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um möglichst für jeden Landgerichtsbezirk derartige Veranstaltungen ins Leben zu rufen. Die hierdurch herbeigeführte persönliche Annäherung würde auch dem amtlichen Zusammenwirken zum Vorteil gereichen und manches in öffentlicher Sitzung gefallene scharfe Wort verstummen lassen.

Was die besondere Stellung der Amtsgerichts-Anwälte anlangt, so haben zur Zeit etwa 900 Amtsgerichte einen Anwalt nicht aufzuweisen; aufserdem gibt es etwa 450 Amtsgerichte, bei denen nur ein Anwalt tätig ist. Das platte Land ist also vielfach von Anwälten entblöfst, wodurch die Zugängigkeit der Rechtsanwälte aufs äufserste erschwert wird. Hier verlangt das Interesse der Landbevölkerung dringend eine Abhilfe. Die zweckmäfsigste Mafsnahme würde die Erweiterung der Zuständigkeit der Schöffengerichte und vor allem der Amtsgerichte sein. Hierdurch würde der Schwerpunkt der Gerichtsbarkeit mehr wie bisher in die Hand des Einzelrichters gelegt und die Niederlassung von Rechtsanwälten selbst an den kleinsten Amtsgerichten ermöglicht. Dem Amtsrichter würde sich aber ein umfangreiches Gebiet seiner juristischen Tätigkeit erschliefsen und hierdurch seine Sefshaftigkeit gefördert werden.

Beide Mafsnahmen würden aber im letzten Grunde dem Publikum zum Vorteil gereichen, denn für den schlichten Bürger und Landmann ist der landsässige Richter und Anwalt der wahre Berater.

Amtsrichter Dr. Varenhorst, Tostedt.

Der Einfluss von Verfälschungen der Wechselsumme auf die vor der Verfälschung begründeten Wechselverpflichtungen. Der Standpunkt, welchen

das Reichsgericht in dieser Frage einnimmt (vgl. Entsch. 54, 386), weicht von dem bisher in der Theorie und Praxis überwiegend vertretenen ab. Es handelte sich um folgenden Fall: Bekl. indossierte einen Wechsel über angeblich 750 M.; der Klagewechsel lautet über 3750 M. Im Nachverfahren zweiter Instanz behauptet Bekl., dafs der Aussteller nachträglich die ursprüngliche Wechselsumme von 750 M. in 3750 M. verfälscht habe. Das Berufungsgericht hielt das im Wechselprozefs ergangene, zur Zahlung von 3750 M. verurteilende Erkenntnis in Höhe von 750 M. und entsprechenden Kosten etc. aufrecht und machte die Entscheidung über den Rest von einem Eide des Bekl. über die angebliche Verfälschung abhängig. Das Reichsgericht billigt dies mit folgender Begründung: Bei der Frage nach der Wirkung der Verfälschung des Wechselinhalts sei entscheidend, ob durch die Verfälschung die Integrität des Wechsels berührt werde; ob dies der Fall, könne nur im Einzelfalle beurteilt werden. Sei, wie im vorliegenden Fall, der Text durch die Verfälschung nicht affiziert, vielmehr nach Entfernung des fälschenden Zusatzes, sei es in Gedanken, sei es tatsächlich, auch in seiner Integrität wieder erkennbar", so bleibe die ursprüngliche Verpflichtung bestehen; weder die äufsere, noch die innere Integrität sei vorliegend verändert; hierdurch unterscheide sich der Fall von dem in Bd. 23, S. 399 d. Entsch. d. ROHG. behandelten, in welchem die ursprüngliche Wechselsumme von 3000 in 30000 M. verfälscht, durch Verschiebung der Dezimale also wenigstens der Zahlenwert verändert worden sei. Der Senat stehe aber auch nicht an, in der Entscheidung des Reichsoberhandelsgerichts eine nicht zu billigende Ueberspannung blofs formaler Betrachtungsweise“ zu erblicken.

Diese Begründung erscheint nicht zweifelsfrei. Nach Art. 4 No. 2 WO. ist ein wesentlicher Bestandteil des Wechsels die Angabe der zu zahlenden Geldsumme, d. h.

