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meine Grundsätze des allgemeinen Strafrechts „a ausgeschaltet und preisgegeben werden müssen, und den Begriff des Rückfalls" auf geschäftliche Unternehmungen zu übertragen, die im eigenen Lande straffrei, erlaubt und sogar erwünscht sind, bei Ueberschreitung der Landesgrenze aber strafbar sind. Vorderhand reicht unser bisheriges Gesetz völlig aus, und wenn den Gerichten der Vorwurf gemacht wird, dafs sie zu leicht geneigt sind, nur ein „fortgesetztes Lotterievergehen anzunehmen, so liegt dies einmal in der Schwierigkeit der Feststellung, wieviel Einzelfälle vorliegen, und aufserdem daran, dafs solche Strafen zwar dem Staatssäckel willkommen sein mögen, nicht aber dem Volksempfinden entsprechen, welches für die Logik partikularistischer Spielverbote offenbar kein Verständnis hat.1)

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2. Das geplante Reichsgesetz über die Wetten bei öffentlichen Pferderennen" ist dagegen eine Neuerung; es richtet sich in seinen Strafbestimmungen zunächst gegen diejenigen, die ohne die vorgeschriebene Erlaubnis einen Totalisator betreiben, dann aber in § 6 No. 2 gegen den, der ,,den Vorschriften des § 3 zuwiderhandelt“. In dieser unscheinbaren Bestimmung liegt offenbar der Schwerpunkt und Kern des Gesetzes. Es heifst in § 3:

„Das geschäftsmäfsige Vermitteln von Wetten für öffentlich veranstaltete Pferderennen ist nicht gestattet.

Aufforderungen und Angebote zum Abschlufs oder zur Vermittelung solcher Wetten sind verboten, wenn sie öffentlich oder durch Verbreitung von Schriften oder anderen Darstellungen erfolgen.“

Die Vorschrift des § 6 No. 1 hat schwerlich praktische Bedeutung, denn dafs jemand ohne die vorgeschriebene Erlaubnis einen Totalisator auf einem Rennplatze betreiben wird, ist kaum anzunehmen, namentlich wird kein Rennverein sich einer solchen Torheit schuldig machen. Wohl aber hat § 6 No. 2 praktische Bedeutung, und niemand wird leugnen, dafs sie ihren guten Grund hat, nicht nur, weil die zahllosen kleinen Privatwettbureaus, welche von Zigarrenhändlern und dergleichen nebenbei betrieben werden, die Spielleidenschaft der ärmeren Volkskreise in raffinierter Weise anreizen und ausbeuten, sondern auch, weil sie den Reichsfiskus erheblich schädigen. Bekanntlich besteht zur Zeit, nachdem der Totalisatorstempel im Jahre 1894 auf 10% festgesetzt und im Jahre 1900 sogar auf 20% vom Nennwert der Tickets erhöht war, ein Anrecht des Reichs auf einen Teil aller Wetteinlagen am Totalisator und diese Einnahmen des Fiskus sind trotz der Erhöhung des Stempels im Rückgang begriffen, aber nicht deswegen, weil die Wettleidenschaft des Volkes abgenommen hat, sondern weil die. Privatwettbureaus, die den Abgabestempel sich ersparen, die offizielle Wettmaschine für alle diejenigen, denen nicht an den Rennen, sondern nur am Wetten gelegen ist, entbehrlich machen. Diese Einnahmen müssen also wieder erhöht werden, und das soll dadurch geschehen, dafs dem obrigkeitlich

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1) S. hierzu die Broschüre des Elberfelder Landgerichtsrats Theisen: Staatslotterie und Reichsgericht", Elberfeld 1904, und das Urt. d. OVerwGerichts in DJZ. Bd. VII S. 203.

genehmigten Totalisator ein Monopol für alle Wettrennen geschaffen wird, wegen dessen jede Konkurrenz unter Strafe gestellt werden mufs. Dafs dies die eigentliche Absicht der Gesetzvorlage ist, geht auch daraus hervor, dafs sie gleichzeitig bestimmt, es sollten auch diejenigen Totalisatoren zu der Abgabe herangezogen werden, welche bisher, weil ihre Benutzung auf die Mitglieder des Vereins, der solche Wettmaschinen eingeführt hatte, beschränkt war, unbesteuert hatten bleiben müssen.

