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aneignen, und das ginge viel zu weit und müfste ihn selbst ungebührlich überlasten. Das Richtige ist darum, von Fall zu Fall zu bestimmen, was, als ein aufbewahrungsfähiges Denkmal oder Altertumsstück, der Fürsorge anheimgegeben werden soll. Wird daraufhin eine solche Sache in staatliche Fürsorge gebracht, dann ist, wie gezeigt, ein doppeltes Verfahren möglich entweder läfst man sie dem Eigentum des Finders oder Grundeigners und belastet dieses Eigentum damit, dafs die Sache nicht zerstört und nur mit Erlaubnis veräufsert werden darf, und überhaupt auch sonst der staatlichen Kontrolle unterliegt; oder man enteignet die Sache, und für diesen Fall sind besondere Bestimmungen zu treffen, welche das Enteignungsverfahren erleichtern. Mehr oder weniger finden sich derartige Gedanken in den neueren Gesetzen. An Stelle des Enteignungsrechts tritt mitunter auch ein Vorkaufsrecht, so dafs der Staat nur für den Fall der Veräusserung an die Sache herantreten darf.

§ 2. Unter Denkmal ist eine Sache zu verstehen, die den Charakter eines Kunstwerkes besitzt und zu gleicher Zeit für die Kennzeichnung einer vergangenen Periode der Menschheit bedeutsam ist. Ein Gegenstand der gleichen Art, der nicht Kunstwerkscharakter hat, ist als Altertums werk zu bezeichnen. Bei dem ersteren ist das ästhetische und geschichtliche, bei dem letzteren das geschichtliche Interesse bedeutsam. Kunstwerke der neueren Zeit, die nicht einer bereits abgeschlossenen Periode der menschlichen Entwicklung angehören, sind nicht als Denkmäler zu behandeln: sie lassen sich nicht in diesen Schutz einschliefsen, schon darum nicht, weil ein endgültiges Urteil über ihren ästhetisch-geschichtlichen Wert sich noch nicht fällen läfst, und weil in einer Zeit, die diese Kunstwerke schafft, eine Aufbewahrung des Gegebenen nicht in dem Masse erforderlich ist, wie dann, wenn die Schöpfungsbedingungen einer solchen Periode versiegt sind; die Vergangenheit aber, die eine Periode abschliefst, gibt uns die Möglichkeit einer endgültigen Wertschätzung, und das Bedürfnis, altehrwürdige Gegenstände zu erhalten, drängt sich hervor, wenn die Zeit ihrer Schöpfung verflossen ist, so dafs man mit dem Vorhandenen hausen mufs, soll jene Periode nicht unserer geschichtlichen Kenntnis entschweben.

Zu den blofsen Altertümern gehören zunächst solche Dinge, die den Kunstwerken verwandt sind, also Gegenstände, die, wie Waffen, Gebrauchsgegenstände, Kleider und Schmucksachen, an sich schon Zeugnisse des früheren Lebens bilden, die nicht etwa blofs eine Erzählung oder sprachliche Beschreibung bieten. Im weiteren Sinne gehören allerdings auch Manuskripte hierher, also Dinge, die nur kraft der in ihnen enthaltenen Gedankendarstellung bedeutsam sind; sie gehören jedenfalls dann hierher, wenn sie als Inschriften auf Stein und ähnlichem Material in der Aufbewahrungsweise den Denkmälern verwandt sind. Für anderweitige Manuskripte ist gleichfalls ein Schutz angängig und

unter Umständen auch erforderlich. Doch dürfte es angezeigt sein, hier besondere Bestimmungen zu geben, da die Technik der Sammlung und Aufbewahrung und auch die Technik der Benutzung eine andere ist. Das italienische Gesetz von 1902, Art. 32, bezieht sich auch auf alte Handschriften und Inkunabeln. Allerdings können solche infolge der darin enthaltenen Miniaturen einen Kunstwerkcharakter haben, so dass mitunter das eine in das andere übergeht.

