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Drittes Buch.

Die Formen des völkerrechtlichen Verkehrs.

§ 19. Begriff und Arten. Kongresse und Konferenzen1).

1. Der Verkehr der Staaten untereinander und die Regelung gemeinsamer Interessen durch Verträge haben für die Staaten das Entstehen bestimmter Rechtsverhältnisse zur Folge, die sich aus dem Inhalte der einzelnen, von den Staaten als Rechtsvorschriften angenommenen Vereinbarungen ergeben.

Im Gegensaze jedoch zu den Rechtsverhältnissen des Privatrechtes, deren Entstehen und Bestehen durch die über ihnen stehende Rechtsordnung bedingt ist, und die unter Umständen als Folge bestimmter Tatsachen ohne weiteres eintreten, sind die völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse ausschließlich durch den Willen der Subjekte des Völkerrechtes, in bestimmte Beziehung zueinander zu treten und diese als rechtlich wirksam ansehen zu wollen, bedingt und bestimmt; sie reichen demnach im einzelnen Falle auch nur so weit, als der hierauf gerichtete Wille reicht: ein Entstehen eines bestimmten Rechtsverhältnisses ohne diese Grundlage, wie dies im Privatrecht auf Grund der über demselben stehenden Rechtsordnung möglich ist, ist im Völkerrechte ausgeschlossen.

Subjekte des Völkerrechts aber sind, wie oben dargelegt worden ist, nur die Staaten; völkerrechtliche Rechtsverhältnisse können aus diesem Grunde auch nur zwischen Staaten existieren. Rechtsverhältnisse aller Art, bei denen nicht ausschließlich Staaten in Frage kommen, gehören nicht dem Völkerrechte an. Dieses gilt in erster

1) v. Liszt §§ 19, 37, Gareis §§ 22, 23, Rivier §§ 45, 46, Ullmann §§ 59-61.

Zorn, Völkerrecht.

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Linie für Rechtsverhältnisse zwischen Staaten und einzelnen Personen, es gilt ferner für Rechtsverhältnisse zwischen Staatshäuptern, die als solche keine Subjekte des Völkerrechtes sind, es gilt schließlich für Rechtsverhältnisse zwischen Angehörigen verschiedener Staaten 1).

Rechtsverhältnisse zwischen Staaten sind aber weiterhin völkerrechtliche Rechtsverhältnisse nur insofern, als ihnen die Ausübung der aus der Souveränität des Staates fließenden Staatshoheitsrechte zu grunde liegt. Ebensowenig wie Angelegenheiten des Privatrechtes sonst Gegenstand des Völkerrechtes sind, werden sie es dadurch, daß zwischen zwei Staaten Abmachungen privatrechtlicher Natur geschlossen werden. Die charakteristische Äußerung der Staatsgewalt ist Herrschaft, imperium; nur so weit, als es sich um das imperium des Staates und die daraus entspringenden einzelnen Handlungen desselben handelt, können völkerrechtliche Rechtsverhältnisse in Frage kommen. Nur die Beziehungen der Staaten zueinander, soweit sie die Souveränität derselben betreffen, sind Gegenstand des Völkerrechts.

Aus diesem Grundsaße folgt einmal, daß Rechtsverhältnisse jeder Art, die sich auf die Ausübung von Staatshoheitsrechten beziehen, unter allen Umständen sich als völkerrechtliche Rechtsverhältnisse charakterisieren und dementsprechend zu behandeln sind, auch wenn sie äußerlich die Form eines privatrechtlichen Rechtsgeschäftes haben, da das Privatrecht, als seiner Natur nach dem öffentlichen Rechte untergeordnet, niemals durch die Anwendung privatrechtlicher Formen auf Verhältnisse öffentlich-rechtlichen Inhalts für deren Beurteilung maßgebend werden kann. So ist der Vertrag zwischen dem „Deutschen Reiche und China vom 6. März 1898 über die Pacht" der Bucht von Kiautschou2) auf 99 Jahre trotz der

1) Vergleiche auch v. Liszt 149 f.

2) Über die staatsrechtlichen Verhältnisse von Kiautschou s. Allerhöchsten Erlaß, betreffend die Erklärung Kiautschous zum Schußgebiete vom 27. April 1898 (R.-G.-B. 171), und Verordnung, betreffend die Rechtsverhältnisse in Kiautschou vom 27. April 1898 (R.-G.-B. 173).

privatrechtlichen Form nicht nach den Normen des Privatrechtes zu behandeln, sondern kraft seines öffentlich-rechtlichen Inhalts als ein völkerrechtlicher Vertrag über Staatshoheitsrechte, die China an Deutschland abgetreten hat.

Auf der andern Seite ergibt sich aus dem oben erwähnten Grundsaße, daß die Übertragung privatrechtlicher. Rechtsnormen auf das Gebiet des öffentlichen Rechts und somit auch des Völkerrechts juristisch unmöglich ist. Rechtsnormen des Privatrechts als des dem öffentlichen untergeordneten Rechtes können niemals auf Verhältnisse angewendet werden, die sich ihrer Natur nach als Ausflüsse des öffentlichen Rechts, für das Völkerrecht insbesondere als aus der Ausübung von Staatshoheitsrechten folgend, darstellen. Die Konsequenz hiervon ist, daß der Begriff der „völkerrechtlichen Servitut" juristisch undenkbar und ein Widerspruch in fich ist. Soll es sich hier bei um Völkerrecht handeln, so muß eine Ausübung von Staatshoheitsrechten vorliegen, das Rechtsinstitut der Servitut aber entstammt dem Privatrecht, dessen Bestimmungen auf öffentliches Recht nicht übertragen werden können. Tatsächlich stellen sich diese sogenannten „völkerrechtlichen Servituten" als Beschränkungen der Gebietshoheit des einzelnen Staates dar und sind als solche nur nach staats- bezw. völkerrechtlichen Grundsäßen, niemals aber nach den Regeln des Privatrechts zu beurteilen 1). S. auch § 7.

