Page images
PDF
EPUB

nicht nur in territorialer, sondern vor allem auch in sachlicher Beziehung ein ganz unverhältnismäfsig gröfserer, und getrost darf man behaupten, dafs noch niemals der höchste Gerichtshof eines grofsen Landes seine Wirksamkeit unter schwierigeren Verhältnissen entfaltet hat, als das Reichsgericht in den hinter uns liegenden 25 Jahren. Wie unserem jungen Reiche, so fehlte auch dem Reichsgericht der Segen alter Tradition. Im Gegensatz zu den höchsten Gerichtshöfen anderer Staaten konnte es sich nicht auf das nobile officium der Rechtsfindung in erlesenen Fällen beschränken. Es mufste auf Grund neuer Organisationen, auf Grund neuen formellen und materiellen Rechtes und unter dem flutartigen Eindringen immer neuer Gesetze die Unterlagen für eine sichere Rechtsanwendung erst schaffen, und es mufste nach zwanzigjähriger heisser Arbeit mit gedoppelter Kraft einsetzen, um die erweiterten Aufgaben, die durch die Einführung des BGB. und seiner Nebengesetze gestellt waren, bewältigen zu können.

Wie das Reichsgericht in entsagungsvoller Arbeit allen diesen Aufgaben gerecht geworden ist, wie es hier die alte Praxis bestätigt und dort neue Bahnen beschritten hat, wie es in vielen Punkten sieghaft vorgedrungen ist, in anderen aber auch lebhaften Widerspruch gefunden hat, das wird uns heute in zahlreichen Festartikeln verkündet und auseinandergelegt. Ich mufs mich hier darauf beschränken die Hauptbilanz zu ziehen.

Wennschon ich nicht glaube, dafs starrer Doktrinarismus, unpraktische Ideologie und Mangel an Wirklichkeitssinn zu den angeborenen und unablegbaren Eigenschaften des deutschen Menschen gehören, so wird doch nicht zu bestreiten sein, dafs eine ungünstige historische Entwickelung und die Kleinheit und Enge der Verhältnisse einer nicht allzuweit zurückliegenden Vergangenheit die Herausbildung solcher Eigenschaften begünstigt haben. Wir müssen sie aber wieder los werden. Und das Reichsgericht ist dabei unser bester Helfer und Propugnator. Denn seine 25jährige Praxis beweist uns, dafs es die Formaljurisprudenz und die tote Buchstabengläubigkeit zu überwinden weifs.

Eine grausame Verkettung von Schicksal und Schuld hatte unsere Nation zersplittert, und nur Blut und Eisen vermochte das zu Unrecht Getrennte wieder zusammenzufügen. Diese Kur konnte aber nur gelingen, weil ihr ein innerer Zusammenschlufs bereits vorangegangen war, und wenn sich, was daran noch fehlte, nachträglich vollzog. Den besten Beweis für die Erfüllung dieser Voraussetzung liefert uns das Reichsgericht. Es gibt keine Institution im Reiche und ich nehme dabei selbst Heer und Marine

nicht aus, bei der sich ohne jede künstliche Gleichmacherei und unter voller und stolzer Wahrung der Stammesart die Einheit und Untrennbarkeit der Nation lebendiger offenbart als im Reichsgericht.

Unserem Volke haften noch viele Schwächen kleinstaatlichen Lebens an. Es fehlt uns noch allzusehr am richtigen Augenmafs. Wir sind noch oft grofs im kleinen und klein im grofsen, und wir haben uns noch viel zu wenig zu dem Bewusstsein durchgerungen, dafs eine Nation von Unteroffizieren und geheimen Kanzleidienern für die Weltpolitik nicht reif ist und im Wettkampf der grofsen Völker nicht bestehen kann. Was wir brauchen, ist freie Entfaltung der lebendigen Kräfte der Nation, tatkräftige Initiative, starkes Wollen und Können und als Voraussetzung für all dies wieder: Mannesmut, Ueberzeugungstreue und unbeugsames Rechtsgefühl. Das Reichsgericht hat diese Eigenschaften oft bewährt. Es steht in seiner stolzen Unabhängigkeit so hoch, dafs selbst die Versuchung nicht wagen darf, sich ihm zu nähern. Und so wird das bekannte Königswort: „Es ist der Fluch der Könige, von Sklaven bedient zu sein, die bereit sind, das Gesetz nach Wink zu deuten und zu erraten die Gesinnung“ in Deutschland keine weitere Variation finden; denn die Vergangenheit des RG. bürgt uns dafür, dafs deutsche Fürsten sich niemals über liebedienerische Bereitwilligkeit des höchsten deutschen Gerichtshofs zu beklagen haben werden.

Nur drei Dinge waren es, die ich aus der jungen Geschichte des Reichsgerichts herausgehoben habe, aber drei Dinge von solchem Gewicht, dafs ich mit Anspielung

auf die Worte im Wappenschilde des Fürsten Bismarck sagen darf: in hac trinitate robur und mein Hoch erklingen lassen darf zum Heile und Preise des höchsten deutschen Gerichtshofes, der für uns ist:

Des Rechtes Grundstein,
Dem Unrecht ein Eckstein,

und den wir schätzen als

Des Reiches nicht geringsten Edelstein". Auch in weiteren Kreisen wurde des Reichsgerichts an diesem Tage gedacht, und zahlreiche Glückwünsche sind ihm zugegangen, so u. a. von dem Grofsherzog von Baden, der Stadt Bremen, dem Reichskanzler, den Justizministern von Preufsen, Bayern, Württemberg und Baden, die alle in warmen Worten zum Ausdruck brachten, dafs das Reichsgericht in Erfüllung der bei seiner Gründung gehegten Erwartung sich als Hort des Rechts zum Segen des deutschen Volkes und zur Festigung seiner Einheit erwiesen und durch seine Rechtsprechung den Uebergang in das neue bürgerliche Recht wesentlich erleichtert hat. Ebenso haben des Tages fast alle Tageszeitungen jeder Parteirichtung wie auch die Fachblätter in würdiger Weise gedacht. Als eine besonders gelungene Festgabe ist das Sonderheft des „Sächsischen Archivs für bürgerliches Recht" zu bezeichnen. Unter dem Titel „Die ersten 25 Jahre des Reichsgerichts" sind darin ausgezeichnete Aufsätze von RGR. Müller über die ersten 25 Jahre des Reichsgerichts selbst, von Reichsanwalt Treutlein-Moerdes: „Die Staatsanwaltschaft beim Reichsgericht, von JR. Boyens: „Die Rechtsanwälte des Reichsgerichts", von Prof. Dr. Schulz: „Zur Geschichte der Bibliothek des Reichsgerichts", von Geh. Hofrat Prof. Dr. Schmidt: „Das Reichsgericht und die deutsche Rechtswissenschaft", von JR. Boyens: „Grenze zwischen Tatfrage und Rechtsfrage" veröffentlicht.

Aus dem Beitrage des RGR. Müller ist die Mitteilung hervorzuheben, dafs vom 1. Oktober 1904 ab die Einrichtung zur Anlegung eines Präjudizienbuches beim Reichsgerichte getroffen ist. Damit wäre, wie Müller betont, „ein langjähriger Wunsch weiterer Kreise des Reichsgerichts erfüllt. Die Bedeutung eines Präjudizienbuches liege schon darin, dafs die Arbeit des einzelnen bei der Feststellung der Vorentscheidungen anderer Senate, zum Teil auch des cigenen Senats, sehr erleichtert werde. Ueberdies könne die Einrichtung den willkommenen Ausgang geben, latente Konflikte aus der Welt zu schaffen; nach Offenlegung der abweichenden Entscheidungen müfsten sich die widerstreitenden Senate, wenn der gleiche Fall wieder zum Spruche komme, über die Rechtsfrage einigen, oder sie seien gezwungen, die Entscheidung des Plenums anzurufen."

Eine besondere Anerkennung ist endlich den Mitgliedern des Reichsgerichts dadurch gezollt worden, dass aus Anlafs des Jubiläums die juristische Fakultät der Universität Leipzig folgende Mitglieder des RG. zu Ehrendoktoren ernannt hat: die Senatspräsidenten Treplin und Mafsmann, die Räte Planck, Beer, Schütt, Förster I, Kaufmann und den 1903 in den Ruhestand getretenen Reichsgerichtsrat Stellmacher, den Reichsanwalt Zweigert und den Rechtsanwalt beim RG. Geh. Justizrat Patzki.

Personalien. Am 1. Oktober 1904 feierte Oberlandesgerichtspräsident Dr. Sieveking, Hamburg, das Jubiläum seiner 25jährigen Amtstätigkeit als Chefpräsident des Hanseatischen Oberlandesgerichts. Die Anerkennung seiner grofsen und bleibenden Verdienste wurde dem Jubilar durch zahlreiche hohe Ehrungen ausgesprochen. Der Ministerialdirektor im preufs. Kultusministerium Dr. Althoff erhielt den Titel Exzellenz. Aus Anlafs

[ocr errors]
[ocr errors]

seines Ausscheidens aus dem Amte ist dem Direktor im preufs. Justizministerium Wirkl. Geh. Oberjustizrat Vietsch das Prädikat Exzellenz verliehen worden. An seiner Stelle ist der vortr. Rat im Justizministerium, Wirkl. Geh. Oberjustizrat Dr. Lisco zum Direktor, ferner sind OLGR. Echte, Celle, und LGR. Steuber vom LG. I, Berlin, zu Geh. Justizräten und vortr. Räten im preufs. Justizministerium ernannt worden. In den Ruhestand traten die Reichsgerichtsräte Hesse und Helf. Geh. Hofrat Prof. Dr. Sohm, Leipzig, erhielt den Charakter „Geheimer Rat". Zu Ehrendoktoren wurden ernannt: von der Univ. Münster: Ministerialdirektor Exz. Dr. Althoff und der aus dem Amte scheidende Landgerichtspräsident, Geh. Oberjustizrat Thomsen, Münster, von der Univ. Jena: anlässlich des 25-jährigen Bestehens des gemeinschaftlichen thüringischen OLG.: Geb. Justizrat, Oberlandesgerichtsrat Unger, Jena. Gestorben sind: aord. Prof. Dr. Strauch, Heidelberg, und im Alter von 57 Jahren zu Frankfurt a. M. Justizrat Dr. Holdheim, der in weiteren juristischen Kreisen durch die von ihm herausgegebene „Monatsschrift für Handelsrecht und Bankwesen" bekannt ist. In ihm hat die deutsche Anwaltschaft einen durch hervorragende Eigenschaften des Geistes und Herzens ausgezeichneten Vertreter verloren.

Neue Gesetze, Verordnungen u. dgl.

Preufsen: Allg. Vf. v. 16. 7. 1904, bt. Mitt. d. Eichungsergebnisse bei Binnenschiff. an die Registergerichte (J.-M.-Bl. S. 186). Allg. Vf. v. 12. 8. 1904, bt. Beitreibg. v. Geldbeträg, aus d. Bereiche d. Forstverwaltg. durch Gerichtsvollz. (S. 191). Allg. Vf. v. 18. 8. 1904, bt. Staatsschuldbuch (S. 192). Allg. Vf. v. 26 8. 1904 z. Ausf. d. Ges. üb. Bestellg. v. Salzabbaugerechtigktn. i. d. Prov. Hannover v. 4. 8. 1904 (S. 194). Allg. Vf. v. 27. 8. 1904, bt. Behandl. d. Anträge auf Entschäd. f. unschuldig erlitt. Untersuchgshaft (S. 239). Allg. Vf. v. 28. 8. 1904, bt. Kostenerstattg. b. Transporten, welche v. Kgl. Polizeibehörd. sowie v. Strafanstlts- u. Gefängnsverwltgn. ausgeführt w. (S. 239). Allg. Vf. v. 31. 8. 1904, bt. seelsorgerische Tätigk. d. Rabb. in Ehes. (S. 240). Allg. Vf. v. 10. 9. 1904, bt. Zuständigk. d. Provinzialjustizbehörd. z. Entschdg üb. Verpflichtg. z. Benutzg. v. Kleinbahnen b. dienstl. Reisen d Justizbeamt. (S. 243).

