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Bestimmungen wünschenswert sei, dafs aber der Entwurf dieselben in zu grofser Zahl in Aussicht nehme. Die Erörterungen in den Referaten und in der Diskussion beschäftigten sich des weiteren mit der Frage, ob in dem Gesetzentwurf mit Recht ein allgemeiner Teil den Vorschriften über die einzelnen Versicherungszweige vorangeschickt sei. Geltend gemacht ist nach dieser Richtung auch schon in den vielen gedruckten Beurteilungen des Entwurfes, dafs die innere Gestaltung der Versicherungszweige eine sehr verschiedene wäre, so z. B. bei der Feuerversicherung eine Tätigkeit des Versicherten im Schadensfalle zur Einengung des Schadens vielleicht gerechtfertigt, bei der Haftpflichtversicherung oft bedenklich sei (da der Versicherte hier vielleicht im besten Glauben vergleichsweise Ansprüche anerkennt, die nicht begründet waren), dafs bei diesen und manchen anderen Versicherungszweigen zwar die Anzeige vom Versicherungsfall dem Versicherten obliege, bei der Auslosungsversicherung aber der Versicherte überhaupt nichts zu tun, sondern der Versicherer gerade darüber zu wachen habe, ob ein Versicherungsfall eintrete. Die Versammlung schien hier einer Aufhebung des allgemeinen Teiles und dem Erlafs einer Reihe einzelner vollständiger Gesetze bezw. vollständiger Abschnitte über die verschiedenen Versicherungszweige zuzuneigen; doch dürfte wohl aus praktischen Gründen der Gesetzestechnik diese Gestaltung bedenklich erscheinen. Die Stellung des Entwurfes zum BGB. konnte leider bei der Fülle speziell versicherungsrechtlicher Fragen keinen Platz in den Referaten finden, soll aber in der Zeitschrift des Vereins besprochen werden.

Justizrat Gerhard, Berlin.

Neue Gesetze, Verordnungen u. dgl.

Deutsches Reich: Rkzlr.-Bk. v. 25. 11. 1903, bt. Notenwechsel zw. d. Ausw. Amte u. der Botschaft d. französ. Republ. i. Berlin v. 13. 7. 1903 über die zw. Deutschl. u. Frankr. am 19. 4. 1883 geschloss. 2. 6. Uebereinkunft z. Schutze v. Werken d. Literatur u. Kunst (R.Ges. Bl. S. 307).

Preussen: M.-Erl. v. 23. 11. 1903, bt. Beflaggung d. Dienstgebäude (Eisenb -Vo.-Bl. S. 359).

Sachsen: M.-Vo. v. 30. 11. 1903, bt. Kinderarbeit in gewerbl. Betrieben (Ges- u. Vo.-Bl. S. 572).

Württemberg: M.-Vf. v. 26. 11. 1903, bt. Verkehr mit Schlachtvieh u Fleisch (Reg.-Bl. S. 512).

Oldenburg: M.-Bk. v. 26. 11. 1903, bt. Befördrg, gefährl. Güter in Kauffahrteischiffen (Ges -Bl. f. d. Hzt. Old. S. 961).

Schwarzburg-Sondershausen: M.-Vo. v. 14. 11. 1903, bt. Abändrgn d. Ausf.-Vo. z. Einkommensteuerges. v. 11. 12. 1897 (Ges.-S. S. 85).

Bremen: Ges. v. 29 11. 1903, bt. einen Zusatz z. § 6 u. Aend. d. § 26 Abs. 2 d. Ausf.-Ges. z. BGB., sowie e. Zusatz z. Brem. Gerichtskostenges. v. 30. 12. 1899 (Ges.-Bl. S. 123). Ges. v. 8. 12. 1903, bt. Aendrgn, d. Ges. v. 27. 7. 1900 üb. Einkommensteuer (S. 125).

Sprechsaa l.

Zur Frage der Abtretung künftiger Forderungen. Das Reichsgericht hat in dem Urteil v. 29. Sept.

7203, abgedruckt S. 573, 1903 d. Bl., die Wirksamkeit

solcher Abtretung bejaht. Roma locuta est, und damit hat, wie Staub meint, das wirkliche Bedürfnis des Lebens einen Sieg erfochten. Da scheint es ein persönliches Mifsgeschick, wenn jemand bekennt, seine Gaben reichten nicht aus, sich hineinzufinden. Aber wenn ich dies Bekenntnis ablege, so hat das vielleicht die gute Folge, dafs mir mein mangelndes Verständnis von berufener Seite gebessert wird.

Dafs ein Schuldverhältnis den Inhalt haben kann, dass sich jemand zu einer künftigen Verfügung über eine erst noch zu schaffende Sache, über ein erst zu begründendes Recht verpflichtet, ist nicht zweifelhaft. Die hier zu beantwortende Frage aber scheint mir die, ob heute über einen noch nicht existierenden Gegenstand Sache oder