natürlich der richtigen Summe. Hätte der Gesetzgeber die Angabe einer falschen Summe gestattet, so wäre die Vorschrift überflüssig; denn der Fall der Angabe einer falschen Summe steht mit dem der fehlenden Summenangabe insofern auf einer Stufe, als beide Eventualitäten ein beim Wechsel gerade zu vermeidendes Zurückgehen auf das zugrunde liegende Geschäft verlangen, aus dem dann die richtige Summe oder die Summenangabe überhaupt abzuleiten wäre. Der Wechselschuldner haftet in Höhe der richtigen Wechselsumme. Nach der Begründung des Urt. d. RG. mufs man annehmen, dass das RG. den Betrag von 750 M. für die richtige Wechselsumme gehalten hat. Diese ist aber im Wechseltext nicht „angegeben“. Wenn Art. 4 die Angabe der Wechselsumme vorschreibt, so verlangt er damit, dafs sie äufserlich so in die Erscheinung trete, wie man die Summe schriftlich darzustellen pflegt. Gewifs ist in der Zahl 3750 sowohl rechnerisch wie äufserlich die Zahl 750 enthalten. Aber um nur rein äufserlich diese Zahl aus jener zu gewinnen, bedarf es entweder einer Eliminierung der 3, wie sie hier nicht vorgenommen ist, oder einer Gedankenoperation: man mufs sich die 3 wegdenken". Es erscheint aber nicht richtig, wenn die Herstellung der ursprünglichen Form in Gedanken" für ausreichend erachtet wird, um den Wechselinhalt als unberührt erscheinen zu lassen; eine derartige Annahme widerspricht m. E. dem Charakter des Wechsels als formaler Skripturobligation. Nur das gilt, was geschrieben steht, abgesehen von bestimmten Ausnahmen (vgl. Art. 7 S. 3 WO.). Geschrieben aber steht 3750; und durch diese Summenangabe hat der Wechsel in einer wichtigen Beziehung seine individuelle Bestimmtheit erhalten; er ist ein Dreitausensiebenhundertundfünfzigmark-Wechsel geworden. Es ist nicht zulässig, in ihm zugleich einen Wechsel über 750 M. zu erblicken, wenn logische Erwägungen es für angezeigt erscheinen lassen, die erste 3 wegzudenken. Die Zahl 3750 bildet, wie alle Zahlen, äufserlich einen einheitlichen Begriff, dieser wiederum einen wesentlichen Bestandteil des Wechsels, mit dessen Ungültigkeit der Wechsel in sich zusammenfällt. Dieses Essentiale des Wechsels in einen gültigen und einen ungültigen Bestandteil zu zerlegen, steht mit den Grundregeln der Lehre von den Skripturobligationen nicht im Einklang.1)

Berufungsgericht und Reichsgericht lassen überhaupt eine Antwort auf die Frage dahingestellt, welche Summe der Wechsel angebe. Leistet der Bekl. den Eid, so erfolgt Verurteilung nur in Höhe von 750 M.; also ist die Wechselsumme 750. Verweigert der Bekl. den Eid, so erfolgt Verurteilung in Höhe von 3750 M.; also ist die Wechselsumme 3750. Nach der Ansicht des RG. ist es also möglich, dafs ein und dieselbe Niederschrift zwei verschiedene Wechselsummen darstellt und bei mehrfachen gleichartigen Verfälschungen demnach eine ganze Reihe von Wechselsummen. Hätte Kl. den Wechsel weitergegeben, und es wäre dann vor die 3750 noch eine 1 geschrieben worden, so würde aus dem alsdann über 13750 M. lautenden Wechsel Kl. in Höhe von 3750 M, Bekl. in Höhe von 750 M. haften müssen. Eine Zahl kann aber nur als die Angabe einer einzigen Wechselsumme erscheinen, und zwar der Summe, welche man mit dieser Zahl zu bezeichnen pflegt. Es wäre daher zweckmäfsig, wenn es bei der bisherigen Auffassung bliebe.

Gerichtsassessor Dr. Lehmann, Luckenwalde.

1) Vgl. meine Schrift, Die Haftung des Akzeptanten aus dem durch einen Stellvertreter vollzogenen Akzept, Berlin 1899, S. 71 ft.

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Für die Redaktion verantwortlich: Otto Liebmann. Verlag von Otto Liebmann. Druck von Pass & Garleb. Sämtlich in Berlin.

Nummer 14.

Berlin, den 15. Juli 1904.

(Nachdruck der Entscheidungen nur mit genauer, unverkürzter Quellenangabe gestattet.)

I. Reichsgericht.

1. Zivilsachen.

Mitget. v. Justizrat Boyens, Rechtsanwalt b. Reichsgericht, Leipzig. 60. (Welcher Form bedarf die Anfechtung des Konkursverwalters von Rechtshandlungen des Gemeinschuldners und der Gläubiger von Rechtshandlungen des Schuldners?) Kurz vor der am 1. Sept. 1901 erfolgten Eröffnung des Konkurses hat der Gemeinschuldner (ein Fuhrwerksunternehmer) dem Verkl. Pferde und Wagen übergeben, welche dieser durch früheren Sicherungskauf von ihm erworben hatte. Der Konkursverwalter focht durch Klage in erster Instanz nur die Uebergabe an. In zweiter Instanz erklärte sein Anwalt in einem am 19. Juni 1902 zugestellten Schriftsatz, dafs er auch den Kaufvertrag, der der Uebergabe zugrunde liege, anfechte. Vorgetragen wurde diese Anfechtung erst bei der mündlichen Verhandlung v. 4. Okt. 1902, also nach Ablauf der einjährigen Frist des § 41 KO. Das BerGer. hielt diese Anfechtung daher für verspätet. Kl. beruft sich in der Revisionsinstanz auf das Urteil des V. Sen. v. 22. Okt. 1902 (Entsch. Bd. 52 S. 334) dafür, dafs die Anfechtung gültig durch Zustellung des