Bayern: M.-Bk. v. 14. 9. 1904, bt. Rechtshilfeverkehr m. Bosnien u. d. Herzegowina (J.-M.-BI. S. 241).

Sachsen: Aerzteordn. v. 15. 8. 1904 (G.- u. Vo.-Bl. S. 347) u. Ausf.-Vo. hierzu (S 353). - M.-Vo. v. 24. 8. 1904 z. Ausf. d. Gewerbegerichtsges. i. d. Fassg. d. Bkm. d. Rkzlrs. v. 29. 9. 1901 sowie d. Ges. v. 6. 7. 1904, bt. Kaufmannsgerichte (S. 387). M-Vo. v. 2. 9. 1904, bt. Vertretg. d. Reichs-(Militär-)Fiskus vor Gericht (S. 390).

Baden: Ges. v. 20. 8. 1904, bt. Abänd. d. Polizeistrafgesetzbuchs (G.- u. Vo.-Bl. S. 397). Ldh. Vo. v. 13. 8. 1904, bt. Vollzug d. R.-Ges. v. 6. 7. 1904 üb. Kaufmannsgerichte (S. 401), · Ldh. Vo. v. 20. 8. 1904, bt. Vollzug d. Gew.-O. in den Staatsbetrieben (S. 402). M.-Vo. v. 29. 8. 1904, bt. Gebühren f. Verhaften. u. Begleitg. Verhafteter (S. 406). Ldh. Vo. v. 18. 9. 1904, bt. Abdeckereiwesen (S. 409).

Mecklenburg-Strelitz: Reg.-Bk. v. 24. 8. 1904, bt. portopflicht. Korrespondenz zw. inländ. Gem.- u. Kommunalbehörden u. Belford. and. Bundesstaaten (Off. Anz. S. 231). Reg.-Vo. v. 9. 9. 1904, bt. internat. Abkommen z. Reglg. d. Vormundschft. üb. Minderj. (S. 233; Off. Anz. f. Ratzeb. S. 264). Vo. v. 15. 9. 1904 z. Ausf. der Einführgsges. z. Ger.-Verf.-Ges. § 5. z. ZPO. § 5, z. Ges. üb. Zwangsversteig. u. Zwangsverwltg. § 2 Abs. 1, z. Konk.-O. § 7 u. z. StPO. § 4 (Off. Anz. f. M.-Strel. S. 239).

Oldenburg: M.-Bk. v. 13. 9. 1904, bt. Prüfgsordn. f. Apotheker (G.-BI. S. 185).

Sachsen-Altenburg: M.-Vo. v. 19. 9. 1904, bt. Geschäftsverkehr d. Behörden (Ges.-S. S. 91).

Schwarzburg-Rudolstadt: Ldh. Vo. v. 10. 8. 1904 üb. Anleg. d. Grundbücher (Ges.-S. S. 73). M.-Vo. v. 11. 8. 1904 z. Ausf. d. Grundb.-O. (S. 83). Anwsg. v. 12. 8. 1904 üb. Verfahren bei Anleg. d. Grundbücher (S. 1:8). M.-Vo. v. 17. 9. 1904 z. Ausf. d. R.-Ges. v. 6. 7. 1904, bt. Kaufmannsgerichte (S. 203). Waldeck: Bk. v. 24. 8. 1904, bt. Prüfgs.-O. f. Apotheker (Reg. Bl. S. 67).

Reufs ä. L.: Reg.-Vo. v. 7. 9. 1904 z. Ausf. d. R.-Ges. v. 30. 6. 1900, bt. Bekämpf. gemein gefährl. Krankhtn. (Ges.-S. S. 172).

Reufs J. L.: Ges. v. 16. 6. 1904, bt. Abänd. d. § 17 d. Jagdges. v. 7. 4. 1897 (Ges.-S. S. 135).

Elsafs-Lothringen: Allg. Vf. v. 13. 9. 1904, bt. Rechtshilfeverk. m. Bosnien u. d. Herzegowina (Z.- u. Bez.-Amtsbl. S. 127).

Sprechsaa l.

Vereinsregister, einzutragender „Beruf“ der Mitglieder des Vereinsvorstandes. Ein,,Rechtsfall". Auf die Anmeldung eines Vereins zur Eintragung ins Vereinsregister erhob das Amtsgericht am 21. März 1904 Einwendungen gegen eine Reihe von Paragraphen der Vereinssatzungen, nahm sie aber auf Beschwerde am 25. April sämtlich selber zurück. Am 2. Juni erging dann an den Vorsitzenden des Vereinsvorstandes, nur unter dessen persönlicher Adresse, eine Verfügung des Amtsgerichts, in der unter Hinweis auf die Vorschrift (Bek. des Reichskanzlers v. 12. Nov. 1898 § 9), dafs die Vorstandsmitglieder auch nach ihrem „Beruf“ einzutragen, gefragt wurde, welchen Beruf die beiden in der Anmeldung als „Geheimer Sanitätsrat Dr. med. und als „Rektor" bezeichneten Vorstandsmitglieder hätten; das erstere sei „nur ein Titel", das letztere zu allgemein“. Der Befragte lehnte die Auskunft als nicht zur Sache gehörig ab und bat, falls von der Auskunft die Eintragung des Vereins abhängig gemacht werde, seine Antwort als Beschwerde auzusehen. In einer Notiz zu den Akten hielt das AG. seine Verfügung mit dem Zusatze aufrecht, dafs ohne deren Erledigung die vorgeschriebene Eintragung des Berufes der beiden V.-Mitglieder nicht erfolgen könne. Damit ging die Sache an das Landgericht. Dieses wies die Beschwerde als unzulässig kostenpflichtig zurück, weil das Beschwerde recht nur dem gegeben sei, der die Eintragung des Vereins verlangen könne, dies aber nur der gesamte Vereinsvorstand sei, nicht dessen einzelnes Mitglied, der Beschwerdeführer.