Nicht als Denkmäler und Altertümer sind merkwürdige Naturgegenstände zu betrachten, wie die Knochen in Hünengräbern, paläontologische Funde etc., merkwürdige merkwürdige Kristalle und Versteinerungen. Die neuere Zeit drängt auch in dieser Beziehung zu einem Schutz und will auch solche Gegenstände gegen Zerstörung und Veräusserung sichern. Man müfste daher zu den Denkmälern und Altertümern noch den dritten Begriff, den der denkwürdigen Naturobjekte früherer Erdperioden (Naturdenkmäler) hinzufügen: diese Gegenstände sind nicht geschichtliche Denkmäler der Menschheitsgeschichte, wohl aber Denkmäler der Geschichte unseres Planeten; die Eigenschaft des Historischen tritt auch in ihnen hervor, und die Naturdenkmäler reihen sich auf solche Weise in ihrer Art und Bedeutung den Altertümern an, auch wegen des Grundes des Schutzes, der darin liegt, dafs die Zeugnisse der Vergangenheit nicht verschwinden sollen. Eine weitergehende Auffassung der Naturdenkmäler hat man im hessischen Gesetz v. 16. Juli 1902, Art. 33, versucht, indem man als Naturdenkmäler bezeichnet „natürliche Bildungen der Erdoberfläche, wie Wasserläufe, Felsen, Bäume u. dgl., deren Erhaltung aus geschichtlichen oder naturgeschichtlichen Rücksichten oder aus Rücksicht auf landschaftliche Schönheit oder Eigenart im öffentlichen Interesse liegt". Ich glaube aber nicht, dafs diese Fassung des Begriffs sich halten läfst, und dafs es z. B. auf die Dauer angehen wird, jemanden, auf dessen Grundstück sich eine nur ihres ästhetischen Interesses willen interessante Felsenformation oder ein Wasserfall oder ein eigenartig gestalteter (nicht geschichtlich denkwürdiger) Baum befindet, zu verpflichten, den vorhandenen Zustand des Geländes nicht zu ändern. Schliefslich könnte noch jemand, unter dessen Boden sich eine hübsche Grotte hinzieht, oder auf dessen Landgut eine besonders hübsche Baumgruppe den Abendhimmel verschönt, angehalten werden, dies zu belassen und sich von jedem Umbau fernzuhalten. Das führt zu einem Uebermasse erdentrückter Romantik und zu unkontrollierbarer Gefühlsjurisprudenz, die der gesunden Entwicklung des Eigentums sehr hinderlich werden kann. Ich glaube, dafs das geschichtliche Interesse, natürlich in dem weiteren Sinne, welcher auch die Erdentwicklung umfasst, das ausschlaggebende Element sein und bleiben mufs; das bietet der Rechtsbehandlung Halt und Stütze. Für die ästhetische Natur hat der einzelne nur mittelbar zu sorgen, in der Art, dass er nicht durch Reklame und derartiges eine schöne Gegend verunziert. Gegend verunziert. Das ist eine andere Form des

Schutzes, die mit Recht im hessischen Gesetze und auch in Preufsen vertreten ist.1)

§ 3. Die bisherigen Gesetze beziehen sich entweder nur auf unbewegliche Sachen, oder sie treffen auch bewegliche Dinge. Bemerkenswert und vielfach übersehen ist, dafs, während das französische Gesetz von 1887 fast nur die unbeweglichen Sachen begreift, bereits ein französisches Dekret vom 7. März 1886 für Tunis Schutzbestimmungen enthält über die objets d'art et d'antiquité mobiliers découverts en Tunisie, und dafs hier bezüglich der Inschriften besondere Vorkehrungen getroffen sind. Aufserdem ist nicht zu übersehen, dafs manche Gesetze, insbesondere auch das französische, den beweglichen Kunstwerken, welche sich in Museen, Bibliotheken, öffentlichen Kirchen befinden, in der Art einen besonderen Schutz verleihen, dass sie sie zu Sachen des öffentlichen Eigentums stempeln, die unveräusserlich und unersitzbar sind, worüber ich näheres a. a. O. S. 76 mitgeteilt habe. Aehnlich sind auch die Bestimmungen des italienischen Gesetzes, namentlich Artikel 25, zu fassen. Es mufs daher von den Grundsätzen des gutgläubigen Erwerbs Abstand genommen werden: der Satz „Hand wahre Hand" pafst hier nicht; die Vindikation mufs durchgreifen: denn wenn in sonstigen Fällen die Interessen des guten Glaubens denen des Eigentums vorgehen, so ist eine andere Behandlungsweise dann geboten, wenn es sich um ein vielleicht einzigartiges Kunst- oder Altertumsobjekt handelt, mit dessen Verlust eine bedeutende Kulturminderung für die Menschheit verbunden wäre. 2)