Schriftsatzes erhoben sei. RG. weist die Revision zurück. Es sei dem V. Sen. darin beizustimmen, dafs die Vorschrift des § 143 BGB. auf die Gläubiger anfechtung keine Anwendung finde, da diese von der Anfechtung auf Grund der §§ 119 ff. BGB. grundverschieden sei. Dagegen sei dem V. Sen. darin nicht beizustimmen, dafs trotzdem die prozessualen Voraussetzungen nicht erfüllt sein müssten, unter denen eine Einrede, Replik oder Widerklage als erhoben anzusehen sei, dafs vielmehr schon durch vorbereitenden Schriftsatz die Anfechtung vollzogen werden könne. Durch die KO. und das AnfGes. sei ein obligatorischer Rückgewähranspruch gegeben, der aus der anfechtbaren Handlung selbst, nicht aus der Anfechtung als einer rechtsgeschäftlichen Erklärung, entspringe. Auch der Umstand, dafs die Anfechtung jetzt unter Ausschlufsfristen (§ 41 KO., § 12 AnfGes.) stehe, ändere nichts daran, dafs Anfechtungsrecht und Anfechtungsanspruch zusammenfallen. Dieser könne nur durch gerichtliche Geltendmachung erhoben werden. Ein formeller Anlafs zur Einholung eines Plenarbeschlusses sei nicht vorhanden, da es sich in dem vorliegenden Fall um Anwendung der KO., in dem früheren von dem V. Sen. entschiedenen um Anwendung des AnfGes. handle, wenn auch materielle Verschiedenheiten beider Fälle nicht vorhanden seien. (Urt. I. 528/03 v. 29. März 1904.)

61. (Unzulässigkeit fraudulöser Schenkungen auch bei korrespektivem gemeinschaftlichen Testament von Ehegatten §§ 2269, 2270, 2113 Abs. 2, 2136, 2287 BGB.) Ehegatten haben ein korrespektives gemeinschaftliches Testament errichtet, darin gemäfs § 2269 sich gegenseitig als Erben eingesetzt und bestimmt, dafs nach dem Tode des Ueberlebenden der beiderseitige Nachlafs an Verwandte fallen solle. Der Ueberlebende hat nach dem Tode des Ehegatten Schenkungen gemacht, die nach seinem Tode von den letztern gegenüber dem Beschenkten als fraudulös angefochten werden. RG. hält diese Anfechtung übereinstimmend mit der Vorinstanz für zulässig. Allerdings sei darüber kein Zweifel, dafs der überlebende Ehegatte das ererbte sowohl wie das eigene und auch das etwa neuerworbene Vermögen als Einheit besitze und darüber auch unter Lebenden grundsätzlich frei verfügen dürfe, namentlich auch frei von den Beschränkungen sei, die einem Vorerben gegenüber dem Nacherben auferlegt sind. Er sei also in betreff von Schenkungen nicht durch die Vorschrift des § 2113 Abs. 2 BGB. (Verbot von Schenkungen, die nicht einer sittlichen oder Anstandspflicht

IX. Jahrgang.

entsprechen) gebunden. Wohl aber finde seine Verfügungsfreiheit bei korrespektiven Testamenten (§ 2270 BGB.) darin ihre Schranke, dass er die Verfügungen des gemeinschaftlichen Testaments nicht durch fraudulöse Schenkungen bei seinen Lebzeiten vereiteln dürfe. Freilich habe das Gesetz die Unwirksamkeit solcher Schenkungen nur bei dem Erbvertrag in § 2287 BGB. ausdrücklich anerkannt. Allein erwäge man die überaus enge, zwischen dem Erbvertrag und dem korrespektiven Testament bestehende Verwandtschaft (§§ 2280, 2269 BGB.) sowie die völlige Gleichheit der Rechtslage zwischen dem durch Erbvertrag gebundenen Erblasser und dem überlebenden Ehegatten, der das ihm Zugewendete nicht ausgeschlagen habe, so sei kein Grund erfindlich, der den Gesetzgeber hätte bestimmen können, in der Frage der Schenkungsfreiheit zwischen beiden einen Unterschied zu machen. (Urt. IV. 396/03 v. 25. April 1904.)

