssen wir noch bezüglich Koreas bemerken, dass, wenn Korea völkerrechtlich nicht mehr als neutraler Staat angesehen werden sollte, dies die Bündnisfrage Frankreichs in bezug auf Rufsland (casus foederis) tangieren könnte. In welcher Weise, könnte freilich nur an der Hand der Verträge beantwortet werden. Erwähnt soll nur werden, dafs die Frage des casus foederis dahin geht, ob die dritte Macht eine europäische sein mufs oder nicht.

Was nun den Neutralitätsbruch zur See anbelangt, so ist bis jetzt eine solche völkerrechtliche Frage im Verlaufe des russisch-japanischen Krieges nicht aufgetaucht, da aber die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dass sie auftauchen kann, so empfiehlt es sich, sie zu streifen.

Alle Prisen, nicht nur die, welche auf neutralen Gewässern, sondern auch die, welche von neutralen Gewässern aus auf hoher See gemacht werden, sind nichtig. Diejenigen Schiffe einer Kriegspartei, die in einer Bai, in einem Hafen oder an einer Flufsmündung des neutralen Staates stationieren, müssen sich des Beutemachens zur See enthalten. Bynkershoek behauptet freilich, dafs eine Seeprise gültig sei, wenn der Feind sie zwar auf neutralem Gebiete oder vom neutralen Gebiete aus zu verfolgen beginnt, sie aber erst auf dem Kriegsschauplatze ereilt; doch ist diese Behauptung von anderen Lehrern des Völkerrechts widerlegt worden. Die zuständigen Prisengerichte pflegen indes die auf neutralem Gebiete oder vom neutralen Gebiete aus gemachte Beute nicht auf Antrag des Beraubten, sondern nur auf Antrag des neutralen Staates zurückzugeben, weil nur der neutrale Staat verletzt sei, gegen den Feind hingegen das Beuterecht zur See gelte. Der neutrale Staat gibt dann dem Beraubten oder dessen Staate die ihm übergebenen, erbeuteten Gegenstände heraus.

Advokat Dr. Hirsch, Olmütz.

Die Gerichtsassessoren bei der Staatsanwaltschaft. Die auf diesem Gebiete sich gestaltenden Verhältnisse rechtfertigen es, einen Blick auf die Beschäftigung der Assessoren bei der Staatsanwaltschaft zu werfen.

Jahr für Jahr wiederholt sich der Uebelstand, dafs zur Vertretung der im Sommer auf Urlaub gehenden ständigen Mitglieder nur Assessoren verfügbar sind, die das sogen. Zeichnungsrecht, die Befugnisse der etatsmäfsigen Staatsanwälte, nicht besitzen. Dadurch erwächst den zurückbleibenden Mitgliedern gerade zu einer Zeit, die eher zur Erholung als zur vermehrten Arbeit geeignet erscheint, eine erhebliche, auch der Art nach nicht angenehme und bei der Bemessung der Arbeitslast der einzelnen Behörden nie mit zur Berücksichtigung gelangende Mehrarbeit. Die nicht mit Zeichnungsbefugnis versehenen Assessoren sind meist jüngere, bei Amtsgerichten unbesoldet beschäftigte. Sie kommen in der Regel ungern zur Staatsanwaltschaft, weil sie dort, besonders bei mangelnder Zeichnungsbefugnis, weniger oder gar nicht selbstständig in ihrer Tätigkeit sind, auch gegenüber ihrer bis

herigen Beschäftigung erheblich mehr Arbeit vorfinden. Schliefslich sagt auch nicht jedem die Art der staatsanwaltlichen Tätigkeit zu. Unter diesen Umständen ist die Pflicht, die Arbeiten dieser Herren zu kontrollieren, keine angenehme, zumal den meisten die grosse Zahl von Bestimmungen verwaltungsrechtlicher Natur, die im Dienste der Staatsanwaltschaft beachtet werden müssen, unbekannt ist, auch nicht bekannt sein kann, was häufig zu zeitraubenden Rücksprachen führt.