Auf die weitere Beschwerde des letztern hat das Oberlandesgericht den Beschlufs des LG. und die Verfügung des AG. aufgehoben. Das OLG. erklärt den Beschwerdef. zur Beschwerde für legitimiert, weil eine Ablehnung der Eintragung des Vereins erst in der nicht zur Kenntnis des Beschwerdeführers gebrachten Aktennotiz ausgesprochen sei.

In der angefochtenen Verfügung selbst ist nur an den Beschwerdef. das Ansinnen gestellt, eine Auskunft zu erteilen, deren Beantwortung nach Meinung des AG. für die Eintragung wesentlich war. Teilte der Beschwerdef. die Meinung des AG. nicht, so war er berechtigt, sich für seine Person darüber zu beschweren, dafs ein solches Ansinnen an ihn gestellt wurde."

Die Beschwerde wird weiter auch als sachlich begründet anerkannt, denn durch die vorgeschriebene Angabe des Berufs der Vorstandsmitglieder im Register solle lediglich deren Persönlichkeit zur Unterscheidung von andern, vielleicht gleichnamigen Personen, genügend festBeruf bedeute hier nichts andres als gestellt werden. Stand, Lebensstellung, und deshalb seien die Bezeichnungen „Geh. Sanitätsrat Dr. med." und „Rektor" durchaus genügend.

Much ado about nothing; die hochwichtige Frage hat neun Richter und mindestens soviel mittlere und untere

Beamte in Arbeit gesetzt. Und doch hat der Vereinsvorsitzende nur die Bürgerpflicht erfüllt, unnötige Anforderungen der Behörden abzuwehren, indem er, statt dem AG. die Auskunft zu geben, dafs der Geh. Sanitätsrat praktischer Arzt sei und der Rektor eine Mädchenschule regiere, die Mühen und Gefahren 1) des Beschwerdeweges auf sich genommen hat. Die Sache hat aber auch ihre recht ernsten Seiten. Ihre Behandlung beim AG. und LG. zeigt grell, wie unsre Verfahrensgesetze für die ordentlichen Gerichte den Formalismus züchten. Dafs das AG. seine Bedenken gegen das Statut und das Mitgliederverzeichnis nicht in einer, sondern in zwei um mehr als

1) Das LG. hatte den Wert des Beschwerdegegenstandes (d. h. richtig den Wert der verlangten Auskunft, die im Adrefs-Buche zu finden war) auf 300 M. festgesetzt!

10 Wochen auseinanderliegenden Verfügungen aussprach, weist auf andre Gründe für die Verzögerung der Rechtshilfe hin, als auf die vielbeklagte Ueberbürdung, und für solche spricht es sicherlich nicht, dafs die Frage, ob „Titel“ oder „Beruf“, überhaupt zum Gegenstand einer Erörterung gemacht werden konnte, das OLG. die Sache sogar eines Beschlusses wert fand, dessen Ausfertigung 8 volle Bogenseiten mit 240 Zeilen umfasst.

[ocr errors]

Der Beschwerdef. hat, um nicht gar noch Anwaltsgebühren ohne Anspruch auf Ersatz aufzuwenden, den Weg zum Gericht machen und die weitere" Beschwerde einem Gerichtsschreiber in die Feder diktieren müssen. Wurde sie dadurch inhaltlich besser? Aber erst durch die Schrift und Unterschrift des Gerichtsschreibers, den das Gesetz hier einem Rechtsanwalt für gleichwertig erachtet, wurde sie nach § 29 des Ges. über die freiw. Gerichtsbarkeit bei Gerichte hoffähig. Das ältere preussische Recht gestattete doch wenigstens dem seine Sachen selber zu führen, der, wie in diesem Falle der Beschwerdeführer, die gleichen Examina wie ein Rechtsanwalt bestanden hatte. Und dann will man Zöpfe abgeschnitten haben!

Ober-Landeskulturgerichts-Präsident Rintelen,

Charlottenburg.

Zur Entlastung der Strafsenate des Reichsgerichts. Ohne den Ausführungen des Geh. Justizrats Moeller S. 933 d. Bl. überall folgen zu können, möchte ich ihnen sowohl darin beitreten, dass das Notgesetz, um das es sich jetzt nur handeln kann, auf das Notwendige zu beschränken ist, als darin, dafs die keinen Aufschub zulassende Entlastung der Strafsenate des RG. am einfachsten und sichersten durch Erstreckung der oberlandesgerichtlichen Zuständigkeit auf einen Teil der zur Zeit von dem RG. bearbeiteten Revisionen zu erreichen ist. Die hierbei entstehende Frage, wie der für die OLGerichte abzuzweigende Teil der Revisionssachen begrenzt werden kann, wird dadurch vereinfacht, dafs die OLGerichte zur revisionsinstanzlichen Aburteilung der Strafsachen ohne Unterscheidung der Delikte geeignet sind. Es kommt nur darauf an, die oberlandesgerichtliche Zuständigkeit soweit zu beschränken, dafs daneben der Einflufs des RG. in dem für die Aufrechthaltung der Rechtseinheit erforderlichen Mafse bestehen bleibt. Ohne das statistische Material zur Hand zu haben, dessen es bedarf, um die Tragweite meines nachstehenden Vorschlages ermessen zu können, neige ich zu der Ansicht, dafs es sich empfiehlt, von Spezialvorschriften, wie solche in dem Antrage Hagemann vorgeschlagen sind, zur Zeit abzusehen und sich an einer provisorischen Regelung etwa dahin genügen zu lassen, dafs die OLGerichte zur Verhandlung und Entscheidung gegen verurteilende Erkenntnisse der Strafkammern in erster Instanz für zuständig erklärt werden, wenn auf Haft oder Gefängnis von höchstens sechs Monaten oder Geldstrafe von höchstens 1500 M., allein oder in Verbindung miteinander oder in Verbindung mit Einziehung oder mit Bufse von höchstens 1500 M., erkannt ist. Auszunehmen wären die Fälle, in denen die Entscheidung des RG. von der Staatsanwaltschaft mit Ermächtigung der Landesjustizverwaltung bei der Einsendung der Akten an das Revisionsgericht beantragt wird.

