Page images
PDF
EPUB

Flagge für unverlegbar erklärte, über die Behandlung von feindlichem Gute unter feindlicher Flagge jedoch keine Bestimmungen traf. Aus diesem Grunde haben die Vereinigten Staaten von Nordamerika, sowie eine Reihe anderer Mächte ihren Beitritt zur Seerechtsdeklaration verweigert.

Der Versuch, das Seebeuterecht auszuschließen, wurde im deutsch-französischen Kriege ebenfalls gemacht. Nach einer Verordnung des Norddeutschen Bundes vom 18. Juli 18701) sollten französische Handelsschiffe der Aufbringung und Wegnahme durch Fahrzeuge der Bundes-Kriegsmarine nicht unterliegen. Da jedoch Frankreich auf die Wegnahme deutscher Handelsschiffe nicht verzichtete, wurde die oben erwähnte Verordnung durch Verordnung vom 19. Januar 18712) wieder aufgehoben.

Die Ausschließung des Seebeuterechts durch Staatsvertrag, sei es für den einzelnen Kriegsfall oder ein für allemal, kann zwischen einzelnen Staaten in gleicher Weise erfolgen wie die Regelung sonstiger völkerrechtlicher Rechtsverhältnisse.

Mit dem Beginne des Krieges ist die Wegnahme des feindlichen Privateigentums völkerrechtlich zulässig. In der Regel wird nach Beginn des Krieges eine bestimmte Frist (Indult) von den kriegführenden Staaten festgeseßt, innerhalb deren den Schiffen des Gegners das Verlassen der Staatsgewässer gestattet ist; erfolgt die Ausfahrt vor Ablauf derselben, so bleiben die betreffenden Schiffe von der Beschlagnahme frei. Die Vereinigten Staaten von Nordamerika haben bei Ausbruch des spanisch-amerikanischen Krieges im Jahre 1898 den in amerikanischen Gewässern befindlichen Schiffen eine Frist von 30 Tagen zur Abfahrt gewährt.

Die Gewährung dieses Indults ist auch, soweit nicht besondere völkerrechtliche Vereinbarungen hierüber bestehen, als durch internationales Gewohnheitsrecht festgestellte Rechtspflicht anzusehen 3).

1) R.-G.-B. 1870, 485.
2) R.-G.-B. 1871, 8.
3) Anders v. Liszt 224.

Von dem Ablaufe der erwähnten Frist oder, wenn eine solche nicht gewährt worden war, vom Beginne des Krieges an verfallen feindliche Handelsschiffe unbedingt der Wegnahme. Als feindlich gilt jedes Schiff, das nach Ausweis seiner Schiffspapiere die Nationalflagge des Gegners zu führen verpflichtet ist. Ein unrechtmäßiges Führen der Flagge eines neutralen Staates schüßt es vor der Wegnahme ebenfalls nicht.

Ausgenommen sind Schiffe unter feindlicher Flagge von der Wegnahme nur dann, wenn es sich um Schiffe solcher Staaten handelt, die eine eigene Seeflagge nicht führen, sondern sich der Flagge eines befreundeten Staates mit dessen Zustimmung bedienen; in solchen Fällen ist die Flagge für die Staatsangehörigkeit nicht maßgebend. Ein Beispiel hierfür bilden schweizerische Schiffe, die unter deutscher Flagge fahren, weil die Schweiz ihren Staatsangehörigen nicht gestattet, die schweizerische Flagge zur See zu führen; dementsprechend wurde ein schweizerisches Schiff unter deutscher Flagge, das im Kriege 1870/71 aufgebracht wurde, freigegeben.