Es sind also hauptsächlich fiskalische Interessen, die der Entwurf fördern will, und gewifs soll dem Unwesen der Privatwettbureaus Einhalt geboten werden, gewifs sollen auch die Pferderennen im Interesse der Landespferdezucht und im Interesse guter Remonten für die deutsche Armee gefördert und unterstützt werden; aber der Grundgedanke ist doch der, dafs das Reich in seinen Stempeleinnahmen keinen Verlust durch unlauteren Wett-Wettbewerb erleiden soll. Darum wird die Wettmaschine unter besonderen strafrechtlichen Schutz gestellt, und diese Veranstaltung, die ursprünglich als eine verwerfliche und unmoralische Einrichtung erschien, soll jetzt vom Staate protegiert werden, von demselben Staate, der ihr zugleich eine Abgabe auferlegt hat, die für seine Finanzen nützlich ist. Dass dies inkonsequent ist, liegt auf der Hand. Gerade die Abneigung des Publikums gegen die Stempelsteuer der Totalisatorbillets hat die Winkel-Wettbureaus zum Aufblühen gebracht, und konsequent wäre es daher, wenn diese Steuer ganz beseitigt würde, da dann jeder den Totalisator als absolut reelle Einrichtung bevorzugen würde. Aber man hat diese Stempelabgabe seinerzeit „aus moralischen Gründen" eingeführt, und darum kann man sie nun nicht gut wieder aufheben. Ist aber der Totalisator eine ,unmoralische" Veranstaltung, dann ist es schwer, eine Strafe gegen denjenigen zu rechtfertigen, der dieser Anstalt Konkurrenz macht. Man sollte freilich, sagte der Landwirtschaftsminister, die Moral „nicht allzusehr in den Vordergrund rücken“, aber andererseits sollte man auch nicht den fiskalischen Hauptzweck der Vorlage allzusehr in den Hintergrund rücken. Nicht das aufregende Schauspiel der Pferderennen oder die Hebung der Pferdezucht ist das Rechtsgut, welches durch Strafen geschützt werden muss, auf den Massenbesuch wettlustigen Publikums bei diesen Veranstaltungen kommt es an, und je mehr hier die Wettmaschine benutzt wird, desto mehr Stempeleinnahmen fliefsen dem Reiche zu. Dieser unausgesprochene, aber doch im Wesen jeder solchen Steuer begründete Zweck der Vorlage wird auch nicht dadurch widerlegt, dafs dieselbe bestimmt, es solle die Hälfte des Abgabenertrages den Vereinen, die das betr. Rennen veranstalteten, überwiesen werden. Denn dieses beabsichtigte Geschenk soll durch die Heranziehung der bisher unbesteuerten Vereinstotalisatoren wieder ausgeglichen werden, auch sind voraussichtlich die Einnahmen der Wettmaschinen nach Beseitigung der illoyalen Konkurrenz der Winkelbureaus so aufser

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ordentlich hohe, dafs von den Rennvereinen infolge der Ueberweisung der Ertragshälfte auf die bisherigen Staatsprämien verzichtet werden kann.

Näher auf die beiden hier besprochenen Vorlagen einzugehen, dürfte sich erübrigen, da beide einer besonderen Kommission überwiesen wurden, aus der sie, wie zu erhoffen ist, nicht ohne erhebliche Aenderungen hervorgehen werden. Das eine aber ist schon jetzt ersichtlich, dafs weder das Lotteriespiel noch die Wettmaschine im Prinzip angegriffen werden sollen, im Gegenteil vielmehr sowohl Preufsen wie das Reich bestrebt sind, diese Einrichtungen zu schützen und sie als Einnahmequellen fernerhin zu akzeptieren. Dafs dieses Bestreben Preufsens nicht gerade dazu dient, den Gedanken deutscher Reichseinheit zu kräftigen, ist richtig, mufs aber, solange nicht eine deutsche Lotteriegemeinschaft geschaffen werden kann, als notwendiges Uebel vorläufig in den Kauf genommen werden, weil keinem Finanzminister zugemutet werden kann, eine Einnahme von 9 Millionen ohne Ersatz preiszugeben. Aber dafs man, um die Finanzen des Reiches gegen die Konkurrenz kleiner Ladenbesitzer zu schützen, ein neues Strafgesetz einführen will, kann nicht als notwendig anerkannt werden, abgesehen davon, dass, wenn dieser Vorschlag Gesetz würde, noch keineswegs die Konkurrenz ausländischer Wettbureaus beseitigt wäre, denen gegenüber die deutschen Gerichte machtlos wären. Es handelt sich bei dem Vorschlage der Reichsregierung um kein Rechtsgut des Staats oder der Bürgerschaft, dessen Verletzung durchaus verfolgt und bestraft werden mufs; auch polizeiliche Gründe für die Vernichtung eines allerdings tadelnswerten Gewerbes lassen sich nicht anführen, da alles, was gegen die Förderung der Spielwut gesagt werden kann, auch gegen die offiziellen Wettvermitteler geltend gemacht werden kann, und es bleiben. also nur finanzpolitische Gründe, die für diesen neuen Strafparagraphen ins Feld geführt werden. können. Diese reichen aber nicht aus, um ein so einschneidendes Strafgesetz zu rechtfertigen, welches jede einzelne Wettvermittelung, ja schon jedes öffentliche Angebot einer solchen Vermittelung mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 1500 M. bedroht. Eine Begründung für die Höhe dieser Strafe gibt der Entwurf nicht, der überhaupt nach der strafrechtlichen Seite wenig zureichend erscheint. Viel besser erscheint freilich der preufsische Entwurf auch nicht begründet.