§ 4. Alle diese Gesetze sind unvollständig, wenn sie nicht noch einen Punkt mit in Betracht ziehen, auf den ich a. a. O. S. 73 f. hingewiesen habe. Wenn nämlich diese Sachen so bedeutsam sind, dafs sie nicht zerstört und nicht ins Ausland geschafft werden dürfen, so sind sie auf der anderen Seite auch so wichtig, dafs ihre Kenntnisnahme dem Publikum nicht vorenthalten werden darf, Sie werden nicht darum aufbewahrt und der Zerstörung entzogen, um in abgeschiedener Nacht, fern von der denkenden und empfindenden Menschheit zu hausen. Sind sie daher nicht in öffentlichen Museen aufgestellt und auf solche Weise dem Publikum zugänglich, sind sie Privateigentum, so mufs zur Verpflichtung der Unterhaltung und der Kontrollgestattung noch die Verpflichtung hinzukommen, die Besichtigung mindestens an gewissen wiederkehrenden Tagen gegen mäfsiges Eintrittsgeld zu erlauben, natürlich unter den Vorsichtsmafsregeln, die auch bei der Verwaltung von Museen geboten sind. Wenn man denkt, dafs die Farnesina längere Zeit dem Publikum verschlofsen war, dass Gemälde von Raphael und Sodoma Jahrzehnte hindurch der

1) Enzyklopädie I, S. 609.

2) In Berlin war einmal ein van Eyck gestohlen worden; man erlangte ihn wieder und zahlte dem gutgläubigen Erwerber eine Auslobungssumme. Wie aber, wenn ein derartiges Bild durch Unterschlagung an einen gutgläubigen Erwerber käme? Müfste da nicht die Anwendung der §§ 932 ff. BGB. zu schwerer Schädigung unserer Interessen führen?

Menschheit vorenthalten wurden, dafs uns Hauptwerke des Pinturicchio erst in der neueren Zeit wieder zugänglich geworden sind, so wird man verstehen, was es heifst, dafs das kostbare Pfund der alten Zeit nicht vergraben werden soll, und dafs es nicht im Belieben eines Privateigners stehen darf, Kulturelemente derart der Menschheit zu entziehen oder das Publikum etwa der Brutalität eines mancialüsternen Kustoden preiszugeben. Man konserviert die Sachen nicht, um sie zu konservieren, sondern damit sie als Bildungsmittel höchsten Ranges dienen. Gerade in dieser Beziehung aber wäre es angezeigt, bezüglich der Handschriften besondere Bestimmungen zu geben, da diese nicht zur Besichtigung, sondern zum technischen Studium dienen sollen, welches Studium unter eigenen Regeln steht und zur eigenartigen Behandlung der Sache führt; schon darum glaube ich, dafs die Handschriften besonderen Verordnungen unterworfen werden müssen.1)