Als Abhilfe dieses Uebelstandes wird oft vorgeschlagen, alle Assessoren von vornherein mit den vollen Befugnissen der etatsmässigen Staatsanwälte auszustatten, und dies damit begründet, dass die Tätigkeit des Staatsanwaltes leichter sei, als die des Richters, da sie ihrem Umfange nach geringere Rechtskenntnisse erfordere. Daher könne der ohne Einschränkung zum Richteramt befähigte Assessør die Stelle eines Staatsanwaltes ohne weiteres ausfüllen. Demgegenüber mag darauf hingewiesen werden, dafs eben Rechtskenntnisse allein eine genügende Grundlage für die Befähigung, die Stelle eines Staatsanwaltes auszufüllen, keineswegs bilden, aber aufserdem von dem Staatsanwalt dieselben Rechtskenntnisse erfordert werden wie vom Richter. Auch die viermonatige Beschäftigung der Referendare bei der Staatsanwaltschaft ist keine ausreichende Vorbildung für die Stellung eines Staatsanwaltes. Die grofse Anzahl in das Gebiet der Justiz-Verwaltung fallender Bestimmungen bleibt dem Referendar, selbst wenn er sich mit ihnen beschäftigte, was aber meist nicht oder nur in geringem Umfange geschieht, doch stets ein Buch mit 7 Siegeln. Abgesehen davon, beschäftigen sich aber auch die Referendare in ihrem weiteren Vorbereitungsdienst, und da auch die grofse Staatsprüfung sich auf dieses Gebiet nicht erstreckt, mit diesen Dingen nicht mehr und haben nach bestandenem Examen das vielleicht Erlernte vergessen.

Zur Beseitigung des Mangels der für den Dienst bei der Staatsanwaltschaft vorgebildeten Assessoren müfste darauf hingewirkt werden, dafs möglichst viele nach bestandenem Staatsexamen, wenn auch nur vorübergehend, in den Dienst der Staatsanwaltschaft treten. Freiwillig meldet sich hierzu nur ein geringer Bruchteil; es müfste also ein Zwang etwa dahin ausgeübt werden, dafs alle Assessoren, natürlich, soweit sie nicht Rechtsanwälte werden, aus der Justiz ausscheiden oder früher eine etatsmäfsige Richterstelle erlangen, mindestens ein Jahr lang bei einer Staatsanwaltschaft beschäftigt werden müssen und während dieser Zeit anderweit nicht, auch nicht durch Uebertragung eines richterlichen Kommissoriums oder Vertretung eines Rechtsanwaltes, beschäftigt werden dürfen. Dann würden stets brauchbare, im Dienst der Staatsanwaltschaft ausgebildete und mit allen Befugnissen etatsmäfsiger Staatsanwälte auszustattende Assessoren für vorkommende Vertretungsfälle zur Verfügung stehen. Die Kontrolle der Arbeiten der nur zur Ausbildung überwiesenen Assessoren durch ständige Mitglieder würde dadurch zwar nicht ganz fortfallen, da diese aber stets nur einen kleineren Teil eines Dezernats zu bearbeiten haben würden, so wäre die Mehrarbeit für die ihre Ausbildung leitenden ständigen Mitglieder gering. Dafs ein derartiger Zustand für die sorgfältige Bearbeitung der einzelnen Sachen und die Ausbildung der betreffenden Assessoren nur von Vorteil sein würde, ergibt sich von selbst. Da diese Regelung nur im Wege einer Abänderung des Ausf.-Ges. zum GVG. möglich erscheint, dienen diese Zeilen vielleicht dazu, eine derartige GesetzesAenderung anzuregen.

Staatsanwalt Boehme, Hannover.