62. (Wie weit ist eine Pfändung künftiger Forderungen zulässig? §§ 832,844 ZPO.) Verkl. hat i. J. 1889 im Wege des Arrestes zur Sicherung einer Forderung an die Kaschau-Oderberger Eisenbahn die für diese bei dem preufsischen Eisenbahnfiskus entstandenen und künftig entstehenden Guthaben aus dem Personenverkehr gepfändet. Kl. hat durch neuere Pfändungsbeschlüsse bereits entstandene Forderungen dieser Art gepfändet. Die Parteien streiten in betreff eines von dem preussischen Eisenbahnfiskus hinterlegten Guthabens um das Vorrecht, wobei seitens des Kl. u. a. auch geltend gemacht wird, dafs die von dem Verkl. bewirkte Pfändung der künftigen Guthaben ungültig sei. BerGer. hat dies nicht angenommen, RG. hebt auf und weist in die Vorinstanz zu neuer Prüfung auf Grund nachstehender Grundsätze zurück: Die frühere preufsische Praxis habe nur solche Rechte für zessibel erachtet, die in einem bereits bestehenden Rechtsverhältnis ihre Grundlage hatten, nicht solche, die möglicherweise in der Zukunft entstehen könnten. Die für das neue materielle Recht weitergehende Entscheidung (Entsch. Bd. 55 S. 334) komme hier nicht in Betracht. Es sei sehr wohl denkbar, dafs das Prozefsrecht der Pfändung künftiger Forderungen engere Schranken setze, als das materielle Recht. Aber man werde zugeben können, dafs die ZPO. in dem beschränkten Umfang wie die frühere preussische Praxis die Pfändung zuläfst (§§ 832, 844, früher 733, 743 ZPO.). Im Falle des § 844 werde das Bezugsrecht als ein Ganzes aufgefafst, das von dem Pfandrecht des Gläubigers erfasst wird. Es stehe aber keine Norm des Prozefsrechts zwingend entgegen, die Pfändung auch solcher Ansprüche zuzulassen, die sich zwar nicht als Ausflufs eines Gesamtrechts darstellen, für welche aber doch in einem Vertragsverhältnis des Schuldners zum Drittschuldner ausreichende rechtliche Grundlage geschaffen ist. Fehlt zur Zeit ein solcher Rechtsboden, so ist die Pfändung künftiger, lediglich durch Bezeichnung ihres möglichen Entstehungsgrundes und der Person des Schuldners individualisierter Forderungen abzulehnen. (Urt. VII. 571/03 v. 29. April 1904 )

63. (Anfechtung der Mitgliedschaft eines in die gerichtliche Liste eingetragenen Genossenschafters auf Grund der Behauptung, dafs er von dem Vorstand der Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht zur Abgabe seiner Beitrittserklärung durch arglistige Täuschung veranlafst sei, § 15 Genossensch Ges.) Die klagende Genossenschaft mit unbeschränkter Haftung besteht seit 1870 mit dem Zweck, ihren Mitgliedern hypothekarische Darlehne zu gewähren, auf Grund deren sie Pfandbriefe emittiert. Sie erlitt starke Verluste, beschlofs 1898 aber, sich nicht aufzulösen, sondern den Geschäftsanteil jedes Genossen auf 2000 Mark festzusetzen", die neu bis 1. Juli 1899 einzuzahlen seien. Eine Anzahl Genossen, die in den