Die Haftpflicht der Beamten unter Berücksichtigung der neuen Rechtsprechung. 1)

Vom Landgerichtsrat Dr. Delius, Berlin.

Hat ein Beamter in Ausübung seiner amtlichen Verrichtungen oder infolge Unterlassung derselben jemandem einen Schaden zugefügt, so fragt sich, wer hat für denselben aufzukommen. Haftet der Beamte oder haftet der Staat bezw. die öffentlich

1) Vgl. auch Delius, Haftpflicht der Beamten, Berlin 1901.

rechtliche Korporation, in deren Diensten der Beamte steht; haftet der Staat usw. primär oder nur subsidiär? Die Frage beantwortet sich verschieden, je nachdem der Beamte in Ausübung der ihm anvertrauten privatrechtlichen Verrichtungen oder der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt gehandelt hat. In Ausübung der öffentlichen Gewalt handelt der Beamte dann, wenn die Ausübung von Rechten und Erfüllung von Pflichten in Frage steht, welche ihre Quelle nicht im Privatrecht haben, bei denen der Staat nicht als Fiskus, als Subjekt von Privatrechten, sondern als Inhaber von Hoheitsrechten oder der oder einer Regierungsgewalt in Betracht kommt. Hier greift der Staat auf Grund seiner obrigkeitlichen Machtbefugnisse in der Form von Urteilen oder verbindlichen Beschlüssen bezw. Verfügungen in die Rechtssphäre seiner Untertanen ein. Bei Wahrnehmung der sonstigen staatsdienstlichen Funktionen besteht kein Herrschaftsverhältnis, kraft dessen einseitig Rechtsverhältnisse geschaffen werden, vielmehr stehen sich der Staat und das Publikum als koordinierte Subjekte gegenüber. Dies gilt in den Fällen, wo der Staat als Fiskus in privatrechtliche Beziehungen tritt, wie ein Privater gewerbliche Unternehmungen betreibt (Eisenbahnen, Post- und Telegraphenanstalten, Bergwerke, Salinen, Tabak- und Porzellanfabriken usw.), oder wo die einzelnen Behörden des Staates zur Erfüllung der ihnen zugewiesenen Staatsaufgaben genötigt sind, nebenher privatrechtliche Geschäfte abzuschliefsen (Arbeits-, Lieferungsverträge usw.). Ein Beamter kann sowohl privatrechtliche wie öffentlich-rechtliche Funktionen zu erfüllen haben. Der Landgerichtspräsident ist Richter und schliefst zugleich namens des Justizfiskus Verträge, z. B. über Lieferung von Materialien, ab. Es ist nicht immer zweifelsfrei, ob eine einzelne Funktion des Beamten aus dem öffentlichen Recht entspringt oder aus dem Privatrecht.1)

I. Handelt der Beamte in Ausübung der ihm anvertrauten privatrechtlichen Verrichtungen, so kommt $89 BGB. in Verbindung mit § 31 BGB. zur Anwendung. Insoweit ist für alle (Reichs- und Staats-) Beamten ein einheitliches Reichsrecht geschaffen. Es haftet somit der Fiskus ebenso wie jede andere öffentlich-rechtliche Korporation gleich der privaten juristischen Person für jeden Schaden, den ein verfassungsmäfsig berufener Vertreter in Ausübung der ihm im privatrechtlichen Verkehr zustehenden Verrichtungen durch eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung (Unterlassung) einem dritten zufügt. Auch für unerlaubte Handlungen tritt Haftung des Staates usw. ein.

Die Haftpflicht des Staates setzt nicht voraus, dafs die Beamten den Staat rechtsgeschäftlich zu vertreten befugt sind, sondern es genügt, dafs die Dienstverrichtungen der Beamten freien Spielraum für selbständige Entschliefsungen lassen. Die Haftpflicht tritt ferner überall da ein, wo der Beamte

1) Vgl. RG. v. 14. Nov. 1901 (Jur. Wochenschr. 1902 S. 83) sowie v. 29. Juni 1903 (Entsch. Bd. 55 S. 171) und andererseits OLG. Kolmar 17. Juni 1902 (Rechtspr. d. OLG. Bd. 5 S. 246.)