Zum Begriffe der „,Neuheit" in § 1 des Reichsgesetzes betr. den Schutz von Gebrauchsmustern. 16 J Von weittragender Bedeutung, insbesondere für die Industrie, ist die Frage, was als neu im Sinne des § des Gebrauchsmusterschutzgesetzes zu verstehen ist. Hierüber, insbesondere, ob die Vorschrift des § 1 Abs. 2 des Gesetzes den Begriff der Neuheit erschöpfend definiert, sind die Ansichten sehr geteilt. Einig sind Kommentatoren und Praxis lediglich darüber, dafs der Begriff der Neuheit im allgemeinen im Gesetze ebenso wie im Patentgesetz, festgelegt ist.1) Dagegen besteht Streit darüber, ob die Fassung der Bestimmungen des § 2 Abs. 1 Patentgesetzes und § 1 Abs. 2 Gebrauchsmusterschutzgesetzes für den Neuheitsbegriff eine deklarativ erschöpfende oder lediglich eine limitative ist und sein will. Den ersteren Standpunkt vertreten neben dem Patentamt Kohler, Handbuch S. 181, Seligsohn, Note 2 zu § 2 Patentgesetzes und Note 7 zu § 1 Gebrauchsmusterschutzges., Gierke, Privatrecht I S. 865 Note 23, u. a. Auf dem entgegengesetzten Standpunkt stehen Laband, Staatsrecht Bd. 2 S. 215, Georg Meyer, Verwaltungsrecht Bd. 1 S. 448 und Isay, Patentgesetz und Gebrauchsmusterschutzgesetz Anm. 2 zu § 2 bezw. Anm. 36 zu § 1.

Die Vertreter der Auffassung, dafs die Bestimmungen des § 2 Patentgesetzes und § 1 Abs. 2 Gebrauchsmusterschutzgesetzes abschliefsend die Fälle regeln, in welchen eine Erfindung nicht als neu anzusehen ist, dafs also eine Erfindung unbedingt im Sinne des Gesetzes neu ist, wenn keiner der Fälle des § 2 Patentgesetzes vorliegt, und dafs ein Modell i. S. des Gesetzes unbedingt neu ist, wenn keiner der Fälle des § 1 Abs. 2 Gebrauchsmusterschutzgesetzes vorliegt, argumentieren mit der Erwägung, dafs die Gesetze unvollständig wären, wenn sie nur exemplifizierend zwei einzelne Fälle ausscheiden würden, und dafs man nicht Lücken in einem Gesetze annehmen dürfe.

Ich glaube, dass diese Argumentierung fehl geht, und dafs tatsächlich die andere Auffassung dem Wortlaut und der Tendenz des Gesetzes, sowie den Bedürfnissen des praktischen Lebens allein entspricht. Daraus, dass ein Gesetz exemplifizierende Bestimmungen enthält, darf man noch nicht auf eine Lücke des Gesetzes schliessen. Es fragt sich, ob das Patent- und Gebrauchsmusterschutzgesetz eine Definition des Neuheitsbegriffes geben wollte. Schon der Wortlaut des Gesetzes spricht hiergegen.

Es ist von Isay schon darauf hingewiesen, dafs das Gesetz sich nicht dahin ausspricht: „Nicht neu ist", sondern als nicht neu gilt". Von dem, was an sich nicht neu ist, kann man aber nicht sagen, dafs es als nicht neu zu gelten habe. Hieraus ergibt sich, dafs die Bestimmung sich lediglich auf alle Fälle tatsächlicher Neuheiten bezieht, in welchen die tatsächlichen Neuheiten nicht schutzfähig sind, weil gewisse Tatbestände die Schutzfähigkeit ausschliefsen. Aus dem Wortlaut als nicht neu gilt" folgt also, dafs der Neuheitsbegriff i. S. des Gesetzes hier nicht definiert werden will, sondern dafs der Neuheitsbegriff als feststehend angenommen ist im Sinne des Gesetzes.

Weiter kommt in Betracht, dafs die Definition des Neuheitsbegriffes in die Worte hätte eingekleidet werden müssen, „neu sind im Sinne des Gesetzes Modelle, insoweit sie nicht zur Zeit der auf Grund dieses Gesetzes erfolgten Anmeldung bereits in öffentlichen Druckschriften beschrieben oder im Inlande offenkundig benutzt sind." Schon die Fassung, „Modelle gelten insoweit nicht als neu, als sie . . . .", weist darauf hin, dafs der Gesetzgeber keine Definition des Neuheitsbegriffes geben wollte. Ich will die Untersuchung unterlassen, ob die ge

1) Motive z. Gebrauchsmusterschutzges. § 1.

gebene Vorschrift eine erschöpfende sein will.1) Will sie es, so kann sie es nur in dem darin zum Ausdruck gebrachten Sinne wollen. Isay hat dies klar dahin ausgesprochen: „Nicht in dem Sinne, dafs alles als neu gelte, was nicht unter die Tatbestände dieser Gesetzesbestimmung fiele, sondern in dem Sinne, dafs alles, was darunter fällt, als nicht neu gilt, auch wenn es neu ist.“

