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mögensschaden neben dem erlittenen Verlust auch den entgangenen Gewinn umfasse und sich ferner auf die Nachteile erstrecke, welche die Verhaftung für den Erwerb oder das Fortkommen des Verhafteten herbeigeführt habe. Aufser dem Verhafteten haben auch diejenigen Personen, denen gegenüber er kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war, Anspruch auf Entschädigung, insoweit ihnen durch die Verhaftung der Unterhalt entzogen worden ist (§ 1 Abs. 2, § 3 Abs. 2). Die Entschädigung wird aus der Kasse des Bundesstaats gezahlt, bei dessen Gerichte das Strafverfahren in erster Instanz anhängig war (§ 7). In den zur Zuständigkeit des Reichsgerichts gehörigen Sachen ist die Reichskasse ersatzpflichtig (§ 9).

Die Grundzüge des Verfahrens sind folgende. Ueber die Verpflichtung der Staatskasse zur Entschädigung hat das Gericht von Amts wegen gleichzeitig mit seinem freisprechenden Urteile oder mit dem Beschlusse, durch den der Verhaftete aufser Verfolgung gesetzt wird, durch besonderen Beschlufs Bestimmung zu treffen. Dieser Beschlufs unterliegt nicht der Anfechtung durch Rechtsmittel. Er wird nicht verkündet, sondern, nachdem das freisprechende Urteil oder der Beschlufs über die Aufserverfolgungsetzung rechtskräftig geworden ist, durch Zustellung bekannt gemacht (§ 4). Der Weg der nicht in die Oeffentlichkeit tretenden Zustellung ist gewählt worden, um für den Fall der Versagung des Entschädigungsanspruches unnötige Härte möglichst zu vermeiden. Nach einem im Reichstag angenommenen Antrage „soll" der Beschlufs, welcher die Entschädigungsverpflichtung der Staatskasse ausspricht, nachrichtlich auch den erwähnten Unterhaltsberechtigten, die nicht dem Hausstande des Verhafteten angehören, mitgeteilt werden, sofern ihr Aufenthalt dem Gerichte bekannt ist (§ 4 Abs. 3 Satz 3). Wer nun auf Grund des ergangenen Beschlusses einen Entschädigungsanspruch erheben will, hat diesen bei Vermeidung des Verlustes binnen sechs Monaten nach der Zustellung des Beschlusses durch einen Antrag bei der Staatsanwaltschaft des Landgerichts zu verfolgen, in dessen Bezirke das Verfahren in erster Instanz anhängig war. Ueber den Antrag entscheidet die oberste Behörde der Landesjustizverwaltung. Die Erledigung der reichsgerichtlichen Sachen ist der Staatsanwaltschaft bei dem Reichsgericht bzw. dem Reichskanzler überwiesen (§ 9 Abs. 2). Gegen die Entscheidung der Justizverwaltung ist die Berufung auf den Rechtsweg zulässig. Die Klage ist gegen die gesetzlich zur Vertretung des Fiskus berufene Stelle bei der Zivilkammer des Landgerichts, das ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ausschliefslich zuständig ist, binnen einer Ausschlufsfrist von drei Monaten nach der Zustellung der Entscheidung zu erheben (vgl. § 6 Abs. 3). Die Sache geht jetzt den gewöhnlichen Weg des Zivilprozesses; in diesem ist darüber zu entscheiden, ob ein Vermögensschaden durch die Untersuchungshaft verursacht worden ist, und eventuell, wie grofs dieser Schaden ist. Die bereits im Gesetz v. 20. Mai 1898 ge

troffene Regelung: Entscheidung des Strafgerichts über den Grund des Anspruchs, die weiter etwa erforderliche Entscheidung im Wege des Zivilprozesses, darf als eine besonders glückliche bezeichnet werden. Der Anspruch auf Entschädigung ist zwar schon vor der rechtskräftigen Entscheidung vererblich, aber nicht übertragbar (§ 6 Abs. 4), also gemäfs § 851 Abs. 1 ZPO. vor dem genannten Zeitpunkt auch nicht der Pfändung unterworfen. Ueber die Wirkungen der Wiederaufnahme des Verfahrens oder der Klage enthalten die §§ 5 und 8 besondere Bestimmungen.

Das Gesetz findet nach Mafsgabe der §§ 10 und 11 auch auf die im militärgerichtlichen Verfahren freigesprochenen Personen sowie in den zur Zuständigkeit der Konsulargerichte gehörigen Sachen entsprechende Anwendung. Auf Angehörige eines auswärtigen Staates findet es nur insoweit Anwendung, als die Gegenseitigkeit verbürgt ist (§ 12).