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durch seine Amtshandlungen in privatrechtliche Beziehungen zu einzelnen Beteiligten tritt (RG. v. 1. März 1902; Jur. Woch. 1902 S. 226).

„Vertreter ist nicht nur das Willensorgan, das in aller und jeder Beziehung an Stelle der juristischen Person tritt, sondern auch das, welches nur in einer oder einzelnen Beziehungen die Willensentschliefsungen der juristischen Person zu fassen hat. Ein Strafsenkontrolleur, der selbständig über die Verkehrssicherheit der Strafsen zu urteilen hat, kann deshalb Vertreter sein." (OLG. Stettin 11. Juli 1902, Rechtspr. Bd. 5 S. 376.)

Neben §§ 89 (31) BGB. bleiben gemäfs Art. 32 Einf.-G. z. BGB. die §§ 453 ff. HGB. über die beschränkte Haftpflicht der Eisenbahnen1) sowie die für Post und Telegraphie mafsgebenden, die Haftpflicht einschränkenden Vorschriften 2) in Kraft.

Auch für die unerlaubten Handlungen ihrer Bediensteten, z. B. Unterschlagungen von Wertgegenständen, haftet die Post nicht. Das OLG. Stuttgart (Urt. v. 30. Jan. 1903; D. J.-Ztg. 1903 S. 131) erklärt den § 831 BGB. auf die Haftung der Post für nicht anwendbar und führt aus, dafs das Postgesetz v. 28. Oktober 1871 die Haftung der Post vielmehr in dem Sinne regele, dafs jede Haftung der Postverwaltung ausgeschlossen sein soll, die sich nicht aus den Bestimmungen des Postgesetzes ergibt, also auch eine etwa aus landesgesetzlichen Bestimmungen abzuleitende Haftung für unerlaubte Handlungen von Angestellten. In einem französisch-rechtlichen Falle hat das Reichsgericht (Entsch. i. ZS. Bd. 19 S. 101) auf Grund des Art. 1384 Cod. civ. das Gegenteil angenommen.

Wenn Eisenbahn, Post und Telegraphie nicht haftbar sind, so kann der Geschädigte den schuldigen Beamten auf Grund des § 839 BGB. in Anspruch nehmen. 3)

Das Reichsgericht') hat eine Haftpflicht des Staates angenommen für den Verlust von Gegenständen (Karten, Urkunden usw.), welche im Prozess eine Partei auf Anordnung des Richters auf der Gerichtsschreiberei niedergelegt (Urt. v. 22. April 1902; Entsch i. ZS. Bd. 51 S. 219), bezw. eines Buches, das eine Partei in einem Prozesse dem Gericht übergeben hatte (Urt. v. 8. Febr. 1901; Jurist. Woch. 1901 S. 191 No. 13). Es wird dort anerkannt, dafs auch bei Gelegenheit der Ausübung eines Staatshoheitsrechtes und zur Unterstützung der Ausübung desselben privatrechtliche Verhältnisse zustande kommen können". „Mag man dieses Verhältnis als ein stillschweigend geschlossenes vertragsartiges, dem Verwahrungsvertrage ähnlich oder gleich zu erachtendes Rechtsverhältnis bezeichnen, jedenfalls haftet der Staat aus ihm dem Kläger unmittelbar für die Rückgabe der Gegenstände, sofern er nicht beweist, dafs sie durch ein von ihm nicht 1) Vgl. auch § 25 des preufs. Eisenbahnges. v. 3. Nov. 1838 und Art. 42 Einf.-G. z. BGB. 2) Auch die Zollbehörde haftet für die ihr zur zollamtlichen Behandlung übergebenen Poststücke nur in demselben Umfange wie die Post. (RG. VI. ZS., 14. 2. 1901, Entsch. Bd. 48 S. 256.)

3) Auch in den Fällen, wo der Staat gemäfs § 89 BGB. haftet, kann der Geschädigte an sich den Beamten ebenfalls in Anspruch nehmen. Dieser Fall dürfte aber kaum praktisch werden.

4) Auch der I. Zivilsenat (Bolze, Praxis Bd. 3 No. 311) hat schon früher ausgeführt, dafs der Staat für den Verlust von Sachen, die beschlagnahmt waren, aus einem quasikontraktlichen Verhältnis hafte.

zu vertretendes Ereignis ihm abhanden gekommen sind."