Forderungsrecht eine Verfügung im Rechtssinne, eine dinglich wirksame Verfügung möglich ist, wodurch die nicht existierende Sache, das nicht existierende Forderungsrecht schon jetzt oder mit ihrem Existentwerden ergriffen wird. Die Rechtsübertragung des bürgerlichen Rechts ist eine Verfügung über das übertragene Recht. Die römisch-rechtliche Zession, das mandatum agendi, war sicher keine Verfügung. Die gemeinrechtliche Entwickelung vom obligatorischen Mandatsvertrage zur Rechtsabtretung als Verfügung war eine allmähliche und geschah langsam zum sicheren Abschlufs ist sie nicht gelangt. Vom Standpunkte des mandatum agendi aus bestand kein denkbarer Zweifel an seiner Wirksamkeit bezüglich einer zur Zeit des Mandats noch nicht begründeten Forderung. Wie soll nun aus der Hinübernahme solcher Auffassung in die gemeinrechtliche Praxis zu den Zeiten, als die Auffassung der Zession als Verfügung bereits lebendiger geworden war, ein Argument dafür hergenommen werden, was denkbarer Gegenstand der Rechtsübertragung des BGB. ist? Dem römischen Rechte war auch der Satz fremd, dafs dingliche Rechtsbeziehungen zu Sachen rechtsgeschäftlich nur aus einer Verfügung des an der Sache Berechtigten erwachsen könnten. Die Hypothek am ganzen Vermögen, die Verpfändung künftiger Sachen wirkte Entstehung eines dinglichen Rechts an der erst später erworbenen Sache, wobei dahingestellt bleiben kann, ob das Pfandrecht ex tunc oder erst von Erwerbung der Sache durch den Pfandbesteller an als bestehend erschien. Das BGB. kennt eine rechtswirksame Verfügung nur, wenn sie ausgeht von dem Verfügungsmächtigen. Eine Verfügung über eine Sache, die noch nicht existiert, ist undenkbar, auch undenkbar als eine durch Existentwerden bedingte Verfügung. Denn das Existentsein ist begriffliche Voraussetzung der Verfügung. Wenn A und B verabreden, dafs eine von A zu verfertigende bewegliche Sache dem B gehören soll, so ist diese Einigung sicherlich keine Verfügung über die noch nicht existierende Sache. Erst dann, wenn die Uebergabe der gefertigten Sache durch A an den mit ihm über den Eigentumserwerb einigen B hinzukommt, liegt eine Verfügung vor. Auch dann, wenn A mit B verabredet, dafs A die von ihm zu fertigende Sache nur als Mieter des B für diesen als den mittelbaren Besitzer besitzen solle, liegt darin keine als Verfügung wirksame Uebergabe der noch nicht gefertigten Sache. Erst wenn A im unmittelbaren Besitz der Sache ist, hat er die Macht, sie durch possessorisches Konstitut gemäfs § 930 BGB. dem B zu übereignen. Fertigt er die Sache an im Einverständnis mit B, um sie durch seine Tätigkeit zum Eigentum des B zu machen, so mag sie kraft seiner Geschäftsführung sofort Eigentum des B werden, aber sie wird nicht durch eine vor der Existenz der Sache getroffene Verfügung aus seinem Eigentum in das des B übertragen.

an

Kann es nun bei der Verfügung über eine noch nicht existierende Forderung durch Uebertragung einen anderen anders sein? Das praktische Leben soll das notwendig machen. In dem vom Reichsgericht entschiedenen Falle hat der Geldmann, der einem Bauunternehmer für einen ihm von der Stadt zu übertragenden Bau Vorschüsse zugesagt hatte, schon vor dem Vertrage des Bauunternehmers mit der Stadt sich die aus diesem Vertrage entspringenden Geldforderungen an die Stadt abtreten lassen. Bestand ein wirtschaftliches Bedürfnis, dafs solche Abtretung wirksam erfolgen konnte? Wie, wenn die Abrede dahin ging, dafs der Bauunternehmer in dem Veitrage mit der Stadt Zahlung der ihm zu zahlenden Gelder ganz oder einem bestimmten Betrage in der Weise bedingen sollte, dafs Leistung an den Geldmann zu geschehen habe,

zu

und wenn dann der Vertrag mit der Stadt in dieser Weise gemäfs § 328 BGB. geschlossen wurde? Welches wirtschaftliche Bedürfnis blieb dann unbefriedigt? Konnte die Abtretung im voraus, wenn sie überhaupt wirksam war, mehr wirken? War etwa in diesem Falle der Zessionar weniger abhängig von dem fortdauernden guten Willen des Bauunternehmers bei dem Vertragschlufs? Wie, wenn dieser den beabsichtigten Vertrag schlofs, aber mit der Abrede, dafs die Zahlungen weder an ihn, noch an den Geldmann, sondern an einen dritten geleistet werden sollten? Wie, wenn zwischen der Stadt und dem Bauunternehmer verabredet wurde, dafs die Abtretung der Forderung des Bauunternehmers aus dem geschlossenen Vertrage gemäss § 399 BGB. ausgeschlossen sein sollte? Oder war etwa die Abtretung der noch nicht bestehenden Forderung vor dem Abschlufs des Vertrages bereits so wirksam, dafs diese Abrede bei Begründung der Forderung des Bauunternehmers nicht wirksam getroffen werden konnte?