Mit der Schaffung des im vorstehenden kurz besprochenen Gesetzes 1) ist eine wichtige Aufgabe der Gesetzgebung endlich zu einem wesentlichen Teile gelöst. Es war ein langer Weg vom Jahre 1781 an, wo die Akademie der Künste und schönen Wissenschaften in Châlons sur Marne die Preisfrage stellte, wie der Staat am gerechtesten diejenigen entschädigen könne, die infolge eines Fehlers der Gerichte in Haft geraten seien ein langer Weg von jener Zeit bis zu den ersten Anregungen, die der Deutsche Reichstag im Jahre 1882 gab, ein langwieriger Weg durch eine Reihe von wieder neu eingebrachten Initiativanträgen, von ausgiebigen Kommissionsberatungen und Plenarverhandlungen bis zum Gesetze von 1898 und endlich bis zu dem wichtigeren Gesetze vom 14. Juli 1904. Nunmehr aber ist das Deutsche Reich, wie der Staatssekretär des RJA. Dr. Nieberding in der Kommission mit Recht erklären konnte, auf dem bezeichneten Gesetzgebungsgebiet an die Spitze der Kulturstaaten getreten. Viel ist erreicht, aber noch nicht alles. Möge sich auch in der Zukunft das Wortbewähren: Deutschland voran!

Die rechtliche Bedeutung der Telephongespräche.

Vom Justizrat Dr. Frankenburger, München.

Das modernste Verkehrsmittel, die Fernsprecheinrichtung, ist zu einem wichtigen Vermittelungsfaktor bei Abgabe oder beim Austausch von Willenserklärungen im Nah- und Fernverkehr geworden. Das BGB. hat die Fernsprecheinrichtung gleichfalls in den Bereich der gesetzlichen Regelung gezogen, sich aber mit der Aufstellung eines einfachen Satzes begnügt; derselbe bestimmt in § 147 Abs. 1:

„Der einem Anwesenden gemachte Antrag“ (nämlich auf Abschlufs eines Vertrags) kann nur sofort angenommen werden. Dies gilt auch von einem mittels Fernsprechers von Person zu Person gemachten Antrage."

1) Bezügl. einer eingehenderen Kommentierung dieses Gesetzes in Verbindung mit dem Gesetze vom 20. Mai 1898 wird auf den demnächst erscheinenden Kommentar des Verfassers zu beiden Gesetzen verwiesen.

Es macht keinen Unterschied, ob diejenigen, welche von Person zu Person mittels Fernsprechers verkehren, an demselben Orte oder in verschiedenen Orten zu der fraglichen Zeit sich befinden; der Antrag gilt immer als einem Anwesenden unterbreitet. Vorausgesetzt ist nur, dafs der Verkehr persönlich, ohne Verwendung einer Mittelsperson oder eines anderweitigen Verkehrsmittels, vor sich geht. Wird dem einen oder anderen der beiden sich gegenüberstehenden Beteiligten der Antrag oder die Annahme des Antrags nicht persönlich oder nicht durch einen Stellvertreter im Willen kundgegeben, so liegt kein Verkehr unter Anwesenden vor; das Gleiche gilt, wenn zwar durch Vermittelung der Fernsprecheinrichtung, aber unter Zuhilfenahme anderer Verkehrsmittel der Austausch der Erklärungen vor sich geht; in solchen Fällen handelt es sich nicht mehr um den Verkehr unter Anwesenden, sondern unter Abwesenden. Die erwähnte Gesetzesstelle spricht von dem Verkehr ,,von Person zu Person"; das ist nicht wörtlich in dem Sinne zu verstehen, dafs die Beteiligten selbst, z. B. Werner in Berlin und Schmidt in Hamburg, miteinander telephonisch verkehren müssen, damit die bezeichnete Rechtsfolge eintrete; es gilt dies vielmehr auch dann, wenn der eine oder andere der Beteiligten oder beide durch (wirkliche) Stellvertreter-im Willen, wirkliche Bevollmächtigte (§ 164 BGB.), vertreten sind. Sehr häufig unterhandeln die Beteiligten mittels Fernsprechers nicht persönlich, auch nicht durch Stellvertreter im Willen, sondern durch Personen, deren Dienste sie für die Uebermittelung oder Entgegennahme telephonischer Gespräche in Anspruch nehmen, also durch Stellvertreter in der Erklärung; nicht selten nimmt am Apparate des Angerufenen jemand die Erklärung des Anrufenden entgegen, ohne dafs er vom Angerufenen zur Entgegennahme dieser Erklärung berufen oder beauftragt ist. Im nachfolgenden mögen diese im geschäftlichen Leben häufig sich wiederholenden Vorkommnisse einer Erörterung unterzogen werden.