Darf der Staat den Geschädigten im Falle des § 89 BGB. nicht an den schuldigen Beamten verweisen, so ist er doch seinerseits nicht gehindert, wegen der Summen, welche er hat zahlen müssen, gegen den schuldigen Beamten Regrefs zu nehmen. Mafsgebend ist gemäfs Art. 32 Einf.-Ges. z. BGB. das öffentliche Recht des betreffenden Bundesstaats. Für das Gebiet des preussischen Landrechts kommen in Betracht die §§ 88 ff. II, 10 ALR. (Vgl. auch Art. 80 Einf.-Ges. z. BGB.)

II. Ueber die Haftung für den Fall, dafs der Beamte in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt einen Schaden angerichtet, hat der Reichsgesetzgeber eine Vorschrift nicht getroffen, vielmehr diesen Punkt gemäfs Art. 77 Einf.-Ges. z. BGB. der landesgesetzlichen Regelung überlassen. Nur eine Ausnahme enthält § 12 der Grundbuchordnung v. 24. März 1897, welcher die im § 839 BGB. bestimmte Verantwortlichkeit an Stelle der Grundbuch-Beamten1) dem Staat aufbürdet. Ueber den Regress des Staates bestimmen wieder die Landesgesetze. 2)

In Preufsen wird für das Gebiet des Allg. Landrechts die Haftung des Staates für seine Beamten3) verneint, im Gebiete des gemeinen Rechts aber von der Rechtsprechung anerkannt; der durch Art. 89 AG. z. BGB. aufrechterhaltene Art. 1384 Code civil ordnet sie ausdrücklich an. (RG. 16. Febr. 1903, E 54, 19).

Andere Staaten') erklären den Staat in erster Linie für den entstandenen Schaden haftbar (z. B. Bayern, Württemberg, Baden) und gestatten den Regrefs gegen den Beamten. Eine dritte Gruppe läfst den Staat als Bürgen haften (z. B. Hessen, Weimar, Schwarzburg-Sondershausen, Reufs ältere Linie).

Ueber die Haftung des Beamten selbst entscheidet wieder Reichsrecht, nämlich der § 839 BGB. Für diejenige des Vormundschaftsrichters sind ferner noch die §§ 1674 u. 1848 BGB. mafsgebend.

Ueber die Haftpflicht der Gerichtsvollzieher erhalten sich die Erkenntnisse: RG. 10. März 1902, Sächs. Archiv Bd. 12 S. 219 ff., 1. Mai 1902, Entsch. i. ZS. Bd. 51 S. 259, 14. April 1902, Entsch. i. ZS. Bd. 51 S. 186, OLG. Köln, 8. Januar 1902, Recht Bd. 6 S. 508. Von grundsätzlicher Bedeutung ist das Urteil des OLG. Hamm, 8. Nov. 1901, Rechtsp. d. OLG. Bd. 4 S. 58, nach welchem durch die preufs. GVO. v. 1. März 1900 an der eigenen selbständigen Verantwortlichkeit der Gerichtsvoll

1) Die Tätigkeit des Amtsrichters als Grundbuchrichter und als Richter der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist scharf zu scheiden. Hat er den Schaden in letzterer Eigenschaft verursacht, so findet § 12 a. a. O. keine Anwendung.

2) Vgl. Delius S. 103 ft. u. S. 59. Art. 8 des preufs. Ausf.-G. z. BGB. beschränkt die Regrefsklage des Staates auf den Fall des groben Versehens.

3) Auch öffentlich-rechtliche Korporationen haften für ihre Beamten nicht.

4) Vgl. Delius, S. 16. Ausländern gegenüber haften die aufgeführten Staaten nicht unbedingt, nämlich nur dann, wenn der Heimatsstaat des Beschädigten auch deutschen Staatsbürgern gegenüber für den Schaden aufkommt, den seine Beamten einem Deutschen zugefügt haben.

zieher für den Betrieb der Zwangsvollstreckung und an der Haftung derselben für dabei begangene Versehen nichts geändert ist.