Ich meine: wenn die Theorie von der rechtlichen Möglichkeit der Uebertragung einer Forderung, für deren Entstehung noch keine Gebundenheit irgend einer Art besteht, in der Praxis aufrecht erhalten wird, dann wird sich sehr bald ein recht starkes Bedürfnis des praktischen Lebens dafür zeigen, dafs bei der Begründung gewisser Forderungen vom letzten Satz, des § 399 wirksamer Gebrauch gemacht werde. Setzen wir in dem Falle des Reichsgerichts an die Stelle des vorschufsfreudigen Geldmannes einen anderen Geldmann, der den Bauunternehmer wegen bereits bestehender Schulden bedrängt und zur Zession aller seiner Rechte auf bares Geld aus dem abzuschliefsenden Entreprisevertrag veranlafst. Offensichtlich ist doch das Interesse der Stadt, dafs die nach dem Entreprisevertrag von ihr zu leistenden Zahlungen dazu dienen, den Bauunternehmer fähig zu erhalten, den Bau zu fördern, die Handwerker zu zahlen, die Materialien zu beschaffen? Mufs sie dem Zessionar das Geld zahlen, so wird das Werk bald liegen bleiben, und das Geschrei der unzufriedenen und unbefriedigten Handwerker wird das Rathaus umtoben. Also rate ich der Stadt, wenn sie gegenüber solcher Praxis der Gerichte ihr Interesse mit mir richtig dahin beurteilt, dafs die Wirkung einer etwaigen Vorzession ausgeschlossen werden muss, den Vertrag nicht anders zu schliefsen, als unter Ausschlufs jeder Abtretung. Freilich, garantieren kann ich ihr nicht, dafs sie sicher geht, wenn sie meinem Rat folgt. Wenn die rechtliche Logik überhaupt Wirksamkeit der Uebertragung einer Forderung annimmt, die noch nicht besteht, die also nichts ist, wo ist dann die Schranke, welche nötigt, nur solche Wirkung der Uebertragung anzunehmen, wie sie bei rechtsgeschäftlich befristeter Abtretung eintreten würde, also Wirksamkeit erst nach abgeschlossenem Vertrage? Vielleicht findet die Theorie der Wirksamkeit der Verfügung über ein nicht existierendes Recht einen Weg, auf dem dargelegt wird, dass das vorweg abgetretene Recht überhaupt nicht als Recht des Abtretenden, sondern gleich als Recht des Zessionars entsteht.

Das Reichsgericht vermifst eine ausdrückliche Vorschrift des BGB., dafs Abtretung noch nicht bestehender Forderungen unzulässig sei, obgleich § 398 des BGB. nur den Gläubiger einer Forderung als den denkbaren Uebertrager eines Forderungsrechts bezeichnet. Ich meine, dann wird man auch sagen müssen: Nach § 2033 ist die Abtretung eines Anteils an einer Erbschaft denkbar. Das Gesetz sagt nicht ausdrücklich, dafs nur ein Miterbe, dem ein solcher Erbanteil bereits angefallen ist, über seinen Anteil am Nachlasse verfügen kann: Also kann jemand, der erwartet, dafs ihm einmal mit anderen zusammen ein Erbe anfallen werde, schon jetzt über seinen künftigen Anteil am Nachlasse des noch Lebenden verfügen. Und

doch denke ich, so argumentiert wohl niemand. Wer aber für die Wirksamkeit der Abtretung künftiger Forderungen eintritt, der möge auch über folgende Fragen klar sein:

1. Eine möglicherweise künftig entstehende Forderung ist von dem künftigen möglichen Gläubiger hintereinander an A und B abgetreten, die Forderung entsteht wem steht sie zu, dem ersten Zessionar A oder beiden oder niemand?

2. Der in Aussicht genommene Vertrag wird geschlossen, nachdem die Rechte daraus dem X abgetreten sind. Nachher gehen die Vertragschliefsenden von dem Vertrag ab. Sie schliefsen einen neuen Vertrag. Dieser wird von dem Zedenten erfüllt. Wie steht X?

Von der analogen Anwendung auf Rechte, die nicht Forderungen sind (§ 413), und von der Pfändung nicht entstandener Forderungen, die vielleicht entstehen möchten, will ich lieber nicht sprechen. Das würde zu lang werden. Aber gegenüber dem Gerede von einem Bedürfnis noch eines. Es steht nichts entgegen, dafs vor der Entstehung einer Forderung ein Rechtsverhältnis zwischen A und B dahin ausgestaltet wird, dafs in einem geschäftlichen Vorkommnis zwischen beiden nach Entstehung der Forderung die Erklärung der Zession liegen soll. Dann ist jenes Vorkommnis bei der gesetzlichen Formlosigkeit der Zession als Zession wirksam. So konnte in unserm Fall vor dem Vertrage mit der Stadt vollwirksam von Geldmann und Bauunternehmer verabredet werden, dass in Auszahlung und Entgegennahme eines Darlehnsbetrages nach dem Vertragsschlufs zugleich die Erklärung der Abtretung der Vertragsrechte gegen die Stadt liegen solle.

Wirkl. Geh. Oberjustizrat Dr. Eccius,
Oberlandesgerichtspräsident, Kassel.

Vorschlag zur Entlastung des Reichsgerichts und eine dadurch bedingte schnellere Beendigung der Prozesse:

I. Zusatz zu § 557 ZPO.:

1. Bei Rechtsstreitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche wird bei einem den Betrag von fünfzehnhundert Mark übersteigenden Werte des Beschwerdegegenstandes bis zu einem Wertsgegenstande von 3000 M. und in den Fällen des § 547 ZPO. auf die eingelegte Revision kein Termin anberaumt, sondern dem Revisionskläger vom Gerichtsschreiber eine Bescheinigung erteilt, dafs während der Revisionsfrist die Revision eingelegt.

