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des Erwerbes die völkerrechtliche Stellung des erwerbenden Staates teilen, ist jedoch in vollem Umfange zu bejahen.

Nach dem Grundsaße, daß Subjekte des Völkerrechts nur die Staaten als solche sind, kommt völkerrechtlich eine territoriale Vergrößerung oder Verkleinerung eines Staates ebensowenig in Betracht, wie z. B. eine Verfassungsänderung oder ein sonstiger Vorgang im Innern des Staates, solange der Staat nicht etwa infolge gänzlichen Verlustes des Staatsgebietes zu existieren aufhört. Es scheiden mithin die infolge der Gebietsveränderung abgetrennten Teile eines Staates ipso iure aus allen völkerrechtlichen Rechtsverhältnissen aus, während im übrigen bezüglich des verkleinerten Staates eine Änderung hierin nicht eintritt. Anderseits treten die neuerworbenen Gebiete in gleicher Weise in sämtliche völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse des erwerbenden Staates ohne weiteres ein.

Das hierin liegende Prinzip, daß eine Veränderung der territorialen Gestaltung eines Staates auf dessen völkerrechtliche Rechtsstellung ohne Einfluß bleibt, wird als Prinzip der beweglichen Vertragsgrenzen bezeichnet 1).

§ 22. Das völkerrechtliche Delikt1).

1. Begriff. Völkerrechtliches Delikt ist die Verlebung von Staatshoheitsrechten eines Staates durch eine Willensäußerung eines anderen Staates.

Aus dieser Feststellung ergibt sich zunächst, daß nur souveräne Staaten, als die alleinigen Rechtssubjekte des Völkerrechtes, deliktsfähig im Sinne des Völkerrechtes sein können, weil diese allein in der Lage sind, nach jeder Richtung hin frei zu handeln, und ihre Handlungen im vollen Umfange zu vertreten haben.

Staatenverbindungen sind hinsichtlich ihrer Deliktsfähigkeit danach zu beurteilen, ob in den einzelnen Verbindungen

1) Stehe auch v. Liszt 176.

2) v. Liszt § 24, Gareis § 76.

die Souveränität bei dem Repräsentanten der vereinigten Staaten ruht, oder ob der einzelne Staat als solcher troß der Vereinigung souverän bleibt (s. § 6, IV).

Halbsouveräne Staaten sind infolge der fehlenden Souveränität prinzipiell nicht deliktsfähig; dies muß auch für das Gebiet gelten, innerhalb dessen ihnen die freie Ausübung von Staatshoheitsrechten übertragen ist 1); Deliktsfähigkeit seht Souveränität voraus: diese fehlt den halbsouveränen Staaten, denn die Tatsache, daß ihnen die Ausübung der Souveränität für ein bestimmtes Gebiet übertragen ist, macht sie innerhalb derselben nicht souverän. Das erhellt auch daraus, daß die erteilte Ausübung der Souveränität von dem Oberstaate jederzeit in ihrem Umfange geändert werden kann (f. auch § 6).

Dauernd neutralisierte Staaten sind souverän und daher deliktsfähig.

Das völkerrechtliche Delikt kann sich nur gegen einen Staat richten, da nur dieser Rechtssubjekt des Völkerrechtes ist. Dies schließt jedoch nicht aus, daß die Verlegung eines Staates durch eine Verlegung eines Untertanen eines anderen Staates erfolgt. Ein völkerrechtliches Delikt liegt nur insoweit vor, als es sich um einen unberechtigten Eingriff in Staatshoheitsrechte eines Staates oder in Rechtsverhältnisse handelt, die sich aus der Ausübung derselben ergeben.

Der juristische Begriff des völkerrechtlichen Deliktes ruht auf der aus der Souveränität fließenden Gleichstellung aller souveränen Staaten. Aus dieser folgt, daß, abgesehen von bestimmten Fällen, im Prinzip der einzelne Staat ebensowenig befugt ist, einen andern Staat in der Ausübung seiner Souveränität zu stören oder zu hindern, als er überhaupt berechtigt ist, sich, z. B. im Wege der Intervention, in Angelegenheiten eines andern Staates einzumischen.

Anderseits ergibt sich hieraus, daß ein Delikt in dem erwähnten Sinne nicht mehr vorliegt, sobald sich der betroffene

1) Anders v. Liszt 177.

Staat mit einem derartigen Vorgehen eines anderen Staates einverstanden erklärt, wozu er kraft seiner Souveränität jederzeit in der Lage ist1).