Eigentumsveränderungen hinsichtlich einzelner Schiffe, welche den Übergang zu der Staatsangehörigkeit eines neutralen Staates zur Folge haben, müssen von den kriegführenden Staaten anerkannt und beachtet werden. Derartige Schiffe dürfen nicht weggenommen werden, falls nicht etwa der Nachweis geliefert werden kann, daß es sich bei dem Eigentumsübergang lediglich um ein Scheingeschäft gehandelt hat. In dieser Beziehung vertreten jedoch die Prisengerichte der einzelnen Staaten zum Teil eine erheblich strengere Auffassung: Frankreich und Rußland erkennen Verkäufe dieser Art nach Ausbruch des Krieges überhaupt nicht als gültig an, während England und die Vereinigten Staaten von Nordamerika die Gültigkeit derartiger Rechtsgeschäfte im Prinzip zwar anerkennen, aber in der Untersuchung, ob es sich um einen tatsächlich erfolgten Eigentumsübergang oder um ein Scheingeschäft handelt, sehr streng sind.

Von der Wegnahme sind unbedingt ausgeschlossen feindliche Lazarettschiffe nach der Haager Konvention (s. S. 279), außerdem nach gewohnheitsrechtlicher, allerdings in ihrem Umfange nicht ganz feststehender Praxis eine Reihe von anderen Schiffen, so Fischerfahrzeuge1), Schiffe, die wissenschaftlichen oder Missionszwecken dienen, Lotsenboote und Boote zur Bedienung von Leuchttürmen, endlich Kartellboote, die zur Überbringung von Parlamentären benußt werden 2).

Feindliche Ladung auf feindlichem Schiffe verfällt ebenfalls ohne weiteres der Einziehung. Die Ladung wird als feindlich angesehen, wenn sie im Eigentume eines feindlichen Staatsangehörigen, gleichgültig, ob Absender oder Empfänger, steht. Nach englisch-amerikanischer Auffassung entscheidet hierfür nicht die Nationalität, sondern der Wohnsiß; weiter gilt auch jede Ware als feindlich, die ein Bodenerzeugnis des feindlichen Landes ist, und zwar auch dann, wenn der Eigentümer einem neutralen Staate angehört 3).

Die Wegnahme ist nur auf dem Kriegsschauplaße zulässig; sie erfolgt durch die Kriegsschiffe bezw. Kaper. Das verdächtige Schiff wird durch einen blinden Schuß (coup de semonce) veranlaßt, beizudrehen und seine Flagge zu zeigen, sodann wird durch Prüfung der Schiffspapiere die Nationalität des Schiffes und der Ladung festgestellt. Erscheint die Wegnahme hiernach gerechtfertigt, so erfolgt die Überführung in den nächsten Hafen des Staates, dem das wegnehmende Kriegsschiff angehört, entweder durch Mannschaften des Kriegsschiffes oder durch die eigene Mannschaft des beschlagnahmten Schiffes. Schiffe, die hierbei Widerstand leisten, werden vernichtet; ebenso ist die Zerstörung gestattet, wenn sich die Überführung in den nächsten Hafen des betreffenden Staates aus irgend einem Grunde als undurchführbar erweist.

1) England hat jedoch während des Krimkrieges mehrfach finnische Fischerboote weggenommen und verbrannt.

2) Vergleiche Rivier 428f., v. Liszt 325. 3) Siehe auch Rivier 430.

Führt das Schiff in solchen Fällen neben der feindlichen Ladung noch neutrales Gut, so verfällt dieses ebenfalls der Vernichtung1).

Die endgültige Entscheidung über den Verfall von Schiff und Ladung erfolgt durch den Spruch des Prisengerichts, der die Beschlagnahme durch das Kriegsschiff für gerechtfertigt erklärt, das Schiff kondemniert. Von diesem Augenblick ab geht das Eigentum an Schiff und Ladung an den Staat über; die Mannschaft wird kriegsgefangen, soweit sie aus feindlichen Staatsangehörigen besteht, die übrigen Leute werden freigelassen. Erkennt das Prisengericht die Beschlagnahme nicht als gerechtfertigt an, so wird der betreffende Staat entschädigungspflichtig.