Diese Bescheinigung hat der Revisionskläger dem Revisionsbeklagten innerhalb der Revisionsfrist zuzustellen.

2. Innerhalb einer Frist von einem Monat nach Ablauf der Revisionsfrist hat der Revisionskläger dem Revisionsbeklagten die Revisionsbegründung zuzustellen und dem Revisionsgericht eine Abschrift derselben mit dem Nachweise der erfolgten Zustellung der über die Einlegung der Revision erteilten Bescheinigung zu überreichen. Wird innerhalb der Frist nicht der Nachweis der erfolgten Zustellung der Revision geführt, so gilt die Revision als zurückgenommen und der Gerichtsschreiber hat dem Revisionsbeklagten sofort eine diesbezügliche Bescheinigung zu erteilen.

3. Innerhalb einer weiteren Frist von 2 Wochen hat der Revisionsbeklagte dem Gerichte eine Beantwortung einzureichen und dem Revisionskläger eine Abschrift zuzustellen.

4. Binnen Monatsfrist nach Ablauf der zu 3 festgesetzten zweiwöchentlichen Frist hat das Revisionsgericht über die Revision durch Beschlufs zu entscheiden oder Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen.

Das Gericht kann vom Revisionskläger eine innerhalb einer Frist von einer Woche zu erteilende Erklärung auf die Entgegnung des Revisionsbeklagten einfordern.

Die Begründung der Revision und die Entgegnung

zu 2

kann nur auf rechtliche Gründe gemäfs dieses zweiten
Abschnitts gestützt werden. Werden die Fristen
und 3 dieses Paragraphen nicht gewahrt, sind die Aus-
führungen nur nach freiem Ermessen des Gerichts zu be-
rücksichtigen. Beschlufs und Terminsanberaumung ist von
Amts wegen zuzustellen.

5. Will der erkennende Senat von einer bereits ergangenen Entscheidung Beschlufs oder Urteil des Reichsgerichts abgehen, so entscheiden die vereinigten Zivilsenate durch Beschlufs.

6. Wird Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt, so ist Termin innerhalb zweier Monate anzuberaumen.

Durch diesen Vorschlag würde der Vorwurf, dafs die ärmere Bevölkerung bei einer Erhöhung des Beschwerdegegenstandes schlechter gestellt sei, erheblich abgeschwächt, da einerseits die 3. Instanz gewahrt wird und eine Gleichstellung zwischen arm und reich in den Fällen des § 547 ZPO. herbeigeführt ist, andererseits aber eine vielfach absichtliche Verschleppung der Prozesse sehr erheblich eingeschränkt wird. Aufserdem ist der Vorschlag auch nur eine Ausdehnung der bereits in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit und in Kostensachen bestehenden gesetzlichen Bestimmungen.

Für die Strafsachen liefsen sich analoge Bestimmungen treffen.

II. Aenderung zum Gerichtskosten gesetz. Wird über die Revision durch Beschlufs entschieden, so hat das Gericht nur 5/10 der Gebühr zu erheben. 21 Justizrat Viebig, Berlin.

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Begriff der politischen Vereine. Zur Auslegung des § 8 des preufsischen Vereinsgesetzes v. 11. März 1850. Es findet sich vielfach die Ansicht vertreten, dafs unter politischen Vereinen nur solche Vereine zu verstehen seien, welche „bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern" (§ 8 VerGes.), und dafs diese Vereine eine „Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten" (§ 2) nicht zu bezwecken brauchten.1)

Gegen diese Ansicht spricht die Entstehungsgeschichte des Vereinsgesetzes. Der jetzige § 8 desselben war in der Regierungsvorlage nicht enthalten. Er ist auf Vorschlag der Kommission der II. Kammer eingeschoben worden. In dem Kommissionsbericht (Stenogr. Ber., II. Kammer, 1850, S. 2773) ist ausgeführt, dafs die politischen Vereine sich die Aufgabe stellen, staatliche und politische Angelegenheiten zu erörtern und auf solche einzuwirken; dafs die Beschränkungen des § 8 sich nicht auf alle politischen Vereine beziehen sollen, sondern nur auf solche Vereine, welche bezwecken, politische Gegenstände in Versammlungen zu erörtern, weil Vereine, die keine Versammlungen halten, sondern nur durch schriftliche Mitteilungen ein wirken, minder gefährlich seien und minder erfolgreich arbeiteten. In demselben Sinne wird dann weiter (ebendort S. 2777) von Beschränkungen gesprochen, welche der § 8 bezüglich einzelner Arten politischer Vereine aufgestellt hat." Bei der Beratung des VerGes. in der I. Kammer endlich erklärte der Regierungskommissar ausdrücklich (Stenogr. Ber., I. Kammer, 1850, S. 2867), es handle sich in diesem Gesetze nur um die Vereine, welche öffentliche Angelegenheiten beraten, und um eine Unterart derselben, die politischen Vereine.

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1) Vgl. z. B. Urt. des Reichsgerichtes v. 6. Dez. 1895, (Entsch. in Strafs. Bd. 28 S. 66 ff.) und des Oberverwaltungsgerichtes v. 23. Nov. 1889 und v. 24. Januar 1899 (Entsch. Bd. 20 S. 435 f., Anmerk., Bd. 34 S. 439 f.); Delius, Vereins- und Versammlungsrecht, S. 30 Note 2 zu § 8; Caspar, Versammlungs- und Vereinsrecht, S. 43, 44.