§ 5. Die Frage, ob die Rechtssatzung über Denkmäler, Altertümer, Handschriften und Naturprodukte der Reichs- oder Landesgesetzgebung zu überlassen ist, mufs nach dem jetzigen Stande der deutschen Entwickelung sicher dahin beantwortet werden, dafs es Sache der Landesgesetzgebung sein mufs, hierüber Normen zu geben; die reichsrechtliche Grundlage für diese landesgesetzliche Behandlung ist Art. 109 EG. z. BGB. Das ganze Gebiet hängt innig zusammen mit den übrigen Bildungsfaktoren, mit der Volkserziehung, mit der Beförderung wissenschaftlicher Anstalten, mit dem Museums- und Bibliothekenwesen. Alles dies ist Sache der in den Einzelstaaten waltenden Kulturbestrebungen; gerade in dieser Richtung ist noch die Verschiedenheit der Auffassung und Denkungsweise in Verbindung mit der Verschiedenheit des Volkscharakters und der sonstigen Volksideen bedeutsam. Auch sind die privatrechtlichen Bestimmungen über das Denkmalwesen nicht ohne Begleitung einer Reihe polizeilicher Verordnungen denkbar, die nach der ganzen Art der Polizeiübung und nach der Verschiedenheit der Behördenorganisation sicher dem Landesrecht angehören müssen. Diese Verschiedenheiten auszumerzen, würde nach dem heutigen Stand der Dinge jedenfalls verfrüht sein; gerade die Vielseitigkeit des deutschen Wesens hat vieles zur hervorragen. den geistigen Kultur unseres Volkes beigetragen.

§ 6. Ich wäre daher für die Landesgesetzgebung, die nicht etwa blofs einzelne Gebiete, sondern das ganze Bereich des geschichtlichen Sachenschutzes umfassen sollte, wobei man dann allerdings, der Technik halber, Handschriften ausscheiden und besonderen Satzungen unterwerfen müfste. Die üblichen polizeilichen Anordnungen, wonach Funde angezeigt werden müssen, wonach derjenige, der ausgräbt, besonderer Erlaubnis bedarf, können ohne weiteres übernommen werden. Die vielfach zerstreuten Verwaltungsbestimmungen bez. der Denkmäler in Gemeinden und Kirchen lassen sich unter gemeinsame Normen bringen; vor allem aber wären 1) Vgl. auch Aus Kultur und Leben S. 153.

die zivilrechtlichen Bestimmungen wichtig, welche den Eigentümer solcher Gegenstände dahin belasten, dafs er den Gegenstand nicht zerstören und nicht veräussern darf, und welche dem Staate Vorkaufsund erleichterte Enteignungsrechte geben. Schliefslich wäre es zweckmäfsig, derartige Gegenstände den Bestimmungen der §§ 932 ff. BGB. zu entziehen.

$ 7. Ich kann meine Ausführungen nicht schliefsen ohne die Bemerkung, dass das System des § 984 BGB. über die Halbteilung beim Schatzfund mir nicht anmutend und sachgemäls erscheint. Schon die Folgerung, dafs regelmäfsig ein Miteigentum und damit eine Quelle von Hader und Zwietracht, von Auseinandersetzungen mit allem, was damit zusammenhängt, entsteht, ist eine Mifslichkeit. Sodann spricht für den Halberwerb des Grundeigners oder des Eigners der beweglichen Sache, in welcher der Schatz gefunden wird, kaum irgendwie ein genügender Grund. Der Gedanke, dafs der Schatz etwa eine Akzession der Sache wäre, ist völlig abzulehnen: die Verbindung ist eine äufserliche; noch abwegiger wäre die Idee, den Schatz etwa als eine Frucht der Sache darzustellen. Möglich, dafs jemand einen Gegenstand erwirbt, mit der Erwartung, in ihm einen Schatz zu finden; aber das ist eine Gedankenverbindung, die in keiner. Weise bedeutsame Vermögensfolgen rechtfertigen kann; es ist ebenso, wie wenn jemand einen Gegenstand erwirbt, in der Erwartung, damit irgendwie spekulieren zu können: niemals kann eine derartige Erwartung eine Grundlage für einen Rechtsanspruch abgeben. Wenn natürlich der Eigentümer die Schatzgräberei gestattet, so kann er daran beliebige Folgen knüpfen und sich das eine oder andere versprechen lassen. Aufserdem ist es nur dann gerechtfertigt, dafs der Eigner gewisse Ansprüche erwirbt, wenn der Schatzgräber ohne seine Zustimmung gehandelt und dadurch in einer unangemessenen Weise in sein Eigentum eingegriffen hat: in diesem Falle ist es billig, dafs dem Eigner nicht nur eine Entschädigung bezahlt, sondern ihm auch ein gewisser Geldanspruch gegen den Schatzgräber gewährt wird, als Ersatz für die Widerrechtlichkeit; und billig ist hierbei eine gewisse Abstufung des Entschädigungsanspruchs nach dem Verhältnis des für den Finder günstigen Erfolges dieser Widerrechtlichkeit.

