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Erstes Buch.

Die Rechtssubjekte des Völkerrechts.

§ 6. Die Staaten als Rechtssubjekte 1).

I. Begriff. Träger von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten sind nur die Staaten als solche; sie sind allein Subjekte des Völkerrechts.

Staat im Sinne des Völkerrechts ist die auf einem be= stimmten Teile der Erdoberfläche fest angesiedelte, unter einheitlicher und unabhängiger (souveräner) Herrschaft stehende menschliche Interessen- und Kulturgemeinschaft. Es gehören mithin zum völkerrechtlichen Begriffe des Staates drei unbedingt erforderliche Bestandteile: 1. Staatsgewalt, 2. Staatsvolk, 3. Staatsgebiet 2). Sobald die oben erwähnten drei Merkmale vorhanden, sind die Vorausseßungen dafür erfüllt, daß der neue Staat als Subjekt des Völkerrechts in die Reihe der übrigen Staaten eintreten kann. Aus diesem Grunde ist die Feststellung, ob dieses der Fall sei, von juristischer Bedeutung (s. hierüber S. 29 f.).

Nach dem vorstehenden sind demgemäß nicht Subjekte des Völkerrechts

1. die Staatsoberhäupter als solche;

2. die auf dem Staatsrecht der einzelnen Staaten beruhenden Gliedbestandteile innerhalb des einzelnen Staates (Provinzen, Kreise, Gemeinden, Kolonien 2c.);

1) v. Liszt § 5, Rivier §§ 7-13, Gareis §§ 13-15, UIImann §§ 10, 20-26.

2) Die scharfe Hervorhebung dieser drei Merkmale auch bet v. Liszt 35. Ähnlich Rivier 88.

3. Religionsgesellschaften 1);

4. von einzelnen oder Privatgesellschaften ausgehende Unternehmungen zu kolonisatorischen Zwecken;

5. nomadisierende Volksstämme, soweit sie nicht etwa ein bestimmt abgegrenztes Gebiet ausschließlich beherrschen; 6. aufständische Parteien innerhalb eines Staatsgebiets, solange die bisherige Staatsgewalt als solche noch fortbesteht. Bezüglich privater Kolonialgesellschaften, denen man früher eine, wenn auch nur beschränkte, völkerrechtliche Persönlichkeit zugestehen wollte, ist zu bemerken, daß die von ihnen gegründeten Ansiedelungen und Kolonien in den Kreis der Subjekte des Völkerrechtes eintreten können und eintreten, sobald die erforderlichen drei Merkmale des Staatsbegriffes vorhanden sind. Ein Beispiel hierfür bildet der aus der internationalen Kongogesellschaft entstandene Kongostaat. Hiervon verschieden ist der Fall, daß der Staat derartigen Gesellschaften die Ausübung von Hoheitsrechten in seinem Namen gestattet, wie dies bezüglich der deutschen Neuguinea-Kompagnie durch kaiserliche Schußbriefe vom 17. Mai 1885 und 15. Dezember 1886 (Ausübung von Staatshoheitsrechten, jedoch mit Ausschluß der Rechtspflege) erfolgt ist. Nunmehr ist durch Allerhöchste Verordnung vom 27. März 1899 die Landeshoheit über das Schußgebiet von Deutsch-Neuguinea vom 1. April 1899 ab durch das Deutsche Reich übernommen.

In solchen Fällen fehlt von den erforderlichen Merkmalen das der selbständigen und unabhängigen Gewalt; leztere ist vielmehr nur delegiert, daher wird das Unternehmen auch nicht Staat im Sinne des Völkerrechts, sondern die völkerrechtliche Vertretung erfolgt durch den Staat, in dessen Namen, unter dessen „Schuß“ die übertragenen Hoheitsrechte ausgeübt werden.

Die eigenartige Stellung des Papstes, der nach obigen Feststellungen weder Rechtssubjekt im Sinne des Völkerrechts ist, noch anderseits irgend einem Staatsverbande angehört,

1) Ebenso Rivier 89, Garets 49.

beruht heute auf dem italienischen Garantieengesez vom 13. Mai 1871, indem sich das Königreich Italien den übrigen Staaten gegenüber verpflichtet hat, die Unabhängigkeit des Papstes zu sichern1). Hierdurch und durch die Anerkennung der Mächte hat der Papst eine quasi-völkerrechtliche Persönlichkeit erhalten, die sich insbesondere im Gesandtschaftsrechte äußert. Dagegen ist er bezüglich aller sonstigen ihm nicht ausdrücklich zugestandenen Rechte formell nicht als Subjekt des Völkerrechts anzusehen; die von einzelnen Staaten mit dem Papste geschlossenen „Konkordate“ haben nicht die Natur völkerrechtlicher Verträge 2). Die dermalige Stellung des Papstes im System des Völkerrechtes ist juristisch völlig unkonstruierbar. Tatsächlich aber wird der Papst als völkerrechtlicher Souverän anerkannt und geachtet.

Daß einzelne Menschen (so auch Fürstlichkeiten oder diplo= matische Personen) Rechtssubjekte des Völkerrechts niemals sind, bedarf nach dem oben Gesagten keiner weiteren Erläuterung.