Hieraus ergibt sich, dafs die Vereine des § 8 den Kreis der politischen Vereine nicht erschöpfen und nicht etwa einen Gegensatz zu den Vereinen des § 2 bilden. Die Sache verhält sich vielmehr folgendermassen:

Vereine, welche auf öffentliche Angelegenheiten gar nicht einwirken wollen, unterliegen überhaupt nicht dem VerGes. Zu den öffentlichen Angelegenheiten im Sinne des § 2 gehören insbesondere auch die politischen Angelegenheiten. Politische Vereine sind hiernach diejenigen Vereine, die eine Einwirkung auf politische Angelegenheiten bezwecken. Sie bilden eine Unterart der Vereine, die eine Einwirkung auf öffentliche Angelegenheiten bezwecken (§ 2), und unterliegen demgemäfs den gleichen Beschränkungen wie diese. Eine Einwirkung auf politische Angelegenheiten kann erfolgen entweder durch Erörterung politischer Gegenstände in Versammlungen oder auf andere Weise (z. B. mittels schriftlichen Gedankenaustausches). Diejenigen politischen Vereine, die eine Einwirkung auf politische Angelegenheiten durch Erörterung politischer Gegenstände in Versammlungen bezwecken, unterliegen aufser den allgemeinen Beschränkungen der Vereine des § 2 auch noch ferner den besonderen Beschränkungen des § 8. Da Vereine, die auf öffentliche Angelegenheiten nicht einwirken wollen und tatsächlich nicht einwirken, durch das VerGes. nicht betroffen werden, so unterliegen den Bestimmungen dieses Gesetzes z. B. nicht die politisch indifferenten rein wissenschaftlichen (historischen, juristischen, nationalökonomischen) Vereine, die sich - ohne jede politische Tendenz die Erörterung (Untersuchung, Auseinanderlegung) politischer Gegenstände in Versammlungen zum Zwecke setzen. Die Forderung des Reichsgerichtes Urt. v. 25. Jaund nuar 1892 (Entsch. in Strafs. Bd. 22 S. 337 ff.) des Kammergerichtes Urt. v. 24. Okt. 1901 (Goltd. Arch. Bd. 49 S. 157) und v. 27. Okt. 1902 (Jahrb. Bd. 25 Abt. C S. 20) -, dafs die Vereine des § 8 beabsichtigen müssen, die Hilfe des Staates und seiner Organe in Gesetzgebung oder Verwaltung in Anspruch zu nehmen bezw. die Klinke der Gesetzgebung in Bewegung zu setzen, dürfte zu weit gehen und einer hinreichenden gesetzlichen Unterlage ermangeln. Unter den § 8 VerGes. werden unbedenklich beispielsweise auch solche politischen Vereine fallen, welche in Versammlungen über politische Themata Vorträge oder Debatten veranstalten, deren Zweck nicht auf eine konkrete Aktion des Staates, sondern lediglich darauf hinausläuft, die Vereinsmitglieder im Sinne eines bestimmten politischen Parteiprogrammes zu bearbeiten oder andere Personen als Mitglieder für ihre politische Partei anzuwerben.

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Erster Staatsanwalt Zitzlaff, Thorn.

Die Fortbildung der Juristen und die Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung. Die Fortbildung der Juristen ist in diesen Blättern wiederholt besprochen worden.1) Die Erwerbung neuer, die Vertiefung vorhandener Kenntnisse ist dem Streben und Bildungsbedürfnisse des einzelnen Juristen überlassen. Dafs die zu Bibliothekszwecken verfügbaren Mittel kaum die Anschaffung der wichtigsten Kommentare neben den Entscheidungen der Obergerichte ermöglichen, ist schon mehrfach hervorgehoben und kaum mehr zu bestreiten. Begegnet daher schon die Fortbildung auf juristischem Gebiet erheblichen Schwierigkeiten, so ist dies auf staatswissenschaftlichem noch viel schwieriger. Hier versagt in der Regel auch die Hilfe der Bibliotheken der Oberlandesgerichte. Die Wichtigkeit, ja Notwendigkeit staatswissen

1) Vgl. z. B. nur Fischer und Lesse S. 457,421 1903 d. Bl.

schaftlicher Fortbildung der Juristen dürfte im Interesse der einzelnen, wie der Justizpflege überhaupt aufser Zweifel sein. Es ist ein berechtigtes Verlangen, dafs alle höheren Beamten, auch die der Justiz und zwar besonders die fern der Grofsstadt ansässigen die wichtigsten Fragen des politischen und wirtschaftlichen Lebens auf Grund eigener, wissenschaftlicher Kenntnis und deshalb weniger vom parteipolitischen Standpunkt zu beurteilen in der Lage sind und so aufklärend zu wirken vermögen. Die Staatswissenschaften sind ferner so eng mit der modernen Rechtspflege verknüpft, dafs ihre Beherrschung mehr und mehr erforderlich ist. Wie eine stets sich mehrende Zahl von Gesetzen mittelbar oder unmittelbar volkswirtschaftliche, sozialpolitische Zwecke verfolgt,1) so unterliegen wirtschaftliche, staats- und etatsrechtliche Fragen dem Richterspruch. Es sei auf die bekannten Ausführungen des Reichsgerichts über die Kartelle, die Börsengeschäfte, die Kosten der Einkommensteuerveranlagung, das Wesen des Reichsfiskus hingewiesen und erwähnt, dafs gerade die grofsen Bank- und Hypothekenbank-Prozesse gezeigt haben, wie notwendig für Richter und Staatsanwälte nicht so sehr für den in engerer Fühlung mit dem Getriebe des Verkehrs bleibenden Anwalt - die durch die Staatswissenschaft vermittelte Kenntnis des Wirtschaftslebens ist.