Im Gegensatze zu den Staatshoheitsrechten, deren Ausübung seitens der Staatsgewalt anderen Personen übertragen werden kann, sind die Berechtigungen, die sich aus völkerrechtlichen Rechtsverhältnissen ergeben, abgesehen von besonderen Vereinbarungen hierüber, hinsichtlich ihrer Ausübung nicht übertragbar 2). Es ergibt sich dies daraus, daß der Staat zur Verfügung über eigene Hoheitsrechte kraft seiner Souveränität unbedingt befugt ist, daß er jedoch bezüglich solcher

1) Siehe auch v. Liszt 67,151. Gareis 206 erklärt die Analogie der zivilrechtlichen Servituten auf die erwähnten Rechtsverhältnisse für „entweder gar nicht oder nur sehr beschränkt anwendbar“.

2) So auch v. Liszt 154.

Berechtigungen, die auf Vereinbarung mit anderen Staaten ruhen, infolge seines Eingehens auf die Vereinbarung an deren Einhaltung gebunden ist, und daß daher die Zulässigkeit einer solchen Übertragung der hieraus fließenden Berechtigungen zur Ausübung, soweit sie nicht direkt ausgesprochen ist, aus der einzelnen Vereinbarung nicht gefolgert werden kann.

Eine Einteilung der völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse nach bestimmten Gesichtspunkten läßt sich infolge der außerordentlichen Mannigfaltigkeit derselben nicht durchführen; alles was Gegenstand eines Staatshoheitsrechts sein kann, vermag den Inhalt eines völkerrechtlichen Rechtsverhältnisses zu bilden.

2. Die völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse verdanken, wie alle für das Recht bedeutsamen Vorgänge, ihr Entstehen und Vergehen einmal der Einwirkung von Naturereignissen auf bestehende Verhältnisse und sodann der Wirkung, welche menschliche Willenshandlungen, die sich für das Völkerrecht jedoch stets als Willenshandlungen der Staaten im lezten Ende charakterisieren müssen, hinsichtlich des Entstehens, der Abänderung oder Aufhebung bestehender, für das Recht als solches wesentlicher Zustände hervorzubringen vermögen.

Durch Naturereignisse bedingt sind alle Veränderungen in der geographischen Gestaltung der Erdoberfläche, die das Gebiet eines Staates treffen können, so Vergrößerungen oder Verkleinerungen des Staatsgebietes durch die Tätigkeit des Meeres, Bildung von Seen, Verschwinden oder Auftauchen von Inseln 2c. Zu den Naturereignissen (im weiteren Sinne), welche jedoch im Gegensaße zu dem Rechte der einzelnen Staaten im Völkerrechte eine Rechtswirkung nicht zu erzeugen vermögen, gehört für das ganze Gebiet des Völkerrechts der Zeitablauf. Eine Änderung bestehender völkerrechtlicher Rechtsverhältnisse durch Ablauf von Zeit ist ausgeschlossen; diese Tatsache hat für das Völkerrecht weder rechtserzeugende, noch rechtszerstörende Wirkung: es gibt im

Völkerrecht weder Verjährung, noch insbesondere Ersizung1).

Der Zeitablauf erhält juristische Wirksamkeit ausschließlich dadurch, daß ihm solche durch die Rechtsordnung des einzelnen Staates ausdrücklich zugesprochen, und die erforderliche Frist, nach deren Ablauf ein Zustand unter bestimmten Umständen rechtlich unanfechtbar ist, durch die Rechtsordnung festgesetzt wird. Beides ist im Völkerrechte nicht möglich, da einmal eine über den Staaten stehende Rechtsordnung, welche Rechtssäge in dieser Beziehung erlassen könnte, nicht existiert, und anderseits die Vorschriften des nationalen Rechtes hierüber nach dem Territorialitätsprinzip über das Gebiet des einzelnen Staatesnicht hinausreichen.

Wenn sonach dem Zeitablauf juristische Wirkung für die Änderung völkerrechtlicher Rechtsverhältnisse prinzipiell abgesprochen werden muß, so steht anderseits dem Umstande nichts im Wege, daß einzelne Staaten kraft ihrer Souveränität in Staatsverträgen eine bestimmte Frist festseßen, deren Ablauf eine Änderung in den zwischen ihnen bestehenden Rechtsverhältnissen zur Folge haben soll, oder daß sie Vorschriften des nationalen Rechts in dieser Beziehung auf den einzelnen Fall für anwendbar erklären 2). Derartige Vorschriften gelten aber dann immer nur für die einzelnen Staaten im Rahmen der einzelnen Verträge; eine Gültigkeit über diese Grenzen hinaus können sie in diesem Falle ebensowenig, als in anderen Fällen beanspruchen.

Die oben entwickelten Grundsäße schließen die Bildung von Gewohnheitsrecht, das auf ganz anderer juristischer Grundlage ruht, naturgemäß nicht aus; die auf internationalem Herkommen beruhenden Rechtssäße bilden im Gegenteil einen nicht unerheblichen Bestandteil des Völkerrechts, dessen eine Rechtsquelle das Gewohnheitsrecht ist (s. § 4).

Willenshandlungen der Staaten, die auf Begründung, Veränderung oder Aufhebung von Rechtsverhältnissen gerichtet 1) Übereinstimmend v. Liszt 154 f., Gareis 88.

2) So mit Recht auch Gareis 88.

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