II. Entstehung und Untergang von Staaten. Mit den einzelnen Phasen in der Entstehung und dem Untergang von Staaten, mit den Ursachen derartiger Erscheinungen, sowie mit der Frage, ob die Entstehung eines neuen Staates aus einem andern heraus, oder ob der Untergang eines Staates durch Einfügung in einen andern eine moralisch nicht zu rechtfertigende Vergewaltigung des ersteren oder lezteren darstellt, hat sich das Völkerrecht nicht zu beschäftigen. Vielmehr gilt für das Völkerrecht ein Staat als entstanden, sobald die drei essentiellen Merkmale: Staatsgewalt, Staatsvolk, Staatsgebiet in einem neu entstandenen Gemeinwesen vorhanden sind; er ist anderseits mit dem Momente untergegangen, in welchem eines dieser drei Merkmale zu existieren aufgehört hat.

Für die Entstehung und den Untergang von Staaten kommen als Ursachen, wie für die Entstehung völkerrechtlicher Rechtsverhältnisse überhaupt natürliche Tatsachen und menschliche

1) Siehe auch Rivier 122 ff.

2) Diese Frage ist jedoch sehr bestritten. Siehe Gareis 49.

Handlungen in Betracht. Insbesondere kommen hier in Frage für die Entstehung: die Besiedelung bisher unbewohnten Gebietes (Republik Liberia, Transvaal), weiterhin Verträge selbständiger Staaten über Begründung einer Staatenverbindung (Deutsches Reich 1866/70, zentralamerikanische Republik 1895), endlich Losreißung vom Mutterlande durch Waffengewalt (Vereinigte Staaten von Nordamerika, süd- und mittelamerikanische Staaten). Der Untergang kann erfolgen durch Vernichtung des Staatsgebietes infolge von Naturereignissen, durch Vernichtung des Staatsvolkes oder Auswanderung desselben, durch Untergang der Staatsgewalt, sei es im Kriege durch Eroberung oder im Frieden durch Aufgeben der bisherigen Staatsgewalt zu Gunsten eines neu zu bildenden Gemeinwesens oder dadurch, daß ein bisher selbständiger Staat in staatsrechtliche Abhängigkeit von einem andern gelangt.

Aus dem Vorstehenden folgt bezüglich der Entstehung von Staaten, daß die Existenz des neuen Staates als Staat von einer Mitwirkung der übrigen Subjekte des Völkerrechts an sich vollständig unabhängig ist. Das Vorhandensein der drei Merkmale: Herrschaft, Volk, Gebiet macht das neue Gemeinwesen zum Staate und damit zum Rechtssubjekt des Völkerrechts, ohne daß es hierzu einer Anerkennung (reconnaissance, recognition) anderer Staaten bedarf1). Eine derartige Anerkennung hat hiernach immer nur deklaratorische, keine konstitutive Bedeutung; dementsprechend kann durch bloße Anerkennung niemals ein Staat, der als solcher nicht vorhanden ist, völkerrechtliche Existenz erlangen, ebensowenig wie ein schon vorhandener Staat der Anerkennung zu seiner völkerrechtlichen Existenz bedarf 2).

Die Anerkennung durch die übrigen Staaten bringt somit weiter nichts zum Ausdruck als die Erklärung derselben, daß

1) So auch Rivier 92, Gareis 64f., Ullmann 66 f.; anders v. Liszt (2. Aufl.) 39.

2) Auch nicht zu seinem „Eintritt in die Völkerrechtsgemeinschaft“, wie v. Liszt 39 dies behauptet.

fie die drei Staatsmerkmale in dem neu entstandenen Gemeinwesen als vorhanden erachten, eine Erklärung, an die sie dann fernerhin dem neuen Staate gegenüber gebunden sind. Ein besonderer Fall, in welchem eine derartige Anerkennung zugleich einen Verzicht auf bisherige Rechte enthält, liegt vor, wenn die Eigenschaft eines durch Revolution oder auf ähnliche Weise vom Mutterlande abgetrennten Gebietes als völkerrechtliche Persönlichkeit durch das lettere anerkannt wird.

Da die Anerkennung auf die Existenz des Staates ohne jeden Einfluß ist, so folgt daraus, daß die ausdrückliche Verweigerung derselben seitens eines andern Staats dem neuen Staat die Eigenschaft des völkerrechtlichen Rechtssubjektes nicht entziehen kann. Da anderseits die Anerkennung einen Staat nicht zu schaffen vermag, so ist die voreilige Anerkennung eines Staatsteiles, der vom Mutterlande sich loszureißen bestrebt ist, aber noch nicht die Merkmale des Staatsbegriffes vollständig in sich vereinigt, als unzulässige Intervention in die Angelegenheiten des Mutterstaates anzusehen und deshalb völkerrechtswidrig.

Ist somit die „Anerkennung“ zwar nicht völkerrechtliches Erfordernis für die Mitgliedschaft eines Staates an der Völkerrechtsgemeinschaft, so hat doch die Praxis die Notwendigkeit eines solchen mehr und mehr anerkannt, so daß, wie bemerkt, manche Schriftsteller dieselbe als juristisches Erfordernis der Rechtssubjektivität im Völkerrecht behaupten.

Eine bestimmte Form, in der die Anerkennung zu erfolgen hat, existiert nicht; dieselbe kann ausdrücklich auf Kongressen oder in diplomatischen Noten erfolgen oder stillschweigend sich durch konkludente Handlungen so z. B. die Anbahnung diplomatischen Verkehrs mit dem neuen Staate, vollziehen.

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Zu erwähnen sind noch die sogenannten Bedingungen“, an welche die Anerkennung geknüpft werden kann, wie dies im Berliner Vertrag vom 13. Juli 1878 bezüglich der Anerkennung der Balkanstaaten Montenegro, Serbien und Rumänien geschehen ist. Derartige Vertragsbestimmungen führen die Bezeichnung „Bedingung“ zu Unrecht, sie sind

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