Müfsten sich aber, wenn das Gesetz eine Definition des Neuheitsbegriffes in dieser aufsergewöhnlichen negativen Fassung hätte geben wollen, nicht wenigstens die Motive darüber aussprechen und dort gesagt sein, dafs eine Definition des Neuheitsbegriffes beabsichtigt ist und aus welchen Gründen die aufsergewöhnliche Fassung gewählt wurde? Hierüber findet sich in den Motiven beider Gesetze keine Silbe. Der Passus aus den Motiven zum Patentgesetz, den man vielleicht als Beleg in Anspruch nehmen könnte, darf nicht verwertet werden. Wenn es dort heifst: „Dagegen soll die vorgängige Benutzung der Erfindung deren Neuheit nur dann ausschliefsen, wenn sie offenkundig und im Inlande erfolgt ist", so liegt der Ton hier auf ausschliefsen"; in den anderen Fällen tritt freie Prüfung ein. Dies hat Is ay schon zutreffend hervorgehoben (Anm. 4 zu § 2). Es kommt aber noch folgendes in Betracht:

Das Geschmacksmustergesetz v. 11. Jan. 1876 verlangt zur Schutzfähigkeit neue und eigentümliche Erzeugnisse. Die englische Patents Designs and Trade Marks Act 1883 verlangt in sect. 47 von dem schutzfähigen Muster, dafs dieses new or original sei. Das Gebrauchsmusterschutzgesetz stellt neben dem Postulat der Neuheit das Erfordernis der Originalität nicht auf. Es hat dieses zweite Erfordernis nicht aufgenommen, weil es in dem Neuheitsbegriff aufgeht, weil der Begriff der Neuheit dahin geht, dafs eine Abweichung von bereits bekannten Gestaltungen oder Vorrichtungen vorliegen und diese Abweichung eine selbständige eigenartige sein mufs.2) Daraus ergibt sich: Neu im Sinne des Gesetzes ist das, was eine selbständige eigenartige Abweichung von Bekanntem zeigt. Hier findet sich also in den Motiven versteckt eine Definition des Begriffes der Neuheit, welcher dem Gesetzgeber vorschwebte: Dieser Begriff deckt sich keineswegs mit der argumentum e contrario gefolgerten Begriffsbestimmung der Neuheit nach Mafsgabe des § 1 Abs. 2 des Gesetzes. Ueberdies entspricht aber auch dieser Neuheitsbegriff der GesetzesTendenz. Das Gesetz will einen Schutz des geistigen Eigentums bieten. Es kann keinesfalls einen Rechtsschutz für geistigen Diebstahl aus dem Auslande sanktionieren wollen. Eignet sich z. B. ein Deutscher die Konstruktion eines im Auslande verbreiteten, dort marktgängigen und bei den Interessenten bekannten Artikels an, während für diesen Artikel in Deutschland selbst kein Absatzgebiet besteht, so könnte dieser Patenträuber nach der von mir bekämpften Ansicht in Deutschland einen Musterschutz erwirken, er könnte ohne jeden eigenen Erfindergedanken sich das Monopol für den Export des Artikels, an welchem tatsächlich auch nicht eine Spur von Neuheit vorhanden ist, sichern. Eine derartige, gewifs nicht beabsichtigte Auslegung würde doch die Anbahnung jedweder internationalen Gegenseitigkeit im Schutze des geistigen Eigentums erschweren, wenn nicht unmöglich machen. Es bleibt sonach nur die Auslegung des § 1 Abs. 2 Gebrauchsmusterschutzgesetzes als zutreffend übrig, dafs diese Gesetzes bestimmung keine Definition des Neuheitsbegriffes enthält, dafs sie keine Schlufsfolgerung dahin zuläfst: Jedes Muster und Modell mufs als neu gelten, wenn keiner

1) Vgl. Staub, Patentrechtl. Erörterungen S. 25. 2) Vgl. Mot. zu § 1 des Gebrauchsmusterschutzges.

der in § 1 Abs. 2 des Gesetzes erwähnten Tatbestände in Ansehung desselben vorliegt. Es mufs vielmehr unabhängig von dieser Bestimmung des § 1 Abs. 2 in erster Linie geprüft werden: „Ist das Muster neu?" Es mufs bei Bestreitung der Neuheit für den Nachweis Platz bleiben, dafs das Muster bekannt ist und der Schutzanspruch keine selbständigen und eigenartigen Abweichungen von Bekanntem enthält. Lediglich wenn einer der Tatbestände des § 1 Abs. 2 Gebrauchsmusterschutzgesetzes vorliegt, bedarf es einer näheren Nachprüfung, ob das Muster neu oder bekannt ist, nicht, denn dann ist es unter allen Umständen nicht schutzfähig.