Reichsgerichtsrat a. D. Galli, Leipzig.

Die Durchführbarkeit des Gesetzes über die Kaufmannsgerichte. Am 1. Januar 1905 müssen auf Grund des Gesetzes v. 7. Juli 1904 in den 227 Gemeinden des D. Reiches, welche mehr als 20 000 Einwohner zählen, Kaufmannsgerichte errichtet werden. Da nach der Volkszählung

von 1900 diese Gemeinden zusammen 16 232 000 Einwohner (bei einer in 77 000 Gemeinden wohnenden Gesamtbevölkerung von 56 367 000 Personen) umfassen, so würden die übrigen rund 40 Millionen, d. h. 72% der Bevölkerung, von dem neuen Gesetze völlig unberührt bleiben. Wenn freilich diese Ziffer auch nicht ganz so bedeutungsvoll ist, als sie erscheint, weil in jenen 227 gröfseren Orten der Prozentsatz der Handlungsangestellten sicherlich gröfser sein dürfte als in kleineren Orten, so geht aus ihr trotzdem die bedauerliche Tatsache hervor, dafs die gröfsere Hälfte der Bevölkerung nicht in die Organisation der kaufmännischen Sondergerichtsbarkeit einbezogen ist.

Allerdings kann jede der streitenden Parteien in solchen Orten, für welche ein Kaufmannsgericht nicht existiert, in gewissen Fällen die vorläufige Entscheidung" des Gemeindevorstehers nachsuchen. Aber diese Ermächtigung ist kein Ersatz der Kaufmannsgerichte, bei denen es sich um wirkliche, rechtsgültige Entscheidungen handelt, welche von Kaufleuten, also von Sachverständigen, mitgefällt worden sind. Bei irgendwie schwierigen Streitfragen des kaufmännischen Anstellungsverhältnisses kann der Notbehelf der „vorläufigen" Rechtsprechung durch den Gemeindevorsteher nicht in Frage kommen.

Es bleibt also die Frage, ob man den Wirkungskreis der Kaufmannsgerichte auf Gemeinden mit weniger als 20 000 Einwohnern ausdehnen soll, noch bestehen. Sie läfst sich am besten beantworten, wenn man die verschiedenen Wege ins Auge fafst, die das Gesetz eröffnet hat. 1. Jede Gemeinde kann für ihren Bezirk durch Ortsstatut ein eigenes Kaufmannsgericht errichten. Natürlich wird dies Ortsstatut nur dann am Platze sein, wenn ein Bedürfnis" vorliegt, was nur dann der Fall sein kann, wenn viele Handlungsangestellte vorhanden sind. Freilich ist es schwer, die erforderliche Zahl bestimmt anzugeben; aber wir wollen versuchen, einige Anhaltspunkte zu gewinnen.

[ocr errors]

"

Einer der gröfsten deutschen HandlungsangestelltenVerbände (der „, Deutschnationale" in Hamburg) hat in seiner Zentrale bei einer Mitgliederzahl von 45 000 im Jahre 1903 4756 Rechtsauskünfte erteilt, 511 Streitsachen beigelegt und 172 durch Prozefsführung erledigt, so dafs also im Durchschnitt immer das zehnte Mitglied einen Streitfall vorbrachte. Man wird annehmen dürfen, dafs die Kaufmannsgerichte auch nicht annähernd eine gleich grofse Streitsachenzahl im Verhältnis zur Angestelltenzahl aufweisen würden, da in obiger Ziffer die starke Mehrheit lediglich Dinge betraf, bei denen es nicht auf einen Prozefs ankam, sondern sich nur um eine Rechtsbelehrung handelte. Diese Annahme wird bestätigt durch die Statistik des Reichsjustizamts; nach ihr wurden im Jahre 1900 2 067 000 Prozesse in erster Instanz im D. Reich anhängig, so dafs (Gesamtbevölkerung: 56 Millionen) nicht auf je 10 Deutsche, sondern erst auf je 27 Deutsche eine Streitsache entfällt. Nun ist nicht anzunehmen, dafs die Handlungsgehilfen streitbarer sind als die übrigen Deutschen, so dafs wir auch auf je 27 Handlungsangestellte einen Prozessfall anrechnen dürfen. Wenn nun auch die Prozefsziffer für Kaufmannsgerichte deshalb noch geringer sein mufs, weil nicht sämtliche Prozesse von Handlungsangestellten gerade das Anstellungsverhältnis betreffen und die „Gehilfen" mit über 5000 M. nicht einzubeziehen sind, so wollen wir doch der Einfachheit halber die Zahl 27 zugrunde legen. (In Wirklichkeit stellt sich die Ziffer wahrscheinlich viel höher. Graf Posadowsky gab an, es seien in zwei Jahren in Bayern 886 fragliche Prozesse vorgekommen; also 443 in einem Jahre. Bei rund 51/2 Millionen Bayern kommt, wenn immer der 100 ste ein Handlungsangestellter ist, ein Prozefs auf 126 Angestellte!)