Die Haftpflicht der Notare betreffen die Urteile des RG. v. 20. Juni 1901, Jur. Woch. 1901 S. 582 u. Entsch. i. ZS. Bd. 49 S. 269, sowie v. 28. Juni 1901, Entsch. i. ZS. Bd. 49 S. 26.1)

Der § 839 verlangt eine vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung der Amtspflicht. Der Grad der Fahrlässigkeit ist gleichgültig (Urt. des RG. v. 14. April 1902 Entsch. i. ZS. Bd. 51 S. 191). Ob Fahrlässigkeit vorliegt, ist nach den Umständen des einzelnen Falles zu entscheiden. Der Prüfstein für die obligierende culpa ist nicht die Sorgfalt, welche ein ideal vollkommener Beamter anwenden würde, sondern diejenige, wie sie ein pflichtgetreuer Durchschnittsbeamter anzuwenden pflegt. Hauptfälle beamtlicher Verschuldung sind die Nichtbeachtung klarer Gesetze und allgemeiner Verwaltungsvorschriften, des Inhalts der Akten usw. Dafs ein Beamter die für sein Ressort gegebenen Bestimmungen kennen mufs, ist selbstverständlich. Nicht allein tatsächlicher, sondern auch rechtlicher Irrtum kann ersatzpflichtig machen (Urt. d. RG. v. 14. April 1902, Entsch. i. ZS. Bd. 51 S. 191). Dem OLG. Dresden (Urt. v. 13. Juni 1902, Rechtsp. d. OLG. Bd. 5 S. 214) wird jeder zustimmen, wenn es von dem Richter verlangt, dafs er die wichtigsten und gebräuchlichsten Rechtsbegriffe richtig erfafst hat und richtig zu handhaben versteht. Gibt z. B. ein Versteigerungsrichter zu den von ihm festgestellten Bedingungen rechtsirrige Erläuterungen ab, so wird ein Verschulden desselben nur dann zu verneinen sein, wenn er einer auch sonst verteidigten Rechtsmeinung folgt oder wenn er bei sorgfältiger Erwägung einer Rechtsfrage über die Bedeutung und Tragweite eines Rechtssatzes sich irrt, vorausgesetzt, dafs es sich nicht um Rechtsfragen handelt, in betreff deren eine Meinungsverschiedenheit kaum denkbar ist. 2)

Eine Amtspflicht kann nicht allein durch Gesetz, sondern auch durch Verfügung der vorgesetzten Behörden begründet werden.

Der Beamte haftet nun aber nicht wegen jeder schuldhaften Verletzung irgend einer Amtspflicht, sondern nur wegen Verletzung einer dem Beschädigten gegenüber bestehenden Amtspflicht. Den Gegensatz bilden diejenigen Amtspflichten, welche blofs das Verhältnis der Beamten zum Staate betreffen.

Das RG. (Urt. v. 20. Febr. 1902, Jur. Wochenschrift Beilage S. 214) sagt nun, dafs der Beamte auch für diejenigen seiner Amtshandlungen haftet, zu deren Vornahme er nicht unbedingt verpflichtet Es genügt, dafs der Beamte vermöge seiner Dienststellung nur befugt war, nach freiem oder 1) Die Haftpflicht des Rechtsanwalts für Versehen seines Bureauvorstehers erörtert RG. VII. ZS. 8. März 1901 (Entsch. i. ZS. Bd. 48 S. 59).

war.

2) Hiermit steht die Rechtsprechung des Reichsgerichts (Bolze, Praxis Bd. 7 No. 273, Bd. 9 No. 189, Jur. Wochenschr. 1888 S. 36 No. 91 u. Entsch. i. ZS. Bd. 40 S. 204) in Einklang. Wegen der Haftung eines nicht rechtskundigen Beamten vergl. OLG. Jena 5. März 1903 im Recht S. 209.

pflichtgemäfsem Ermessen amtlich zu handeln. Auch hier mufs er mit aller Sorgfalt verfahren. In dem betr. Falle hatten Beamte einem Kaufmann eine falsche Auskunft erteilt. Eine Pflicht, dieselbe zu erteilen, bestand für sie nicht.

Dieses Urteil hat in Beamtenkreisen grosses Aufsehen erregt. Es beruht aber wohl auf einer unrichtigen Auslegung des § 839 BGB. Dafs in der Erteilung der Auskunft eine „Amtshandlung" zu finden ist, kann nicht zweifelhaft sein. Allein eine einem dritten gegenüber bestehende Amtspflicht lag nicht vor. Amtshandlungen können freiwillig oder in Ausübung einer Pflicht vorgenommen werden. Auf diesen Unterschied mufs besonders Gewicht gelegt werden. Ferner ist aber, auch wenn eine Amtspflicht vorliegt, zu unterscheiden, ob sie einem dritten gegenüber besteht oder nicht.

Wollte man nun auch annehmen, dafs die Beamten der Auffassung gewesen wären, sie seien kraft ihres Amtes verpflichtet, Auskunft zu geben, so würde dies an den vorstehenden Ausführungen nichts ändern, denn ob eine Amtspflicht besteht, darüber entscheidet nicht das subjektive Ermessen des Beamten. Es ist vielmehr von dem Gericht, welches über den Schadensersatzanspruch zu befinden hat, zu prüfen, ob objektiv eine dem dritten gegenüber obliegende Amtspflicht vorhanden ist.