Eine derartige Gestaltung der Sache wäre besser als die gesetzliche, und namentlich wäre hierdurch noch eine Härte vermieden, zu der unser Gesetz ebenso wie das römische Recht drängt: wenn nämlich der Finder seinen Fund verhehlt und die Sache wegnimmt, so kommt man nach unserem Rechte zur Unterschlagung; das ist aber eine unangemessene Schärfe in der Behandlung des Finders: denn wenn er auch unrecht handelt, so liegt doch sicher kein Grund vor, ihn als Unterschlagenden dem Dieb anzunähern. Zwischen ihm und dem Unterschlager eines Fundes, dem ungetreuen Verwalter und gar dem Dieb liegt eine riesige Kluft. Manche früheren

Gesetze hatten die Härte dadurch vermieden, dafs sie den Finder in diesem Falle anders als einen Unterschlagenden behandelten und eine besondere Strafe festsetzten, z. B. Verlust seiner Finderhälfte. Man wollte damit zum Ausdruck bringen, dass er lediglich ein Defraudant, durchaus nicht ein Mensch ist, dem das fremde Eigentum nicht heilig wäre.1) Mit unserem Vorschlag würde die Härte von selber wegfallen.

Vielleicht wäre es angezeigt, bei Regelung des Denkmalschutzes in Betracht zu ziehen, ob nicht das Reichsgesetz in dieser Beziehung eine Aenderung erfahren könnte.

Recht und Pflicht des Aufsichtsrats und Vorstandes von Aktiengesellschaften zur Einberufung einer Generalversammlung.

Vom Justizrat Dr. Herman Veit Simon, Berlin.

Die äussere Veranlassung dafür, dafs das in der Ueberschrift genannte Thema auf die Tagesordnung des diesjährigen Juristentags gesetzt wurde, war eine Entsch. des Reichsgerichts v. 3. Mai 1902. In dieser findet sich der Satz:

Bei der rechtlichen Beurteilung der Verantwortlichkeit für diesen (durch eine Mafsnahme des Vorstandes entstandenen) Schaden geht der Berufungsrichter ganz richtig davon aus, dafs Vorstand und Aufsichtsrat schon nach den angezogenen Vorschriften des Gesetzes (Art. 236 Abs. 2, 241 Abs. 2, 225 Abs. 2, 226 Abs. 1 HGB.) verpflichtet sind, sich vor Einlassung auf wichtige, kostspielige, riskante und deshalb das Interesse der Aktionäre in besonderem Mafse berührende Unternehmungen der Einwilligung der Generalversammlung zu versichern.

Es wurde den verklagten Personen, im Gegensatz zu einer älteren, die Materie behandelnden Entsch. v. 28. Mai 1895 (Entsch. 35 S. 83), sogar der Gegenbeweis abgeschnitten, dafs die Generalversammlung die ohne ihre Zustimmung getroffene Mafsnahme genehmigt haben würde.

I. Jene Begründung rief in den beteiligten Kreisen eine Erregung hervor, die die Entscheidung selbst nie hätte hervorrufen können. Denn nach dem Tatbestand hatte der Vorstand, trotzdem statutarisch Anlagen im Betrage von mehr als 25 000 M. der Genehmigung der Generalversammlung bedurften, eine Anlage herstellen lassen, die ein Vielfaches dieses Betrages erforderte und die sich als wertlos erwies. Dafs hiernach der Vorstand wegen seines statutenwidrigen Verhaltens an sich in vollem Umfang schadensersatzpflichtig war, konnte nicht in Zweifel gezogen werden. Es war also nicht erforderlich, einen derartigen allgemeinen Satz aufzustellen. Offenbar wollte daher der Gerichtshof bei dieser Gelegenheit einen allgemeinen Rechtssatz von weitertragender Bedeutung aufstellen.

