Page images
PDF
EPUB

die Kulturstaaten der Erde gebildet wird, welche als solche einmal vollkommen unabhängig und in ihrer Machtvollkommenheit nur durch sich selbst beschränkt und beschränkbar, und weiterhin einander in jeder Beziehung gleichgeordnet sind.

Hieraus ergibt sich aber unmittelbar, daß eine Feststellung bestimmter Normen, sobald diese zwischen zwei oder mehreren Staaten erfolgt, nur in der Weise zu stande kommen kann, daß der einzelne Staat dieselben dem andern Staate gegenüber als für sich verbindlich, für sich als Recht erklärt. Ein Zwang hierzu besteht für den Staat nicht und kann nicht bestehen, da der einzelne Staat eben kraft seiner Souveränität in jeder Richtung unbeschränkt ist.

Aus der Souveränität des einzelnen Staates folgt weiterhin, daß der Staat als Inhaber der höchsten Gewalt auch Inhaber des Rechtes ist, daß er somit einmal materiell dasjenige bestimmt, was er als Recht sezt, sodann aber auch in formeller Beziehung anordnet, in welcher Form seine Aussprüche, welche das Recht enthalten, ergehen werden. In dieser Form erklärt der Staat seinen Willen, und erst, wenn der Wille des Staates von ihm in dieser von ihm selbst festgestellten Form abgegeben ist, ist er nach allen Richtungen hin als vollgültiger Wille des Staates und damit, weil der Wille des Staates im Recht des Staates seine äußere Gestalt findet, als Recht anzusehen.

Bevor der Staat diese autoritative Erklärung abgegeben hat, liegt mithin eine Bindung seines souveränen Willens und damit eine staatliche Anerkennung irgendwelcher Bestim= mungen nicht vor: alles, was vor dieser Erklärung liegt, stellt sich lediglich als Vorverhandlung dar, die den Staat in moralischer Hinsicht vielleicht zur Herbeiführung eines bestimmten Resultates veranlassen, niemals aber Recht schaffen kann 1).

1) Siehe auch Ph. Zorn, Staatsrecht, 2. Aufl., I. 503f.

In welcher Weise der einzelne Staat seinen Willen als für sich bindend erklärt und damit Recht schafft, ist ausschließlich nach dem geltenden Staatsrechte zu beurteilen. Am Klarsten zeigt sich das Prinzip in der absoluten Monarchie, wo der Herrscher der Staat ist und Wille und Ausspruch des Herrschers sonach Wille und Ausspruch des Staates sind. Verwickelter wird die Frage, wann ein Staat als solcher seinen Willen erklärt hat, in Staatenverbindungen, in konstitutionellen Monarchien und Republiken insofern, als sich in dieser Beziehung die Äußerung des mit der Vertretung des Staates beauftragten Organes und der als solcher erklärte Staatswille durchaus nicht immer decken. Maßgebend aber kann unter allen Umständen nur der lettere sein: nur dieser ist Außerung des Staates und somit für das Völkerrecht allein von Bedeutung.

Es wurde oben festgestellt, daß der in der vom Staate vorgeschriebenen Form erklärte Wille und das vom Staate gesezte Recht sich decken: daß der Wille des Staates zugleich das Recht des Staates ist.

Eine Einigung von Staaten untereinander kann also nur auf dem Wege der Selbstbindung nach vorheriger Übereinkunft über die zu regelnden gemeinsamen Interessen erfolgen, und auf dieser Bindung des einzelnen Staates durch seinen Willen (und somit sein Recht), gegenüber den anderen Staaten, beruht die Rechtsnatur des Völkerrechts: Völkerrecht ist juristisch Recht nur, wenn und soweit es Staatsrecht ist.

Man hat dem gegenüber aus den tatsächlichen Verhältnissen, unter denen die Staaten auf der Erde bestehen, und den daraus für die Existenz derselben folgenden Konsequenzen den Begriff der Rechtsnotwendigkeit“ konstruiert1) und auf diesen als Grundbegriff die gesamte Gültigkeit der völkerrechtlichen Bestimmungen zurückgeführt. Diese Konstruktion entbehrt aber insofern der Grundlage, als man nicht ohne

1) Go Gareis 33.

weiteres die durch die natürlichen Verhältnisse geschaffene Macht der Tatsachen als identisch mit dem juristischen Begriffe des Rechtes ansehen darf; leßerer hat vielmehr zu seiner unumstößlichen Grundlage das Verhältnis von Obrigkeit zu Untertan. Solange ein derartiges Verhältnis nicht besteht, ist für den einzelnen Recht nur das, was er etwa als Recht ansieht. Erst das Eintreten einer über dem einzelnen stehenden Macht, die das Recht sett und erzwingt, schafft für den ihr Untergeordneten den Begriff des Rechtes im juristischen Sinne; sie schafft diesen Begriff mit allen seinen Wirkungen aber auch für sich, indem sie einmal nach innen dafür, daß fie von ihren Untertanen Bestimmtes verlangt, diesen im Rechte auch ihrerseits eine bestimmte Ordnung der Dinge garantiert, und sodann nach außen, gegenüber gleichberechtigten Potenzen, als unabhängige Macht erklärt, daß das Geschaffene ihr Wille und damit das Recht sei.