letzten Jahren beigetreten und auf Grund formell ordnungsmäfsiger schriftlicher Beitrittserklärungen in die gerichtliche Liste als solche eingetragen sind, wandten gegen die Klage des Vorstandes auf Einzahlung dieser 2000 M. ein, dafs sie durch unrichtige Bilanzen der Genossenschaft aus den Vorjahren getäuscht und dadurch zum Beitritt veranlasst seien. BerGer. hielt diese Behauptung für tatsächlich und rechtlich begründet, letzteres unter Anschlufs an das Urteil des III. Zivilsen. des RG. v. 14. Mai 1896 (Entsch. Bd. 36 S. 105). Auf Revision des Vorstandes beschlofs der I. Zivilsen. d. RG., über die Rechtsfrage einen Beschlufs der Verein. Zivilsenate des RG. einzuholen. Dieser Beschlufs ist am 16 Mai 1904 dahin ergangen: „Die Eintragung in die Liste der Genossen, die nach § 15 RGes. betr. die Erwerbs- u. Wirtschaftsgen. die Mitgliedschaft entstehen läfst, kann von dem Eingetragenen, wenn die zugrunde liegende Eintragung seinem Willen entspricht, nicht mit der Behauptung angefochten werden, dafs er zur Abgabe dieser Erklärung durch eine von der Genossenschaft zu vertretende arglistige Täuschung bestimmt sei". Begründet wird der Beschlufs im wesentlichen damit, dafs das RG. in betreff der Aktiengesellschaften und der Gesellschaften mit beschr. Haftpflicht bereits den gleichen Grundsatz ausgesprochen habe. Auch bei der Genossenschaft habe das Gesetz Veranstaltungen getroffen, um die Sicherheit, die sie bieten kann, bis zu einem gewissen Grade offen zu legen. Die Sicherheit bestehe aber in der persönlichen Haftung ihrer Mitglieder. Auf diese Haftung erhält die Genossenschaft Kredit, wie die Kapitalgesellschaft auf das Grund- oder Stammkapital. Mit Rücksicht hierauf ist die Eintragung in die Liste, Offenlegung derselben, Oeffentlichkeit des Statuts und (bei beschränkter Haftpflicht) der Haftsumme vorgeschrieben. Die Erreichung des Zwecks dieser Einrichtungen würde wesentlich beeinträchtigt, wenn die Genossen auf einmal im entscheidenden Augenblick sich durch Berufung auf Willensmängel ihrer Haftung entziehen könnten. Das Gesetz unterscheide nicht zwischen den Wirkungen der Eintragung gegenüber den Gläubigern und der Genossenschaft. Für beide müsse dasselbe gelten. Der Beitritt zu einer Genossenschaft sei (wie bei der Aktiengesellschaft) eine öffentlich abgegebene Erklärung, die im Rechtsverkehr der Genossenschaft mit dritten Personen wirken solle, auf deren Einhaltung auch die Genossenschaft bestehen müsse, da auch hieran die Gläubiger ein Interesse haben. Die Anfechtung der nach § 15 GenGes. durch Eintragung erworbenen Mitgliedschaft sei zulässig, wenn ihre Abgabe nicht dem Bewusstsein des Eingetragenen entprochen hat oder die Handlung der Abgabe rechtswidrig herbeigeführt worden ist." Insofern möge die Bemerkung in der Begründung zu § 15 zutreffen, dafs die Anfechtung der Beitrittserklärung wegen Betrugs oder Zwangs möglich sein könne“. „Ist aber die Beitrittserklärung so, wie sie vorliegt, gewollt, so mag sich der Genosse an den dritten halten, der ihn zum Beitritt veranlafste." (Beschl. der vereinigten ZS. v. 16. Mai 1904.) 2. Strafsachen.

Die

Mitgeteilt vom Reichsgerichtsrat Unger, Leipzig. 44. (Kollektivdelikt. Ne bis in idem.) Ansicht der Strafkammer, dafs die im April und Mai /liegenden Fälle gewohnheitsmäfsiger Kuppelei als durch das den Angekl. wegen gleichen Vergehens bestrafende Urteil vom 13. Febr. abgeurteilt angesehen werden müssten, weil dies Urteil erst später mit Verwerfung der dagegen eingelegten Revision die Rechtskraft erlangt hat, ist irrig. Wenn es sich um die Aburteilung eines Kollektivdelikts handelt, ist allerdings mit der Urteilsfällung die Strafklage bezügl. aller bis zu diesem Zeitpunkt geschehenen Einzelbetätigungen des verbrecherischen Willens verbraucht, weil diese als Bestandteile der strafrechtlichen Einheit Gegenstand des Verfahrens und der Aburteilung geworden sind. Die Strafk. übersieht aber, dafs die erst nach dem 13. Febr. begangene kupplerische Tätigkeit durch die Einlegung des Rechtsmittels nicht Gegenstand des weiteren Verfahrens in der Revisionsinstanz werden konnte, weil

die Prüfung des Rev. Gerichts sich darauf beschränkte, ob das Strafgesetz auf den vor der Aburteilung vom 13. Febr. liegenden Sachverhalt ohne Rechtsirrtum angewendet war. Mit der Verkündung des Urteils v. 13. Febr. hatte der dort abgeurteilte Tatbestand seine tatsächliche und rechtliche Abgrenzung gefunden; die später begangenen Betätigungen gewohnheitsmäfsiger Kuppelei konnten nur als eine neue selbständige Handlung im Sinne des § 74 StrGB. aufgefafst werden, ohne dafs es darauf ankam, ob das erste Urteil die Rechtskraft bereits erlangt hatte. (Urt. II. 6361/03 v. 8. März 1904.)