Diesem Bedürfnis kommt die am 17. Febr. 1902, dank dem tatkräftigen Eintreten des Geh. Ober-Reg.-Rates Professor Dr. Elster und der weitsichtigen Unterstützung seitens des Ministerialdirektors Dr. Althoff begründete ,,Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung" entgegen. Sie will entsprechend vorgebildeten Personen durch Kurse Gelegenheit zur Vertiefung ihrer Kenntnisse namentlich auf dem Gebiet der juristischen und wirtschaftlichen Staatswissenschaften geben. Diesem Zwecke dienen sog. „konversatorische" Vorlesungen, eine geschickt gewählte Form, durch welche mittels der sich an die Vorträge anknüpfenden Diskussionen das Verständnis gefördert wird. Diese Vorträge behandeln die wichtigsten Fragen des Staats- und Etatsrechts, der Finanz-, Handelsund Sozialpolitik, der Volkswirtschaft und der Wohlfahrtspflege. Speziell juristische Vorlesungen wurden im letzten Halbjahr nicht abgehalten.2) Neben diesen regelmässigen Veranstaltungen unterrichten Einzelvorträge zum Teil mit bildlichen und experimentellen Darstellungen über die verschiedensten Wissensgebiete, auch über Technik, Elektrizität und Kunst. Ein wichtiges Mittel für den Unterrichtszweck, wie besonders für die Ausdehnung des Gesichtskreises sind endlich die unter sachkundiger Führung stattfindenden Besichtigungen und Exkursionen, welche grofse staatliche, städtische und private Anstalten. Wohlfahrtseinrichtungen in und um Berlin berühren und sich auch auf ferner liegende Industrie- und Handelsstätten (z. B. Kiel, Rheinland, Westfalen, Hamburg) erstrecken.

Dieses vielseitige Programm, welches sich von aller Engherzigkeit fern hielt, hat eine stets steigende Teilnehmerzahl zusammengeführt, im W.-S. 1903/1904 (abgesehen von den Hörern der Einzelvorträge) 216 Teilnehmer, unter diesen ohne die im Auswärtigen Amt, in Verwaltungsbehörden und Privatinstituten beschäftigten Assessoren 52 Richter, Assessoren, Referendare und 3 Anwälte, also etwa 1/4 der Gesamtzahl.

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Diese bei der Jugend der Einrichtung erheblichen Beteiligungsziffern bestätigen das Vorhandensein des Bildungsbedürfnisses. Die preufsische innere Verwaltung, das Auswärtige Amt und einzelne Bundesstaaten haben dies dadurch anerkannt, dafs sie nicht nur die Teilnahme durch

1) Vgl. z. B. Vierhaus: Soziale u. wirtschaftliche Aufgaben der Zivilprozefsgesetzgebung, Berlin, Liebmann. 1903.

2) Vgl. das Verzeichnis der wichtigsten Vorlesungen S. 516 1903 d. Bl

Urlaubsgewährung erleichtern, sondern Beamte Assessoren, Land- und Regierungsräte unter Remunerierung gesandt haben. Es liegt nahe, dafs die Vereinigung sich nunmehr zu einer dem Fortbildungsbedürfnis der Verwaltungsbeamten allein oder doch wesentlich dienenden Verwaltungsakademie auswächst. Im Interesse der Justizverwaltungen und Beamten wäre dies zu bedauern. Denn für sie besteht das gleiche Bedürfnis und es deckt sich mit den Wünschen der Verwaltung. Es ist deshalb erwägenswert, ob nicht aus dieser lebensfrischen Einrichtung ein Institut geschaffen werden kann, welches in gleicher Weise den eng verwandten Interessen der Verwaltung und der Justiz dient. Ob nicht in der Vereinigung“ schon der Keim für die Lösung der viel umstrittenen Frage nach der Ausbildung der Verwaltungsbeamten liegt, und ob nicht gerade deshalb ein Ausbau nach der juristischen Seite hin angezeigt erscheint, bleibe dahingestellt. Sicher ist es für die Juristen und die Justizverwaltungen jetzt an der Zeit, zu der Entwickelung der „Vereinigung“ Stellung zu nehmen. Einen Fingerzeig für die Auswahl der Vorlesungen wird die Beteiligung der bisherigen Teilnehmer aus der Justiz an den einzelnen Vorträgen geben, die Justizverwaltungen werden zu befinden haben, welche weiteren Vorlesungen erwünscht sind; aufser dem bereits früher von Riefser in der Vereinigung behandelten Aktienrecht bieten z. B. das sich fortentwickelnde, rechtlich, steuerpolitisch, wirtschaftlich bedeutungsvolle Bilanzrecht, ferner Börsen-, Urheberschutz-, Fürsorge-Gesetzgebung und Justizstatistik eine Fülle für Fortbildungskurse geeigneten Stoffes. Daneben aber werden die Justizverwaltungen prüfen müssen, wieweit die Teilnahme an den Vorlesungen tätig zu fördern ist, damit die Vereinigung, mag sie dereinst Verwaltungsakademie, Fortbildungshochschule für Rechts- und Staatswissenschaften oder sonstwie genannt werden, möglichst viele Juristen ebenso wie die Verwaltungsbeamten in gleicher Weise in ihrer Weiterbildung fördert.