[ocr errors][ocr errors]

Da nun nach Ausweis der letzten Berufsstatistik von 1895 sich unter den damals lebenden 52 Millionen Deutschen etwa 526 000 Handlungsangestellte befinden und dieses Verhältnis in den letzten 10 Jahren keine wesentliche Veränderung erfahren haben dürfte, so entfällt auf ungefähr 100 Deutsche immer ein Handlungsangestellter. Wendet man nun die oben festgestellte Prozessverhältniszahl 27 hier an, so würde auf je 27. 100 2700 Personen der Bevölkerung stets ein Prozefs für die Kaufmannsgerichte zu berechnen sein, so dafs ein solches Sondergericht in einer Gemeinde von 10000 Seelen etwa 4 Streitsachen zu entscheiden haben würde, bei 20 000 Seelen etwa 8 Streitsachen.

[ocr errors]

Sollte man wegen dieser wenigen Sachen wirklich einer Gemeinde raten können, sich den Umständlichkeiten der ortsstatutarischen Gründung und Konstituierung eines Kaufmannsgerichts zu unterziehen? Allerdings gibt es Gewerbegerichte mit einer ganz ungewöhnlich geringen Prozefsziffer, z. B. im Jahre 1902 drei in MecklenburgSchwerin, bei denen zusammen 89 Klagen erhoben wurden, eins in Rudolstadt mit 39, eins in Lippe mit 11 Klagen. Ja, das bayerische Berggewerbegericht hatte nur 3, das Braunschweiger nur 2 Klagen empfangen! Aber das sind doch schliesslich nur Ausnahmen, die auf territorialen Besonderheiten beruhen und deshalb nicht nachahmenswert sind. Bei den ordentlichen 2092 Gerichten in Deutschland (174 Landgerichten und 1918 Amtsgerichten) wurden, wie bereits gesagt, anhängig in erster Instanz im Jahre 1900 2067000 Prozesse, so dafs auf jedes Gericht im Durchschnitt 989, also rund 1000 Klagen in Deutschland kommen. Trotz allen Wohlwollens gegenüber der neuen Institution der Kaufmannsgerichte wird man sagen müssen, dafs sie nur dort eine erspriefsliche Tätigkeit gewährleisten können, WO sie wenigstens alle 14 Tage eine Streitsache zu entscheiden haben. Wir wollen diese äusserst geringen Anforderungen stellen, obwohl es für die 3 oder mehr Richter eine starke Zumutung ist, 26 mal im Jahre wegen je einer einzigen Streitsache ihre Zeit zu opfern. Nun würden diese 26 Prozesse nach obiger Berechnung eine Gemeindebevölkerung von 2500. 26 = 65 000 Seelen voraussetzen. In Gemeinden von weniger als 20 000 Einwohnern dürften also die nötigen Voraussetzungen für ein eigenes Kaufmannsgericht zweifellos fehlen.

2. Das Gesetz läfst es ferner zu, dafs mehrere Gemeinden sich zur Gründung eines gemeinschaftlichen Kaufmannsgerichts vereinigen. Wenn es sich um zusammen annähernd 65 000 Seelen handelt, liefse sich ein solches wohl rechtfertigen, allerdings nur, wenn die Gemeinden nicht zu weit voneinander entfernt gelegen sind. Denn sonst würden kostspielige Reisen zu den Terminen und die schriftliche Anberaumung derselben usw., die beiden wichtigen Vorteile der neuen Gerichtsbarkeit: Wohlfeilheit und Schnelligkeit, wieder in Frage stellen.

3. Auch die Errichtung eines Kaufmannsgerichts für einen gröfseren Kommunalverband, also in Preussen für einen Kreis, ist vom Gesetze freigestellt. Aber auch hier stellen sich gewisse Bedenken entgegen, wenn auch die Bevölkerungsziffer (im Deutschen Reich im Durchschnitt 56 000 für jeden Kreis oder dergl.) im Sinne obiger Zahlen annähernd ausreichen würde. Ein solches KreisKaufmannsgericht würde einen territorial so grofsen Bezirk haben, dafs hier Reisen und Korrespondenzen den gewünschten und eben genannten Zweck beeinträchtigten. Da es im Reiche 1900 1918 Amtsgerichte gab und 987 gröfsere Kommunalverbände (davon in Preufsen 554 Kreise), so entfallen auf jeden Kreis (bezw. Amtshauptmannschaft etc.) rund 2 Amtsgerichte, so dafs die Errichtung eines Kreiskaufmannsgerichts zu einer Zentralisation der Rechtsprechung

führen würde, die keineswegs empfehlenswert und völlig unzeitgemäss wäre.

4. Schliesslich gewährt das Gesetz noch die Möglichkeit, dafs kleinere Gemeinden sich einem benachbarten bereits bestehenden Kaufmannsgericht in einer grösseren Stadt unterstellen.

Hiervon sollten die Gemeinden reichlich Gebrauch machen. Besonders bei solchen Gemeinden, deren zuständiges Amtsgericht seinen Sitz an einem Orte hat, wo sich gleichzeitig ein Kaufmannsgericht befindet, erscheint die Erweiterung der Kompetenz des letzteren auf den Gemeindebezirk sehr erwägenswert, da dies nur Vorteile für die Beteiligten bringen kann. Ein derartiger Anschlufs ist auch deshalb empfehlenswert, weil damit die Einheit der Rechtsprechung wenigstens in demselben Amtsgerichtsbezirk gewährleistet wird. Es könnte sonst leicht passieren, dass das Kaufmannsgericht das Gegenteil von dem entschiede, was das an demselben Orte befindliche Amtsgericht in einer ähnlichen Sache, die aus dem Nachbardorf stammt, entschieden hat und umgekehrt. Aber auch wo das zuständige Amtsgericht und Kaufmannsgericht nicht am gleichen Orte liegen, wäre zu untersuchen, ob nicht vielleicht die Entfernung einer Gemeinde vom Sitze des nächsten Kaufmannsgerichts die annähernd gleiche, durch günstige Eisenbahnverbindungen vielleicht verkürzte, ist; bejahendenfalls wäre der Anschluss an das Kaufmannsgericht in Erwägung zu ziehen. Natürlich wird aber auch hier vorerst zu ermitteln sein, ob die Zahl der vorhandenen Handlungsangestellten nicht gar zu gering ist.