1. Einer der Beteiligten oder beide unterhandeln nicht persönlich, sondern durch Stellvertreter im Willen. Wie schon erwähnt, ist die Rechtslage und Rechtsfolge dieselbe, wie wenn die beteiligte Person selbst telephonisch verkehren würde. Es ergibt sich dies aus § 164 BGB., wodurch der Grundsatz der direkten Stellvertretung aufgenommen ist. Vorausgesetzt ist dabei, dafs der Vertreter innerhalb der ihm zustehenden, dem anderen Teil bekannten Vertretungsmacht die Willenserklärung abgibt.

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anderen eine Erklärung Abgebende auch wirklich Vertretungsvollmacht hatte, gibt es nicht.

Namentlich kann man nicht sagen, dafs infolge des Anschlusses an die Fernsprecheinrichtung durch die Verkehrssitte bedingt ist, dafs der Geschäftsherr, welcher duldet, dafs einer seiner Gehilfen den Fernsprecher benutze, oder nicht verhindert, dafs dieser ihm zugänglich sei, all das gegen sich gelten lassen müsse, was ein solcher Gehilfe tut.

Es läfst sich weder aus § 346 oder § 347 HGB. noch aus §§ 278, 133, 157 BGB. ein solch weitgehender Rechtssatz ableiten. Der Kaufmann ist zwar verpflichtet, dafür zu sorgen, dafs an ihn gelangende Briefe von irgend jemandem in Empfang genommen werden (Erk. des RG. v. 15. April 1891, JW. S. 355); er ist aber nicht verpflichtet, dafür zu sorgen, dafs an ihn gelangende telephonische Anfragen oder Vertragsanträge von jemandem erledigt werden. Denn der Fernsprecher ist ebenso wie der Telegraph eine zur gewöhnlichen Erledigung von Angelegenheiten nicht bestimmte, sondern ungewöhnliche Einrichtung, bei deren Gebrauch besondere Vorsicht im allgemeinen geboten ist. Ausnahmen sind selbstverständlich denkbar; z. B. es hat jemand telephonisch einem anderen einen Vertragsantrag mit bestimmter Fristsetzung und bedungener telephonischer Rückäufserung innerhalb dieser Frist gemacht, $$ 148, 130 BGB. Die Bestimmung in § 362 HGB. läfst auch bei weitestgehender Interpretation eine andere Annahme als Regelfall nicht zu.

Sache desjenigen, welcher einem anderen eine Erklärung oder einen Vertragsantrag zukommen lassen will, ist es, sich zu vergewissern, ob der mittels des Telephons im Namen des Angerufenen Antwortende Vertretungsmacht hat; ebenso wie es Sache des Angerufenen ist, sich zu vergewissern, ob der namens eines anderen Anrufende, der eine Willenserklärung abgibt, Vertretungsmacht besitzt. Dies ist durch § 347 HGB. wie durch § 276 BGB. bedingt.

Unterläfst der Beteiligte, in der angegebenen Beziehung sich zu vergewissern, so hat er die zu wahrende Sorgfalt nicht beobachtet, hat einen ihm zukommenden Nachteil selbst zu tragen.

2. Der an die Fernsprechleitung Angeschlossene hat für die Erklärungen derjenigen, welche des Telephonapparats zu Gesprächen sich bedienen, ohne --dafs solche Personen von ihm Vertretungsmacht haben, nicht einzustehen.

Es ist unter Ziff. 1 schon dargelegt, dafs eine Verpflichtung nicht dahin besteht, jederzeit für die Entgegennahme eines mittels Telephons zugeleiteten Gesprächs zu sorgen; auch für den kaufmännischen Verkehr lässt sich ein hiervon abweichender Rechtssatz nicht rechtfertigen. Die tatsächliche Möglichkeit des Gehilfen, das Telephon zu benutzen, berechtigt nicht zu einem Abweichen von den in Ziff. 1 erörterten Grundsätzen.

Insbesondere ist weder aus § 56 HGB. (Befugnisse der in einem Laden oder offenen Warenlager Angestellten) noch aus § 278 BGB. das Gegenteil abzuleiten.

Nach § 278 BGB. wird für das Verschulden der Personen gehaftet, deren man sich zur Erfüllung einer Verbindlichkeit bedient; durch die Verkehrssitte und die Erfordernisse des Verkehrs ist nicht vorgeschrieben, ständig jemanden zur Bedienung der Fernsprecheinrichtung bereitzustellen. Beauftragt man einen Bediensteten, eine Erklärung abzugeben oder entgegenzunehmen, so ist der Betreffende Stellvertreter in der Erklärung (nicht im Willen). Die Rechtswirkungen gegen den Vertretenen treten dann nach Mafsgabe anderer Rechtssätze ein. Aber deshalb, weil für den Gehilfen, Bediensteten die Möglichkeit besteht, die Fernsprechleitung zu benutzen, oder deshalb, weil man einen solchen Bediensteten hält, der mit der Fernsprechleitung nicht umzugehen versteht, haftet man noch nicht für das Verschulden des Bediensteten; diese Haftung ist dadurch bedingt, dafs man zur Erfüllung einer Verbindlichkeit sich desselben bedient.