Amtsgerichtsrat Juliusberg, Spandau.

Lotterie-Vergehen. Mit der Zunahme der StaatsLotterien hat auch die Belästigung des Publikums durch Zusendungen seitens der Lotterie - Kollekteure wie die Tätigkeit der Polizei- und Gerichtsbehörden in Lotteriesachen so erheblich zugenommen, dafs es angemessen erscheint, einmal die dabei zutage tretenden Uebelstände zur Sprache zu bringen.

Die kleineren Staaten haben für ihre Lose kein genügendes Absatzgebiet; infolgedessen überschwemmen Lotterie-Kollekteure mit Anerbietungen von Losen solcher Lotterien andere Staaten, in denen dieselben nicht zugelassen sind. Sie machen sich kein Gewissen daraus, damit die Gesetze dieser Staaten zu übertreten, ihr Personal zu veranlassen, ein Gleiches zu tun, und die Angehörigen jener Staaten zur Uebertretung ihrer Landesgesetze zu verleiten, und zwar geschieht letzteres in einer Weise, bei der dieselben sich vielfach dessen nicht bewusst werden, dafs es sich für sie um Gesetzesübertretungen handelt. Denn die Anerbietungsschreiben sind so abgefafst, dafs in den Empfängern zumal dieselben zum überwiegend gröfsten Teile Volksklassen angehören, bei denen eine genaue Kenntnis der betreffenden Verhältnisse nicht vorhanden ist der Iritum erweckt wird, als handle es sich um eine durchaus erlaubte Sache.

Vielfach werden den Anerbietungsschreiben nicht nur die Pläne und Formulare von Bestellbriefen, sondern auch Lose beigelegt, und dadurch Empfänger veranlafst, dieselben zu behalten oder sich die Mühe und Kosten der Rücksendung zu machen.

Ein anderes Verfahren besteht darin, dafs Zeitungen Prospekte, nicht selten auf die Rückseite des Abschnittes von Post-Anweisungen gedruckt, beigelegt werden, durch welche Lose von erlaubten, namentlich sog. Wohlfahrtslotterien angeboten werden. Bestellt dann jemand ein

solches Los unter Einsendung des Betrages, so liegen die vervielfältigten Schreiben schon bereit, in denen mitgeteilt wird, dafs Lose dieser Lotterie leider nicht mehr vorhanden seien, statt dessen aber ein Los einer anderen Lotterie geschickt werde, welche ebenso günstige Chancen biete. Dafs dieses ein Los einer in dem Staate des Adressaten nicht erlaubten Lotterie ist, wird verschwiegen, vielmehr durch die Fassung des Schreibens die Annahme hervorgerufen, als handle es sich um eine erlaubte Lotterie. Der Empfänger hat dann die Wahl, entweder dieses Los zu behalten und sich dadurch strafbar zu machen, oder dasselbe zurückzuschicken und sich in Verhandlungen wegen Rücksendung des eingeschickten Geldbetrages einzulassen.

und deshalb jetzt ungültig seien, während die meisten Gerichte sie nach wie vor für anwendbar halten.

Oberamtsrichter Dr. Funk, Lübeck.

Fakultative Anrechnung der Untersuchungshaft. Der § 60 StrGB. gibt dem Richter die Befugnis, die Untersuchungshaft auf die Strafe ganz oder zum Teil anzurechnen. Die Gerichte machen von dieser Befugnis einen verschwindend geringen Gebrauch. Fast hat es den Anschein, als ob der Richter fürchte, durch die Anrechnung einen Mangel an Straff heit zu verraten. Doch unterliegt diese Praxis nicht unbedeutenden Bedenken.

Für die Anrechnung spricht zunächst ein kriminalpsychologischer Grund. Die Strafe kann man nicht verstandesmässig mit der Logik oder mathematisch mit der Elle ausmessen. Das ist lediglich Sache des Gefühls, wie es früher einmal von Stenglein klar ausgesprochen worden ist. Der eine aber denkt strenge, der andere milde; niemand kann sein Gefühlsleben ändern, und das Gefühl ist unkontrollierbar. Die angemessene Strafe zu finden, ist daher ungemein schwierig. In jedem Kollegium werden milde und strenge Richter vorhanden sein; die Mehrheit

Auch im Wege des Hausierhandels werden Lose verkauft, obwohl das durch die Gewerbeordnung verboten ist. Zur Kenntnis der Gerichte kommen diese Fälle meistens nur dann, wenn später zwischen dem Käufer des Loses und dem Lotterie-Kollekteur, dessen Name sich auf dem-wird sich bald hier, bald dort bilden. Nur in den seltensten selben befindet, Streit über die Bezahlung des Loses einer späteren Klasse oder über Auszahlung eines Gewinnes entsteht. Der Kollekteur behauptet dann, das Los sei in seinem Geschäftslokale von einem Unbekannten gekauft; die Lose der späteren Klassen dem Inhaber des Loses zuzuschicken, sei er nach den für die betr. Lotterie geltenden Bestimmungen verpflichtet, ohne Rücksicht darauf, ob dieselbe in dem Staate des Losinhabers zugelassen sei oder nicht.