Die Erregung, die das Urteil hervorrief, war sachlich berechtigt. Denn wenn die Leiter der Aktiengesellschaften bei wichtigen, kostspieligen, riskanten Unternehmungen die Generalversammlungen vorher befragen müfsten, so würde dies eine schwere

1) Vgl. österreich. BGB. § 400 u. badisches StrGB. §§ 408, 409.

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Schädigung des Aktien wesens und damit zugleich des nationalen Wohlstandes zur Folge haben. Adolph von Hansemann, Georg von Siemens, Rathenau, Baare, Löwe und die anderen Männer, welche deutsche Aktiengesellschaften zu ungeahnter Blüte brachten, haben dies Ziel erreicht, obwohl sie wichtige, kostspielige, riskante Unternehmungen ohne Befragung der Generalversammlungen vornahmen, und sie hätten es nicht erreichen können, wenn sie anders gehandelt hätten. Als Siemens die Anatolischen Bahnen in das Leben rief, schlugen selbst erfahrene Finanzmänner die Hände über den Kopf zusammen, und doch hat sich das Unternehmen finanziell, national wirtschaftlich und politisch als eine Tat ersten Ranges erwiesen. Wie geschichtsphilosophisch mehr und mehr die Erkenntnis wächst, dafs unsere Entwickelung in erster Reihe nicht auf den grofsen Massen ruht, sondern auf grofsen Männern, die ihrer Zeit vorauseilen, so mufs auch die Ueberzeugung reifen, dafs auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens die wichtigsten Erfolge eines Volkes fast ausschliefslich auf einzelne hervorragende Persönlichkeiten zurückzuführen sind. Mehr und mehr wird die Zusammenfassung grofser Kapitalien jetzt Voraussetzung für die Erreichung weitergesteckter Ziele des Erwerbslebens; diese Zusammenfassung erfolgt fast ausschliefslich in der Form der Aktienvereine. Wollen diese aber für ihre Aktionäre und für die Gesamtheit etwas erreichen, so müssen an ihrer Spitze starke Individualitäten stehen, die freies Feld für ihre Entwickelung haben. Müssen diese leitenden Männer bei wichtigen, kostspieligen, riskanten Unternehmungen stets erst die Generalversammlungen fragen, so werden sie in ihrer Tatkraft gelähmt; die Unternehmungen selbst werden vielfach unmöglich gemacht werden.

Und dies alles, damit die Generalversammlung der Aktionäre die Entscheidung trifft. Glaubt man denn ernstlich, dafs eine Bank besser beraten wird, wenn die Generalversammlung die Entscheidung trifft, als wenn dies der Vorstand tut? Der Vorstand ist bei seiner Entschliefsung für die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes verantwortlich, der Aktionär stimmt unverantwortlich nach freiem Ermessen. Der Vorstand hat auf Grund seiner Sachkunde zu entscheiden; die Abstimmung der Aktionäre ist präsumtiv von keiner Sachkunde getrübt regelmäfsig würde es ein reiner Zufall sein, wenn ein Aktionär einmal etwas von einem vorgeschlagenen Unternehmen aus eigener Sachkunde verstehen sollte. Gerade die wichtigsten Erwägungsgründe wird der Vorstand der Oeffentlichkeit oft gar nicht mitteilen können. Nicht wenige Geschäfte, z. B. Uebernahme von Kriegslieferungen, stellen an sich schon ein Geheimnis dar. Man sehe aber auch die Generalversammlungen an, wie sie sich in der Wirklichkeit, und nicht nach den Gesetzesparagraphen abspielen. Anwesend sind meist nur Mitglieder der Verwaltung oder solche Personen, die von Mitgliedern der Verwaltung hierum gebeten sind; die Generalversammlung pflegt eine Viertel

stunde zu dauern, auch wenn über die Verwaltung von mehreren Hundert Millionen Mark Rechnung gelegt werden soll. Wenn aber einmal ein Zusammenbruch erfolgt und eine gröfsere Anzahl Aktionäre zusammentritt, so ist die Beratung planund ziellos, bis einzelne Personen die Leitung übernehmen. Vor Jahrzehnten bereits stellte Jhering die Generalversammlung einem Unmündigen gleich, der selbst eines Vormundes bedarf:

„Welchen Wert die Rechnungsablage vor der Generalversammlung hat, lehrt der Umstand, dafs Lug und Trug durch sie in keiner Weise behindert worden sind; ebensogut könnte man einen Unmündigen dadurch zu schützen gedenken, dafs der Vormund ihm Rechnung legt “1)

Und die preufsische Spezialkommission zur Untersuchung des Eisenbahnkonzessions wesens kam zu dem Ergebnis, dafs die Generalversammlung den Interessen der Gesellschaft regelmäfsig kritiklos gegenübersteht.2)

Es läfst sich somit vom praktischen Standpunkt aus nichts Ungereimteres denken, als wenn man die schwierigsten Entschlüsse der Zufallsmehrheit einer Versammlung überträgt, die den Interessen der Gesellschaft kritiklos gegenübersteht“, und daher ist schwer zu sagen, wann das Interesse der Gesellschaft die Berufung einer solchen Versammlung erheischt.

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Es bedarf nicht der Ausführung, dafs in dem vom Reichsgericht angenommenen Fall die Berufung nicht erforderlich sein würde, wenn die Generalversammlung für derartige Beschlüsse nicht zuständig wäre. Andererseits würde man, wenn überhaupt abgesehen von den gesetzlich oder statutarisch vorgesehenen Fällen ein Recht der Generalversammlung zur Beschlufsfassung über Geschäfte der Gesellschaft besteht, zugeben müssen, dafs die Generalversammlung zur Beschlufsfassung über wichtige, kostspielige und riskante Unternehmungen zu berufen ist; denn wenn die Generalversammlung „die oberste Leitung der Geschäfte" hätte,3) so dürften ohne ihre Zustimmung solche Unternehmungen nicht eingegangen werden. Endemann, Lehmann und Staub) wenden sich zwar gegen die reichsgerichtliche Entscheidung, nehmen aber trotzdem im wesentlichen übereinstimmend an, dafs Vorstand und Aufsichtsrat bei aufsergewöhnlichen Geschäften die Pflicht haben, die Generalversammlung zur Beschlufsfassung zu berufen, auch wenn keiner der im Statut oder im Gesetz der General

1) Zweck im Recht I S. 227.

2) Drucks, des preufs. Abgeordnetenhauses XII. Leg. 1. Sess. No. 11 S. 184.

8) Cosack, HR. 6. Aufl. S. 580.

4) Endemann in d. Monatsschr. f. Handelsrecht XII S. 201 f.; Lehmann, Verhandl. des 27. Juristentags I S. 73; Staub, ebenda S. 87.

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Die Generalversammlung ist die Verkörperung der Gesellschaft und ist als solche sowohl Prinzipal der Verwaltungsorgane, als auch Inhaberin alleiniger freier Willensbestimmung “1)

und das Reichsgericht hält die Generalversammlung für das Organ zur Fassung von Beschlüssen, den Vorstand als Organ für deren Ausführung.2) Man könnte unter Uebertragung eines staatsrechtlichen Satzes diese Ansicht unserer obersten Gerichtshöfe dahin zusammenfassen: Les directeurs règnent, mais ils ne gouvernent pas.

Diese Auffassung ist aber rechtlich unrichtig, und es wäre ein Unglück, wenn sie tatsächlich richtig wäre.

Die Aktienvereine sind Körperschaften. Als solche bedürfen sie eines Organes oder mehrerer Organe für ihr Wollen und ihr Handeln. Die Zuständigkeit dieser Organe wird durch die Verfassung (Gesetz, Statut) geregelt. Die Annahme, dafs ein Organ allein die Verbandspersönlichkeit verkörpere, ist irrig. Dies gilt gerade ebenso für die Generalversammlung der Aktiengesellschaft, wie auf dem Gebiet der öffentlich-rechtlichen Körperschaften für das monarchische Haupt des Staates.3)

Jedes der verschiedenen Organe einer Körperschaft hat seine besonderen verfassungsmässigen Rechte und Pflichten. Der Vorstand leitet seine Rechte nicht von der Generalversammlung ab, sondern von der Verfassung der Gesellschaft. Er wird ja auch in vielen Fällen gar nicht von der Generalversammlung berufen; er kann z. B. im Gesellschaftsvertrage selbst ernannt oder von Behörden eingesetzt sein (Eisenbahngesellschaften mit Staatsverwaltung). Auch auf politischem Gebiete hat man lange Staat und Volk identifiziert, das Volk oder seine Vertretung als den souveränen Träger des Staatswillens hingestellt und den Monarchen in die Stellung eines ausführenden

1) Entscheidung XV S. 125.