Wäre es richtig, dafs die Ermöglichung des Gebrauches des Fernsprechers oder die tatsächliche Einräumung dieses Gebrauchs eine Haftung für die Erklärungen bewirken würde, so könnte man mit demselben Rechte behaupten, es hafte der Geschäftsherr für eine vom Gehilfen begangene Fälschung eines Wechsels, weil der Geschäftsherr das von dem Gehilfen zum Zwecke der Fälschung benutzte Wechselformular an zugänglicher Stelle habe unbewacht liegen lassen. Eine Rechtsunsicherheit wird deshalb, weil und wenn man von den hier aufgestellten Rechtssätzen ausgeht, nicht eintreten. Die Sorgfalt im gewöhnlichen und geschäftlichen Verkehr setzt voraus, dafs man sich zunächst gewissere, ob der an der anderen Sprechstelle Stehende von demjenigen, in dessen Namen er eine Erklärung abgibt oder entgegennimmt, Vertretungsmacht hat oder nicht; es ist unrichtig, davon auszugehen, dafs derjenige, der an die Fernsprechleitung angeschlossen ist, dafür zu sorgen habe, dafs die Leitung nur von Berufenen, Bevollmächtigten benutzt werde; es würde ja sonst geradezu eine Prämie auf das Aufserachtlassen der im Verkehr üblichen Sorgfalt gesetzt.

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Der an den Fernsprecher Angeschlossene haftet auch nicht für die Erklärungen dritter Personen, denen er auf ihr Bitten die Benutzung der Fernsprecheinrichtung gestattet. In dieser Beziehung hat all das zu gelten, was im vorstehenden unter Ziff. 1 und 2 dargetan ist.

Es folgt weder aus § 276 BGB. noch aus § 347 HGB., dafs man vermöge der zu wahrenden Sorgfalt für den Schaden einzustehen habe, den ein dritter durch eine mifsbräuchliche Benutzung der Fernsprecheinrichtung seitens eines anderen erleidet; der dritte hat vielmehr die hier schon des öfteren besprochene Vergewisserungspflicht; dabei ist es gar nicht nötig, auf § 254 BGB. zu verweisen.

3. Aber immer darf sich der an die Fernsprechleitung Angeschlossene, der von einer mifsbräuchlichen Benutzung derselben erfährt, nicht passiv verhalten. Mifsbräuchlich ist die Benutzung nicht nur

dann, wenn derjenige, welcher der Leitung zu Gesprächen sich bedient, keine Befugnis, keine Erlaubnis hierzu hatte, sondern auch dann, wenn er, nur zur Uebermittelung einer Erklärung beauftragt, diese Erklärung unrichtig abgibt.

Steht eine mifsbräuchliche Benutzung in Frage, so mufs derjenige, dessen Anschlufsleitung benutzt war, sobald er von dem mifsbräuchlichen Gebrauch Kenntnis erlangt, dem anderen Teile entsprechende Aufklärung geben; es ist dies sowohl durch § 276 wie durch § 157 BGB. geboten, erscheint also als eine durch Treu und Glauben, nicht durch den Anschlufs an die Fernsprechleitung gebotene Pflicht. Schweigen würde hier als Zustimmung oder Genehmigung zu erachten sein.

4. Bedient man sich eines anderen zur Uebermittelung einer Willenserklärung, ist also dieser nur Stellvertreter in der Erklärung, so ist man zunächst an die, wenn auch unrichtig wiedergegebene, Erklärung gebunden, aber nicht mit der absoluten Wirkung des § 164 BGB.

Vielmehr ist der Betreffende, für welchen die Erklärung abgegeben oder entgegengenommen wurde, zur Anfechtung der unrichtig wiedergegebenen Erklärung berechtigt, geradeso, wie wenn er selbst bei Abgabe der Willenserklärung in einem Irrtum befangen gewesen wäre. §§ 119, 120 BGB.

Dabei ist es gleichgültig, aus welchem Grunde die Willenserklärung unrichtig wiedergegeben wurde, z. B. weil der Fernsprechapparat nicht richtig funktionierte, die Ursache der unrichtigen Uebermittelung auf höhere Gewalt zurückzuführen ist, oder der Stellvertreter in der Erklärung infolge unrichtiger Auffassung der ihm gegebenen Weisung seines Auftraggebers nicht richtig sich entledigt hat.

Juristische Rundschau.