45. (§ 3778 StrPO. Uebergehung eines Antrags.) Ausweislich des Sitzungsprot. hat der Vert. am Schlusse der Verhandlung die eventuelle Beeidigung der als Zeugin vernommenen Ehefrau des Angekl. beantragt. Ob dieselbe zu beeidigen war, hing nach § 57 Abs. 1 StrPO. vom richterlichen Ermessen ab. Nach dem Sitzungsprot. hatte der Vorsitzende die Zeugin unbeeidigt vernommen und damit dargetan, dafs er die Zeugin nicht beeidigen wolle. Wenn der Vert. nunmehr die Beeidigung ausdrücklich, und zwar eventuell, d. h. für den Fall, dafs das Gericht nicht ohnehin freisprechen werde, beantragte, so kann dies nur dahin aufgefafst werden, dafs er die Entscheidung des Gerichts verlangte. Diese Entscheidung brauchte, weil nur eventuell beantragt, nicht durch besonderen Beschlufs zu erfolgen; es hätte genügt, wenn in den Urteilsgründen die Nichtbeeidigung als dem Ermessen des Gerichts entsprechend bezeichnet wäre. Aber weder aus dem Protokoll noch aus den Gründen geht hervor, dafs das Gericht die Frage der Beeidigung der Zeugin überhaupt erwogen hat. Nun könnte allerdings eine solche Entscheidung des Gerichts, weil sie von dessen Ermessen abhängig ist, im Wege der Revision nicht angefochten werden, aber es ist doch die Möglichkeit vorhanden, dafs das Gericht, falls es die nachträgliche Beeidigung in Erwägung zog, zu einem von der Ansicht des Vorsitzenden abweichenden Beschlusse gelangte. Auch läfst sich nicht verkennen, dafs das Zeugnis, es beeidigt war, einen Einfluss auf die Beweiswürdigung haben konnte. Deshalb Aufhebung. (Urt. I, 4766/03 v. 10. März 1904)

wenn

46. (Urkunde im Sinne des § 274 Z. 1 StrGB.) Angekl. hatte fremde Milchfässer, die den mittels Stempels eingebrannten Namen des Eigentümers trugen, gestohlen und den eingebrannten Namen vernichtet. Seine Rev. gegen die Verurt. aus § 2741 ist verworfen. A. d. Gr.: Als Urkunden im S. des § 274 Z. 1 konnten die auf den Fässern eingebrannten Namensstempel ohne Rechts- — irrtum angesehen werden, da sie nach Annahme des Vorderrichters in verständlicher und im Rechtsverkehr üblicher Weise die Erklärung zum Ausdruck bringen, dafs das mit dem Brandstempel versehene Fafs Eigentum des durch den Stempel benannten Rechtssubjekts sei. Die zum Tatbestande des § 2741 erforderliche Absicht ist ausdrücklich festgestellt. (Urt. II. 5560/03 v. 29. März 1904.) II. Kammergericht.

1. Zivilsachen.

Mitgeteilt vom Rechtsanwalt Magnus, Berlin.

14. (Kann eine einstw. Verfügung auf Grund eines Patentes gewährt werden, wenn dessen Nichtigkeit glaubhaft gemacht ist?) Das LG. I Berlin hatte eine einstw. Verfügung wegen einer Patentverletzung erlassen. Der Patentverletzer hatte Widerspruch erhoben, nachgewiesen, dafs er die Nichtigkeitsklage eingereicht habe und in der üblichen Weise glaubhaft gemacht, dafs die Nichtigkeitsklage von Erfolg begleitet sein werde. Das LG. hat jedoch diese einstw. Verfügung bestätigt mit der Ausführung, dass die Prüfung der Frage der Nichtigkeit den Gerichten entzogen sei, diese vielmehr lediglich das Recht hätten, das Verfahren bis zur Entscheidung des patentamtlichen Nichtigkeitsverfahrens auszusetzen. Bis zur Nichtigerklärung des Patentes müfste aber dem Patentinhaber der Schutz gewährt werden. Das Kammergericht hat diese Ausführungen verworfen und die obige Frage verneint. Aus den Gründen: Die Frage,