Das einfachste Mittel, diese Uebelstände zu beseitigen, wäre die Aufhebung sämtlicher Staatslotterien, denen ohnehin schwere Bedenken entgegenstehen. Indes daran ist bei dem Stande der Finanzen der in Betracht kommenden Staaten nicht zu denken, ebensowenig an Aufhebung der für das Spielen in nicht zugelassenen Lotterien und für das Verleiten dazu bestehenden Strafbestimmungen. Es kann sich deshalb z. Z. nur um die Anwendung dieser Strafbestimmungen handeln. In dieser Beziehung aber dürfte es sich empfehlen, einen Wandel eintreten zu lassen. Die Strafen, wie sie jetzt erkannt werden, sind vollkommen wirkungslos, weil sie viel zu niedrig sind; sie fallen unter die Geschäftsunkosten und spielen dabei keine Rolle. Soll dem Gesetze Achtung verschafft werden, so müssen regelmäfsig Strafen von mehreren hundert und tausend Mark verhängt, und zu dem Ende nötigenfalls die betr. Gesetze abgeändert werden. Es ist das um so nötiger, als auf mancherlei Weise, durch häufigeren Wechsel derjenigen Personen, welche die strafrechtliche Verantwortung übernehmen, versucht wird, dem vorzubeugen, dafs wegen zahlreicher Vorstrafen auf höhere Beträge erkannt wird.

Erwähnt mag noch werden, dafs in bezug auf die Behandlung dieser Straftaten keineswegs Uebereinstimmung im Deutschen Reiche herrscht. In einigen Staaten sind sie Uebertretungen, die meistens durch Strafbefehle erledigt werden, in anderen Vergehen, zu deren Aburteilung der ganze Apparat des Vorverfahrens und der Hauptverhandlung in Bewegung gesetzt wird. In einigen Staaten wird auf Grund oberstrichterlicher Entscheidung jede einzelne Offerte als eine selbständige strafbare Handlung, in anderen die Versendung von Offerten einer Lotterie als ein fortgesetztes Vergehen behandelt. Endlich vertreten auch, allerdings nur ganz vereinzelt, Gerichte die Ansicht, dafs die landesgesetzlichen Strafbestimmungen für das Spielen in nicht zugelassenen Lotterien und das Kolligieren für solche mit dem § 763 BGB. nicht vereinbar

Fällen werden Richter entscheiden, denen die Eigenschaften zu einer richtigen Strafzumessung innewohnen: ein klarer Blick, ein lebenswarmes Gefühl und ein massvoller Wille. Daneben wirken hundert Imponderabilien, z. B. momentane Körper- und Seelenstimmungen, geringeres oder gröfseres Interesse an der jeweiligen Strafsache, niedrigeres oder höheres Alter, hitziges oder phlegmatisches Temperament. Wieviel weniger aber ist der Angeklagte selbst in der Lage, ein Urteil über die Angemessenheit seiner Strafe abzugeben. In den Regelfällen und sogar fast ausnahmslos wird ihm auch eine milde Strafe als zu hoch erscheinen, eine angemessene aber schon als grausam. Seitdem wir jedoch wissen, wie wenig Erfolg das Abschreckungsprinzip mit seinen strengen Strafen hat, seitdem wir erkannt haben, dafs die Kriminalität wirksam nur in ihren Wurzeln, in den sozialen Verhältnissen (Alkohol, Armut, Unterdrückung usw.) zu bekämpfen ist, seitdem hat sich gegen die strengen Strafen eine lebhafte Reaktion geltend gemacht. Die Strafe also, die dem Angeklagten als zu strenge auch nur erscheint, hat mehr Schaden als Nutzen, da sie ihn leicht zur Verbitterung oder Verhärtung führt. Hier aber wirkt eine Anrechnung der Untersuchungshaft ungemein segensreich. Die Empfindung, dafs er keinen Tag umsonst gesessen hat, mildert seine Kritik, und er wird sogar geneigt sein, eine objektiv zu strenge Strafe für angemessen zu halten. So glaubt er das erhalten zu haben, was er erwartet, Gerechtigkeit, und er wird daher seine Strafe verbüssen mit einem Gefühl der Versöhnung und dem Willen sich zu bessern. Anders hingegen bei der Versagung der Anrechnung. Die Untersuchungshaft mit ihrer Isolierung und dem Bangen vor der ungewissen Entscheidung trägt der Angeklagte schwerer als die Straf haft mit ihrer Geselligkeit und der beruhigenden Tatsache eines unabänderlichen Urteils; die Versagung der Anrechnung führt ihn daher leicht zu Trotz und Verstocktheit.

Für die Anrechnung spricht weiter auch ein prozessualer Grund. In dem Vorverfahren genügt der Verdacht; der Spruch aber fufst auf dem Beweise. Genügt für die Anordnung der Untersuchungshaft der Fluchtverdacht, so ist für die Nichtanrechnung notwendig die Tatsache, dafs der Angeklagte geflohen war, oder der Beweis, dafs er sonst geflohen wäre. Nur wenn der Angeklagte die Untersuchungshaft wirklich verschuldet hat, kann ihm die Anrechnung versagt werden. Der Richter ist hier auch auf dem richtigen Wege, wenn er die An

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