Aus demselben Grunde ist es gleichgültig, ob der Geschädigte der subjektiven Auffassung ist, es handle sich um Vornahme einer Amtspflicht im Sinne des § 839 a. a. O.

Die Haftung des Beamten ist, wenn ihm nur Fahrlässigkeit zur Last fällt, eine subsidiäre. Er kann in diesem Falle nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag. Das Reichsgericht (Urt. v. 14. April 1902, Entsch. Bd. 51 S. 186) entscheidet die Frage der Behauptungs- und Beweispflicht hinsichtlich dieser Voraussetzung nicht grundsätzlich, sondern führt nur aus:

„Keinenfalls könnte vom (Syndikats-) Kläger da, wo aus der von ihm dargelegten und von dem Gegner unbestrittenen Sachlage von vornherein erhellt, dafs für den Kläger die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit, auf andere Weise Ersatz zu verlangen, nicht in Frage kommt, ein weiterer Nachweis dieser Negative verlangt werden."

Die Ersatzpflicht des Beamten fällt unter Umständen weg, wenn das eigene Verschulden des Geschädigten konkurriert. Die Vorschrift des § 254 BGB. findet auch hier Anwendung, und es muss festgestellt werden, auf welcher Seite das überwiegende Verschulden liegt. Die Beweislast trifft, wie das Reichsgericht (Urt. v. 14. April 1902) zutreffend hervorhebt, den Beamten, sofern nicht das eigene Verschulden des Klägers aus der Sachlage sich ergibt.

Nur in einem Falle schafft das BGB. an Stelle der relativen Norm des § 254 eine absolute Norm, nämlich im § 839 Abs. 3. Die Ansicht, dafs der Abs. 3 sich nur auf die Vorschrift des § 839 Abs. 2 beziehe, ist unzutreffend.

Haben mehrere Beamte die ihnen obliegende

Amtspflicht verletzt und ist die Pflichtverletzung eines jeden für den entstandenen Schaden kausal gewesen, so haften sie gemäfs § 840 Abs. 1 BGB. als Gesamtschuldner (RG. VI. ZS. 1. Mai 1902, Entsch. Bd. 51 S. 259).

„Wäre in diesem Falle der § 839 Abs. 1 Satz 2 anzuwenden, so könnte ein jeder der mehreren Beamten, da ihnen nur Fahrlässigkeit zur Last fällt, geltend machen, dafs der Beschädigte erst nachweisen müsse, dafs er von dem anderen Teile Ersatz nicht erlangen könne. Der Beschädigte würde also keinen der Beamten in Anspruch nehmen können, wenn nicht zufällig der eine von ihnen zum Ersatz des Schadens nicht im stande sein sollte. Das Resultat wäre so widersinnig, dafs es zweifellos vom Gesetzgeber nicht gewollt sein kann. Die Haftung aus § 840 Abs. 1 erleidet auch keine Aenderung, wenn der eine Beamte bereits rechtskräftig zum Schadensersatz verurteilt ist, denn ein solches Urteil begründet keine neue Verpflichtung, sondern stellt nur fest, dafs der vom Beschädigten geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz wirklich vorhanden ist, und wirkt deshalb bei einem Gesamtschuldverhältnisse nur gegen den Gesamtschuldner, gegen den es ergangen ist, nicht aber zugunsten eines anderen Gesamtschuldners (§ 425 Abs. 2 BGB.)."

Im Interesse der zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung unentbehrlichen Unabhängigkeit der Gerichte und der Fernhaltung aller Beeinträchtigungen der Unbefangenheit der Richter hat § 839 Abs. 2 für denjenigen Beamten, welcher bei dem Urteile. in einer Rechtssache seine Amtspflicht" verletzt, eine geminderte Haftung festgesetzt.

Der Entwurf lautete: „Ein Beamter, welcher bei der ihm obliegenden „Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache" seine Amtspflicht verletzt . . .“ Erst bei den Reichstagsverhandlungen wurden auf Antrag des Abgeordneten Auer die Worte „Leitung oder" gestrichen, weil das Privileg sich lediglich auf die Entscheidung beziehen dürfe, und auf Antrag des Abgeordneten Gröber die Worte ,,bei der Entscheidung einer Rechtssache" ersetzt durch „bei dem Urteil in einer Rechtssache".