Für

ob ein Patent als „neu" anzusehen ist, unterliegt zwar an sich der Kognition der ordentlichen Gerichte nicht. die Frage, ob ein bereits mit der Nichtigkeitsklage (gemäfs §§ 28 ff. Patentges) angefochtenes Patent gegen etwaige Eingriffe gemäfs § 940 ZPO. (vgl. über dessen Anwendung die in Seligsohn, Patentges. II. Aufl. S. 109 Anm. 2 zit. Rechtsprechung des RG) durch Regelung des einstweiligen Zustandes“ zu schützen ist, ist aber auch von dem für den Erlafs der einstw. Verfügung zuständigen Gericht zu prüfen, ob das anhängig gemachte Nichtigkeitsverfahren mit einem stärkeren Grade von Wahrscheinlichkeit Erfolg verspricht oder nicht. Denn die demnächst etwa erfolgende Nichtigkeitserklärung hat rückwirkende Kraft. Die Rechtslage ist dann so anzusehen, „als ob für die Erfindung ein gesetzlicher Schutz überhaupt nicht vorhanden gewesen wäre". (Vgl. Mot. zum Patentges., Fassung von 1877 S. 25) Wenn also glaubhaft gemacht wird, dafs die Nichtigkeitserklärung des Patentes wahrscheinlich erfolgen wird, so kann geachtet der zur Zeit noch fortdauernden Eintragung des Patentes auch das Patentrecht nicht mehr als glaubhaft gemacht angesehen werden. Vielmehr ist der Sachverhalt in diesem Falle so geartet, dafs das Patent zwar formell noch zu Recht besteht, dafs aber seine materielle Hinfälligkeit als glaubhaft gemacht zu erachten ist. Es fehlt also in diesem Falle an der Glaubhaftmachung des durch einstw. Verfügung zu schützenden Anspruches. (Urt. 10 U 2578/03 v. 1. Juli 1903.)

2. Strafsachen.

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Mitgeteilt vom Senatspräsidenten Lindenberg, Berlin. 31. (Aufserpreufsische Lotterie. Losverkauf an Ausländer von Preufsen aus.) Angekl. wohnt in Preussen. Er hat Losanpreisungen über die aufserpreussische M.sche Lotterie versandt, ist aber vom LG. unter der Annahme freigesprochen worden, die Anpreisungen seier nach Luxemburg bestimmt gewesen, und nur versehentlich sei eine Anpreisung an eine in Preufsen wohnhafte Person gelangt. Die Rev. des StA. ist begründet. Angekl. würde, auch wenn er nur den Vorsatz gehabt hat, die Anpreisung der Lose an im Auslande wohnende Personen zu verschicken, den Verkauf der Lose als Mittelsperson befördert haben (§ 2 Ges. v. 29. Juli 1885 Die Beförderung des Losekaufs zugunsten von Ausländern ist strafbar, wenn sie in Preufsen erfolgt. Das Gesetz untersagt allgemein den ihm territorial Unterworfenen den Vertrieb aufserpreussischer Lose, mithin ist es auch den in Preussen wohnhaften Personen nicht erlaubt, den Verkauf derartiger Lose für Ausländer zu vermitteln. Eine solche in Preufsen erfolgte Beförderung liegt aber dann vor, wenn die Aufforderung zum Spielen zugleich mit dem Hinweise darauf, dafs Lose bei dem in Preufsen wohnhaften Absender käuflich sind, in Preufsen der Post zur Beförderung an den Adressaten übergeben und an diesen gelangt ist. Der Irrtum des Angekl., dafs eine Versendung an Ausländer erlaubt sei, kann als ein strafrechtlicher Irrtum den Angekl. nicht schützen. (Urt. T 13/04 v. 9. Juni 1904.)

32. (Heranziehung der von den Gemeindeabgaben freigelassenen Steuerpflichtigen z u Naturaldiensten.) Nach dem Gemeindebeschlusse der Gemeinde N. sind zum Feuerlöschdienst verpflichtet sämtliche über 17 Jahre alte gemeindesteuerpflichtige Einwohner. Die Strafk. nimmt zutreffend an, dafs dies die Steuerpflichtigen sind, von denen § 68 Abs. 1 Kommunalabgabenges. v. 14. Juli 1893 sagt, dafs sie zu Naturalleistungen herangezogen werden können. Wenn die Strafk. aber weiter sagt, dafs hiermit auch die zur Steuer gemäfs § 38 KommAbg Ges. veranlagten, aber befreiten, abstrakt Steuerpflichtigen für wehrdienstpflichtig erklärt seien, so kann dem nicht beigetreten werden. Denn wenn in § 68 Abs. 1 schon gesagt wäre, dafs auch die „abstrakte Steuerpflicht entscheiden solle, dann würde Abs. 5 des § 68 überflüssig, welcher lautet: „Die gemäfs § 38 ganz oder teilweise freigelassenen Steuerpflichtigen können nach Mafsgabe der Bestimmungen des Abs. 2 zu Naturaldiensten herangezogen werden." Dieser Absatz, der von den abstrakt Steuerpflichtigen redet, würde, wenn die Auslegung

