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112. (Steuerermässigung.) Die einzige Voraussetzung für die Anwendung des § 19 Eink.-Steuerges. ist die wesentliche Beeinträchtigung der steuerlichen Leistungsfähigkeit durch besondere wirtschaftliche Verhältnisse der dort näher bezeichneten Arten. Die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit braucht aber keineswegs einen solchen Grad zu erreichen, dafs das vorhandene Stammvermögen angegriffen werden muss. Das ist eine künstlich in das Gesetz hineingetragene, seinem Sinne durchaus nicht entsprechende Einschränkung. (Urt. XII a. 198 v. 28. April 1904.)

IV. Bundesamt für das Heimatwesen. Mitgeteilt von Oberverwaltungsgerichtsrat Genzmer, Mitglied des Bundesamts f. d. H., Berlin.

4. (Die Ueberführung scharlach kranker Kinder aus dem Elternhaus in eine Krankenanstalt) ist nicht als polizeiliche Massregel, sondern als Akt der Armenpflege anzusehen, wenn sie nicht nur zur Verhütung weiterer Verbreitung der ansteckenden Krankheit erfolgt ist, sondern zugleich zur Befriedigung des notwendigen Bedürfnisses einer Krankenpflege, die den Kindern in der räumlich sehr beschränkten elterlichen Wohnung nicht zuteil werden konnte, und wenn die Eltern aufser stande waren, die Kosten der Krankenhauspflege zu tragen. (Urt. H. 1346 v. 26. Sept. 1903.)

5. (Die Wahrung der Berufungsfrist) kann wohl durch telegraphische, aber nicht durch telephonische Anmeldung der Berufung erfolgen, denn diese ist nur eine mündliche Erklärung der den Fernsprecher benutzenden Person, aber keine schriftliche, wie sie das an die Telegraphenanstalt behufs Beförderung abgegebene, schriftlich aufgezeichnete und von dem Aufgeber unter Benutzung des Telegraphen als seines Werkzeuges weiterbeförderte Telegramm darstellt. (Urt. H 1592 v. 14. Nov. 1903.)

6. (Eine Verpflichtung des Dienstortes zur Erstattung von Krankenpflegekosten), die für einen in seinem Bezirk beschäftigten Arbeiter infolge von dessen Erkrankung an einem anderen Ort von dem dortigen Armenverbande aufgewendet worden sind, wird durch § 29 Unterst.-Wohnsitz-Ges. nur dann begründet, wenn der Armenverband des Dienstortes sich einer Abschiebung der ihm obliegenden Fürsorgepflicht schuldig gemacht hat. (Urt. H. 28 v. 5. Dez. 1903.)

V. Sächsisches Oberverwaltungsgericht.

II. Senat.

Mitgeteilt vom Senatspräsidenten des OVG. Dr. Wachler, Dresden.

22. (Beitragspflichtig zu der Schankgewerbesteuer sind auch Gasthofsbesitzer, auf deren Grundstücken Gasthofsgerechtigkeit ruht.) Ein solches Realrecht bewirkt nach der modernen Gesetzgebung nur noch erleichterte Zulassung zur Ausübung des Gewerbebetriebes, äufsert aber keinen Einfluss auf dessen Besteuerung. (Urt. II. 203 v. 26. Okt. 1903).

23. (Dem pflichtmäfsigen Ermessen der in Einkommensteuersachen tätigen Veranlagungsbehörden bei Auswahl der von ihnen z u befragenden Sachverständigen ist insofern eine Rechtsschranke gezogen), als ein „Sachverständiger" gehört werden mufs. Die Wahl darf also nicht auf eine Person fallen, der wegen ihres Berufskreises oder wegen der Besonderheit der in Frage kommenden Verhältnisse ausreichende Sachkunde von vornherein abgesprochen werden mufs. (Urt. II. 195 u. 144 v. 22. Okt. u. 2. Nov. 1903).

24. (Die von den politischen Gemeinden errichteten Wasserwerke gehören der Regel nach zu den öffentlichen Anstalten in dem von der neueren Rechtswissenschaft hiermit verbundenen Sinne.) Ihr Betrieb ist infolgedessen nicht Gewerbebetrieb. Beiträge zur Deckung ihres Aufwandes können auch denjenigen abgefordert werden, welche von der Füglichkeit zur Benutzung der Anstaltseinrichtungen

Ia die Redaktion verantwortlich Otto Liebmann.

keinen Gebrauch machen. Das Rechtsverhältnis zu den Benutzern der Anstaltseinrichtungen ist nicht das des privatrechtlichen Vertrages. Die regelmässige Gegenleistung für die Benutzung besteht in einer öffentlich-rechtlichen Gebühr. (Urt. II. 228 u. 168 v. 29. Dez. 1902 u. 5. Nov. 1903.) VI. Oberlandesgericht Braunschweig.

ist.

