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VORREDE DES HERAUSGEBERS.

Der Verfasser der vorliegenden Essais dürfte heute dem deutschen Publicum nicht mehr ganz unbekannt sein, nachdem vor Jahresfrist seine Reisen im malayischen Archipel* erschienen und bald darauf eine kleine Broschüre **, welche sowohl über die Persönlichkeit dieses Naturforschers in ihrer Beziehung zur Theorie der,,Entstehung der Arten", als auch über seine Unternehmungen und Arbeiten selbst Aufschluss gab, ein Aufschluss, welcher in Deutschland noch zu geben war, während der Name Wallace's in England schon lange - wenigstens in wissenschaftlichen und gebildeten Kreisen zu den bekanntesten zählte und allgemein anerkannt wurde. So sagte z. B. der Präsident der British Association für das Jahr 1858, J. D. Hooker, in seiner Eröffnungsrede der Versammlung in Norwich von ihm u. A.:,,Of Mr. Wallace and his many contributions to philosophical biology, it is not easy to speak without enthusiasm; for, putting aside their great merits, he, throughout his writings, with a modesty, as rare, as I believe it to be in him inconscious,

* Der malayische Archipel, die Heimath des Orang-utan und des Paradiesvogels. Reiseerlebnisse und Studien über Land und Leute. 2 Bde. mit Abb. u. Karten 1869.

** Charles Darwin und Alfred Russel Wallace. Ihre ersten Publicationen über die Entstehung der Arten nebst einer Skizze ihres Lebens und einem Verzeichniss ihrer Schriften 1870.

forgets his own unquestioned claims to the honour of having originated, independently of Mr. Darwin the theories which he so ably defends.“

Da aber jene oben erwähnte kleine Schrift des Herausgebers der deutschen Ausgabe der Reisen Wallace's im malayischen Archipel (wie auch der vorliegenden Essais) fast vergriffen ist und eine neue Ausgabe nicht beabsichtigt wird, so scheint es zur Orientirung des Lesers angezeigt, einige Daten aus dem Leben des Verfassers hier theilweise nochmals aufzuführen:

Alfred Russel Wallace wurde 1823 zu Ush in Monmouthshire geboren und besuchte die Elementarschule in Hertford. Vom 15. bis zum 21. Jahre lernte er bei seinem älteren Bruder die Profession eines Landvermessers und Civil-Ingenieurs und begann damals das Studium der Botanik. 1844 wurde er Lehrer in der Collegiatschule zu Leicester, verbrachte hier anderthalb Jahre und fing an sich mit dem Sammeln von Insecten zu beschäftigen. Er war dann einige Jahre in SüdWales in seinem Berufe thätig, gab denselben jedoch vollständig auf, um Reisen in Süd-America zu unternehmen. In der Gesellschaft des Herrn Bates schiffte er sich im Jahre 1848 nach Pará ein, verbrachte 4 Jahre im Thale des Amazonenstromes und kehrte, da seine Gesundheit durch ein arges Fieber gebrochen war, im Jahre 1852 nach England zurück. Das Schiff, auf welchem er überfuhr, fing mitten auf dem Ocean Feuer und alle Passagiere mussten sich, um ihr Leben zu retten, in die Boote flüchten. Alle in den letzten zwei Jahren von Wallace angelegten Sammlungen, eine grosse Anzahl lebender Thiere und fast alle Manuscripte und Skizzen wurden zerstört! Nachdem sie 10 Tage auf der See umhergeworfen worden, nahm sie ein anderes

Schiff auf und sie erreichten nach einer langen und gefahrvollen Reise im October 1852 England. Nun publicirte der vom Unglück heimgesuchte Forscher seine „Reisen am Amazonenstrom und Rio Negro" und seine,,Palmen des Amazonenstromes", machte sich aber schon im Frühjahr 1854 ungebrochenen Muthes wieder auf, und zwar dieses Mal nach dem Osten, und spendete acht Jahre seines Lebens um die Naturgeschichte des malayischen Archipels von der Halbinsel Malaka bis nach Neu Guinea in Kreuz- und Querfahrten von Nord nach Süd und von Ost nach West zu studiren und reichhaltige Sammlungen anzulegen. Die Früchte dieser acht Wanderjahre im fernen Osten findet man niedergelegt in einer grossen Reihe von Abhandlungen, die zum Theil auf der Reise selbst, zum Theil nach der Rückkehr in England verfasst sind; einen allgemeinen Ueberblick jedoch über diese Welten lieferte der Forscher erst, nachdem er seine mitgebrachten Schätze und Erfahrungen sechs Jahre lang gesichtet und studirt hatte, in einem Werke, welches zweifellos einen hervorragenden Platz in der neueren Reiseliteratur einnimmt. Wallace lebt seit seiner Rückkehr aus dem Osten verheirathet in London als Privatgelehrter, und ist beschäftigt mit der weiteren Verwerthung und Verbreitung seiner Beobachtungen und Erfahrungen unter tropischen Himmelsstrichen.