Das Staatsgesetz (der Begriff „Gesez“ hier im allge= meinsten Sinne gleich „Rechtsnorm“ gedacht) bindet nicht nur die Staatsuntertanen dem Staate gegenüber: Staatsgesetz ist die autoritative Äußerung der Staatsgewalt, daß die in dem Geseze enthaltene Vorschrift für den Staat Recht ist, d. h. eine Norm, welche der Staat kraft seiner souveränen Erklärung als seinen Willen ebenso für sich als bindend ansieht, wie für seine Untertanen als verpflichtend vorschreibt. Es ist das Wort des Staates; das Höchste, was der Staat zum Ausdrucke zu bringen vermag, liegt darin, daß die souveräne Staatsgewalt im Geseße erklärt, daß nach ihrem Willen der Inhalt des Gesetzes Recht für den Staat sein soll.

In diesem Sinne ist auch das Völkerrecht positives Recht, aber nicht aus sich heraus, sondern als Recht der einzelnen Staaten: die Normen des Völkerrechts sind Rechtsnormen insoweit, als sie als Bestandteile des nationalen Rechts, sei es auf Grund von Vereinbarungen,

wie sie in Staatsverträgen zu stande kommen, sei es infolge der auf gemeinsamer Rechtsüberzeugung ruhenden gleichgerichteten Geseßgebung der einzelnen Staaten, oder endlich hervorgerufen durch die Bildung eines auch das Recht beeinflussenden Herkommens, von dessen Gesezgebung als Recht zum Ausdruck gebracht sind.

Diese, auch von den Engländern streng festgehaltene Auffassung vom Rechtscharakter des Völkerrechtes vermag allein eine sichere juristische Grundlage dieser Disziplin zu bieten.

§ 3. Die Quellen des Völkerrechts 1).

Nach den oben gegebenen Darlegungen über die Rechtsnatur des Völkerrechts kommen als Quellen für die Entstehung desselben nur solche Rechtsinstitute in Betracht, welche eine Erzeugung gleichartiger und aus diesem Grunde in ihrer Wirkung in allen Kulturstaaten übereinstimmender Rechtssätze durch die einzelnen Staaten zu veranlassen vermögen. Es sind dies einmal das Gewohnheitsrecht, das seiner Natur nach in den einzelnen Staaten zur unbedingt geltenden Rechtsregel geworden ist, und sodann die auf Staatsverträgen ruhenden Vereinbarungen, die infolge ihrer Annahme durch die einzelnen Staaten zu Bestandteilen der Rechtsordnung derselben werden.

So beruhen auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage fast alle Säße des Kriegsrechts, die erst neuerdings eine abschließende Regelung durch die Haager Kriegsrechtskonvention gefunden haben, ferner die exterritoriale Stellung der Gesandten, die sich aus der ursprünglichen Heilighaltung derselben im Altertume entwickelt hat.

Desgleichen ist die Zahl derjenigen Staatsverträge, welche sich nicht nur auf wenige, sondern auf die Mehrzahl der

1) v. Liszt § 2, Gareis §9, Rivier § 2, UIImann §§ 7, 8.

zivilisierten Staaten erstrecken und damit das Geltungsgebiet der ihnen zu grunde liegenden Vereinbarungen erheblich erweitern, zur Zeit schon nicht unbeträchtlich. Hierher gehören auch die auf internationalen Kongressen und Konferenzen getroffenen Übereinkommen, die sich von sonstigen Staatsverträgen in keiner Weise unterscheiden.

Bisweilen wird noch ein Unterschied gemacht zwischen allgemeinem Völkerrecht, das die sämtlichen Glieder der Völkerrechtsgemeinschaft umfaßt, und partikularem Völkerrecht, das sich nur zwischen einzelnen Staaten entwickelt 1). Der Unterschied zwischen beiden ist jedoch nur quantitativer, nicht qualitativer Art, überdies ist die Unterscheidung insofern prinzipiell nicht haltbar, als partikulares Völkerrecht jederzeit durch den Beitritt der übrigen Staaten der Völkerrechtsgemeinschaft zum allgemeinen Völkerrechte werden kann.

Zu den juristischen Quellen des Völkerrechts gehören somit nicht Naturrecht und Rechts- oder Moralphilosophie, Politik und Ergebnisse geschichtlicher Entwickelung 2).

Ebensowenig sind Quellen des Völkerrechts die als,,Rechtsnotwendigkeit“ (ius necessarium, necessitas) bezeichneten logischen Konsequenzen aus den tatsächlich gegebenen Existenzbedingungen für Staaten und Menschen auf der Erdoberfläche; diese sind lediglich Grundlagen der Möglichkeit einer Koeristenz von Menschen und Staaten überhaupt, tragen als solche aber unter keinen Umständen den Charakter eines absoluten Rechts 3).

Eine allgemeine Kodifikation des gesamten Völkerrechts im Wege eines völkerrechtlichen Vertrages ist mehrfach angeregt worden, bis jezt jedoch ohne Erfolg 4).

1) So v. Liszt 11.

2) Ebenso v. Liszt 11, Rivier 11.

3) Anders Gareis 33, der die Rechtsnotwendigkeit als eigentliche Rechts

quelle ansieht. Dagegen v. Liszt 9.

4) Vergleiche Rivier 15f., Ullmann 36 f.

« EelmineJätka »