Das OLG. Köln (Urt. v. 8. Januar 1902, im „Recht 1902 S. 208, No 971) hat das Privileg des Spruchrichters auf die eigentlichen Urteile (Endurteile, Zwischenurteile, Teilurteile) Teilurteile) beschränkt. Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden. Ein bestimmter Wille des Gesetzgebers ist aus den Materialien nicht zu entnehmen. Der Begriff „Urteil“ mufs also selbständig ausgelegt werden. Die bisherige Streitfrage, ob bei der Entscheidung reiner Rechtsfragen auch der Grundbuchrichter das Privileg des Spruchrichters habe, fällt jetzt, da der § 839 Abs. 2 auf die streitige Gerichtsbarkeit beschränkt ist. Vgl. Brettner im „Recht" 1902 S. 430, a. M. Dernburg, System Bd. 3 S. 102. Die restriktive Interpretation führt dazu, dafs den Mitgliedern der Seeämter und der Schiedsgerichte in Versicherungssachen das Privileg versagt bleibt, weil diese Behörden kein „Urteil“ fällen, sondern nur einen Spruch bezw. eine Entscheidung" erlassen. Bei den ordentlichen Gerichten würde die Haftung verschieden sein bei Auferlegung des Eides durch Beweisbeschlufs oder durch bedingtes Endurteil, bei

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Ablehnung des Erlasses eines Versäumnisurteils (Beschlufs) oder bei Erlafs desselben usw. Derartige Widersinnigkeiten kann der Gesetzgeber nicht gewollt haben. Richtiger Ansicht nach fallen unter den Begriff „Urteil" aber auch diejenigen materiellen Entscheidungen1), welche die Endentscheidung vorbereiten und auf Findung derselben abzielen. Warum soll der Richter, welcher sofort das Urteil fällt, milder haften als derjenige, welcher vorsichtigerweise erst einen Beweisbeschlufs erläfst, um eine bessere Unterlage für seine Entscheidung zu bekommen?

Das Privileg des Spruchrichters erstreckt sich selbstverständlich nur auf diejenige Tätigkeit, welche eine Beurteilung erfordert („in judicando“). Das Reichsgericht (Urt. v. 18. Januar 1897, Entsch. Bd. 38 S. 338) sagt allerdings bezüglich des preufsischen Rechts: „Ob das angebliche Versehen bei der Feststellung des Tatbestandes begangen ist, oder bei der Auslegung oder Anwendung des Gesetzes, oder endlich bei der Entscheidung selbst, macht keinen Unterschied." Dies dürfte für das neue Recht nicht uneingeschränkt gelten. Unrichtige Darstellung des Tatbestandes, z. B. fahrlässige Fortlassung von Parteianführungen, unterliegt der strengeren Haftung, denn hier übt der Richter nur eine referierende Tätigkeit aus, er judiziert nicht.

Für die Haftung des Reichsbeamten bezw. des Reichsfiskus ist mafsgebend das an dem amtlichen Wohnsitze des Beamten für die Staatsbeamten geltende Landesrecht (§ 19 des Reichsbeamtengesetzes). Der Reichsfiskus ist dem betr. Landesfiskus gleichgestellt (RG. VI 30. März 1903, Jur. Woch. S. 65.) Nach dem Urteil des OLG. Karlsruhe (I. ZS.) v. 5. Juli 1902 soll das Recht des Begehungsortes in der Weise entscheiden, dafs der Beschädigte, wenn die schädigende Handlung in einem Bundesstaate begonnen wurde, der Erfolg derselben aber auf dem Gebiete eines anderen eingetreten ist, das ihm günstigste Recht auswählen darf.

In Kraft geblieben sind die Vorschriften des Landesrechts, welche vor Anstrengung des Prozesses gegen den Beamten eine Vorentscheidung gestatten bezw. verlangen (in Preufsen z. B. des Oberverwaltungsgerichts; Gesetz v. 13. Febr. 1854; GS. S. 86). Vgl. auch § 11 EG. z. GVG. Auch § 6 preufs. Ges. v. 11. Mai 1842 besteht noch zu Recht (Urt. v. 17. April 1902 Entsch. i. ZS. Bd. 51 S. 327). Massgebend für die Haftung des Staates bezw. Beamten ist das Recht desjenigen Rechtsgebietes, in welchem der Schadensersatzanspruch des Verletzten entstanden ist (OLG. Kolmar 22. Mai 1903, „Recht“ S. 341).

III. Zum Schlufs noch ein Gesetzes vorschlag für die primäre Haftung des Staates:

„Verletzt ein Beamter 2) des Staates, einer Gemeinde oder eines anderen öffentlich-rechtlichen Verbandes in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so

1) Nur der Inhalt ist privilegiert, nicht die Art der Ausführung, z. B. unrichtige Ladung eines Zeugen. 2) Einschliefslich der Notare.

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