Dieser hier vertretene Standpunkt wird jetzt auch von Prof. Dr. Allfeld im Kommentar zu den betr. Ges. geteilt, zum Teil mit ähnlicher Begründung wie die obige. Rechtsanwalt Dr. Cantor, Karlsruhe i. B.

Das Recht des Verteidigers auf Einsicht der staatsanwaltschaftlichen Ermittelungsakten. Die hierüber von RA. Dr. Mamroth S. 210 d. Bl. zur Diskussion gestellte Frage darf nicht lediglich aus § 147 StrPO., mufs vielmehr systematisch zugleich aus den in §§ 167, 191 aufgestellten Grundsätzen über die Parteienöffentlichkeit beantwortet werden. Vor der förmlichen Anklage bestehen zwei bestimmte Stadien des Verfahrens, die die Voraussetzung für die Legitimation einer Verteidigung bilden: das Stadium des Ermittelungs-verfahrens, das mit der richterlichen Vernehmung des Beschuldigten zusammenfällt, und die förmliche Voruntersuchung. Bis zu dieser ist im Ermittelungsverfahren der Staatsanwalt wie dominus litis so auch dominus actorum. Die §§ 147, 138 StrPO. stellen zugunsten der Rechtsanwälte und Rechtslehrer an deutschen Hochschulen Privilegia dar, die ausdehnend nicht auszulegen sind; insbesondere wird in § 147 ein jus singulare insofern gewährt, als die Befugnisse dem Beschuldigten selbst nicht auch nicht dem Angeschuldigten im Sinne des § 155 zustehen.

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Diesen erwähnten Stadien entsprechen die Begriffe des Beschuldigten und des Angeschuldigten. Freilich haben weder Gesetz noch Rechtsprechung des RG. (Urt. v. 2. März 1899, Bd. 32 S. 73) die Frage geklärt, wann der prozefsrechtliche Begriff „Beschuldigter" geschaffen werde; es erhellt jedoch, dafs erst durch die Ladung des Beschuldigten gemäfs §§ 133, 136 die „Lage des Verfahrens hergestellt wird, derer § 137 für die Bestellung eines Verteidigers gedenkt. Wenn nun nach dem Wortlaut des § 147 Abs. 3 vom „Beschuldigten" gesprochen wird, so kann diese Vorschrift, die schon nach ihrer Fassung weniger eine positive Satzung als vielmehr einen instruktionellen Hinweis enthält, nur aus dem Gesichtspunkt der Parteiöffentlichkeit und deshalb nur im Zusammenhang mit § 167 betrachtet werden. Hiernach hat allerdings auch im vorbereitenden Verfahren, soweit es zu einem_richterlichen gediehen ist, der Verteidiger Anspruch wie Mamroth es ausdrückt Einsicht der im § 147 Abs. 3 aufgeführten Teile der Akten. Diese Teile der Akten aber betreffen neben dem Protokoll über die Vernehmung des Beschuldigten im wesentlichen nur gewisse objektive Feststellungen, wie Explorationen, Einnahme des Augenscheins, die in der Hauptverhandlung nicht oder voraussichtlich nicht reproduziert werden können, und an denen teilzunehmen Beschuldigter und Verteidiger ohnehin berechtigt waren.

auf

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Amtsgerichtsrat Schneider, Brandenburg.