Dem Bearbeiter der „Rundschau" hat erst unerwartete Krankheit und dann der unerbittliche Tod die nie ermattende und nie versagende Feder aus der Hand genommen. Seit der Gründung dieses Blattes hat er ohne auch nur eine Unterbrechung bis in dieses Frühjahr die Rundschau nicht nur zum Echo juristisch erheblicher Begebenheiten, sondern auch zu einer Tribüne freimütiger und gewissenhafter Kritik gestaltet. Mein Wunsch, das Mandat an Staub selbst zurückzugeben, hat sich nicht erfüllt. Cedo maiori wie gern hätte ich ihm dies zugerufen. Es hat nicht sollen sein. In seinem Geiste sei die „Rundschau" weitergeführt. Lebenselement dieses Geistes war Arbeit. Ihr wenden auch wir uns, getreu seinem Vorbild, zu.

In die sonst stille Ferienzeit fiel mit lautem Widerhall ein Ereignis von eminenter Tragweite: das Angebot des preufsischen Staates an die Hibernia auf Uebernahme ihres Unternehmens. Grundfragen unserer wirtschaftlichen Ordnung, die Gesetzgebung in die Kartellpolitik waren aufgerollt, Verstaatlichung des Bergbaues, das Eingreifen der die mit dem Schlagworte vom freien Spiel der Kräfte nicht abgetan sind. Aber, wie Wirtschaft und Recht nicht verschiedene Welten, sondern Aus

strahlungen einer Welt sind, so tauchten auch Rechtsfragen aller Art auf. Die Generalversammlung am 27. August war nicht blofs ein Tummelplatz aufgeregter Interessenkämpfe, sondern auch juristischer Streitfragen. Greifen wir die wichtigste heraus. Nach § 33 des Statuts bedarf es zur Gültigkeit eines Beschlusses über die Liquidation und Auflösung der Gesellschaft der Vertretung von wenigstens 2 des Grundkapitals in der Versammlung. Das Grundkapital der Hibernia beträgt 53 500 000 M. Während der Verhandlung über den Erwerb des Unternehmens durch den Staat waren aber laut der Präsenzliste nur 32 356 400 M. vertreten. Somit lag Beschlufsunfähigkeit vor. Trotz erhobenen Widerspruchs ist die Abstimmung vorgenommen worden. Sie ergab die Ablehnung des Staatsangebots mit 29 641 000 M. gegen 2 651 200 M. Für die Zulässigkeit der Abstimmung kann nicht § 304 HGB. ins Feld geführt werden. Nach ihm kann im Falle der Uebernahme des Vermögens einer Aktiengesellschaft als Ganzen durch einen Bundesstaat vereinbart werden, es solle die Liquidation unterbleiben. Denn unterbleibt auch die Liquidation, so tritt doch die Auflösung der Gesellschaft als unmittelbare gesetzliche Folge des Beschlusses ein (§§ 303 und 304 HGB.). Hiernach haben die Gegner der Verstaatlichung, die zugleich die Leiter der Versammlung waren, den Knoten durchhauen, nicht ihn gelöst. Ob mit dem Glück oder Geschick Alexanders? Dies wird der Ausgang der von einer Anzahl Aktionäre gegen die Hibernia eingeleiteten Klage auf Nichtigkeitserklärung der Beschlüsse lehren.

Der gesetzliche Zehnstundentag für die Fabrikarbeiterinnen scheint der Verwirklichung um einen erheblichen Schritt näher gerückt zu sein. Eingehende Untersuchungen, die namentlich der Gesellschaft für soziale Reform zu danken sind, haben ihn als zweckmälsig und notwendig erwiesen. Zweckmäfsig in seinen Wirkungen auf die gewerbliche Produktion, notwendig als gesundheitliche Forderung. Ohne die Herabsetzung der Arbeitszeit für die Frau in Fabriken ist mit der Trägerin des zukünftigen Geschlechts auch dieses selbst gefährdet. In diesem Sinne hat sich auch auf eine Umfrage des Reichskanzlers die Mehrheit der Gewerbeinspektoren ausgesprochen. Ihre Berichte bilden die Grundlage für eine entsprechende Denkschrift, die aus dem Reichsamte des Innern dem Bundesrat zugehen soll. Bei dieser Sachlage ist zu hoffen, dafs Bundesrat und Reichstag auf der Bahn des Arbeiterschutzes weiter vorangehen werden.