des Berufungsgerichts zutreffend wäre, für diese Personen lediglich noch einmal dasjenige wiederholen, was schon der erste Absatz von ihnen sagt. Dies kann nicht die Absicht des Gesetzgebers sein. Gegen die Auffassung der Strafk. spricht auch folgendes: Das KommAbg Ges. erklärt in § 68 Abs. 1 für zulässig die Forderung der Naturaldienste von den gewöhnlichen Steuerpflichtigen, da diese ihrer Vermögenslage nach am besten zur Leistung geeignet erscheinen. Denselben Standpunkt nimmt § 2 des Ortsbeschlusses bezüglich der Feuerlöschdienste ein. Wer aber wegen geringeren Vermögens, wenn die Finanzlage der Gemeinde es gestattet, gar keine oder geringere Steuern trägt (§ 38 Abs. 1 u. 2), ist damit als nicht normal leistungsfähig anerkannt. Deshalb soll er der Regel nach zu Naturaldiensten nicht herangezogen werden (§ 68 Abs. 1). Ausnahmen sind zugelassen (Abs. 5 das.), sie müssen aber im Gemeindebeschlufs besonders ausgesprochen werden. Dies ist im vorliegenden Beschlusse nicht geschehen, daher Freisprechung des Angekl. (Urt. S 647/04 v. 20. Juni 1904.) III. Preussisches Oberverwaltungsgericht. A. I.-IV. u. VIII. Senat. Mitget. v. Senatspräsidenten des OVG. Dr. Schultzenstein, Berlin.

59. (Gemeindeverordnetenwahl.) Bei der Wahl eines Gemeindeverordneten sind anders als bei der eines Gemeindevorstehers oder eines Schöffen bei Berechnung der Stimmen, von denen der Gewählte nach § 62 Abs. 1 der Landgemeindeordnung vom 3. Juli 1891 die meisten und zugleich mehr als die Hälfte erhalten mufs, die Stimmen, welche auf nicht wählbare Personen fallen, mitzuzählen. Auch das sind Stimmen. Eine Person, die nicht Gemeindeverordneter werden kann, kann doch Stimmen erhalten. Stimmen, die aus einem anderen Grunde ungültig sind, z. B. deshalb, weil sie von nicht stimmberechtigten Personen abgegeben sind, sind dagegen nicht mitzurechnen. (Urt. I. 27 v. 8. Jan. 1904.)

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60. (Konkubinat.) Es gehört zu dem Amte der Polizei, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung nötigen Anstalten zu treffen (§ 10 II. 17 ALR.). Ein Konkubinat, de nicht geheim gehalten wird, verletzt die öffentliche Ordnung. Ob an ihm bestimmte Personen tatsächlich Anstofs genommen haben, ist ohne Belang. Das polizeiliche Vorgehen ist gerechtfertigt, sobald der Konkubinat objektiv geeignet ist, Aergernis zu erregen. Und das ist der Fall, wenn er in der Oeffentlichkeit nicht unbemerkt bleibt. (Urt. I. 69 v. 15. Jan. 1904.)

61. (Erneuerung eines Merkpfahls.) Das OVG. hat bisher die Anwendbarkeit der Vorschriften des Ges. wegen des Wasserstandes bei Mühlen usw. v. 15. Nov. 1811 unter Anerkennung der Zuständigkeit der Ortspolizeibehörde zur Erzwingung des Ersatzes abhanden gekommener und der Richtigstellung verrückter Merkpfähle verneint und hieraus die weiteren Folgen gezogen, dafs die in der Annahme, es habe die Setzung eines Merkpfahls noch nicht stattgefunden, beantragte Setzung eines Merkpfahls nach Mafsgabe des Ges. v. 15. Nov. 1811 wegen Unzulässigkeit des hier geregelten Verfahrens abzuweisen sei, wenn sich im Laufe der Verhandlung ergibt, dafs in Wahrheit in einem Verfahren nach diesem Gesetze der Merkpfahl gesetzt war und die damals festgesetzte Stauberechtigung noch feststellbar ist. Hieran kann jedoch nicht festgehalten werden, vielmehr ist anzunehmen, dafs auch bei Abgang und Verrückung die Erneuerung des Merkpfahles den Kommissaren nach Mafsgabe der Vorschriften des Ges. v. 15. Nov. 1811 zufällt und die von der Ortspolizeibehörde bewirkte Setzung des Merkpfahls nicht die Wirkung hat, dafs den Beteiligten behufs Entscheidung ihres Streites über die richtig erfolgte Setzung des Merkpfahls die Anrufung des ordentlichen Richters versagt wäre, oder dafs der Strafrichter ihre Setzung als mafsgebend für ein Strafverfahren nach § 9 zu erachten hätte. (Urt. III. 141 v. 21. Jan. 1904.) 62. (Abschuss von Wild, namentlich wilden Kaninchen.) Für den Wortlaut des § 90 des Zuständigkeitsges. v. 26. Juli 1870 konnte ein Zweifel darüber nicht aufkommen, dafs als Rechtsmittel gegen Anordnungen des Landrats jagdpolizeilicher Art insoweit, als

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