Das reichsländische Prefsrecht und Art. II der Reichsverfassung. Das Reichspressgesetz ist in Elsafs-Lothringen nicht eingeführt (§ 31 RPrG.). Durch Gesetz v. 8. Aug. 1898 sind vielmehr seine Vorschriften unter Streichung des für die reichsländischen Verhältnisse nicht passend erachteten § 14 und mit einem u. a. die Fortdauer der bisherigen Kautionspflicht für Zeitungen aussprechenden EinfGes. als Landesrecht eingeführt worden. Infolgedessen besteht für ihre Gültigkeit eine in ihrer Gestalt als Reichsrecht nicht für sie bestehende Schranke in Art. II Reichsverf. In Erkenntnis dessen wurde aufser § 14 auch der ganze Abschnitt über Beschlagnahme von Druckschriften gestrichen, weil das EG. z. StrPO. für das Verfahren in Prefssachen keinen Vorbehalt für das Landesrecht kennt, die Einführung jener prozessualen Bestimmungen als Landesrecht also unmöglich war. Der Einflufs des Art. II RVerf. reicht aber noch weiter und weiht grundlegende andere Bestimmungen des Landespressgesetzes der Ungültigkeit.

1. Der vom LPrG. übernommene § 20 stellt in Abs. 2 die Vermutung dafür auf, dafs der Redakteur die Veröffentlichung vorsätzlich vorgenommen habe.') Kann das Landesrecht eine derartige Vermutung aufstellen? Die Frage hat das RG. (Bd. 20 S. 321) für eine dem § 202 PrG. genau entsprechende Vorsatzpräsumtion eines preufs. Spezialdelikts längst verneint, weil eine jede Präsumtion eine prozessuale Norm, nämlich eine Einschränkung der freien Beweiswürdigung, darstelle. Von dieser Auffassung der Vermutungen als Prozefsnormen aus, die übrigens für § 202 PrG. ebenfalls in der zit. Plenarentscheidung ausgesprochen ist, ist § 202 des Landesprefsges. in vollem Umfang ungültig aus denselben Gründen, die der Einführung der Bestimmungen über Beschlagnahme entgegenstanden. Zweifelhaft ist nun allerdings, ob nicht, entgegen dem RG., die Rechtsvermutungen an sich dem materiellen und nicht dem Prozefsrecht angehören. Nimmt man letzteres an, so ist § 202 allerdings gültig, soweit er bei Begehung landesrechtlicher Delikte durch die Presse Anwendung heischt, nicht aber, soweit es sich um reichsrechtliche Delikte handelt. Art. II els.-lothr. EG. z. StrGB. (sachlich übereinstimmend mit § 2 Reichseinf.-Ges.) gestattet dem Landesrecht nur, „besondere Vorschriften über die durch das StrGB. nicht berührten Materien, namentlich über strafbare Verletzungen der Prefspolizei- usw. Gesetze“ zu treffen. Hiernach kann (mangels Einführung des RPrG.) das els.-lothr. Landesrecht Spezialprefspolizeidelikte schaffen, wie es dies auch u. a. durch landesrechtliche Einführung der §§ 18, 19 PrG. getan hat, und für diese wie für seine übrigen Spezialdelikte nach der mit Recht herrschenden Meinung auch allgemeine Bestimmungen abweichend vom StrGB. treffen; nicht aber vermag das Landesrecht für Delikte des Reichsrechts, Beleidigung, Aufreizung zum Klassenbafs usw. zu bestimmen, dafs eines ihrer vom StrGB. geforderten Tatbestandsstücke bei Begehung durch die Presse nicht festgestellt werden müsse, sondern vermutet werde. Auch von dieser Auffassung aus ist also § 202 LPrG. in den praktisch wichtigsten Fällen ungültig.

Der Wegfall der Vorsatzpräsumtion hat die praktische Folge, dafs dem Redakteur die vorsätzliche Veröffentlichung nachgewiesen werden mufs. Bestehen Zweifel, ob er den Artikel wirklich vorsätzlich veröffentlicht hat oder nicht an seiner Prüfung verhindert war, so tritt im Gebiet des Reichsrechts Bestrafung als Täter ein, denn die Vermutung des § 202 ist zwar erschüttert, aber nicht widerlegt; im Gebiet des Landesrechts mufs Freisprechung eintreten, denn: non liquet!

1) Plenarentsch. d. RG. XXII S. 65 ft.

