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244 Fünftes Buch. Die Staatenstreitigkeiten und deren friedliche Erledigung.

in der Weise durchgeführt werden, daß der Verkehr entweder ganz oder nur für die Schiffe des blockierten Staates gesperrt wird. Die friedliche Blockade, deren völkerrechtliche Zulässigkeit bisher ohne Erfolg deshalb bestritten ist1), weil die durch sie verursachte Lähmung des Handels nicht nur den davon betroffenen Staat, sondern auch andere Staaten schädige, ist von den großen Seemächten im Laufe des 19. Jahrhunderts fleineren Staaten gegenüber vielfach mit Erfolg angewendet worden (Blockade Griechenlands 1886, von Kreta 1897).

Als eine Art der Repressalie muß endlich auch die förm liche nichtkriegerische Intervention eines oder mehrerer Staaten angesehen werden.

Über Repressalien im Kriege s. S. 269.

1) Siehe v. Liszt 283f., Gareis 219, Rivier 375f.

Sechstes Buch.

Der Krieg.

§ 37. Begriff des Krieges 1).

Krieg ist der Austrag völkerrechtlicher Streitig= keiten zwischen einzelnen Staaten durch Waffengewalt.

Der Krieg ist das lezte Mittel zur Entscheidung völkerrechtlicher Streitigkeiten, die ultima ratio des Staates, der in seiner Ehre oder Existenz bedroht ist und für den aus diesem Grunde eine Entscheidung auf andere Weise, durch den Spruch eines Schiedsgerichts 2c., ausgeschlossen ist. Im Kriege wird die Durchsetzung eines Anspruches (gleichviel ob derselbe begründet oder unbegründet ist) durch Zwang erstrebt; der ganze Vorgang des Krieges als eines Kampfes zwischen zwei gleichen Potenzen, über denen eine höhere Instanz zur Entscheidung nicht vorhanden ist und nicht vorhanden sein kann, zeigt, daß der Begriff des Rechtes nur relativ ist, daß Recht ohne Zwang, der es verwirklicht, kein Recht, und die Macht insofern die Grundlage alles Rechtes ist. Hierauf wird bei der Feststellung der Grundlagen des Kriegsrechtes noch zurückzukommen sein.

Von den verschiedenen Unterscheidungen, welche die Wissenschaft früher hinsichtlich der Arten des Krieges durchgeführt hatte, sind die meisten juristisch belanglos. Von Bedeutung bleibt die Einteilung in Angriffskriege und Verteidigungskriege; eine Unterscheidung, die sich jedoch

1) v. Liszt § 39; Gareis §§ 79-84, 90; Rivier §§ 60, 61, 69, 70; nilmann §§ 141-147, 169-171.

auch nicht absolut durchführen läßt und für das Völkerrecht nur insofern wesentlich wird, als das Staatsrecht der einzelnen Staaten unter Umständen die Erklärung eines Angriffskrieges verfassungsmäßig von schwereren Bedingungen abhängig macht als die Abwehr eines von außen an den Staat herangetragenen Angriffs 1).

Wesentlicher ist die Unterscheidung von Land- und Seekrieg insofern, als für beide Arten der Kriegführung eine Reihe ganz verschiedener Vorschriften gelten.

Da der Krieg ein Rechtsinstitut des Völkerrechts ist, so folgt daraus, daß Subjekte des Krieges nur die Subjekte des Völkerrechts, die Staaten, sein können. Dementsprechend ist die Fähigkeit, selbständig Kriege zu führen, bei Staatenverbindungen aller Art, wie bei Staaten, denen nicht volle Souveränität zusteht, danach zu beurteilen, ob sie als Staaten im Sinne des Völkerrechts, d. h. als souverän anzusehen sind.

Halbsouveräne Staaten haben daher das Recht zu selb= ständiger Kriegführung prinzipiell nicht (dies ist z. B. von Bulgarien 1885 anerkannt worden); abweichende Praxis in dieser Beziehung bedarf der juristischen Grundlage eines besonderen Vertrages oder des Herkommens (Gewohnheitsrechtes). So hat Ägypten selbständig Kriege in Afrika geführt.

Durch Personalunion geeinte Staaten haben demnach selb= ständig das Recht zur Kriegführung, ebenso an sich Gliedstaaten eines Staatenbundes, die als solche souverän sind, außer wenn das Recht der Kriegführung für die Bundesglieder vertragsmäßig ausgeschlossen ist.