Frhr. v. Boenigk, Syndikus der Handelskammer,
Halberstadt.

Zustellung in Strafsachen. Ueber die in Strafsachen von Amts wegen zu bewirkenden Zustellungen hat das Reichsgericht, Feriensenat, am 26. August 1904 einen auffälligen Beschlufs erlassen, dem folgender Sachverhalt zugrunde liegt.

Gegen das ihn verurteilende Erkenntnis der Strafkammer v. 20. Juni 1904 hatte der Angekl. brieflich Revision eingelegt. Auf dem betr. Schriftstücke verfügte der Vorsitzende, dafs die Akten mit Urteilsausfertigung zwecks Zustellung der Staatsanwaltschaft vorzulegen seien, und diese Vorlage erfolgte, nachdem der Gerichtsschreiber neben der Verfügung bemerkt hatte: „1 Urteil mundiert am 29. Juni N. N." Die Staatsanwaltschaft verfügte die Zustellung, und der Sekretär bewirkte sie als vereinfachte Zustellung mit dem Aktenvermerke: „zur Post am 5. Juli 1904. N. N.“ Die Postzustellungsurkunde, aufgenommen am 6. Juli 1904, das übliche blaue Formular, trägt links oben den Vermerk: contra T. (Name des Angekl.), dann die volle Adresse des Angekl. und die Geschäfts-No., die sich in den Akten auf dem Sitzungsprotokoll befindet, während die unmittelbar hinter diesem eingeheftete Urteilsurschrift eine GeschäftsNo. nicht aufweist. Da bis zum Ablaufe der durch §§ 385, 42, 43 StrPO. bestimmten Frist weder zu Protokoll des Gerichtsschreibers noch in einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift Revisionsanträge angebracht wurden, wurde durch Beschlufs der Straf kammer v. 16. Juli 1904 nach dem üblichen Formular die Revision als unzulässig verworfen. Auf der Urschrift dieses Beschlusses verfügte der Vorsitzende wiederum die Vorlegung der Akten an die Staatsanwaltschaft nebst Beschlufsausfertigung zwecks Zustellung, und der Gerichtsschreiber vermerkte mit Beifügung seines Namenszuges die erfolgte Ausfertigung. Die Urkunde über die durch die Post am 27. Juli 1904 bewirkte Zustellung, wiederum das blaue Formular, trägt am oberen Rande die Aufschrift: „Beschl. v. 16 Juli contra T.",

dann die volle Adresse des Angekl. und als GeschäftsNo. das Aktenzeichen; eine Ordnungs-No. fehlt. In beiden Fällen ist das zuzustellende Schriftstück der Ehefrau des Angekl. übergeben. Durch am 6. Aug. bei der Staatsanwaltschaft eingegangenes Schreiben wiederholte der Angekl. seine nachträglich verworfene" Revision. Das Reichsgericht, dem gem. § 386 Abs. 2 StrPO. die Akten vorgelegt wurden, hat durch den gedachten Beschlufs v. 26. Aug. 1904 den Beschlufs der Strafkammer vom 16. Juli 1904 aufgehoben mit der Begründung:

„Dafs die Zustellung des Beschl. vom 16. Juli 1904 nicht unter Beobachtung der durch § 37 StrPO. und die §§ 208 ff. ZPO. vorgeschriebenen Formen erfolgt ist, indem die Zustellungsurkunde statt einer Geschäfts-No. (§§ 211, 212, 195 Abs. 2 ZPO. u. § 8 der Gesch.-Ordng. für die Sekretariate der Staatsanwaltschaften v. 28. Nov. 1899) nur das Aktenzeichen anführt,

dafs sohin der Antrag des Angekl. als noch rechtzeitig gestellt zu erachten ist (§ 386 Abs. 2 StrPO.), dafs derselbe aber auch begründet erscheint, da auch die Zustellung des Urteils an den Angekl. nicht vorschriftsmässig erfolgt ist, indem die hier in Frage kommende Zustellungsurkunde die dem Sitzungsprotokolle beigesetzte GeschäftsNo. enthält, das Urteil selbst eine Geschäfts-No. nicht erhalten hat und überhaupt ein Vermerk im Sinne des § 211 Abs. 2 ZPO., durch welchen die Identität des zuzustellenden und des zugestellten Schriftstücks aufser Zweifel gestellt würde, nicht vorliegt."

Der Satz, dafs die Zustellungsurkunde nur ein Beweismittel für die erfolgte Zustellung bilde, die Gültigkeit des Zustellungsaktes aber von etwaigen Mängeln der darüber aufgenommenen Urkunde nicht unmittelbar berührt werde, war, wenn auch nicht ganz unbestritten, doch in Wissenschaft und Rechtsprechung zur herrschenden Geltung gelangt. Das Reichsgericht selbst hat in zahlreichen Entscheidungen (nachdem es einmal in den Entsch. in Ziv.-S. Bd. 19 S. 423 die gegenteilige Ansicht ausgesprochen) bis in die neueste Zeit diese Meinung vertreten.1) Danach kann der Beweis der erfolgten Zustellung im Falle der Mangelhaftigkeit der Urkunde auch durch andere Mittel geführt werden. Ergibt sich aber trotz etwaiger Mängel der Urkunde aus ihr ohne weiteres, dafs eine im übrigen den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Zustellung stattgefunden, also „die Tatsache und die Zeit einer vorschriftsmäfsigen Uebergabe" (RG. i. Ziv.-S. Bd. 11 S. 404), dann bedarf es natürlich auch eines weiteren Beweismittels neben der Zustellungsurkunde nicht.