2. Hat die Urgültigkeit des § 202 LPrG. eine wesentliche Erschwerung der Strafverfolgung gegenüber dem Reichsrecht zur Folge, so stellt die einer anderen Bestimmung umgekehrt die Presse für das Gebiet des Reichslands erheblich ungünstiger als für das des übrigen Reichs: 22 PIG., der für alle Prefsdelikte sechsmonatige Verjährung statuiert, ist ebenfalls übernommen. Kann das Landesrecht für Delikte des gemeinen Rechts eine Sonderverjährung einführen, soweit sie durch die Presse begangen werden? Die Frage stellen heifst sie verneinen: § 22 LPrG. ist ungültig, soweit er auf reichsrechtliche Delikte angewandt sein will, er ist nur gültig, soweit die Verjährung von landesrechtlichen Vergehen in Frage steht. Den Nachteil dessen wird ev. nicht nur die reichsländische Presse zu tragen haben: Da wohl jede bedeutendere deutsche Zeitung Abonnenten im Reichslande hat, so ist das durch sie begangene Prefsdelikt nach bekannter Rechtsprechung auch dort begangen und unterliegt insoweit der ordentlichen Verjährung des StrGB. Dies wird ohne weiteres praktisch, wenn nach § 7 Abs. 2 Satz 2 der StrPO. der im Reichsland wohnende Beleidigte an seinem Wohnsitz Privatklage erhebt. Für andere Fälle scheint zwar die Ausschliefslichkeit des Gerichtsstands ihres Erscheinungsortes eine Gewähr zu bieten, dafs sie nach Ablauf der kurzen Verjährung nicht mehr verfolgbar sind; aber aus dem m. E. richtigen Standpunkt des RG.,1) wonach jene Ausschliesslichkeit zessiert, wenn die Handlung nach dem Recht des Erscheinungsortes überhaupt nicht strafbar ist, scheint mir unmittelbar zu folgen, dass Pressdelikte der altdeutschen Presse trotz oder gerade infolge des Eintritts der kurzen Verjährung nunmehr an ihrem reichsländischen Auch-Begehungsort verfolgbar sind, weil eben die Verfolgung am Erscheinungsort ausgeschlossen, das Delikt selbst aber, soweit im Reichsland begangen, noch unverjährt ist. Wie nahe oder wie entfernt tatsächlich diese Gefahr liegt, ist selbstverständlich gleichgültig!

3. Noch zu erörtern bleibt eine zwar nicht dem Reichsrecht entlehnte, aber besonders wichtige Bestimmung des EG. Dieses bestimmt im Anschlufs an das frühere Recht, dafs die vom Eigentümer einer politischen Zeitung zu stellende Kaution für Strafen des Redakteurs hafte, und statuiert damit einen Fall der Haftung eines dritten für eine erkannte Strafe. Hat das Landesrecht die Macht, eine solche Haftung zu statuieren? Ja für die Landesspezialdelikte, nein für die reichsrechtlich geregelten Deliktsmaterien, denn insoweit läge ein Eingriff in das Reichsrecht vor.. Was auch der bestrittene Charakter der Haftung dritter sein mag, das steht fest, dafs die Haftung immer in engstem Zusammenhang mit der Hauptstrafbestimmung steht und getroffen wird. Daraus aber folgt, dafs das Schweigen des StrGB. über eine Haftung dritter bei seinen Delikten ein schlüssiges ist, d. h. eine solche Haftung ausschliefst, dies um so mehr, als das StrGB. in § 30 eine einschlägige Frage regelt.2) Sonach aber ist § 4 EG. z. LPrG. ungültig, soweit er die Kaution für Strafen eines andern als des Bestellers haften läfst.

Ist das Ausgeführte richtig, so ist wohl auch das Urteil gerechtfertigt, dafs das gesetzgeberische Experiment von 1898 innerlich verfehlt war und dafs Abhilfe nur auf einem Wege möglich ist, nämlich durch Einführung des PrG. als Reichsgesetz.

Rechtsanwalt Schweizer, Strafsburg i. E.

Zur Auslegung des § 808 Abs. 1 ZPO. Im Bezirke des Amtsgerichts Elberfeld pflegt der Gerichtsvollzieher

1) Entsch. 36 S. 252, 270.

2) Dieselbe Argumentation in einer Entsch. des OLG. Kolmar, Jur.-Z. f. Els.-L. XIX S. 446.

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