Eine Fundgrube von Anregungen bildet die im preufsischen Justiz-Ministerial-Blatte v. 26. August veröffentlichte Hauptübersicht der Geschäfte bei den preufsischen Gerichten für das Jahr 1903. Die Zivilsachen zeigen, sowohl in den Prozessen abgesehen von den Wechselprozessen wie in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, namentlich in den Grundbuchsachen, ein Anwachsen. Die Zahl der ordentlichen vermögensrechtlichen Prozesse ist bei den Amtsgerichten auf 1 199 329, bei den Landgerichten (abgesehen von den Berufungen) auf 138 595, bei den Oberlandesgerichten auf 21 367, die Ziffer der Grundbuchgeschäfte auf 3811 460 gestiegen. Auf welche Gründe die Vermehrung zurückzuführen ist, ob auf das Anwachsen der Bevölkerung und eine natur

gemässe Steigerung des rechtsgeschäftlichen Verkehrs, ob auf die wirtschaftliche Gunst oder Ungunst der Zeiten, ist aus den Ziffern allein nicht zu entnehmen. Erfreulicherweise aber zeigen die Strafsachen in manchen wichtigen Richtungen eine Abnahme. Dies, wie die Abnahme der Wechsel-Prozesse, mag auf der Besserung der Wirtschaftslage beruhen.

Justizrat Dr. J. Stranz, Berlin.

Redaktions-Notiz.

Infolge des Todes des Herrn Justizrats Dr. Staub werden Veränderungen in der Redaktionsführung der „Deutschen JuristenZeitung" bis auf weiteres ebenso wenig eintreten, wie dies während seiner schweren Erkrankung im laufenden Jahre der Fall war, die ihn an der Ausübung seiner Redaktionstätigkeit ohnedies völlig verhindert hat. Es kann daher schon heute den Herren Mitarbeitern, Lesern und Freunden des Blattes die Zusicherung gegeben werden, dafs die Redaktion durchaus im bisherigen Geiste gehalten und die „Deutsche JuristenZeitung" namentlich im Sinne Staubs weiter ausgestaltet werden wird.

Vermischtes.

Gegenüber den in d. Bl. S. 795 gemachten Bemerkungen zu dem Königsberger Geheimbundprozess erfahren wir von zuverlässiger Seite, dafs die dort angestellten Betrachtungen in folgenden Punkten auf irrigen Voraussetzungen beruhen. Die Prüfung der Frage der Gegenseitigkeit ist im preufsischen Justizministerium vor Erhebung der Anklage eingehend erfolgt. Dabei hat dem preufsischen Justizministerium und dem Auswärtigen Amt die amtliche deutsche Uebersetzung des russischen Strafgesetzbuchs vorgelegen, in welchem der Art. 260 die von dem Königsberger Urteil festgestellte Fassung, dafs die Gegenseitigkeit auf Grund von Traktaten oder hierüber veröffentlichten Gesetzen" vereinbart sein müsse, enthält. Auf Grund dieses Wortlauts bestand zwischen den beiden beteiligten Regierungen Uebereinstimmung darüber, dafs für die in Rede stehenden Straftaten die Gegenseitigkeit dem Deutschen Reiche verbürgt sei. Dafs der Anklageschrift eine abweichende Fassung dieses Paragraphen zugrunde gelegt ist, beruht darauf, dass den Justizbehörden in Königsberg, was an der Zentralstelle nicht bekannt war und nicht vorausgesetzt werden konnte, eine amtliche deutsche Uebersetzung des russischen Strafgesetzbuchs damals nicht vorlag, sondern nur eine von dem dortigen russischen Konsul amtlich beglaubigte Uebersetzung, deren Richtigkeit zunächst von allen Beteiligten anerkannt war, bis sich in der Hauptverhandlung ihre Unrichtigkeit ergab.

Die für die Auffassung des Justizministeriums massgebend gewesenen Gründe entziehen sich hier der Mitteilung, da der Prozefs noch schwebt und das Reichsgericht sich noch über die einschlägigen Fragen auszusprechen haben wird.

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Der Senior der Berliner Juristen-Fakultät, Heinrich Dernburg, hat am 26. August sein 50jähriges Professoren-Jubiläum begehen können. Am 26. August 1854 wurde er, damals erst 25 Jahre alt, zum Professor in Zürich ernannt. Dafs der 75jährige au geistiger Frische mit dem 25jährigen wetteifert, wem ist es nicht bekannt? Jabr um Jahr bringt neue Frucht seines reichen Geistes, und wie edler Wein mit den Jahren nur immer edler sich gestaltet, so ist Dernburgs „Bürgerliches Recht des Deutschen Reichs und Preufsens" auf der Höhe der früheren Meisterleistungen. Herzlichen Glückwunsch der „Deutschen Juristenzeitung an den Jubilar!

zum.