Krieg im Sinne des Völkerrechts ist nicht die (einem Kriege meist ähnliche) Staatsumwälzung (durch Revolution 2c.) im Innern eines Staates, der troßdem als solcher bestehen bleibt; derartige Vorgänge erzeugen somit nach außen hin auch nicht die Rechtsverhältnisse, die sich sonst in dieser Beziehung

1) So fordert Art.11 Abs.2 der deutschen Reichsverfassung zur Kriegserklärung im Namen des Reichs durch den Kaiser die Zustimmung des Bundesrats, es set denn, daß ein Angriff auf das Bundesgebiet oder dessen Küsten erfolgt.

ergeben. Als innere Zwistigkeiten sind auch derartige Vorgänge in Staatsgebilden anzusehen, die aus mehreren ehemaligen Staaten zusammengescht sind, bei denen der Träger der Souveränität jedoch nicht der einzelne Staat, sondern die Zentralinstanz ist (Realunion, Bundesstaat); desgleichen die Kämpfe eines unter dem Schuße eines andern Staates stehenden Staates gegen diesen.

Wenn jedoch in derartigen Fällen inneren Streites ein Staat bezw. ein Teil eines Staates tatsächlich und auf die Dauer seine Trennung von dem ursprünglichen Staate durchzusezen vermag, so ist mit diesem tatsächlichen Vorgange die Entstehung eines neuen Staates gegeben, der dann unmittelbar als völkerrechtliches Subjekt, und damit als Kriegspartei auftritt. Der Anerkennung anderer Staaten bedarf es hierfür nach dem oben Gesagten 1) nicht.

Autonomen Kolonien und Privatgesellschaften kann unter bestimmten Umständen die Ausübung des Rechtes zur Kriegführung übertragen werden (lezteren z. B. in Kolonien); einzelne Privatpersonen, welche auf eigene Verantwortung gegen einen fremden Staat zu Felde ziehen, fallen ausschließlich dem Strafrecht anheim.

Auf besonderer Rechtsgrundlage ruht die Stellung der dauernd neutralisierten Staaten.

Da die hier in Frage kommenden Staaten souverän sind, haben sie prinzipiell das Recht der Kriegführung. Dies zeigt sich auch darin, daß ein von einem neutralen Staat ge= führter Krieg völkerrechtlich durchaus die Rechtswirkungen des Krieges hat. Da die Feststellung der Neutralität jedoch stets auf Staatsverträgen beruht und die die Neutralität garantierenden Mächte gegenüber der Erklärung des einzelnen Staates, unbedingt neutral bleiben zu wollen, als Gegenleistung die Verpflichtung übernommen haben, dem neutralen Staate für die Erhaltung der Neutralität einzustehen, so entfällt mit dem Momente, wo der betreffende Staat seine Neutralität

1) Vergleiche oben § 6.

aufgibt, infolge des hierin liegenden Vertragsbruches auch die Garantiepflicht der übrigen Staaten 1).

Nicht berührt von der Neutralitätsklausel ist unbedingt der Fall eines Verteidigungskrieges des neutralen Staates. Über dauernd neutralisierte Staaten vergl. § 7.

A. Der Beginn des Krieges und die durch den Krieg erzeugten Rechtswirkungen.

Für die Kriegführung haben sich im Laufe der Zeit eine Anzahl von Rechtsregeln herausgebildet, deren Beachtung heutzutage seitens aller Staaten unbedingt garantiert wird. Diese Rechtsregeln betreffen einerseits das durch den Krieg zwischen den Kriegsparteien erzeugte Rechtsverhältnis, sodann die Stellung derselben zu den außerhalb des Krieges befindlichen neutralen Staaten.

Versuche, diesen Rechtssäßen in internationalen Kodifikationen allgemeine Geltung und eine gewisse Garantie für die Befolgung der bisher nur durch Gewohnheitsrecht festgestellten Bestimmungen zu verschaffen, sind seit Mitte des 19. Jahrhunderts bezüglich einzelner Rechtsinstitute mit Erfolg durchgeführt worden. Hierher gehören die Pariser Seerechtsdeklaration von 1856, die Genfer Nonvention von 1864, die Petersburger Konvention von 1868. Eine allgemeine Kodifikation des gesamten Kriegsrechts wurde auf Veranlassung Rußlands im Jahre 1874 in Brüssel in Angriff genommen; die dort festgestellte Brüsseler Deklaration wurde jedoch, hauptsächlich infolge des Widerspruches von England, von den beteiligten Mächten nicht angenommen.

Erst die im Jahre 1899 ebenfalls auf Veranlassung Rußlands zusammengetretene Haager Konferenz hat in der von ihr festgestellten Konvention, betreffend die Ge= seze und Gebräuche des Landkrieges (Convention

1) Zu weit geht wohl v. Liszt 289, der in dem Beginne der Feindseligkeiten durch einen neutralen Staat eine Verlegung der dem Staate „auferlegten völkerrechtlichen Rechtspflicht" sieht.

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