Strafsachen.

Diese

Mitgeteilt von Stadtrat v. Frankenberg, Braunschweig. 5. (Züchtigungsrecht eines Fabrikwerkmeisters gegen Lehrlinge.) Angekl. war von dem Prokuristen einer Akt.-Ges. mit der Ueberwachung der Abteilung und der Anleitung der Lehrlinge betraut. Das genügt, um sein Züchtigungsrecht anzunehmen. Allerdings könnte, auch wenn man den Prokuristen mit dem Urt. des OTr., Goltd. Bd. 23 S. 568 als „Lehrherrn" i. S. des § 127 a RGewO., Fassung v. 26. Juli 1900, betrachtet, der Wortlaut des Abs. 1 den Zweifel wachrufen, ob eine Uebertragung des dem Lehrherrn zustehenden Züchtigungsrechts auch nur der Ausübung nach möglich Denn während der Lehrling nach dem angeführten Paragraphen dem Lehrherrn sowie demjenigen, welcher an Stelle des Lehrherrn die Ausbildung zu leiten hat, zur Folgsamkeit und Treue, zu Fleifs und anständigem Betragen verpflichtet" ist, ist er doch nur der väterlichen Zucht des Lehrherrn unterworfen". Bedenken werden verstärkt, wenn man mit dem LG. eine doppelte Uebertragung des Züchtigungsrechtes, vom Vorstande auf den Prokuristen und von letzterem auf Angekl. annimmt (RG. in Strfs. Bd. 33 S. 33). Allein die Entscheidung selbst hängt hiervon nicht ab. Es ist zu beachten, dafs bei einem gewerblichen Betriebe von solcher Gröfse und Gliederung eine Ausübung des Züchtigungsrechts durch die oberste Spitze praktisch ausgeschlossen erscheint. Der Vorstand der Akt.-Ges. oder der Prokurist waren gar nicht in der Lage, sich um die einzelnen Lehrlinge zu kümmern. An eine erziehliche Wirkung war nur zu denken, wenn die Betätigung des Erziehungsrechts demjenigen anvertraut wurde, der in der Organisation des Betriebes dem Lehrling am nächsten stand. Mit Rücksicht hierauf ist davon auszugehen, dafs dem Privatkläger als Vater diese Verhältnisse bei Abschlufs des Lehrvertrages bekannt waren, und dafs er, da ein gegenteiliger Wille von ihm nicht geäufsert ist, mit der Ausübung des Züchtigungsrechtes durch den Angekl. als unmittelbaren Vorgesetzten seines Sohnes einverstanden gewesen ist. (Urt. No. 114 v. 20. Jan. 1903.)

VII. Landgericht Hamburg.
Mitgeteilt von Oberlandesgerichtsrat Dr. Mittelstein, Hamburg.
1. (Haftung der Post bei Postnachnahme.)
Kl. hatte ein Nachnahmepaket aufgegeben. Der Postbote
zog den Betrag ein, liefs sich bald darauf aber bereden,
den Betrag an den Empfänger zurückzugeben gegen Rück-
gabe des Pakets, welches Kl. zurückerhielt mit der Mit-
teilung die Annahme sei verweigert. Kl. klagte gegen
den Empfänger auf Bezahlung. Im Prozefs stellte sich der
Vorgang heraus, worauf Kl. abgewiesen wurde, weil Zah-
lung an seinen Beauftragten erfolgt sei. Jetzt klagte er
gegen die Post auf Auskebrung des Nachnahmebetrages
nebst Verzugszinsen und Erstattung der Kosten des Vor-
prozesses. Ersterem Antrag entsprach das LG., weil die
Post für einen eingezogenen Nachnahmebetrag, der per
Postanweisung einzusenden sei, schlechthin hafte (Mittel-
stein, Postrecht S. 127). Der zweite Antrag wurde ab-
gewiesen, weil die Post auf Grund des PostG. und der
PostO. nur für den Nachnahmebetrag hafte, und eine
Haftung der Post wegen aufservertraglichen Verschuldens
ihrer Beamten entgegen RG. 19 S. 107 mit Mittelstein S. 38
(und OLG. Stuttgart i. DJZ. 1903 S. 131) nicht bestehe,
da das PostG. die Haftung der Post erschöpfe. Kl. hatte
Berufung eingelegt, hat sie aber zurückgezogen. (LG.
Hamburg, ZK. 8, VIII. Z. 809/03, Urt. v. 22. Dez. 1903.)
Vgl. jetzt auch RG. Entsch. 57 S. 151.

Verlag von Otto Liebmann. Druck von Pass & Garleb.
Sämtlich in Berlin,

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