Ueber die Entstehung der vorliegenden Essais giebt die einleitende Vorrede des Verfassers genügenden Aufschluss; ihren vielseitigen und werthvollen Inhalt einer kritischen Besprechung zu unterziehen ist an diesem Orte nicht die Aufgabe des Herausgebers. Er glaubt jedoch einige wenige Worte über einen specielleren und für den deutschen Leser auffälligen Punkt nicht

unterdrücken zu sollen, da dieselben vielleicht zur theilweisen Erklärung der gegen das Ende des Werkes hin ausgesprochenen Ansichten beitragen.

Wallace erweis't sich in hervorragendem Maasse als scharfer Dialektiker und Kritiker, und als Philosoph, der keine Consequenzen zu umgehen scheint. Er verwirft z. B. die Annahme eines Instinctes beim Menschen und bei Thieren und stellt als leitendes Princip hin, dass man keine neuen und mysteriösen Kräfte in die Rechnung einführen dürfe, so lange die Thatsachen selbst noch unbekannt sind und erst experimentell festgestellt werden müssen, oder so lange bereits erkannte Gesetze feststehenden Thatsachen Rechnung tragen. Auf der anderen Seite jedoch verschont er einige seiner eigenen Theoreme mit dieser scharfen und nützlichen Kritik und stellt scheinbar zwingende Alternativen, um zu einem Schlusse zu gelangen, der, statt einer beabsichtigten Erklärung von in der That bis heutigen Tages unerklärbaren Phänomenen, ein neues Räthsel einführt und obscurum per obscurius zu lösen vermeint. Er sagt z. B.:,,Entweder ist alle Materie bewusst, oder Bewusstsein ist etwas von der Materie Verschiedenes, und in dem letzteren Falle ist seine Anwesenheit in materiellen Formen ein Beweis von der Existenz bewusster Wesen ausserhalb oder unabhängig von dem, was wir Materie nennen." Wallace entscheidet sich für den ersten Fall, dass alle Materie bewusst sei, dass sie Kraft, dass sie Willenskraft sei und spricht die Kraft endlich als ein Product des Geistes an. Auf solcher Brücke meint er die Kluft zwischen Wissenschaft und Glauben überschreiten zu können und übersieht, dass er lediglich mit Worten operirt, welche durch den Verstand nicht erfasst werden können, und

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oder gar

mit welchen ein Jeder einen anderen keinen Sinn verbindet, und dass er sich auf Gebiete wagt, auf welche hin besonnene Forscher ihm nicht folgen dürfen, wollen sie überall Irrwege vermeiden.

Allein dieses eben ist der Punkt, welcher oben als einer bezeichnet wurde, zu dessen theilweiser Erklärung vielleicht das Folgende dienen kann.

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Durch fast alle wissenschaftliche (und andere) Werke der Engländer mit wenigen, leicht zu bezeichnenden Ausnahmen durch Werke von dem höchsten sachlichen Werthe, zieht sich der Wunsch, eine Versöhnung der Wissenschaft mit dem Glauben herbeizuführen, und diese Thatsache kann es wohl, ohne dass an diesem Orte eine Erklärung derselben beabsichtigt würde, erläutern, wie selbst ein so hervorragender Kopf wie Wallace dazu gelangt, diesem Geiste der Zeit zu opfern. Dass er dieses Opfer in einer so besonderen Weise verrichtet, möge durch den Umstand beleuchtet werden, dass er dem,,Spiritualismus" huldigt, nicht etwa einer philosophischen Geistesrichtung oder Schule, welche so benannt werden könnte, sondern einer besonders in England und Amerika verbreiteten Lehre, die in ihren Auswüchsen Geisterklopfen und Tischrücken (einen jetzt hinlänglich aufgedeckten Schwindel) zu Wege brachte, in ihren gemässigteren Anhängern aber zum Mindesten den Verkehr mit Geistern unterhält und vieles Unbegreifliche verübt. So sonderbar es in Deutschland erscheinen mag, so ist es nichtsdestoweniger ein (in England allbekanntes) Factum, dass Wallace ein ,,Spiritualist" ist, welcher sich offen als solcher bekennt; und dieses Factum wenn es auch einer Erklärung spottet

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