Personalien. Der mecklenburgisch-schwerinsche Justizminister, Exz. von Amsberg, tritt im Alter von 74 Jahren in den wohlverdienten Ruhestand. Er war bis 1875 Mitglied des Oberappellationsgerichts zu Rostock, dann bis 1877 Direktor im Reichskanzleramte, arbeitete seit 1877 als Ministerialdirektor in Schwerin die Ausführungsgesetze zu den Reichsjustizgesetzen aus, war von 1879 bis 1893 Landgerichtspräsident in Güstrow, bis er zum Justizminister ernannt wurde. Als solcher leitete er die Ausarbeitung der vortrefflichen Ausführungsgesetze zum BGB. Wegen dieser verdienstlichen Tätigkeit wurde er Dr. jur. hon. causa von der Univ. Rostock ernannt. Seine Tätigkeit als Regierungskommissar bei der Beratung der deutschen Justizgesetze ist den deutschen Juristen wohlbekannt. Ord. Prof. Dr. Schlofsmann, Kiel, wurde zum Geh. Justizrat; Oberlandesgerichtsrat, Geh. Justizrat Dr. Mosse, Königsberg i. Pr., zum ord. Honorarprofessor an der dortigen Universität, aord. Prof. Dr. Manigk, Königsberg i. Pr., zum ord. Prof. in Halle a. S., die Privatdozenten Dr. Knoke und Dr. Gierke, Göttingen, zu aord. Professoren in Königsberg i. Pr. ernannt. Rechtsanwälten beim Reichsgericht wurden zugelassen die Rechtsanwälte: Justizrat Dr. Eickhoff, Duisburg, Dr. Rudolf Lehmann, Hamburg, Dr. Schall, Stuttgart, und Seuffert, München. Oberstaatsanwalt, Geh. Oberjustizrat Dr. Lommer, Jena, feierte seinen 80. Geburtstag; Geh. Justizrat, Rechtsanwalt Boltz, Saarbrücken, begeht am 1. Okt. sein 50jähriges Dienstjubiläum.

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Zu

An Stelle des in den Ruhestand getretenen I. Präsidenten des Österreichischen Obersten Gerichtshofes Dr. Habietinek, Wien, wurde der bisherige II. Präsident, ehem. Finanzminister Exz. Dr. Emil Steinbach zum I. Präsidenten des Obersten Gerichtshofes ernannt. Steinbach ist auch in Deutschland als einer der hervorragendsten Juristen der Gegenwart durch bedeutungsvolle schriftstellerische Arbeiten bekannt geworden.

Neue Gesetze, Verordnungen u. dgl.

Preussen: M-Vf. v. 12. 7. 1904, bt. Grundb.-Anleg. f. Bezt. d. A.-G. Daun, Camberg, Diez, Skt. Goarshausen, Herborn, Katzenelnbogen, Langenschwalbach, Limburg a. L., Nastätten, Runkel u. Wallmerod (Ges.-S. S. 152 u. 171). - Ges. v. 24. 7. 1904 z. Abänd. d. Ges. v. 20. 7. 1883, bt. Staatsschuldbuch (S. 167). - Ges. v. 24. 7. 1904, bt. Dienstbezüge d. Kreistierärzte (S. 169). - Ges. v. 27. 7. 1904 z. Abänd. d. Ges. v. 25. 11. 1899, bt. ärztl. Ehrengerichte, Umlagerecht u. Kassen d. Aerztekammern (S. 182). Allg. Vf. v. 12. 7. 1904, bt. die erste

jurist. Prüfg. (J.-M.-BI. S. 177). — Ges. v. 4. 8. 1904, bt. Aendrg. v. Vorschriften üb. Konsolidationsverfahr. u. Berichtg. d. Grundbuchs währ. desselb. i. Reg.-Bez. Wiesbaden (Ges.-S. S. 191). - M-Vf. v. 18. 8. 1904, bt. Grundb.-Anleg. f. Bezt. d. A.-G. Dillenburg, Hadamar, Idstein, Marienberg, Usingen u. Wiesbaden (S. 239).

Bayern: K. Allh. Vo. v. 3. 8. 1904, bt. Vollz. d. R.-Ges. üb. Kaufmannsgerichte v. 6. 7. 1904 (G.- u. Vo.-BI. S. 273). — M.Bk. v. 16. 7. 1904, bt. konsular. Beglaubig, der z. Gebrauch im Aus!. bestimmten Urkdn. (J.-M -BI. S. 147). K. Allh. Vo. v. 11. 8. 1904 u. M.-Bk. v. 18. 8. 1904, bt. Besoldgn. d. Staatsbeamt. u. Staatsbediensteten (S. 171 u. 176). -M.-Bk. v. 14. 8. 1904, bt. Auseinandersetzg. in Ansehg. d. Gesamtguts nach Beendig. d. Gütergemeinschft. (S. 211).

Sachsen: M.-Vo. v. 30. 7. 1904, bt. Prüfg. d. Apotheker (G.u. Vo.-Bl. S. 318).

M.-Bk.