Gelingt es dem aufgebrachten Schiffe, vor endgültiger Entscheidung des Prisengerichts dem aufbringenden Kriegsschiffe zu entkommen, oder wird es diesem abgenommen, so werden Schiff und Ladung wieder frei.

Das Recht der Beschlagnahme erlischt mit dem Aufhören des Kriegszustandes. In der Regel wird in den dem Friedensvertrage vorausgehenden Vorverhandlungen ein bestimmter Zeitpunkt festgesezt, von welchem ab das Prisenrecht außer Kraft treten soll 2). Vor diesem Termin weggenommene Schiffe unterliegen der Aburteilung durch das Prisengericht; die Aufbringung von Schiffen nach diesem Zeitpunkte ist rechtlich wirkungslos.

Die Zusammensetzung der Prisengerichte und das Verfahren vor denselben wird ausschließlich durch die Staatsgesetzgebung geregelt 3).

1) Vergleiche die merkwürdige Begründung des französischen Staatsrates in der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Wegnahme und Vernichtung zweier deutscher Dampfer durch das französische Kriegsschiff „Desaix“ am 21. Oktober 1870, wonach neutrales Eigentum unter feindlicher Flagge wohl „insaississable mais non pas absolument inviolable" sei. Die englische Jurisprudenz gestattet die Vernichtung nur, wenn sich kein neutrales Eigentum an Bord befindet.

2) Art. 13 des Frankfurter Friedensvertrages bestimmte, daß Schiffe, welche vor dem 2. März 1871 kondemniert waren, als endgültig kondemniert angesehen werden sollten; alle andern sollten zurückgegeben oder ihr Wert erstattet werden.

3) Vergleiche Deutsches Reichsgeseß, betreffend die Prisengerichtsbarkeit, vom 3. Mai 1884 (R.-G.-B. 1884, 49).

Der Vorschlag des Instituts für Völkerrecht, als Berufungsinstanz für Prisensachen internationale Gerichtshöfe einzuseßen, hat bisher zu einem Resultat nicht geführt.

§ 40. Die Neutralen 1).

A. Begriff der Neutralität und Rechtsstellung der Neutralen.

Die Folgen des zwischen zwei oder mehreren Staaten ausgebrochenen Krieges erstrecken sich prinzipiell nur auf die direkt daran beteiligten Staaten: der Krieg erzeugt das ihm eigentümliche Rechtsverhältnis nur zwischen den kriegführenden Parteien.

Hieraus folgt zunächst hinsichtlich der Ausdehnung des Krieges, daß alle am Kriege nicht beteiligten Staaten von den Wirkungen des Krieges unberührt bleiben müssen. Diese Sicherstellung gegenüber den kriegführenden Staaten hat jedoch zur Voraussetzung, daß seitens der am Kriege nicht beteiligten Staaten keinerlei Handlungen gegenüber einer oder beiden Kriegsparteien vorgenommen werden, die sich als eine, sei es direkte oder indirekte Beteiligung an den Feindseligkeiten darstellen. Die Rechtsstellung, die sich aus diesen Rechten und Pflichten der am Kriege nicht beteiligten Staaten gegenüber den kriegführenden Mächten ergibt, wird Neutralität genannt.

Der Begriff der Neutralität, wie er heute allgemein anerkannt wird, ist noch nicht alt; aus der im Altertum geübten Praxis, jeden andern Staat, auch wenn er am Kriege nicht beteiligt war, nach eigenem Ermessen als Feind anzusehen, sofern er nicht für den einen oder andern der Kriegführenden unmittelbar Partei nahm, hat sich der heutige Zustand erst allmählich entwickelt. Einzelne darauf hinzielende Verträge finden sich schon im 17. und 18. Jahrhundert 2) (Pyrenäenvertrag 1659, Friede von Utrecht 1713), bleiben jedoch für

1) v. Liszt § 42, Gareis §§ 87 f., Rivier §§ 67 f., Ullmann §§ 162-168. 2) Vergleiche v. Liszt 329f.

« EelmineJätka »