Der Begriff der völkerrechtswidrigen Handlung entfällt aber auch dann unter allen Umständen, sobald das Vorgehen eines Staates gegen einen anderen im Interesse seiner eigenen Sicherheit, zur Wahrung seiner Souveränität erforderlich wird. Seine Existenz, wenn erforderlich, mit den schärfsten Mitteln sicherzustellen, ist jeder Staat anderen gegenüber unbedingt berechtigt; er kann das aber nur aus eigener Kraft und eigenen Mitteln, da dem souveränen Staat als dem höchsten Machtgebilde ein anderer, etwa über ihm stehender Faktor seine Sicherheit und Existenz nicht zu garantieren vermag.

2. Haftung. Der Staat ist verantwortlich für alle vorfäßlichen oder fahrlässigen Rechtsverleßungen der oben erwähnten Art durch Staatsorgane, welche innerhalb der Vertretungsbefugnis derselben von ihnen begangen werden. Soweit derartigen Organen vom Staatsrechte die Befugnis zuerteilt ist, den Staat zu vertreten, stellen sich die einzelnen Handlungen als Handlungen des Staates selbst dar; aber auch für die Handlungen sonstiger Behörden, die als solche die Staatsgewalt repräsentieren, hat der Staat einzutreten. Der Staat hat ferner dafür zu sorgen, daß eine Verlegung anderer Staaten nicht durch Personen erfolgt, die seiner Gebietshoheit unterstehen, und zwar ohne Unterschied, ob es sich um Staatsangehörige oder Fremde handelt, die sich im Staatsgebiete aufhalten. Für die Handlungen erterritorialer Personen, die sich im Staatsgebiete aufhalten, ist der einzelne Staat, da er sie nicht zur Rechenschaft ziehen kann, nicht verantwortlich 2).

Da aber der Staat für alle einzelnen Handlungen der auf seinem Staatsgebiete sich aufhaltenden Personen der Natur der Sache nach nicht direkt verantwortlich gemacht werden

1) So auch v. Liszt 182. 2) Ebenso v. Liszt 179.

kann, so erstreckt sich die Haftung in solchen Fällen nur darauf, einmal derartige Rechtsverlegungen nach Möglichkeit zu verhindern und zu diesem Zwecke die erforderlichen Strafbestimmungen zu schaffen, und anderseits, falls eine Verlegung eines Staates durch eine Privatperson erfolgt ist, den Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen.

3. Folgen. Die Verübung eines völkerrechtlichen Deliftes verpflichtet den Staat zunächst zur Wiederherstellung des Zustandes, wie er vor der Verübung bestand, falls durch dasselbe eine direkte Änderung hierin eingetreten ist. Entstandener Schaden ist, soweit derselbe schäzbar ist, zu erseßen. Darüber hinaus ist in schweren Fällen dem Staate eine offizielle Genugtuung zu leisten (Entschuldigung, Ehrenerklärung 2c.).

Verweigerung dieser Entschuldigungshandlungen durch den verlegenden Staat berechtigt den verlegten Staat, sich die Leistung mit Gewalt, sei es durch Anwendung nichtkriege= rischer Zwangsmaßregeln, oder erforderlichen Falles durch Krieg, zu erzwingen.

Viertes Buch.

Der Inhalt der völkerrechtlichen Rechts-
verhältnisse.

§ 23. Das Fremdenrecht1).

Die Tatsache, daß auf der Erdoberfläche eine Anzahl von Staaten besteht, deren Tätigkeit im großen ganzen auf die Erreichung desselben Endzieles gerichtet ist, hat die weitere Tatsache zur Folge, daß sich zwischen diesen Staaten eine Reihe von Verkehrsbeziehungen entwickelt hat, wie sie gerade im Interesse des einen oder andern Staatswesens liegen. Dieselben Tatsachen liegen auch der in ihrer geschichtlichen Entwickelung viel älteren Erscheinung zu grunde, daß der einzelne Mensch es versucht, auch außerhalb des Staates, dem er angehört, mit andern Menschen in Verkehr zu treten, um auf diese Weise teils für seine Produkte ein Absaßgebiet zu gewinnen, teils Erzeugnisse des fremden Staates, die er im Inlande nicht erhalten kann und deren er bedarf, in dasselbe hineinzuziehen. So haben, lange, ehe das Staats- und Völkerrecht daran dachte, mit diesen auf der physischen Grundlage des Nebeneinandereristierens von Menschen auf der Erde ruhenden Erscheinungen ihrerseits zu rechnen, Handelsbeziehungen in mehr oder weniger großem Umfange ihre Fäden gesponnen, nachdem die Staaten der ältesten Zeiten vergeblich den Versuch gemacht hatten, ihr Gebiet gegen jeden Einfluß von außen absolut zu verschließen. Die in der heutigen Zeit durch die jahrhundertelang fortgesezte Übung allgemein

1) v. Liszt § 25, Garets § 57, Rivier § 25, Ullmann § 102. Sehr gut auch Stoerk in v. Holzendorffs Handbuch des Völkerrechts II., §§ 120 ff.

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