Württemberg: M.-Bk. v. 18. 6. 1904, bt. die b. d. K. Polizeipräsid. in Berlin bestehende Zentralpolizeistelle z. Bekämpfg. d. internat. Mädchenhandels (Amtsbl. d. Just.-M. S. 39). — M.-Bk. v. 27. 6. 1904, bt. Behdlg. d. Portoausl. f. Benachrichtg. d. Beteiligt. v. Eintragungen i. d. Genossenschftsregist. (S. 41). v. 6. 7. 1904, bt. Unterweisg. v. Angehör. d. Justizdepart. im Gefängndienst. (S. 42). — M.-Vf. v. 13. 7. 1904, bt. Uebern. u. Uebergabe v. Wohngn. in Staatsgebdn. (S. 43). — M.-Bk. v. 13. 7. 1904, bt. Visitation d. amtsgerichtl. Gefängnisse (S. 43). - M.-Vf. v. 23. 7. 1904, bt. Jahresübersichten üb. Einnahm, u Ausg. an Gerichtskost. i. Ang htn. d. freiw. Gerichtsbark. u. in Zivils. (S. 47). Hessen: M.-Vf. v. 5. 8. 1904, bt. Entschäd. f. unschuld, erlitt. Untersuchgshaft. (Amtsbl. d. Min. d. Just. No. 15).

Sachsen-Weimar: Ges. v. 22. 6. 1904 üb. Erbschfts.- u Schenkgssteuer. (Reg. Bl. S. 147). M.-Bk. v. 11. 8. 1904, bt. Verlängrg. d. Staatsvertrags v. 19. 2. 1877, sowie d. Akzessionsvertr. v. 23. 4. 1878 üb. Errichtg. d. gemeinschftl. thüring. O.-L.G. zu Jena (S. 184).

Mecklenburg-Strelitz: Reg.-Bk. v. 29. 7. 1904, bt. Prüfgsorda. f. Apotheker (Off. Anz. f. Ratzeburg S. 215).

Oldenburg: M.-Bk. v. 22. 7. 1904 z. Ausf. d. R.-Ges. v. 6. 7. 1904, bt. Kaufmannsgerichte (Ges.-Bl. S. 169).

Waldeck: Bk. v. 25. 7. 1904, bt. Ausf.-Bestimgn. v. 11. 11. 1903 zu d. Vorschrftn. üb. Tagegeld. u. Reisek. d. Staatsbeamten (Reg.Bl. S. 55).

Schaumburg-Lippe: Allg. Vf. v. 16. 8. 1904, bt. Rechtshilfeverk. m. Bosnien u. d. Herzegowina (L.-Vo. S. 511).

Lübeck: Bk. v. 6. 7. 1904, bt. Börsenordng. (S. d. Ges. u. Vo. No. 56).

Sprechsaa l.

Ueber die Frage der Handhabung von Neutralitätsvorschriften. In der Tagespresse ist aus Anlafs des Einlaufens russischer Kriegsschiffe in den deutschen Hafen von Tsingtau über die Behandlung der Neutralitätsvorschriften ein heftiger Kampf entbrannt. Eine Berliner Zeitung hatte daraufhin den bekannten Verfasser des „Lehrbuches des Völkerrechts", Geh. Rat Prof. Dr. von Liszt, um seine Ansicht über die Pflichten eines neutralen Staates 'gebeten. Der Bericht über diese Aeufserung hat einer anderen Zeitung in Berlin Veranlassung gegeben, gegen die Lisztsche Ansicht Stellung zu nehmen und ihn persönlich auf das heftigste anzugreifen. Da die Frage bez. der Ausübung der Neutralitätspflichten in Kriegszeiten von grundsätzlicher Bedeutung ist und zu den schwierigsten Problemen des Völkerrechts gehört, haben wir Herrn Prof. Dr. von Liszt anheimgestellt. seine Ansicht über jene Frage in unserem Blatte nochmals eingehender wissenschaftlich darzulegen. Seine uns zum Zwecke der Veröffentlichung zugegangene Antwort trägt u. E. trotz ihrer Kürze zur Lösung der Frage bei, weshalb wir gerne dem Juristenstande davon Kenntnis geben. Die Zuschrift lautet:

„Auf die gegen mich in einem Teile der Presse gerichteten Angriffe zu erwidern, habe ich um so weniger Neigung, als ich den Bericht in jener Berliner Zeitung über meine äusserst kurze telephonische Meinungsäufserung gar nicht zu Gesicht bekommen habe und den Ausfall jenes anderen Organes nur aus den von anderen Blättern gebrachten Auszügen kenne. Nur möchte ich das eine vor den Lesern der „Deutschen JuristenZeitung" ausdrücklich betonen: die Mafsregeln, die die deutsche Reichsregierung den nach Tsingtau geflüchteten russischen Kriegsschiffen gegenüber angeordnet und durchgeführt hat, decken sich

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