Bei beiden hier fragl. Zustellungsurkunden konnte ein Zweifel über die Identität des zuzustellenden und zugestellten Schriftstückes nach der Aktenlage nicht wohl entstehen, hinsichtlich des Beschlusses v. 16. Juli 1904 insbes. um deswillen nicht, weil die betr. Zustellungsurkunde ausdrücklich am Kopfe den Inhalt des zugestellten Briefes bezeichnete; hinsichtlich des Urteils nicht, weil aus der Verfügung des Gerichtsvorsitzenden, dem Ausfertigungsvermerk des Gerichtsschreibers und dem Zustellungsvermerk des Sekretärs der Staatsanwaltschaft der Inhalt des zugestellten Briefes zu ersehen war. Auf der ersteren Zustellungsurkunde fehlte nur die Angabe der Ordnungs-No., auf der letzteren war nach der Ansicht des RG. die Geschäfts-No. unrichtig angegeben. Diese beiden kleinen Mängel sollen danach nicht blofs die Beweisunfähigkeit der Zustellungsurkunden, sondern die Ungültigkeit der Zustellungsakte selbst herbeiführen. Es mag davon abgesehen werden, dafs m. E. durch die §§ 195, 211 ZPO. nur vorgeschrieben ist, dafs die auf den Briefumschlag des zuzustellenden Schriftstückes zu setzende

1) Vgl. die Lit.-Ang. bei Struckmann - Koch und PetersenAnger zu § 190 ZPO.

Geschäfts-No. mit der in der Zustellungsurkunde anzugebenden übereinstimme und dafs diese Geschäfts-No. in den Akten bei dem Vermerke der Zustellung anzugeben sei, wie ja auch bei den Gerichten vielfach üblich ist, teils dafs die Urteile als Anlagen zum Sitzungsprotokolle eine besondere Ordnungs-No. nicht erhalten, teils dafs auf den Briefumschlag des zuzustellenden Schriftstückes nicht die Ordnungs-No. gesetzt wird, die dasselbe in den Akten hat, sondern die, welche dasjenige Schriftstück trägt, auf dem der Zustellungsvermerk sich befindet. Auf alle Fälle aber würde, wenn die vom Reichsgericht ausgesprochene Ansicht sich allgemeine Geltung verschaffen sollte, die Gültigkeit der Zustellungen oft durch kleine Schreibfehler, die sich bei einem grofsen Geschäftsbetriebe kaum ganz vermeiden lassen, und damit die Rechtsbeständigkeit mancher wichtiger Urteile in Frage gestellt werden. Es kann daher nur gehofft werden, dass das Reichsgericht zu der bis jetzt herrschend gewesenen Rechtsanschauung zurückkehrt.

Landgerichtsdirektor Dr. Becker, Dortmund.

Hypothekenbewilligung durch den Ersteher. Ein bedenklicher und gefahrvoller Moment kann sich im Zwangsversteigerungsverfahren bei der nachfolgenden Sachlage ergeben: Der Ersteher eines zur Zwangsversteigerung gebrachten Grundstückes leistet im Verteilungstermine die ihm obliegende Zahlung ganz oder teilweise mit geliehenem Gelde und ist verpflichtet, Zug um Zug dem Darlehnsgeber eine hypothekarische Sicherheit mit dem angesteigerten Grundstücke zu bestellen. Der Darlehnsgeber oder sein Vertreter bringt eine den gesetzlichen Erfordernissen entsprechende, von dem Ersteher vollzogene Hypotheken-Bestellungs-Urkunde zum Termine mit und überreicht dieselbe dem Zwangsversteigerungsrichter, wird aber von diesem an das Grundbuchamt verwiesen. Der bei dem Grundbuchamt gestellte Eintragungsantrag wird kurzerhand zurückgewiesen, weil der Ersteher zur Zeit des Eingangs des Antrages als Eigentümer des Grundstückes in das Grundbuch nicht eingetragen sei. Diese Eintragung erfolgt nach § 130 des RGes. über die Zwangsversteigerung allerdings erst auf Ersuchen des Vollstreckungsgerichtes. Bis zum Zeitpunkte des Einganges dieses Gesuches bei dem Grundbuchamte würde also wenn die oben geschilderte Stellungnahme des Vollstreckungsrichters und des Grundbuchamtes rechtlich unanfechtbar und ein anderer Weg nicht gangbar wäre dem Darlehnsgeber die Möglichkeit genommen sein, eine dingliche Sicherheit zu erlangen. Er mufs also versuchen, das Eintragungsgesuch bei dem Grundbuchamte genau in dem Zeitpunkte anzubringen, mit welchem der Grund für die Abweisung des Eintragungsgesuches (dafs der Ersteher als Eigentümer nicht eingetragen sei) in Wegfall kommt.

Die geringste Verspätung bei dieser Operation kaun bewirken, dafs ein anderes Eintragungsgesuch (sei es auf Grund einer Bewilligung des Eigentümers oder eines vollstreckbaren Titels) dem Darlehnsgeber zuvorkommt.

Es ist gewifs richtig: Jus vigilantibus scriptum est. In der vorgeschriebenen Art auf der Lauer zu liegen, kann das Gesetz aber von den Beteiligten nicht verlangen. Der Gesetzgeber hat dies vielmehr vermeiden wollen.

Der Entwurf des Zwangsversteigerungsges. enthält den Satz, dem Ersteher solle

„das Recht, Eintragungen in das Grundbuch zu beantragen, erst zustehen, nachdem er als Eigentümer eingetragen worden ist".

Die Kommission des Reichstages strich diesen Satz und setzte dafür:

« EelmineJätka »