2) RG. III S. 132.

3) Gierke, Genossenschaftstheorie S. 689.

Organs des Volkswillens hinabdrücken wollen, genau wie dies das Reichsgericht bezüglich des Vorstandes tut. Auf politischem Gebiet hat man sich zu der Ueberzeugung durchgerungen, dafs auch dort, wo eine Mehrheit unmittelbarer Organe vorhanden ist, niemals eines von ihnen dem Imperium des anderen untertan ist.1) Gewifs kann unter Umständen das eine Organ verfassungswidrig handeln, wenn es die Beschlüsse des anderen nicht ausführt, so wenn der Kaiser ein verfassungsmäfsig vom Reichstag und Bundesrat angenommenes Gesetz nicht veröffentlicht. Aber dann mufs eben die Verfassung eine bezügliche Bestimmung enthalten.

Das Handelsgesetzbuch enthält für das Verhältnis des Vorstandes zu der Generalversammlung keine Bestimmung, wonach der Vorstand - von besonderen Fällen abgesehen für seine Handlungen der Genehmigung der Generalversammlung bedarf. Beide sind Organe der Gesellschaft; jedem dieser Organe sind bestimmte Tä keiten überwiesen. Die allgemeine Stellung der Generalversammlung ist umschrieben in § 250 HGB.:

Die Rechte, welche den Aktionären in den Angelegenheiten der Gesellschaft, insbesondere in bezug auf die Führung der Geschäfte, zustehen, werden durch Beschlufsfassung in der Generalversammlung ausgeübt.

Es ist also nicht gesagt: Den Aktionären steht die oberste Führung zu. Vielmehr ist gesagt: Die Rechte, welche den Aktionären in den Angelegenheiten der Gesellschaft zustehen, werden durch. die Generalversammlung ausgeübt. Fragt man: welche Rechte sind dies? so mufs man Gesetz und Statut zur Hand nehmen. Das Gesetz enthält eine grofse Anzahl solcher Rechte, die in den Kommentaren säuberlich katalogisiert sind. Die Statuten enthalten in ihrer überwiegenden Mehrzahl dann noch besondere Fälle, in denen die Zustimmung der Generalversammlung erforderlich ist. Dafs aber auch in solchen Fällen, in denen weder nach Gesetz noch nach Statut den Aktionären Rechte in den Angelegenheiten der Gesellschaft zustehen, ohne Unterschied des Gegenstandes bei Wichtigkeit des Falles die Generalversammlung mitzureden habe, ist eine Annahme, die jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt. Eine solche Generalklausel enthält namentlich der § 250 HGB. nicht, der vielmehr durch seine Fassung „die Rechte, welche zu seiner Ergänzung lediglich auf die Einzelvorschriften des Gesetzes und der Statuten verweist.

Die ergänzende Heranziehung der Bestimmungen des BGB. über die Vereine ist bezüglich der Befugnisse der Gesellschaftsorgane nicht unbedenklich, wenn man die ins einzelne gehende Ordnung der Materie im HGB. bedenkt. Jedenfalls spricht aber § 32 BGB. für die hier vertretene Auffassung, denn dort ist für den Vorstand der Vereine bestimmt:

Die Angelegenheiten des Vereins werden, soweit sie nicht von dem Vorstand oder einem anderen Vereinsorgane zu besorgen sind, durch Beschlufsfassung in einer Versammlung der Mitglieder geordnet.

Hier handelt es sich aber um Geschäfte, die

1) Jellinek, Allgemeine Staatslehre S. 509.

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